»Was hat Opa eigentlich genau?«, frage ich.

»Mach dir um den keine Sorgen, der ist zäh«, antwortet sie, obwohl ich sehen kann, dass sie das selbst nicht ganz glaubt. Sie zieht wieder ihr besticktes Stofftaschentuch aus ihrem Blusenärmel und betupft sich damit die Augenwinkel.

»Habt ihr eigentlich nie daran gedacht, auf ehrliche Weise euer Geld zu verdienen, du und Opa?«

»Klar, haben wir das.« Oma lächelt. »Aber das lag uns einfach nicht. Wir Calzones können eben einfach nicht anders.«

»Wir heißen nicht Calzone! Wir heißen Schröder«, widerspreche ich. »Und dass das geht, sieht man doch an mir.«

Oma streicht mir zärtlich über den Kopf.

»Das macht ja nichts, wir lieben dich trotzdem.«

Damit ist das Thema für sie beendet. Nicht nur, weil es für sie nichts weiter dazu zu sagen gibt, sondern auch weil wir zu Hause angekommen sind.

»Er frisst sie nicht«, begrüßt Enrico uns schon an der Tür.

»Er soll ja auch gar keine Schokolade fressen«, erwidere ich sauer, weil ich das meinem kleinen Bruder schon ein paar Mal gesagt habe. »Weißt du doch!«

»Die Bambusstangen! Er frisst die Bambusstangen nicht«, erwidert Enrico beleidigt.

Ich drängele mich an ihm vorbei und laufe in mein Zimmer. Dort sieht es aus wie in einem chinesischen Urwald, weil Renzo und mein Vater den ganzen Bambus einfach auf den Boden geschmissen haben. Zwischen den grünen Stangen hockt der weiße Panda und schaut mich traurig aus seinen roten Augen an. Das kenne ich schon, aber es geht mir immer noch durch und durch. Dann wendet er sich ab und starrt mit demselben herzzerreißenden Blick das Panda-Poster an der Wand an.

»Er hat sie nicht mal probiert«, sagt Papa, der neben mir an der Tür steht.

»Vielleicht braucht er ein bisschen Ketchup dazu«, schlägt Renzo vor.

»Oder Schokostreusel«, ergänzt Enrico. »Mit Schokostreuseln lässt sich sogar Spinat ertragen.«

»Unsinn, das muss man erst mal ordentlich pürieren. So hart würde ich das Zeug auch nicht mögen«, sagt Mama.

»Soll ich im Internet mal gucken, ob ich ein paar Bambusrezepte finde?«, fragt Angelina.

»Vielleicht hat er einfach nur keinen Hunger«, sage ich, aber genau in dem Augenblick knurrt Albis Magen lauter als Papas Kettensäge.

Die nächste Nacht verläuft genau wie die da davor. Keiner von uns kann schlafen, weil Albis Magen ohrenbetäubend laut knurrt und er die ganze Nacht ruhelos durchs Haus tigert.

Entsprechend schlecht ist die Stimmung am Frühstückstisch. Und sie wird sogar noch schlechter, als Renzo mit den Brötchen und der Zeitung nach Hause kommt.

»Gib mal her!«, sagt Papa und reißt ihm ungeduldig den Anzeigenteil aus der Hand. Dann blättert er eine Weile die Seiten durch.

»Und? Hat der Zoo sich schon gemeldet?«, fragt Mama neugierig.

»Hat er«, antwortet Papa mit zittriger Stimme.

»Was schreiben sie denn? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!«

Papa reicht Mama die Zeitung, und die liest die Anzeige des Zoos vor, die nur aus drei Wörtern besteht: »Teddybären-Rücknahme verweigert.«

»Das können die doch nicht machen«, schimpft Papa wütend. »Einfach ihren Panda nicht mehr zurücknehmen wegen lächerlicher vier Millionen Euro! Das lassen wir uns nicht bieten!«

»Hurra! Der Panda bleibt bei uns!«, ruft Enrico, der immer noch hofft, irgendwo ein Kaninchen aufzutreiben.

In dem Moment kommt Angelina mit ihrem Smartphone in die Küche.

»Ich habe übrigens mal recherchiert, was so ein Zoo für einen neuen Panda ausgeben müsste«, sagt sie. »Mit fünfzehntausend Euro ist man schon dabei.«

»Aber unserer ist ein echter Albino! Die sind doch viel, viel wertvoller!«, sagt Papa immer noch ganz erschüttert. »Das kann man doch gar nicht vergleichen.«

»Ich weiß ja nicht, ob der wirklich mehr wert ist«, mischt sich Oma ein. »Dem fehlen doch die ganzen schwarzen Flecken. Fünfzehntausend Euro sind jedenfalls nicht das, was euer Großvater unter einem großen Ding versteht.«

Danach wird es richtig laut in der Küche, weil sich alle anschreien. Wie der Krach ausgeht, kriege ich nicht mit, weil ich zur Schule muss, und da gehe ich heute Morgen seit langer Zeit mal wieder gerne hin. Ich mag es nicht, wenn sich meine Familie streitet.

Als ich aus der Schule komme, ist es wieder ruhig. Mal abgesehen von Albis Magenknurren. Aber daran gewöhnt man sich genauso wie an seinen Geruch. Meine Eltern sitzen mit Renzo in der Küche und kleben den Brief mit ihrer neuen Lösegeldforderung zusammen.

»Läuft alles genau nach Plan«, begrüßt mich Papa, der sich von dem Schock am Morgen erholt zu haben scheint. »Wir gehen auf zwei Millionen runter.«

»Und statt des Hubschraubers begnügen wir uns mit einem Gleitflieger«, sagt Renzo.

»Das war ja von Anfang an unser Plan B«, ergänzt Mama. »Hunger?«

»Hat Albi was gegessen?«, frage ich zurück.

»Wer?«, will Papa wissen.

»Der Panda«, antworte ich genervt.

»Nein, er hat den Bambus immer noch nicht angerührt«, sagt Mama.

»Die ganze Schufterei im Park war völlig umsonst«, schimpft Renzo.

»Nicht ganz, ich habe die Kettensäge und die Westen verkauft«, sagt Papa und grinst zufrieden.

»Keinen Appetit«, sage ich, weil ich mir vorgenommen habe, genauso lange zu hungern wie Albi.

Ich schaue nach, wie es ihm geht. Enrico hockt auf dem Boden und schubst ein braunes Kaninchen auf den Panda zu, der verängstigt ein paar Schritte zurückweicht.

»Was soll das?!« Ich nehme das Kaninchen auf den Arm, damit es Albi keine Angst mehr macht.

»Ich wollte wissen, ob der wirklich ein Kaninchen mit seinen Tatzen in der Mitte zerreißen kann. So wie Oma gesagt hat.«

»Pass auf, dass er dich nicht in der Mitte zerreißt«, erwidere ich sauer, und für einen Moment sieht Enrico so aus, als wenn er das tatsächlich für möglich halten würde. Jedenfalls bewegt er sich langsam rückwärts Richtung Tür.

»Wo ist das Tier überhaupt her?«

»Aus dem Zoo. Du warst doch selber dabei, als ihr ihn aus dem Gehege geholt habt.«

»Doch nicht Albi! Das Kaninchen!«

»Das gehört Marie. Renzo hat es mir mitgebracht.«

»Und der bringt es auch wieder zurück!« Ich drücke Enrico das Kaninchen in die Hand und schiebe ihn aus meinem Zimmer. Kurz darauf ist aus der Küche Renzos laute Stimme zu hören: »Bist du bescheuert? Ich breche doch nicht noch mal in den Garten eures Hausmeisters ein, um das Kaninchen wieder zurückzubringen.«

»Und ob du das machst!«, schreit jetzt Mama. »Du weißt doch, dass ich hier im Haus keine Tiere erlaube!«

»Aber der Panda ist doch auch da!«, ruft Enrico dazwischen.

»Der geht aber auch wieder«, brüllt Papa. »Und jetzt will ich das Wort Panda nicht mehr hören!«

Bei den Calzones wurde früher schon viel gestritten, das sagte ich ja schon. Doch seit der Panda bei uns lebt, ist es schlimmer geworden. Dabei ist Albi der Letzte, der etwas dafür kann. Das liegt nur daran, dass wir alle so furchtbar müde sind, weil wir nachts nicht mehr schlafen können.

Das ändert sich auch in den nächsten Tagen nicht, die für meine Eltern im Wesentlichen darin bestehen, Buchstaben für immer neue Lösegeldforderungen mit immer geringeren Beträgen auszuschneiden, und dem Lesen von Zeitungsanzeigen, in denen beharrlich die »Teddybären-Rücknahme verweigert« wird.

Es muss dringend etwas geschehen und deswegen werde ich das unsägliche Panda-Entführungs-Theater beenden. Und ich weiß auch schon wie, selbst wenn das bedeutet, dass ich dabei meine ganz persönliche chinesische Mauer überwinden muss. Aber das stand ja auch schon in meinem Glückskeks.