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Ein saublöder Tag

Gestern Nacht habe ich keine Sekunde geschlafen, weil wir die ganze Zeit im Zoo waren. Diese Nacht schlafe ich nicht, weil Albi nicht schläft. Er tigert bis zum Morgengrauen ruhelos zwischen meinem und Enricos leerem Bett hin und her. Mein kleiner Bruder ist mit seinem Kissen und seinem Kuschelmonster in das Zimmer meiner Schwester gezogen. Ihm stank es bei uns zu sehr und außerdem hat er immer noch Schiss vor Albi. Dabei ist der Panda ganz harmlos. Nur laut. Er quiekt ununterbrochen, während er durch das Zimmer tapert und dabei gelangweilt mit seinen Tatzen immer wieder ein paar Sachen umwirft. Dabei starrt er die ganz Zeit das Poster an, dass ich an die Wand geheftet habe, um es ihm hier ein bisschen nett zu machen. Das Poster habe ich aus der Kinder-Apothekenzeitung, und es zeigt einen Panda, der in irgendeinem chinesischen Urwald hockt und Bambus knabbert. Der Panda auf dem Bild sieht genauso aus, wie die Panda-Dame in dem Gehege neben Albi. Vielleicht ist sie der Grund, warum er so traurig ist? Vielleicht vermisst er sie? Vielleicht ist er ja verknallt? Das würde einiges erklären.

»Kann das Viech nicht mal eine Minute still sein!«, brüllt Papa um drei Uhr morgens über den Flur. Das nützt natürlich gar nichts, weil Albi ihn nicht versteht. Der Panda bleibt kurz stehen und sieht mich ratlos aus seinen roten Augen an, als wollte er mich fragen, was das Geschrei zu bedeuten hat. Dann setzt er seinen Weg fort und stößt mit der Schulter so hart gegen meinen Schreibtisch, dass die Stehlampe polternd auf den Boden fällt.

»Ist da endlich mal Ruhe!«, schreit Papa, der plötzlich in der Tür steht und Albi wütend anstarrt.

»Du kannst ihm keinen Vorwurf machen. Pandas sind nachtaktive Tiere«, erkläre ich, weil ich das auf dieser Panda-Webseite gelesen habe. »Die schlafen tagsüber in ihrem Versteck und sind nachts im Dschungel unterwegs.«

»Hier ist aber kein Dschungel«, erwidert Papa gereizt.

»Das ist aber doch nicht seine Schuld«, erwidere ich.

»Hast du ihm seine Tropfen gegeben?«, fragt Papa.

»Klar doch«, lüge ich, weil ich sie Albi natürlich nicht gegeben habe. Ich weiß ja gar nicht, was die für Nebenwirkungen haben. »Aber die scheinen bei ihm nicht zu wirken.«

Papa will noch etwas sagen, doch genau in dem Augenblick dreht Angelina ihre Anlage volle Lautstärke auf, um Albis Quieken und Papas Geschrei zu übertönen.

»RUHE VERDAMMT NOCH MAL!«, brüllt Papa und stürmt in ihr Zimmer.

So geht es die ganze Nacht. Renzo verzieht sich irgendwann. Angeblich, um zu arbeiten. Ich glaube aber, er will einfach nur seine Ruhe haben. Als er am nächsten Morgen mit den Brötchen kommt, hat er jedenfalls kein neues Auto dabei.

Die Stimmung am Frühstückstisch ist gereizt. Außer mir scheint es niemanden mehr zu interessieren, wie man Albi seinen Aufenthalt bei uns so angenehm wie möglich gestalten kann.

Der Rest der Familie Calzone zerbricht sich eher den Kopf darüber, wie man ihn schnell wieder loswerden kann. Papa und Mama bereuen mittlerweile, dass sie die Lösegeldforderung nicht doch per E-Mail geschickt haben. Weil der Brief erst heute beim Zoo ankommt, ist mit einer Antwort nicht vor morgen zu rechnen. Es steht aber auch heute schon etwas über den Panda in der Zeitung.

»Hört euch das an!«, sagt Papa und liest den Artikel vor. »Der lange erwartete Albino-Panda ist überraschend schwer erkrankt und in die Krankenabteilung unseres Zoos verlegt worden. ›Die Lage ist sehr ernst, wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen‹, erklärte Zoodirektor Doktor Hagenbock gegenüber unserem Reporter. Der Tag des Pandas, an dem alle Besucher im Panda-Kostüm freien Eintritt haben, soll trotzdem stattfinden.«

Papa lässt die Zeitung sinken und starrt uns aus seinen übernächtigten Augen an. Die sind fast so rot wie die von Albi.

»Die wollen sich doch tatsächlich das Lösegeld sparen!«, erklärt Papa fassungslos. »Diese Verbrecher erklären diesen armen Panda lieber für so gut wie tot, als uns die paar lumpigen und hochverdienten Euro zu bezahlen!«

»Vielleicht haben sie aber auch einfach nur nach einer guten Erklärung gesucht, warum der Panda im Augenblick in seinem Gehege nicht zu sehen ist?«, sagt Angelina, und das glaube ich ehrlich gesagt auch.

»Lasst uns abwarten, was morgen in der Zeitung steht«, sagt Mama und beginnt müde den Frühstückstisch abzuräumen. »Dann müsste die Anzeige erscheinen.«

Ich gehe in mein Zimmer, um meinen Schulranzen zu holen. Albi liegt in meinem Bett und schläft. Ich mache ihm keinen Vorwurf, dass ich total übermüdet bin. Er kann ja nichts dafür, dass die Calzones ihn entführt haben. Ich decke ihn zu, schnappe mir meine Tasche und dann bin ich auch schon draußen.

Unterwegs schaue ich noch bei Herrn Fee vorbei. Er betreibt den Kiosk mit der Lottoannahmestelle, der auf meinem Schulweg liegt. Ich mag Herrn Fee, und er mag mich, weil ich der Einzige aus unserer Familie bin, der seine Einkäufe auch bezahlt.

»Siehst müde aus, Rocco«, begrüßt er mich, als ich den Kiosk betrete. Dabei rümpft er leicht die Nase. Als guter Geschäftsmann lässt er sich aber nicht anmerken, dass ich etwas streng rieche. Da hat auch Mamas Parfüm nichts geholfen, von dem ich mir heute früh noch schnell ein paar Tropfen hinter die Ohren gespritzt habe.

»Schlecht geschlafen«, murmele ich. »Ich brauche wieder einen Lottoschein.«

»Hast du das von dem weißen Panda gehört?«, fragt Herr Fee, als er mir den Schein über die Theke schiebt.