Verschärfte Einzelhaft

Und genau in dieser Zeit verriet der einzige Mensch, den ich damals ins Vertrauen gezogen hatte (nicht mein Sohn!), dem MAD die Munitionsverstecke in meinem Garten. Es folgten die Festnahme, am nächsten Tag der Haftbefehl wegen Flucht- und Verdunklungsgefahr, anschließend Einzelhaft in der Justizvollzugsanstalt Dresden, im Hochsicherheitstrakt. Und nicht nur Einzelhaft – verschärfte Einzelhaft, viereinhalb Monate.

Das Modell der Zelle, in die sie mich steckten, wurde nach dem Selbstmord eines terrorverdächtigen Syrers entwickelt, der sich 2016 in einer Leipziger Haftanstalt erhängt hatte. Diese Zellen sollen suizidsicher sein. Eine Stahltür mit Sehschlitz und Durchreiche fürs Essen, das Bett aus Stein gemauert, Klo- und Waschbecken aus Edelstahl, in einem Teil, wie auf manchen Autobahnraststätten, der Schreibtisch fest in der Wand verankert, der Schemel davor im Boden eingelassen, unverrückbar. Kein Gitter am Fenster, zumindest nicht von innen erreichbar, und auch sonst war nichts vorhanden, woran man sich hätte aufknüpfen können. Sogar der Heizkörper war durch Fußbodenheizung ersetzt worden. In der Wand dem Bett gegenüber befand sich eine großflächige bruchsichere Scheibe, hinter der 24/7 ein Vollzugsbeamter wachte, jederzeit mit freier Sicht auf mich, selbst wenn ich auf dem Lokus saß. Die halbhohe Mauer, die danebenstand, verdeckte nur den unteren Teil. Das Licht in der Zelle brannte Tag und Nacht.

Eine Stunde Hofgang täglich, allein, in einer Art Freiluftkäfig, geschätzt sechs mal sechs Meter, Hände und Füße gefesselt. Ich drehte immer barfuß meine Runden, egal wie kalt es war und auch, wenn es regnete. Um das Leben zu spüren.

Auf jedem Weg außerhalb der Zelle eskortierten mich drei Beamte. Üblich wären zwei gewesen, aber ich schien ihnen zu gefährlich zu sein. Eine Kampfmaschine, ein Killer. Angeblich hatte jemand vom Personalamt der Bundeswehr in Köln in die Welt gesetzt, ich sei beim KSK zum lautlosen Töten ausgebildet worden, ohne Waffe, mit bloßen Händen und verbundenen Augen. Was natürlich völliger Unsinn war. So einen Lehrgang gab es nicht. In Calw waren Soldaten, die besser schießen konnten, die körperlich belastbarer waren, auf jeden Fall im Vergleich zur breiten Masse der Gesellschaft – und, vermutlich, vieler Bundeswehrsoldaten. Sie mochten auch psychisch belastbarer sein, aber deswegen waren sie längst keine Übermenschen mit außernatürlichen Kräften oder Fähigkeiten. KSK-Soldaten kochten am Ende auch bloß mit Wasser. Ich erinnere mich an Übungen, Infanteriekampf, die hätte ich mit einfachen Soldaten von den Gebirgsjägern in Schneeberg genauso gut hingekriegt. Wahrscheinlich sogar besser, weil sie Infanteriekampf einfach draufhatten. Viele, die zum KSK kamen, waren vorher keine Infanteristen. Taktisches Verhalten musste man immer wiederholen. Frei nach Lenin: Üben, üben, nochmals üben. Nur wenn man es oft genug trainierte, ging es in Fleisch und Blut über. Doch selbst dann hieß es dranbleiben und es wieder und wieder wiederholen, nicht so wie beim Radfahren, das man einmal erlernt und dann für immer beherrscht.

Anfangs schaute fast jeden Tag der Anstaltspsychologe vorbei. Ein feiner Kerl, es waren gute Gespräche, für die ich ihm heute noch dankbar bin. Wir redeten darüber, was ich getan hatte und was in meinem Leben bisher geschehen war, was ich falsch gemacht hatte, in der Ehe, die gescheitert war, bei meinem Sohn und überhaupt, wir gingen bis in die Kindheit zurück.

Immer freitags war Besuchszeit, eine Stunde. Anna kam, meine Eltern kamen, mein Sohn. Zwischen uns eine Panzerglasscheibe, wie man das aus amerikanischen Krimis kennt. Keine Berührungen. Hören konnten wir uns nur über die Gegensprechanlage. Dazu akustische Überwachung. Wer mich auch besuchen kam, jedes Mal postierte sich ein Beamter vom LKA hinter demjenigen und hielt die Ohren gespitzt. Außer es war meine Anwältin, aber auch mit ihr durfte ich nur durch die Trennscheibe sprechen.

Als absehbar war, dass ich so bald nicht freikommen würde, versuchte ich, den Tagen eine Struktur zu geben. Als Erstes putzte ich morgens die Zelle, man hätte vom Boden essen können. Dann kam das Frühstück. Danach schrieb ich Briefe oder ich las, hauptsächlich Bücher zu Militärthemen, historische, aktuelle, was die Gefängnisbibliothek hergab, zum Beispiel Soldaten: Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben . Aber auch die Bibel, von der ersten bis zur letzten Seite. Und Bücher über den Islam und andere Religionen. Ich fing an zu malen, meist Berglandschaften, an die ich mich erinnerte, wo wir im Einsatz gewesen waren oder bei Lehrgängen. Nachmittags war dann Sport angesagt, mindestens zwei Stunden, mit eiserner Disziplin, alles, was ohne Geräte möglich war – Liegestütze, Wechselsprünge am Bett, Bauch- und Rückentraining.

Das Eingesperrtsein zu ertragen, Verhöre zu überstehen, ohne Geheimnisse preiszugeben, selbst unter widrigsten Bedingungen, bei Drohungen und allerhand Psychospielchen – das ist tatsächlich etwas, was man beim Kommando beigebracht bekommt oder zumindest trainiert. Doch dort war es immer nur eine Übung oder eine Bewährungsprobe, die Drohkulisse bestenfalls realen Verhältnissen angepasst, nicht wirklich real.

Obwohl es die schlimmste Zeit meines Lebens war und jede noch so negative Erfahrung, die ich zuvor gemacht hatte, in den Schatten stellte, kam mir zu keinem Zeitpunkt der Gedanke, mir das Leben zu nehmen. Trotzdem wurde ich immer wieder als suizidgefährdet bezeichnet, ohne dass ich mir erklären konnte, wie sie darauf kamen. Genauso wenig, wie ich verstand, warum sie mich so lange in Einzelhaft hielten, während Mörder und andere Kapitalverbrecher als normale U-Häftlinge eingestuft wurden. Darüber machte ich mir ständig Gedanken. Ich hatte einen Fehler gemacht, eine Straftat begangen, aber warum hielten sie mich für einen Schwerstverbrecher, der unter solchen verschärften Bedingungen in Haft zu halten war? Als hätte ich ständig eine Matheaufgabe in meinem Kopf hin und her bewegt, ohne die Lösung zu finden. Das machte mich schon fertig, auch wenn ich mich bemühte, es mir nicht anmerken zu lassen. Die Wahrheit ist: In dieser Zeit habe ich den Glauben an den Rechtsstaat, dem ich einst aus voller Überzeugung gedient hatte, verloren.

Nach viereinhalb Monaten die ersten Hafterleichterungen. Aber nicht aus heiterem Himmel. Im Hintergrund kämpften meine beiden Anwälte mühevoll und hartnäckig um jeden winzigen Schritt. Es war dann immer noch eine Einzelzelle, aber eine andere, in einem anderen Block. Anscheinend galt ich nicht mehr als Suizidgefährdeter mit übernatürlichen Kräften. Metallbett, Heizkörper, Toilettenbecken aus Keramik, ein Regal für Bücher an der Wand. Lesen war der beste Zeitfresser, zumindest wenn man nicht arbeiten durfte, und ich durfte nicht.

Irgendwann, es ging schon auf den Herbst zu, der erste normale Hofgang, zusammen mit anderen Häftlingen, ohne Hand- und Fußfesseln. Und die Möglichkeit, Klimmzüge zu machen, im Freien, zwanzig schaffte ich noch.

Dann, nach ziemlich genau sechs Monaten, die Verlegung in die JVA nach Leipzig. Leinestraße 111, so was bleibt hängen. Auf dem Transport nur noch Handschellen. Und nur noch zwei Beamte, die mich bewachten. In Leipzig wieder eine Einzelzelle, mit einem kleinen Fenster, durch das man auf eine Straße schauen konnte, der Blick in die Freiheit.