Ein weiterer Montag,
ein weiteres sehr wichtiges Morgenmeeting und ein weiteres Mal zu spät dran. Diesmal gebe ich dem Uber-Fahrer die Schuld dafür, nicht zu wissen, dass auf dieser Route viel Verkehr sein würde.
„Sind Sie sicher, dass Sie keine Abkürzung nehmen können?“
„Madam, ich bin seit weniger als drei Monaten in diesem Land. Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns an die vorgeschlagene Route halten.“
„Aber ich werde zu spät kommen.“
Ich versuche, keine Zicke zu sein, obwohl ich mich zickig fühle. Wenn Freitagabend gereicht hat, um mich in eine riesige Zicke zu verwandeln, dann haben die Erfahrungen dieses Morgens diese Zicke noch monströser gemacht. Zuerst hat Jorge, mein Entwickler, angerufen, um zu sagen, dass er einen Fehler im E-Volve Back-End gefunden hat. Es wird eine Stunde lang offline sein, was alles andere als gut ist, da ich geplant hatte, die Nutzung heute Morgen während meines Meetings zu demonstrieren.
„Aber besser spät als nie“, rät der Fahrer mit einem weisen Wackeln des Kopfes. „Wissen Sie, dass die Häufigkeit von Verkehrsunfällen in Delhi vierzig Mal höher ist als in London? Vierzig Mal!“ Um seine Aussage zu betonen, schlägt er seinen
Kopf auf das Lenkrad.
„Oh, wirklich?“, erwidere ich und lehne mich zurück, da es mich nicht schneller ans Ziel bringen wird, wenn ich mich nach vorne strecke. Es verursacht mir nur Nackenschmerzen.
„Ein Tod pro Stunde!“, doziert er und hebt den Zeigefinger. „Ich preise den guten Herrn, dass er mich von einem so tödlichen Ort geholt hat, und ich werde mein Allerbestes tun, um meine Fahrgäste sicher zu befördern.“
„Da bin ich mir sicher“, murmle ich, während mein Blick zum Seitenfenster wandert. Keine Sonne heute, aber das sehe ich nicht als schlechtes Omen, selbst als der Regen gegen die Scheiben zu prasseln beginnt. Und selbst wenn ich die schlechte Stimmung nicht abschütteln kann, die mich schon das ganze Wochenende verfolgt.
Als der Fahrer mit seiner Predigt fortfährt, überlege ich, ihm weniger als fünf herausragende Sterne zu geben, bevor ich entscheide, dass ich auch ohne einen karmischen Schlag auskomme.
Es scheint ewig zu dauern, um dorthin zu kommen, wo ich sein muss, und obwohl ich zusätzliche Zeit mit einberechnet habe, komme ich erneut mit Ach und Krach an. Mit einem schnellen Dankeschön springe ich aus dem Auto und renne auf die Treppe zu, während ich mir meinen drei Jahre alten Burberry-Trenchcoat über den Kopf halte, als der Regenschauer zum Wolkenbruch wird. Am Freitag bin ich wegen der Hitze und meiner Eile verschwitzt am Gebäude angekommen, aber diesmal ist die Angst Schuld daran, als mir kalter Schweiß auf der Haut ausbricht. Außerdem sind meine Schuhe nass.
Sobald ich im Inneren des Gebäudes bin, schüttle ich meinen Mantel aus, lege ihn auf links und mir über den Arm. Als ich auf den Koloss von Rezeption zugehe, fahre ich mir mit einer Hand über den Oberschenkel und glätte nervös die Falten, wo sich der Stoff meines Rocks straff gezogen hat.
„Olivia Welland. Ich habe einen Termin mit Mark Jones von
Jones, Beckett und Wright.“
Beckett.
Oh nein. Scheiße, nein!
Mein Herz rutscht mir in die Hose. Aber nein, das Universum ist nicht so grausam. Es ist nur ein Zufall.
Das muss es sein.
Die Rezeptionistin tätigt den Anruf und murmelt in das Headset.
„Oh“, höre ich sie. „Okay. Ja, ich werde es ihr sagen. Vielleicht gab es da einen Fehler.“ Auslöser für ein zweites Rutschen des Herzens, als ihr Blick mit verkniffenem Ausdruck zu mir schweift. Ich strecke meinen Rücken und setze einen leg dich nicht mit mir an
-Blick auf mein Gesicht. Ich bin hier, um Geschäfte zu tätigen, und ich habe auch die Absicht, dies zu tun!
„Ms. Welland? Mr. Jones’ persönliche Assistentin hat Sie für heute nicht eingetragen. Ihr Termin war am Freitag.“
„Ja, das stimmt. Aber ich habe einen Anruf von ihr bekommen, mit der Bitte, heute wieder herzukommen.“
„Ja, natürlich. Aber was ich sagen möchte, ist, dass Sie heute Morgen einen Termin mit Mr. Beckett haben.“
Ich glaube…ich glaube, ich muss wohl aussehen, als hätte ich eine halbe Zitrone geschluckt, eine halbe Zitrone, die sich wie eine halbe Melone in meinem Hals anfühlt, als ich die Worte verdammte Scheiße
herunterschlucke und gleichzeitig versuche, mich davon zu überzeugen, dass das nicht irgendein massiver kosmischer Test ist. Es ist nur ein Zufall. Beckett ist ein geläufiger Nachname—zum Teufel, Beckett kann genauso gut auch sein Vorname sein. Würde das nicht sowieso mehr Sinn ergeben? Dass er mir seinen Rufnamen nennt, um die ganze Sache mit der Geheimhaltung aufrecht zu erhalten? Außerdem war er am Freitag nur in der Nähe des Gebäudes gewesen, nicht darin. Er war nicht beim Meeting gewesen.
„Ms. Welland?“
„Ja, natürlich. Mein Fehler.“ Denn es gibt mehr Männer namens Beckett in London als nur ihn. Ich meine, ich habe kein Telefonbuch zur Hand oder die Zeit, um im Internet zu recherchieren, während ich meine Laptoptasche, Handtasche und meinen Mantel balanciere, um mich einzutragen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das der Fall ist. Genauso wie ich mir ziemlich sicher bin, dass es purer Zufall ist, zwei Becketts in der Nähe dieses Gebäudes zu finden.
Da.
Kein Grund zur Panik. Oder zur Aufregung.
Ich mache mich auf den Weg zu den Aufzügen und knie nicht einmal geistig nieder, als ich den kleinen Glaskasten des möglichen Todes betrete. Ich hole mein Handy heraus, um meine E-Mails zu checken, da ich plötzlich anzweifle, was ich gelesen habe, aber ich bekomme keinen Empfang. Also spreche ich mir auf dem ganzen Weg bis zum fünfunddreißigsten Stock aufmunternde Worte zu.
Es ist ein Zufall.
Konzentriere dich.
Heute wirst du ihm zeigen—nicht ihm-ihm, dem anderen ihm—wie E-Volve funktioniert.
Wie es Menschen dabei helfen kann, die Liebe zu finden, während es den daran Beteiligten gleichzeitig fürchterlich viel Geld beschert.
Ich reibe mit meinen schweißnassen Händen über meine Oberschenkel, als die Türen im fünfunddreißigsten Stockwerk klingelnd aufgehen und sehe mich der jungen Praktikantin gegenüber, die ich letzte Woche bemerkt habe und die mich mit einem herzlichen Lächeln begrüßt.
„Ms. Welland, Mr. Beckett wartet auf Sie. Bitte hier entlang.“
Mir liegen ein Dutzend Fragen auf der Zunge. War dieser Beckett am Freitag bei dem Meeting anwesend? Was ist seine Stellung in der Firma und wie zur Hölle bin ich zu einem
Meeting mit ihm gekommen?
Wir gehen durch dieselben gepflegten und modernen Großraumbüros, vorbei an Konferenzräumen mit Glaswänden und dem großen Sitzungssaal am hinteren Ende, wo eine Reihe privater Büros untergebracht ist. Privat, bis auf die Glaswände, die den öffentlicheren Bereichen zugewandt sind. Ich zähle vier Türen, die sich nahtlos in die Wände einfügen, in die sie eingebaut sind. Glastüren in Glaswänden.
Aber zumindest macht es das leicht zu sehen, was in den Räumen ist. Büros so groß wie meine Wohnung, mit Tischen und Stühlen und fantastischem Ausblick. Aber es muss sich so anfühlen, als würde man in einem Goldfischglas arbeiten. Die Frau biegt nach links ab und führt mich zu einer Tür ganz hinten.
Ohne zu klopfen, drückt sie diese auf und tritt dann zur Seite, bevor sie mich in ein riesiges Eckbüro bittet. Wer auch immer gesagt hat, die Größe sei nicht wichtig, war eindeutig nie hier drin.
Trotz des grauen Tages ist der schlichte Raum von Licht durchflutet. Eine überdachte Terrasse erstreckt sich über eine Seite, an deren Glas momentan der Regen peitscht. Ein industriell aussehender Schreibtisch steht fast in der Mitte des Raumes, eingerahmt durch einen beinahe panoramaartigen Ausblick auf die Stadt dahinter. Auf der linken Seite hängen mehrere übergroße Leinwände an der nackten Wand, die gewagten Farbkleckse sind fast schon ein Schock für meine Netzhaut. Ein Teppich mit geometrischen Mustern kennzeichnet einen Sitzbereich, auch wenn nichts daran zwanglos aussieht. Ein Konsolentisch steht dahinter, auf dem sich ein elegant platziertes Kunstobjekt befindet, das definitiv nicht bei Ikea erworben wurde. Der dunkelgraue Stoff des echt aussehenden Knoll-Sofas und ein Paar zueinander passender Stühle ist die perfekte Ergänzung zu den Wolken, die direkt hinter den Fenstern zu hängen scheinen.
„Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?“ Die Stimme der Frau
holt mich in den Moment und zu der Tatsache zurück, dass sie hinter mir den Raum betreten hat.
„Oh. Ja. Danke.“
„Hätten Sie gern etwas zu trinken? Einen Tee oder Kaffee?“
„Nein, danke.“
Als Antwort neigt sie den Kopf. „Mr. Beckett wird sofort bei Ihnen sein.“ Sie lächelt höflich, bevor sie die Tür hinter sich schließt.
Es ist ausgeschlossen, dass ich mich hinsetze. Ich bin mir nicht sicher warum, aber nichts fühlt sich richtig an. Als ich meine Handtasche und mein Laptop neben dem Sofa abstelle, fällt mir ein, dass ich Luke nicht gesehen habe. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Omen?
, frage ich mich. Aber da er weiß, dass ich ein Meeting habe, nehme ich an, dass das bedeutet, dass er sich vor mir versteckt. Ich bin nicht sicher, wie das—
„Tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen.“
Beim Klang von Becketts Stimme verwandelt sich mein Blut in Eiswasser.
„Du“, knurre ich, als ich mich umdrehe. Der Mann hat die Dreistigkeit – die Frechheit – sich nach vorne zu lehnen und meine Wange zu küssen, als wäre die ganze Szene im Auto nie passiert. „Nein!“ Und zum Teufel, nein, als ich meine Hand auf die Mitte seiner Brust lege und den Kopf drehe. „Ich habe keine Ahnung, was das hier soll“, füge ich schnell hinzu, drehe mich um und sammle meine Dinge ein, während sich mein gefrorenes Blut mittlerweile um eine Million Grad aufgeheizt hat. „Und es ist mir auch wirklich egal.“
„Ist es das?“
Mein Blick schnellt zu seinem hämischen und ich bemerke, dass der heutige Anzug blau ist, gepaart mit einem dazu passenden himmelblauen Hemd. Ein hellbrauner Gürtel und hellbraune Budapester vervollständigen den Gesamteindruck. Der Teufel in Unternehmensbekleidung.
„Ich habe keinerlei Interesse daran, darüber zu reden, was
am Freitag passiert ist.“ Ich ziele auf einen autoritären Tonfall ab und hoffe, dass es auch so herüberkommt.
„Ich kann verstehen, dass dich der Abend vielleicht verwirrt hat, aber ich versichere dir, dass es nichts mit dem heutigen Meeting zu tun hat.“ Seine Worte sind gleichmäßig, sein Tonfall oh so vernünftig, auch wenn all das Bullshit ist, als er seine Jacke auf einen der Glaswand zugewandten Stuhl fallen lässt.
„Ich habe dir diesbezüglich wirklich nichts zu sagen“, murmle ich und ziehe mir meine Handtasche über die Schulter, bevor ich zur Tür eile. Zu spät bemerke ich, dass die Wand aus Glas jetzt undurchsichtig ist. Aber das ist egal, denn ich habe eine ziemlich gute Ahnung davon, wo der Eingang war. „Wenn irgendjemand, irgendjemand anderes
in dieser Firma ernsthaft an E-Volve interessiert ist, dann kann mich derjenige anrufen.“ Zum Teufel, ich würde sogar einen Anruf des Hausmeisters dieser Begegnung vorziehen.
„Ich befürchte, das wird nicht passieren.“
„Ich bin sicher, dass du nicht für jeden hier sprichst. Vielleicht werde ich einfach Mark Jones eine E-Mail schreiben.“ Ich drücke an der Tür, aber sie rührt sich nicht.
„Du kannst entweder mit mir sprechen oder JBW als Partner vergessen.“ Diese Schärfe in seiner Stimme? Die ist neu. „Es ist deine Entscheidung.“
„Meinetwegen“, werfe ich über meine Schulter. „Ihr seid nicht die einzige Option für E-Volve.“
„Sind wir das nicht?“
„Mach die verdammte Tür auf“, presse ich heraus, als sich zwischen meinen Ohren Rauch zu bilden beginnt.
„Sie ist nicht verschlossen. Du drückst an der falschen Stelle.“
Ich mache ein Geräusch durch meine Nase, das zunächst einmal am besten als spöttisch und weiterhin unelegant beschrieben werden kann, als ich herumwirble, um ihn
anzusehen. „Und du würdest alles darüber wissen, an falschen Türen zu drücken“—und damit meine ich mich—„oder nicht?“
Er lehnt sich an seinen Tisch, überkreuzt seine langen Beine an den Knöcheln und verschränkt betont die Arme vor der Brust. Sein Gesichtsausdruck bleibt so leer wie eine Maske. Eine teuflisch gutaussehende Maske, aber trotzdem eine Maske.
„Wenn du von Freitagabend sprichst, gibst du mir vielleicht einen Moment, um es zu erklären.“
„Was lässt dich denken, dass ich die schwache Entschuldigung hören will, die du gleich von dir geben willst?“
„Ich wollte mich nicht entschuldigen“, erwidert er, als wäre der Gedanke lächerlich. „Aber ich könnte es erklären. Oder du könntest einfach gehen.“
„Ja. Ich werde genau
das tun.“ Ich wende mich wieder der Glaswand zu.
„Eine mutige Entscheidung für jemanden mit so wenig Mitteln.“
Diesmal dreht sich mein Kopf fast wie das Rohr eines Panzers, und wenn ich könnte, würde ich diesem Mann den Kopf wegpusten.
„Was weißt du über meine Mittel?“
„Ich weiß, dass E-Volve nur durch deine eigenen Finanzen vorangekommen ist, dass du für alles bezahlst, von der Software bis zu den Gehältern, und dass dein Kapital rasend schnell schwindet.“
„Das hat nichts mit dir zu tun.“ Meine Worte sind so heiß wie meine brennenden Wangen. Wie kann er es wagen, herumzuschnüffeln, aber noch schlimmer, wie kann er es wagen, mich wie eine Närrin dastehen zu lassen. „Das ist eine ernsthafte Verletzung meiner Privatsphäre, moralisch verwerflich und—“
„Und nicht ganz so schlimm wie sicherzustellen, dass E-Volve kein Kapital bekommen wird.“
Wenn es möglich ist, dass Worte allein das Herz eines Menschen zum Stillstand bringen können, dann glaube ich, dass dies soeben passiert ist. Ich drehe mich langsam um und presse meinen Rücken an das Glas, für den Fall, dass meine Beine nachgeben.
„Das würdest du tun?“
„Würde ich.“ Mit dem Anflug eines Lächelns zuckt er leicht die Achseln. „Aber auch wenn du deine Gedanken über meinen Charakter mehr als klar gemacht hast, kann ich bestätigen, dass ich mit dem Teufel nicht per Du bin. Wenn ich das allerdings wäre, würde ich nicht zögern, seinen Einfluss zu nutzen, um das zu bekommen, was ich will.“
„Und du willst E-Volve?“
„Du missverstehst mich. Du bist das, was ich will.“