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Plan B
»Aufwachen, Rocco! Wir sind da!« Es ist Renzo, der mich an der Schulter rüttelt. Er trägt eine orangefarbene Sicherheitsweste. Genau wie Papa, der mit einer Kettensäge in der Hand neben ihm steht.
»Wo hast du die her?«, frage ich verschlafen.
»Wir haben unterwegs einen kurzen Abstecher in eine Gärtnerei gemacht und uns mit dem Nötigsten eingedeckt«, antwortet Papa und reicht mir auch so eine Weste. »Hier, die ist für dich!«
»Habt ihr die auch bezahlt?«, frage ich, als ich mich langsam aufrichte und ihm die Weste aus der Hand nehme.
Renzo und mein Vater lachen nur. Es ist also gar nicht gesagt, dass sie nicht doch für die Sachen bezahlt haben. Ich lege die Situation zu ihren Gunsten aus und ziehe mir die Weste an. Als ich aussteige, sehe ich, dass wir direkt vor dem Stadtpark parken. Weil der Eintritt sowieso kostenlos ist, brauchen wir auch über keine Zäune zu klettern. Der Japanische Garten liegt direkt rechts neben dem Parkeingang und ist fast leer. Es sind nur ein paar Geschäftsleute da, die ihre verlängerte Mittagspause nutzen, um Meditationsübungen zu machen. Andere sehen aus, als würden sie in Zeitlupe gegen einen unsichtbaren Gegner kämpfen. Wenn ich mich nicht irre, ist das eine Sportart und heißt Tai-Chi oder so ähnlich. Jedenfalls kommt sie auch aus Asien und deswegen trainieren die Leute das wahrscheinlich auch hier im Japanischen Garten. Wegen der fernöstlichen Stimmung. Vielleicht aber auch nur, weil es hier so schön ruhig ist. Normalerweise.
»Da vorn wächst Bambus«, schreit Renzo und zeigt auf einen Baum mit zierlichen weißen Blüten.
»Das ist doch kein Bambus! Das ist ein Kirschbaum, du Dösel«, brüllt Papa zurück. »Bambus sind die langen grünen Stangen da vorne.«
Die Männer und Frauen, die ihre Jacken über einer Bank abgelegt haben, schauen wütend zu uns herüber. Das haben sie schon gemacht, als sie uns drei in den Warnwesten und mit Papas Kettensäge haben kommen sehen. Da ahnten sie wohl schon, dass es mit der beschaulichen Ruhe hier gleich zu Ende sein würde.
Oma ist auch da, aber das sehe ich erst jetzt. Sie tut so, als würde sie uns nicht kennen, und Papa und Renzo machen es genauso. Oma schleicht um die Bank herum, wo die Jacken liegen. Sie schaut uns genauso böse an wie die anderen Leute, weil wir gerade dabei sind, ihr das Geschäft zu verderben.
Ich finde das ja gut.
»Das sieht echt übel aus!«, brüllt Papa, als er vor dem Bambuswald steht. »Das ist ja alles vom koreanischen Bambuskäfer befallen. Das muss alles, alles weg!«
»Echt?«, fragt Renzo erschrocken. »Kann der Panda das denn überhaupt noch fressen?«
»Psst!«, zischt Papa zurück. »Das sage ich doch nur, damit wir das ganze Zeug unbehelligt abholzen können! Sonst rennen die doch sofort zur Parkverwaltung.«
Ich weiß nicht, ob sie zur Parkverwaltung laufen, aber die ersten Leute gehen jetzt tatsächlich. Sie schnappen sich ihre Jacken, weil es ihnen zu laut zum Meditieren geworden ist. Die anderen verlassen den Japanischen Garten spätestens, als Papa die Kettensäge anschmeißt. Oma geht auch, weil es hier für sie nichts mehr zu tun gibt. Für uns gibt es jede Menge zu tun. Aber mit der Kettensäge ist es nur eine Sache von Minuten, bis der ganze Bambuswald gerodet am Boden liegt und nur noch kniehohe grüne Stängel aus der Erde ragen. Renzo, Papa und ich schleppen die gefällten Stangen zum Wagen und verstauen sie hinten auf der Ladefläche. Wir müssen zwanzig Mal gehen, ehe wir alles verladen haben. Ich schätze, das wird Albi für die nächsten vier Tage reichen. Danach müssen wir weitersehen, falls er dann nicht längst wieder zurück im Zoo ist.
Weil im Wagen vor lauter Bambus kein Platz mehr für mich ist, muss ich zu Fuß nach Hause laufen. Unterwegs treffe ich Oma, die immer noch schlecht gelaunt ist, weil die Bambusernte ihr die Brieftaschenernte vermasselt hat.