Kommandoanwärter

Mit der Bestätigung der erfolgreichen Teilnahme hatte man das nächste Ticket gelöst: Man durfte weiterhin an der Ausbildung teilnehmen, die damals knapp ein Jahr dauerte, die bereits bewältigten drei Monate miteingerechnet. Die Ausbildung der Kommandoanwärter, das waren wir nun, fiel in den Zuständigkeitsbereich des Ausbildungs- und Versuchszentrums, AVZ, das mittlerweile zum Ausbildungsstützpunkt Spezialkräfte umbenannt und der Heeres-Infanterieschule unterstellt wurde – zu den Hintergründen komme ich noch. Im AVZ gab es mehrere Fachgruppen. Eine war für die Ausbildung zuständig, eine andere für die Rettung und Befreiung von Geiseln, eine fürs Schießen und so weiter. Mit der Zeit etablierten sich für jede Verbringungsart, eigentlich für jedes Thema, Fachberater, die dann auch die Ausbildung übernahmen beziehungsweise anleiteten und an neuen Taktiken feilten. Dabei orientierten sie sich in der Hauptsache an den US-amerikanischen Special Forces, insbesondere den SEALs, die von allen Spezialkräften weltweit am erfahrensten und kampferprobtesten sind.

Für die erste Ausbildungsmaßnahme danach ging es zur Luftlande-/Lufttransportschule nach Altenstadt bei Schongau, in die Franz-Josef-Strauß-Kaserne. Drei Wochen Fallschirmspringerlehrgang. »Rundkappe Automatik« nannte sich der, was bedeutete, dass mit rundem Schirm und Automatikauslösung gesprungen wurde. Ich war allerdings nicht dabei, weil ich den Lehrgang bereits in der Schneeberger Zeit mit den Gebirgsjägern absolviert hatte. Stattdessen durfte ich in der Kaserne in Calw Waffen putzen und so was, wozu Frischlinge halt verdonnert wurden, das war beim KSK nicht anders.

Bei dem Kurs in Altenstadt bekam man die Grundlagen beigebracht, angefangen bei den Abläufen im Luftfahrzeug, ob Transporthubschrauber oder Transportflieger. Das wurde in zwei Attrappen durchexerziert, die das Innere eines CH-53-Hubschraubers und einer Transall C-160 darstellen sollten, bis es saß. Eine andere Übung absolvierte man von einer Art Podest, etwa drei Meter hoch, das in einer Halle stand. Man stieg auf dieses Podest, hängte sein Gurtzeug über eine Umlenkrolle ein, die an der Decke befestigt war, und wartete auf Anweisung von unten. Dort stand, ein Stück entfernt, der Ausbilder, der das andere Ende des Seils hielt und dann schrie: »Springer … fertig zum Sprung!«

»Springer fertig«, hatte man zu antworten.

Woraufhin er befahl: »Springer ab!«

Das war der Moment, um das Podest, gedacht das Luftfahrzeug, zu verlassen. Und gleich darauf baumelte man an dem Seil, als hätte sich über einem automatisch der Schirm geöffnet.

Nicht vergessen durfte man beim Absprung, folgenden Spruch aufzusagen: »Hopptausend, zwotausend, dreitausend, viertausend … überprüfe Kappe, halte Umschau« – das ABC der Fallschirmspringer.

Eine Weile hing man so in der Luft, bis sich der Ausbilder entschied, das Seil loszulassen, ohne Vorwarnung. So sollte dann der Landefall geübt werden – vorwärts, rückwärts, rechts, links. Die Landefläche am Boden bestand aus einem Schaumstoff-Sandgemisch, nicht betonhart, aber auch nicht butterweich. Auf jeden Fall war es klug, die Füße immer zusammenzuhalten.

Deutlich höher ging es beim Trainieren des Absetzvorgangs aus dem Luftfahrzeug. Der Turm, der dafür vorgesehen war, dürfte etwa 20 Meter hoch gewesen sein. Dort oben hat man den kompletten Ablauf trainiert: Gurt einhängen, Eintreten in die Sprungöffnung, dann das rote Licht, das Hupsignal, zuletzt das grüne Licht … und ab, der Schritt ins Leere. In Wirklichkeit hing man an einem Seil und glitt sicher in die Tiefe.

Erst in der letzten Woche dann richtige Sprünge, aus einer Transall, die in Fürstenfeldbruck startete. Jeder absolvierte vier Sprünge und einen Gepäcksprung, also mit einer Ladung, die vorn am Gurtzeug eingehängt wurde. Die musste man kurz vor der Landung losmachen, damit sie vor einem auf dem Boden ankam, sonst wäre es für den Springer ungemütlich geworden. Von raffinierter Taktik und zielgenauem Landefall war da noch nicht viel zu erkennen. Aber so bekommt man vielleicht eine Ahnung davon, wie viele Stunden, Tage, Wochen und Monate des Trainings noch vor uns lagen, um für den Einsatz im Ernstfall gerüstet zu sein. Fallschirmspringen zählt zu den Grundfähigkeiten eines Kommandosoldaten.

Ungefähr drei Jahre später absolvierte ich meinen ersten Freifalllehrgang in Eloy, Arizona – Military Freefall. Eloy ist ein kleines Kaff in der Wüste, 60 Meilen von Phoenix entfernt. Der Sprungplatz gilt als der größte der Welt. Spezialkräfte von überallher trainierten dort. Nicht zuletzt, weil die Wetterbedingungen das ganze Jahr über recht stabil sind. Wenn man dorthin ging, konnte man mit ziemlicher Sicherheit das geplante Programm durchziehen. In Deutschland war das Risiko, vom Wetter ausgebremst zu werden, um ein Vielfaches höher, selbst im Sommer. Deswegen entschieden wir uns meist für die Reise nach Arizona, wechselten später jedoch nach Coolidge, ein ähnlich kleines Kaff nicht weit von Eloy. Dort gab es auch einen Flugplatz. Die Landebahnen und Zwischenwege waren so angelegt, dass sie aus der Luft betrachtet ein großes A ergaben. Bis 2018 war ich mindestens einmal im Jahr zum Training drüben, in manchen Jahren auch zweimal. Immer für etwa drei Wochen, in denen man im Schnitt auf 40 bis 50 Sprünge kam. Das Geheimnis der Perfektionierung liegt in der Wiederholung, nicht nur beim Fallschirmspringen.

Ich weiß noch, wie wir vor dem ersten Freefall auf einem Rollbrett übten, welche Veränderungen die verschiedenen Körperbewegungen in der Luft verursachten. Heute macht man das im Windkanal, ist einfacher und für einen selbst viel anschaulicher.

Mein erster Sprung dort in Eloy war ein glatter Nachtflug. Aber nicht, weil es dunkel war – ich kniff die Augen zu, obwohl ich eine Sprungbrille aufhatte. Besser wäre gewesen, ich hätte den Mund zugemacht. Da pfiff Luft rein, dass ich kurz dachte, ich ersticke. Jeder bekam zwei Ausbilder an die Seite, die sich mit auf den Weg nach unten machten. Unsere Sprunganzüge hatten an den Ärmeln und Beinen Schlaufen, daran hielten sie mich in der richtigen Position. Mein Auftrag bestand hauptsächlich darin, ihren Anweisungen zu folgen – und keinen Herzinfarkt zu kriegen. Sie zogen auch den Hilfsschirm, damit sich die Hauptkappe rechtzeitig öffnete. Ab da ging es um reine Physik. Das lernte man vorher in der Theorie. Ohne diese Kenntnisse wäre es schwierig gewesen, den Platz zu erwischen, wo man landen sollte. In Arizona standen uns riesige Flächen zur Verfügung. Dort war das Hauptproblem eher, nicht aus Versehen auf einer der riesigen Kakteen zu landen, die überall herumstanden. Während des Gleitflugs wurde man über Funk von den Ausbildern zum Ziel dirigiert.

Hatte man die Grundlagen drauf und war beim Sprung sicherer, probierte man in der Freifallphase aus, wie sich einzelne Bewegungen auf den Körper auswirkten, wie er dadurch seine Flugposition änderte. Die Nummer auf dem Rollbrett, jetzt nur mit dem entsprechenden Luftwiderstand, in beträchtlicher Höhe und bei atemberaubendem Abwärtstempo. Zum Beispiel drehte man sich auf den Rücken und steuerte seinen Körper dann so, dass man wieder in die Bauchlage zurückfand.

Dann ging es an die Höhenreduzierungssprünge. Anfangs sprangen wir aus ungefähr 3800 Metern. Von dort oben sah die Erde wahnsinnig weit weg aus. Aber man wusste: Höhe ist gleich Sicherheit. Es blieb mehr Zeit zum Reagieren. Bei 1200 Metern fühlte sich das schon ganz anders an, die Erde kam einem verdammt nah vor. Jeder Schirm war mit einem Öffnungsautomaten ausgestattet, der die Fallgeschwindigkeit maß und die Öffnung des Reserveschirms auslöste, sobald eine bestimmte Fallgeschwindigkeit unter einer vorher eingegebenen Höhe überschritten wurde – falls man zum Beispiel ohnmächtig geworden wäre. Ich glaube, bei 700 Metern oder etwas weniger hätte der Automat reagiert. So ein Schirm brauchte ungefähr 200 Höhenmeter, bis er sich komplett geöffnet hatte. Am weitesten runter gingen wir bei sogenannten Hopp- und Plopp-Sprüngen. Da sprang man raus und zog fast im selben Moment, damit sich der Schirm direkt öffnete.

Als Nächstes trainierten wir Gepäcksprünge, mit Waffe und Gepäckbehältern, die mit drei 20-Kilo-Säcken Katzenstreu gefüllt wurden, um das Gewicht einer kompletten Gefechtsausrüstung nachzuahmen.

Und dann die hohe Schule: Truppsprünge. Mehrere Leute sprangen kurz nacheinander und versuchten, den anderen hinterherzufliegen und aufzuschließen, damit man gemeinsam als Trupp landete. Das trainierten wir zuerst bei Tag, dann im Dunkeln, mit Nachtsichtgerät. Wobei man mit dem Modell, das wir verwendeten, dem guten alten Lucie, nur zweidimensional sehen konnte. Das machte es schwierig bis unmöglich, die Höhe brauchbar abzuschätzen. Trotzdem war das Training darauf ausgerichtet, vorzugsweise in der Dunkelheit zu springen – weil es im Einsatz am sinnvollsten war. Man wurde nicht gesehen und konnte vom Radar nicht aufgeklärt werden. Manchmal, wenn es um taktisches Springen ging, kam extra eine Bundeswehrmaschine nach Arizona, eine Transall C-160, unser Paradepferd. Oder wir nutzten eine C-130 Hercules der Amerikaner.

In einem Ausbildungsabschnitt, der zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte, wurden wir darauf getrimmt, kappenrelativ zu fliegen. Das war dann nicht mehr hohe Schule, sondern fast schon Kunst. Um so etwas hinzubekommen, musste man den Schirm perfekt steuern können wie ein Luftfahrzeug. Der Kurs war sehr intensiv. Wir sind den ganzen Tag nur gesprungen. Nach jeder Landung gab es ein kurzes Debrief, dann erhielt man einen neuen Schirm, der bereits fertig gepackt war, dafür hatten sie extra Leute, und direkt ging es wieder in die Luft. Bei den Sprüngen lernte man, wie man mit geöffnetem Schirm dicht neben einem anderen flog – oder darüber oder dahinter. Das Ganze gipfelte darin, im Reißverschlussprinzip versetzt nebeneinander zu fliegen, in Formation, Kappe an Kappe. Auch das trainierten wir zunächst im Hellen, bevor wir in den Nachtmodus wechselten. Beide Varianten mit voller Ausrüstung und Waffe, wie es bei einem Einsatz notwendig wäre. Erst wenn man die Taktik in Kombination mit dem Transport der Ausrüstung verinnerlicht hatte, war das Ausbildungsziel erreicht.

Aber auch dann galt, wie bei allen anderen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die man sich antrainierte: Sie mussten immer und immer wieder aufgefrischt werden, damit man sie jederzeit abrufen konnte. Vorgegeben waren acht Pflichtsprünge pro Jahr, nicht nur die kappenrelativen, sondern insgesamt. Damit wäre man niemals im Training geblieben.

Im Zuge des nächsten Ausbildungsblocks machten wir den großen Sprengberechtigungsschein. Ein Bestandteil der Pionierausbildung »Sprengen KSK«. Wir kamen ganz schön rum in dieser Zeit. Der Lehrgang brachte uns zur Pionierschule nach Ingolstadt. Für mich war das Thema absolutes Neuland. Mit Sprengstoff hatte ich in Schneeberg nichts zu tun gehabt. In den ersten zwei Wochen war hauptsächlich Unterricht. Ladungsberechnung, Ladungsbau, viel Mathematik. Erst in der letzten Woche ging es auf den Truppenübungsplatz nach Wildflecken in der Hohen Rhön, die Theorie in die Praxis umsetzen. Baumsprengungen, Betonsprengungen, so was. Alles interessant, aber kaum mehr als die Grundlagen. Diesen Lehrgang musste jeder bei der Bundeswehr machen, der mal ein Sprengen leiten sollte. In die Feinheiten stieg man so richtig erst bei den nächsten Lehrgängen und Fortbildungen ein.

Und noch intensiver, wenn man zum Breacher ausgebildet wurde wie ich. Breacher (also die Öffnungstechniker, aber das sagt keiner) sind die, die bei einem Einsatz den Weg freimachen, wenn es scheinbar nicht weitergeht. Also potenzielle Eindringstellen wie Fenster, Türen oder Decken beurteilen und sich anhand dieser Einschätzung in kürzester Zeit eine Lösung einfallen lassen, sie zu knacken – zum Beispiel: Genügt eine Flex oder muss ich sprengen? Und wenn ich sprengen muss, welcher Sprengstoff eignet sich und wie viel brauche ich davon?

Mit den Grundverfahren, sich Zugang zu Gebäuden und Räumen zu verschaffen, wurden alle im Trupp vertraut gemacht, für den Fall, dass der Breacher durch Feindeinwirkung ausfallen würde. Der Kurs in Ingolstadt war sozusagen ein erster Baustein. Aber es konnte immer sein, dass man mit speziellen Türen oder Hindernissen konfrontiert wurde, dann brauchte man den Experten. Wusste man vorher, was einen erwartete, konnte man einen Plan aushecken, sich vorbereiten, idealerweise Probeöffnungen mit verschiedenen Methoden und Mitteln an einem vergleichbaren Objekt durchführen. Oder man griff auf Erfahrungen aus früheren Einsätzen zurück. Oder auf Wissen aus Lehrgängen. Weiterbilden konnte man sich nie genug. Hört sich schwer nach Streber an, doch spätestens bei der nächsten harten Nuss, mit der man bei einem Einsatz konfrontiert wurde, bewahrheitete es sich aufs Neue: Je mehr Wissen man anhäufte, desto flexibler konnte man im Ernstfall reagieren.

Die Lehrgänge für Breacher waren immer dann am zielführendsten, wenn dafür Gebäude zur Verfügung standen, die nicht schon ausgiebig ausgeschlachtet worden waren. Häufig waren es alte Kasernen, die abgerissen werden sollten, in denen wir uns austoben durften, natürlich fachgerecht und im Sinne der Sache. Wobei man immer etwas lernte, selbst wenn man das eine oder andere Mal etwas übereifrig heranging, etwa zu viel Sprengstoff verwendete. In Nürnberg stand uns mal ein stillgelegter Milchhof zum Experimentieren zur Verfügung. In einem der Gebäude gab es eine schwere Stahltür, durch die wir uns Zugang verschaffen wollten. Sie aufzuflexen, funktionierte nicht. Also kneteten wir die Zarge einmal komplett mit Sprengstoff aus und zündeten diesen – wohl wissend, dass wir so viel im Ernstfall niemals anwenden könnten, da wir sonst vermutete Personen dahinter in Gefahr gebracht hätten. Aber es war eine gute Möglichkeit, sich die Folgen anhand absichtlich gemachter Fehler vor Augen zu führen, im wahrsten Sinne der Worte: Es tat einen gewaltigen Rumms, die halbe Decke flog weg, ebenso ein Teil der Fensterfront. Die Tür war auch zerknautscht, allerdings viel stärker, als es nötig gewesen wäre. Im Einsatz wären wir zwar in den Raum hineingekommen, hätten mit hoher Wahrscheinlichkeit aber die Menschen darin verletzt, wenn nicht gar getötet. Solche Feuerschutztüren waren immer eine Herausforderung. Es kam darauf an, mit möglichst wenig Impact den maximalen Erfolg zu erzielen. Metalltore zum Beispiel versuchte man zu falten, indem man die Sprengladung als Streifen vertikal in der Mitte anbrachte. Dadurch wurden sie aus den Scharnieren gerissen, das waren in der Regel die Schwachstellen, die man am besten ausnutzen konnte.

Als ich später ins PLEX-Team wechselte, also die Ausbildung organisierte, suchte ich immer nach den besten Trainingsmöglichkeiten. Ich fuhr durch die Gegend und guckte Objekte an, die mir geeignet erschienen. Dann versuchte ich, den Besitzer ausfindig zu machen, damit er uns dort trainieren ließ. So konnten wir mehrmals eine stillgelegte Kaserne in der Nähe von Karlsruhe nutzen, die zum Abriss vorgesehen war. Da in den Gebäuden noch die originalen Türen und Fenster vorhanden waren, konnte man taktisch optimal trainieren, nicht nur mit den Breachern, wir rückten mit der gesamten Kompanie an. Aber für Breacher war es geradezu ideal. Ein anderes Mal bot sich ein unterirdischer Bunker mitten in Magdeburg an, in dem auch die Polizei trainierte. Dort öffneten wir eine Bunkertür mit Hydraulikhebel und Motorflex, das war mal etwas anderes. Die Breacher mussten sich vorher richtig Gedanken machen. Gute Übungsobjekte fanden sich auch auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne der Roten Armee bei Sperrenberg in Brandenburg. Dort konnte man alles machen.

Anders sah es in sogenannten Übungsdörfern aus, die wir ebenfalls nutzten. Eins befand sich in der Nähe von Böblingen, auf einem Militärgelände der Amerikaner. Dort waren zwar Rahmen für Türen und Fenster vorhanden, aber diese musste man selbst mitbringen, einhängen und hinterher entsorgen. Ich graste die Baumärkte ab, kaufte Türen, Fenster, Bretter, Folie und Tacker, damit wir alles herrichten konnten. Trainiert hat man dann vor allem die Abläufe und die verschiedenen Öffnungsverfahren. Zwar in der Praxis, aber nicht gegen wirkliche Widerstände. Diese billigen Baumarkt-Papptüren stellten keine echte Herausforderung dar. Obwohl es gerade die Herausforderungen waren, die für einen Breacher den Reiz seines Jobs ausmachten. Jedenfalls war es bei mir so.

Doch zurück in die Ausbildungszeit am Anfang. Der nächste Block war Nahkampf. In Calw. In der Nahkampfhalle. Die wurde vor einigen Jahren durch eine multifunktionale Trainingshalle mit Schwimmbad, Krafträumen, zweigeschossiger Sauna und allem Drum und Dran ersetzt, moderner gehts kaum. Unser damaliger Nahkampflehrer wollte uns Wing-Tsun beibringen, eine asiatische Selbstverteidigungstechnik. Was ziemlich abwegig schien angesichts der Tatsache, dass der Lehrgang auf 14 Tage angelegt war. Die Kampftechnik mag an sich nicht verkehrt sein, nur braucht man Jahre, bis man sie perfekt beherrscht – und nur dann kann man sie sinnvoll anwenden. Jedenfalls mussten wir viel auf Sandsäcke einschlagen, Kettenfauststöße. Und wir trainierten Stockkampf, Mann gegen Mann.

Wir trainierten aber auch verschiedene Festlegetechniken, wie man jemanden zu Boden brachte und mit Kabelbindern fixierte, ausgerichtet auf Unbewaffnete. Wäre jemand bewaffnet, hätte man selbst zur Waffe gegriffen. Aber nur dann, eine eiserne Regel: Geschossen wird nur auf Bewaffnete.

Außerdem brachte er uns das »Vögelchen« bei, wie wir es nannten – weil derjenige, der auf diese Weise angegriffen wurde, hinterher Vögelchen sah, im übertragenen Sinn. Gemeint war ein Schlag mit der Handkante, aus dem Handgelenk heraus, von oben auf die Halsschlagader. Wenn man es richtig anstellte, wurde damit die Blutzufuhr ins Gehirn unterbrochen, vor allem die Versorgung mit Sauerstoff, sodass sich der Hauptrechner dort oben ausschaltete und das Opfer kurzzeitig bewusstlos war. Um die Wirkung anschaulich vorzuführen, knockte der Trainer einen von uns Schülern mit dem Vögelchen aus. Der Niedergestreckte lag für einen Moment regungslos auf der Matte, kam aber bald wieder zu sich.

Dagegen trainierten wir den gezielten Handkantenschlag gegen den Kehlkopf nur an Puppen. Wenn man den nämlich falsch setzt, steht der Kontrahent nie wieder auf, nicht gleich und auch nicht später.

Immer wieder übten wir auch den Angriff mit dem Mündungsfeuerdämpfer auf den Solarplexus. Dabei hatte man das Gewehr im Anschlag und bewegte sich vorwärts. Im Ernstfall konnte man damit eine überraschend auftretende Bedrohung unter Kontrolle bringen, sprich: einen Feind umstoßen, der plötzlich vor einem auftauchte. Bekannter ist die Version mit dem Gewehrkolben, doch in einer Situation, in der ein Bruchteil einer Sekunde entscheiden konnte, würde es wenig Sinn machen, die Waffe, die man im Anschlag hielt, vor dem Angriff auf den Solarplexus erst umzudrehen. Die ständige Wiederholung war auch hier, wie überall, das Erfolgsrezept.

Die reine Wing-Tsun-Technik setzte sich bei uns jedenfalls nicht durch. Mit der Zeit stiegen wir auf eine Art Boxtechnik um, die sich AkG nannte – Anwenden kontrollierter Gewalt. Eine Mischung aus Boxtraining, Tritttechniken, Bodenkampf, Kickboxen sowie Festlegungs- und Abführtechniken kombiniert mit dem Durchsuchen von überwältigten Personen. Das beinhaltete auch solche gezielten Schläge wie Leberhaken, der funktioniert eigentlich immer, da gehen alle zu Boden, wie jeder schon gesehen hat, der sich Boxkämpfe anschaut. Und der Tritt mit dem Schienbein mit voller Wucht auf den Oberschenkel des Gegners. Oder auf eine andere Stelle, wo viel Muskulatur gebündelt liegt. Das alles trainierten wir dann auch intensiver, weil es wirklich etwas brachte. Als oberstes Ziel für den Einsatz galt immer: Eliminiere die Bedrohung, kontrolliere den Raum.

Danach ging es ans Schießen. Vier Wochen Lehrgang auf der Schießbahn »Im Bernet« bei Stuttgart. Das war dort, wo die erwähnte Abschiedsfeier für den Kompaniechef stattfand. Schießen mit Kurzwaffe, schießen mit Langwaffe. Präzises Schießen, kontrolliertes Schießen. Schießen aus der Bewegung, schießen aus der Drehung, schießen im Bodypärchen und so weiter. Dazu immer die verschiedenen Waffenhaltungen und natürlich der Wechseldrill, der blitzschnelle Wechsel von der Lang- zur Kurzwaffe oder umgekehrt, wenn das Magazin leergeschossen war und keine Zeit blieb, ein neues einzuführen, oder die Primärbewaffnung eine Störung hatte.

Die Kurzwaffe, also Pistole, war die P8 Combat. Während bei der Bundeswehr die normale P8 als Standardwaffe verwendet wurde und wird, handelt es sich bei der Combat um eine Sonderausführung speziell fürs Kommando Spezialkräfte und die Boardingteams der Marine. Beide Versionen sind baugleich, unterscheiden sich nur in einem Punkt: Die Combat verfügt statt eines kombinierten Sicherungs-/Entspannhebels nur über einen Entspannhebel ohne Sicherungsfunktion – damit sie schneller schussbereit ist. Als Sicherung dienen, wenn der Hahn entspannt ist, ein vergleichsweise hohes Abzugsgewicht und der relativ lange Abzugsweg. Nach einer Woche Schießen schmerzte der Finger, dass man kaum mehr den Abzug betätigen konnte. Wir schossen pro Tag aber auch rund 300 Schuss. Und mindestens noch mal so viel mit der Langwaffe, dem Sturmgewehr G36. Schießen lernt man nur durch Schießen.

Abgeschlossen wurde der Lehrgang mit einer Prüfung. Man musste in einer vorgegebenen Zeit ein bestimmtes Programm absolvieren, quasi einen Querschnitt des Erlernten. Schaffte man das nicht, hatte man den Lehrgang nicht bestanden, bekam eine zweite Chance. Wenn es da wieder nicht klappte, war man raus. Weil alle Schießausbildungen, die danach folgten, auf den Grundlagen aufbauten, die uns dort beigebracht wurden.

Das zeigte sich gleich beim nächsten Ausbildungsblock, der unmittelbar darauf folgte: Reaktionsschießlehrgang für Spezialkräfte. Dafür ging es mal wieder nach Pfullendorf zum Ausbildungsstützpunkt. Die Ausgangssituation beim Training im Gelände sah so aus, dass wir als Einheit unterwegs waren, entweder durch Wälder oder auf Wegen – in Schützenreihe, versetzt nebeneinander, ähnlich dem Reißverschlussprinzip. Die klassische Formation, in der man sich in unbebautem Gelände fortbewegte. Wir waren 12 Mann, also 6 pro Reihe. Irgendwann hieß es: »Contact front!« Das bedeutete, wir wurden durch feindliche Kräfte von vorn beschossen. Nicht wirklich, es war eine gedachte Situation. Oder der Beschuss wurde durch Geräusche simuliert und es knallte ein bisschen vor uns, um es authentischer zu machen, aber niemand war in Gefahr. Unsere Reaktion darauf: Der erste Mann in der Reihe, also der an vorderster Position lief, erwiderte das Feuer, schoss geradeaus in Richtung Gegner – bis sein Magazin leer war. Dann wich er nach hinten aus, wechselte beim Laufen sein Magazin, damit die Waffe wieder schussbereit war, während ihm der neue erste Mann Deckungsfeuer gab. Auch der schoss, bis die letzte Patrone im Magazin verbraucht war, und wich dann ebenfalls nach hinten aus … immer so weiter. Und immer schneller, als man den Ablauf hier aufschreiben kann.

Das trainierten wir bei Tag und bei Nacht. Und mit unterschiedlichen Feuerrichtungen. Der Feind schoss mal von vorn, mal von rechts, mal von links. Im Dunkeln kam wieder Lucie zum Einsatz. Durch die aufs Zweidimensionale reduzierte Sicht lief man wie leicht benommen durch die Gegend, was es nicht einfacher machte. Zumal wir in einem Gelände mit Bodenunebenheiten, Sträuchern und Bäumen unterwegs waren und nicht auf einer planen, hindernisfreien Fläche. Am Ende stand wieder eine Prüfung mit Option auf Wiederholung an, und wieder hätte man rausfliegen können.