»Jammerschade, dass der Fotograf von der Zeitung schon weg ist«, klagt die Kassiererin, als ich mit Albi vor ihr stehe. Sie beugt sich ganz weit nach vorne, um mich besser sehen zu können. Ich gehe jede Wette, dass sie eigentlich eine Brille braucht und nur zu eitel dafür ist. »Den ganzen Tag ist niemand verkleidet gekommen und jetzt erscheint dein Freund hier mit so einem perfekten Kostüm!« Da haben wir gleich doppelt Glück gehabt. Einmal, weil Albis schwarze Fleckenfarbe trotz des Regens immer noch hält, und ein zweites Mal, weil die Kassierin so kurzsichtig ist, dass sie einen echten Panda nicht von einem verkleideten Jungen unterscheiden kann.

Wie versprochen, darf er umsonst in den Zoo, und ich auch, obwohl ich gar kein Kostüm trage. Die Frau ist immer noch so aus dem Häuschen über Albis tolle Verkleidung, dass sie mein Geld gar nicht haben will und uns alle beide einfach so durchwinkt.

»Ich telefonier gleich mit dem Redakteur der Zeitung, der schickt bestimmt noch mal jemanden raus für ein Foto«, ruft sie mir nach, als ich Albi durch das Drehkreuz schiebe.

»Nicht nötig und das lohnt sich auch gar nicht«, rufe ich zurück, weil ich die Presse hier und jetzt überhaupt nicht gebrauchen kann. »Wir wollen uns nur kurz die Elefanten anschauen, dann sind wir auch schon wieder weg.«

Als wir im Zoo sind, brauche ich den Schokoriegel nicht mehr. Albi folgt einfach seiner Nase und trottet zielsicher an den Elefanten vorbei, dann hält er sich bei den Pinguinen links und biegt rechts bei den Flamingos ab. Direkt dahinter liegt sein Panda-Gehege. Unterwegs begegnen uns nur wenige Besucher, die sich unter ihre Regenschirme ducken und versuchen, möglichst trocken ins Affenhaus zu kommen. Die beachten uns überhaupt nicht.

Je näher wir seinem Gehege kommen, desto aufgeregter wird Albi. Die letzten Meter rennt er sogar. Er springt über die niedrige Absperrung und läuft auf sein Gehege zu. Denke ich. Erst als ich genau hinschaue, erkenne ich, dass er gar nicht vor seinem eigenen Gehege hockt. Dort hängt nämlich ein Schild dran, das den Besuchern erklärt, warum der Albino-Panda nicht da ist. Da steht natürlich nichts von Entführung, sondern nur wieder etwas von seiner schweren Krankheit.

Nein, Albi hockt nass, aber kerngesund vor dem Käfig daneben. Die Panda-Dame, die hier schon seit ein paar Jahren lebt, schiebt ihre Nase durch die Gitterstäbe. Albi drückt seine Nase gegen ihre, und das sieht furchtbar süß aus, obwohl beide schrecklich stinken. Das tun Pandas ja auch so schon, aber Albis feuchtes Fell riecht schlimmer als ein nasses Hunderudel. Gerührt halte ich mir die Nase zu und beobachte die beiden eine Weile. Ich hatte vorher ja schon geahnt, warum Albi bei uns so schrecklich unglücklich war: Der Ärmste hatte Liebeskummer! Deswegen hat er die ganze Zeit auch nichts gefressen. Der hat vor lauter Sehnsucht einfach keinen Bissen runtergekriegt.

Von wegen »Pandas sind Einzelgänger«, wie es auf der Webseite hieß. Ich glaube, so richtige Einzelgänger gibt es sowieso nicht. Jeder braucht irgendwie irgendwen. Albi braucht die Panda-Dame aus dem Nachbargehege, und ich brauche meine Familie, auch wenn sie manchmal etwas komisch ist.

»Mach’s gut, Albi«, rufe ich. »Ich komme dich auch bald mal besuchen!«

Albi hört für einen Moment auf, seine Nase an der Nase der Panda-Dame zu reiben, und dreht sich zu mir um. Ein letztes Mal schaut er mich mit seinen roten Augen an, und dann – ich schwöre beim gestohlenen Unterrock meiner Uroma – grinst er zufrieden. Genau wie Opa im Gefängnis.

Ich könnte heulen, so gerührt bin ich. Und weil mir das Regenwasser sowieso schon über das Gesicht rinnt, lasse ich die Tränen einfach laufen. Sieht hier ja keiner. Ist ja außer mir auch keiner da.

Ich winke Albi noch mal zu, dann drehe ich mich um und gehe. Er wird da bestimmt nicht weglaufen und dann wird man ihn finden und sich um ihn kümmern. Ich bin sicher, im Gegensatz zu der kurzsichtigen Kassiererin können die Pfleger einen angemalten Albino-Panda von einem verkleideten Zoobesucher unterscheiden.

Als ich im Regen durch den Zoo laufe, gehen mir eine Menge Gedanken durch den Kopf. Ich habe heute etwas gestohlen, und das ist das erste Mal, dass ich etwas Illegales getan habe. Auch wenn es für einen guten Zweck war. Ist es deswegen weniger schlimm? Wohin geht dann die Waage, auf der das Gute und das Schlechte vermessen wird? Oder wippt die dann unschlüssig hin und her?

Andererseits habe ich das Rad ja gar nicht geklaut, weil ich es später mit dem Anhänger wieder vor dem Kiosk von Herrn Fee abstellen werde. Eigentlich ist es also nur geliehen. Vielleicht ist deswegen alles nur halb so schlimm und die Waage schlägt doch ganz klar nach rechts aus?

»Hey, wo ist denn dein Freund mit dem tollen Kostüm?«, begrüßt mich die Kassiererin, als ich den Ausgang erreiche. Neben ihr steht ein Mann mit einer Kamera. »Der Fotograf ist extra gekommen, um ein Bild von ihm für die Zeitung zu machen.«

»Der ist durch den Hinterausgang raus«, sage ich.

Der Fotograf flucht, weil er den ganzen Weg im Regen umsonst auf sich genommen hat, und die Frau macht auch ein ganz trauriges Gesicht. Ich bin schon fast an ihr vorbei, da ruft sie mich noch einmal zurück.

»Dann bring ihm wenigstens das hier mit. Für das beste Kostüm gibt es einen Fresskorb als Preis.« Sie reicht mir einen Korb mit lauter leckeren Spezialitäten. »Und den hätte er auch gewonnen, wenn hier heute tausend verkleidete Pandas aufgetaucht wären.«

Ich murmele leise »Danke« und gehe zurück zu meinem geliehenen Fahrrad. Den Korb stelle ich im Anhänger ab und fahre nach Hause.

Als ich dort ankomme, schlafen noch alle. Das tun sie die ganze Nacht über. Ich auch, nachdem ich mir die nassen Sachen ausgezogen habe. Albi ist ja nicht mehr da, um uns wachzuhalten.