„Er hatte recht
mit den Toiletten.“
Olivia sieht im höchsten Maße verlegen aus, als sie im Flur erscheint. Ich springe von meinem Platz auf, und mit ein paar langen Schritten stehe ich vor ihr.
„Geht es dir gut?“ Hat sie Jetlag? Ist sie krank? Oder ist ihr nur bei dem Gedanken übel, an mich gebunden zu sein?
„Ja.“ Sie nickt und ihr fällt eine Haarsträhne ins Gesicht. Ich merke, wie ich sie ihr mit dem Zeigefinger von der Wange hinter ihr Ohr streiche. Anscheinend lässt ihr das ihrem Gesichtsausdruck nach ebenfalls übel werden, also lasse ich meine Hand an meine Seite fallen.
„Ich bin nicht krank. Ich habe mich nicht übergeben“, erklärt sie unnötigerweise. „Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Erst das Weinen und dann, dass ich aus der Kapelle gerannt bin.“
„Du bist nicht die Erste, die ihrem pastellfarbenen Charme erlegen ist, laut unserem freundlichen Liturgen.“ Seinen Namen habe ich bereits vergessen. Die Analogie mit dem Schmied und dem Schmiedchen kommt mir in den Sinn. „Außerdem passiert es nicht jeden Tag, dass man einen von Satans Verwandten heiratet.“ Wenigstens das bringt sie zum Lächeln. „Bevor ich dich mitnehme, um den lieben alten Onkel S kennenzulernen, glaube ich, gibt es ein wenig Papierkram zu unterschreiben.“
Als wir wieder draußen sind, unsere Eheurkunde sicher in meiner Jacketttasche, fühle ich mich nicht recht wohl und bin mir nicht sicher, was wir als nächstes tun sollen. Es ist ein Gefühl, mit dem ich nicht bekannt bin. Ein Gefühl, das ich nicht schätze.
„Hast du überhaupt etwas gegessen?“ Ich drehe mich zu Olivia um, die immer noch ziemlich blass aussieht.
„Im Flugzeug vielleicht? Oh! Ich habe im Hotel ein wenig Obst gegessen.“
Verdammt. „Das war nicht sehr sinnvoll, oder?“, erwidere ich gereizt.
„Entschuldige, aber zwischen dem Treffen mit deinem Anwalt und dem Fertigmachen für unsere Hochzeit, was sollte ich da tun? Rinderbraten und Yorkshire Pudding zum Mitnehmen bestellen?“
„So habe ich es nicht gemeint. Ich meinte nur—“
„Ich weiß, was du gemeint hast“, schnieft sie und ihre Nase ist recht pink. „Ich glaube, du wirst feststellen, dass das Wort, nach dem du suchst, fängt mit einem E
an und hört mit einem g
auf.“
Ich merke, wie ich ein Lächeln unterdrücke. Was ist es an ihr, das es so reizvoll macht, sie zu ärgern? Sie dreht den Kopf, als wollte sie die Straße hinuntersehen, aber ich merke, wie ihr Blick zu mir wandert.
„Ehrwürdig? Ehrgeizig?“ Sie schürzt die Lippen und hält ein Lächeln zurück. „Einzigartig? Ehrfahrungsmäßig?“ Beim letzten Wort ziehe ich sie an mich und flüstere heiß in ihr Ohr: „Mir gehen die Worte aus.“
„Erinnere mich daran, nie mit dir Scrabble zu spielen“, grummelt sie, obwohl ich sie trotzdem lächeln höre.
„Was für ein egoistisches Arschloch ich bin“, gebe ich zu, woraufhin sie sich mit kritischem Gesichtsausdruck ein wenig zurücklehnt. „Ich habe soeben versprochen, dich zu achten und zu ehren, und doch kann ich dir nicht einmal ein Sandwich
anbieten.“
„Ich könnte wirklich ein Sandwich vertragen. Oder einen Burger“, sagt sie mit einem leidenschaftlichen Schimmern. „Ich werde dir nicht einmal den Rest übelnehmen. Ich erinnere mich nicht daran, dass du mir zuvor irgendwelche Verehrung gezeigt hast.“
„Ich—“ Ich werde mich nicht
entschuldigen. Für was auch immer mich zu stören scheint. „Ich dachte, du hättest gesagt, du wärst Vegetarierin?“
„Habe ich“, antwortet sie und springt von der obersten Stufe zu der darunter. „Aber ich habe nicht gesagt, ich sei gut darin.“
Ein bellendes Lachen bricht aus mir heraus und ich bin nicht der Einzige, der darüber erschrocken ist. „Komm wieder hier hoch“, beharre ich und ziehe an ihrer Hand.
„Wofür?“ Trotz ihrer Beschwerde erlaubt sie mir, sie auf die obere Stufe zu ziehen, wo sie mein Gesicht in die Hände nimmt. „Habe ich dir schon gesagt, dass du heute unglaublich gut aussiehst?“ Ihr Gesichtsausdruck ist perfekt, ihr Gesicht viel zu schön. Es ist eine natürliche Art von Schönheit, die menschliche Art. Unberührt und sinnlich.
„Hast du nicht. Tu es ruhig.“
„Das habe ich eben!“ Ihr Blick schießt nach links, wo ich mein Handy hochhalte. „Was tust du da?“
„Sag Frisch verheiratet
!“ Ich mache das Foto.
„Geht es dir gut?“, fragt sie mit leichter Verwirrung in ihren Zügen.
„Perfekt.“ Ich sehe von dem Foto auf. Ihre Ringe fangen das Licht, unter ihrem Make-up sind ein paar Sommersprossen sichtbar, während sie mit offenen Augen in den Kuss hineinlächelt, den ich ihr gegeben hatte. „Warum fragst du?“
„Bist du sicher, dass du nicht sentimental wirst?“, fragt sie, wobei sie versucht, ein anzügliches Grinsen zu unterdrücken.
„Das wärst wohl eher du“, erwidere ich und stecke mein
Handy weg, während ich ihre Hand nehme. „Weinst du immer bei Hochzeiten oder nur auf deiner eigenen?“
„Ich weiß nicht. Du wirst mich das nächste Mal fragen müssen, wenn ich heirate.“ Meine Schritte zögern auf der Stufe, auch wenn ich mich erhole, ohne zu fluchen. Oder finster auszusehen. Oder im Allgemeinen ein Arschloch zu sein. Und wenn sie meinen Fehltritt bemerkt, dann kommentiert sie ihn nicht. „Hast du geweint, als du zum ersten Mal geheiratet hast?“ Ihr Tonfall ist mehr neugierig als stichelnd, obwohl ich mich gefragt habe, wie lange es dauern würde, bis sie danach fragt.
„Nein. Ich habe mir meine Tränen für später aufbewahrt.“
„Das tut mir leid“, sagt sie leise und ihre freie Hand berührt meine Schulter von ihrem Standpunkt auf der Stufe hinter mir.
„Ja, ich war am Boden zerstört. Sie hat meinen Hund mitgenommen.“
„Du!“ Die tröstende Geste wird zu einem Schlag, und als ich den Bürgersteig erreiche, drehe ich mich schnell um und lege meine Hände auf ihre Hüften.
„Kein New Yorker, der etwas taugt, würde um diese Uhrzeit zum Abendessen gehen. Wie wäre es mit etwas Entspannterem?“
„Wie wäre es mit einem Hotdog von einem Hotdog-Stand?“, schlägt sie mit der Art begeisterten Bewegung, die von einem unersättlichen Appetit zeugt. Etwas, auf dessen Entdeckung ich mich freue.
Aber eine lange Reihe von Lippen, Titten und Arschlöchern ist nicht wirklich ein Hochzeitsmahl.
„Ich habe eine viel bessere Idee.“ Dann küsse ich sie, nur einmal, ein heimlicher, gestohlener Moment, während ein gelbes Taxi hupt und irgendjemand Obszönitäten schreit.
„Man muss New York City einfach lieben“, sagt sie und strahlt mich an.
„Verdammt, das erinnert mich an etwas. Ich wollte uns dort ein paar T-Shirts holen.“ Ich habe in NYC geheiratet.
Ich drehe mich um, als unser Auto vorfährt, während Olivia hinter mir kichert.
„Du meinst von dort, wo Plastikblumen, elastische Eheringe und Aluminum-Fliegen verkauft werden?“
„Ich bin mir fast sicher, dass das Wort ein paar i
hat. Alumin-i-um?“
„Ich kann nichts dafür, dass du es nicht richtig sagen kannst“, neckt sie, als ich ihr die Tür öffne. „Du bist einfach wie ein Alien. An Englishman in New York.“
„Wir gehen nicht in eine Karaokebar“ antworte ich vernichtend und will die Tür hinter ihr schließen, als sie ihre Hand wie ein Stoppschild ausstreckt.
„Hey, Beckett? Ich bin wirklich froh, dass du mir keinen elastischen Ring gekauft hast.“ Sie blickt hinab auf ihre Hand, wo der Cartier-Ring funkelt. „Es war so unerwartet. Kann ich…kann ich nur sagen, dass niemand mir je so etwas Schönes gegeben hat?“
Ich bin von dem Moment getroffen, von ihrem Gesichtsausdruck und von der puren Freude, die sie ausstrahlt. Diese Steine können ihr nichts das Wasser reichen. Nicht ihrer Lebhaftigkeit.
„Keine Ursache.“ Meine Stimme, als ich sie schließlich wiederfinde, ist kaum mehr als ein leises Grummeln. „Aber du solltest wissen, dass Diamanten nicht wirklich glänzen. Sie reflektieren.“ Ich schließe die Tür vor ihrem unschlüssigen Gesichtsausdruck, unfähig, ihr mehr zu geben.
Wenn es auch kein Ort ist, der nach Hochzeit oder Romantik schreit, lenke ich den Fahrer zur Polo Bar
hinter dem Flagship-Store in der Fifth Avenue. Angesichts Olivias Bitte nach herzhafterer Kost und der Tatsache, dass es zeitlich näher an
der Cocktail Hour als am Abendessen ist, denke ich, dass das den Zweck erfüllen wird.
Es gibt einen nervigen Moment, als wir von jemandem angehalten werden, von dem ich annehme, dass er ein Neuling im Team für Stammgäste ist, aber das Problem ist schnell aus der Welt geschafft.
„Du kennst Ralph Lauren?“, fragt Olivia mit großen Augen.
„Seinen Sohn, eigentlich. Er ist nicht in der Stadt und hat gesagt, ich könnte seinen Tisch nutzen. Nicht, dass zu dieser Stunde viel los sein wird. Oft sind ein oder zwei Prominente im Speiseraum, aber ich nehme an, dass die meisten Leute noch bei ihrem Nachmittagstee sind. Wenn du es vorziehst, können wir uns dem Ritual anschließen, angesichts deiner Vorliebe für das Zeug, auch wenn dieser Ort eine anständige Cocktail-Karte hat.“ Persönlich würde ich sie mit Freuden zurück ins Hotel bringen und mit dem wirklichen Feiern beginnen.
„Niemand feiert mit Tee“, antwortet sie mit gutem Recht, als wir in den unterirdischen Speiseraum gehen. Vögeln wäre wesentlich angemessener, und vor allem amüsanter. Cocktails und Essen ist nur annährend das Zweitbeste. „Außer vielleicht meine Gran.“
„Feiern wir?“ Ich necke sie vielleicht nur ein bisschen, als wir der jetzt verlegenen Angestellten folgen, die die allgegenwärtige Uniform trägt wie eine Ralph Lauren-Ankleidepuppe, während sie uns zu unserem Tisch führt.
„Feiern, trauern“, antwortet sie mit einem Wedeln ihrer Hand, als wäre der Unterschied zwischen den beiden von keiner Bedeutung. „Es liegt ein sehr schmaler Grat zwischen den beiden.“
„Du meinst wie zwischen Liebe und Hass?“
„Danke“, murmelt sie, als sie auf die braune Lederbank gleitet, die dem Rest des Raumes zugewandt ist. Glücklicherweise ist unser Tisch etwas weniger gemeinschaftlich. Ich habe nichts übrig dafür, andere
Speisende an meinem Ellbogen vorzufinden. „Genau“, fügt Olivia hinzu, was mich verwirrt. Ah. Unsere Unterhaltung. Liebe, Hass und der Unterschied.
„Nur weil wir verheiratet sind, heißt das nicht, dass sich die Dinge ändern müssen.“
„Soll heißen, du beabsichtigst, mich weiterhin zu verachten.“
„Ich würde nicht gerade verachten sagen“, wendet sie ein und versucht sehr, ihr Grinsen zu verbergen. „Aber wenn du je von einem Bus überfahren wirst, sollten sie auf dem Lenkrad nach meinen Fingerabdrücken suchen.“
Mein tiefes Lachen hallt im Raum nach.
Wir haben ein angenehmes Abendessen—ein Ribeye-Steak für mich und einen Burger für sie—während wir Champagner und ein oder zwei Cocktails genießen. Dann entscheidet Olivia, dass es eine gute Idee sei, dem jeweils anderen einen Cocktail zu bestellen.
„Immerhin, Ehemann
, sollte eine gute Ehefrau alle Dinge kennen, die ihr Mann mag.“
„Ich glaube, nach heute Nacht wirst du ein wenig näher daran sein, das zu begreifen.“
„That’s what she
said“, kichert sie, aber ich reagiere nicht, während ich das Servicepersonal auf mich aufmerksam mache. „Er nimmt…“ Sie fährt mit dem Finger über die Cocktail-Karte. „Einen High Flyer, glaube ich.“
„Und für dich einen Brombeer-Cobbler.“ Ich schließe die Karte, als sie grinst.
„Ich war mir sicher, du würdest mir einen Jockey Club bestellen und irgendeinen Witz darüber reißen, später gut geritten zu werden.“
„Ein Gentleman würde nie so etwas aussprechen.“
„Das macht dich entweder zum Lügner oder du liegst falsch.“
„Wie das?“
„Weil ich dich wesentlich ungezogenere Dinge habe sagen
hören.“
„Ungezogen? Ich glaube nicht, dass ich je so bezeichnet wurde. Zumindest nicht seit meiner Kindheit. Erinnere mich daran, was habe ich gesagt?“
„Ha! Guter Versuch, aber nein. Nicht in einer Million Jahren. Es sei denn, du willst, dass ich wegen solcher Sündhaftigkeit in Flammen aufgehe.“
„Jetzt hast du mir den Fehdehandschuh hingeworfen. Du weißt, was das bedeutet“, füge ich anzüglich hinzu.
„Ja, dass ich ihn hingeworfen und darauf herumgetrampelt bin—ihn zerstört habe! Das passiert sowas von nicht“, sagt sie errötet und kichernd.
Mir gefällt diese Version von Olivia. Ein wenig unbedacht und zweideutig. Ehrlich gesagt mag ich die kampflustige Olivia genauso sehr, aber ein kleiner Champagner-Schwips steht ihr. Ich war mir nicht ganz sicher, wie sich der heutige Tag entfalten würde, angesichts der Umstände unserer Vereinigung. Zum Teufel, angesichts der Umstände unseres letzten Treffens, als die Anspannung in meinem Büro mit ihrem Knie in meinem Schritt und meinen Eiern in meinem Hals geendet ist. Ganz zu schweigen von dem Putzkolonnen-Publikum, das wir angezogen haben. Wenn irgend möglich, würde ich es vorziehen, wenn wir diesmal ohne jegliche Verletzungen zum Punkt der Nacktheit kommen, und wenn das ein wenig Entspannung mithilfe von Champagner bedeutet, dann bin ich glücklich damit.
Unsere Drinks kommen und wir entscheiden, dass wir beide das bevorzugen, was wir für den anderen bestellt haben. Ich bin mehr als froh, sie heute Abend hoch fliegen
zu lassen, auch wenn sie mich gnadenlos dafür aufzieht, dass ich das süß schmeckende Gebräu bevorzuge.
Wir reden über alles und nichts. Oder nichts Wichtiges, trifft es eher. Trotz unserer Neckerei wirft sie mir vor, zurückhaltend zu sein, was noch das Geringste ist.
„Wir machen das falschherum“, murmelt sie leise. Ihre Augen funkeln im Licht, während sie den Inhalt ihres Glases betrachtet.
„Gibt es vorgeschriebene Art, wie man es macht?“
„Na ja, ja.“ Sie schnaubt. „Die Menschen neigen dazu, einander zuerst kennenzulernen. Du weißt schon, bevor sie heiraten.“
„Nicht immer. Was ist mit arrangierten Ehen? Außerdem neige ich dazu, zu glauben, dass wir unsere eigenen Regeln machen sollten. Aber erzähle mir ruhig all deine Geheimnisse.“
„Da gibt es nicht viel zu sagen.“
„Das glaube ich nicht. Was ist mit der Schule?“
„Ich habe einen Abschluss in Kommunikationswissenschaft.“ Sie zuckt die Achseln, als würde sie das Thema nicht interessieren.
„Ist der Abschluss für das Reden?“
„Ha. Sehr lustig.“
„Ich erinnere mich daran, als man Abschlüsse in tatsächlichen Fächern wie Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften oder den bildenden Künsten gemacht hat.“
„So alt
“, stichelt sie. „Ich wette, du benutzt nicht einmal einen Taschenrechner. Du hast einen Abakus, oder?“
„Ich bin in meiner Herangehensweise viel ganzheitlicher. Ich ziehe meine Schuhe aus und nutze meine Finger und Zehen.“
„Was passiert, wenn du zu den größeren Zahlen kommst?“
„Ich lasse jeden im Büro seine Schuhe ausziehen.“ Als sie lacht, komme ich zu der Erkenntnis, dass es mein neues Lieblingsgeräusch ist. Zumindest bis heute Nacht, wenn mein Körper auf ihrem liegen wird.
„Du findest das lustig?“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch, als wollte ich andeuten, sie würde über meine bloße Existenz lachen.
„Ja“, antwortet sie mit einem Seufzen. „Aber das ist okay,
denn es war immer in meinem Plan, einen älteren Mann zu heiraten.“ Falls überhaupt möglich, geht meine Augenbraue noch weiter in die Höhe. „Du weißt schon, damit ich ihm beim Sterben zusehen kann und so weiter.“
Die Teller werden weggeräumt und weitere Cocktails serviert.
„Wie warst du als Kind?“, fragt sie. Sie hat den Ellbogen auf dem Tisch abgestützt und legt ihre pinke Wange in ihre Hand, gänzlich lebhaft. Auch wenn das der Champagner sein könnte.
„Einsam“, erwidere ich in einem Moment der Ehrlichkeit, der mich überrascht. „Überwiegend. Meine Eltern waren älter und nicht wirklich an mir interessiert. Ich bin mit acht Jahren auf ein Internat gegangen und es wurde besser.“
„Das, das ist fürchterlich. Das Internat war eine Verbesserung?“, wiederholt sie zärtlich. Aber es gibt wirklich keinen Grund für ihr Mitgefühl, es sei denn, es geht ihr damit besser. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das gewesen sein muss.“
„Ich stelle es mir als das genaue Gegenteil deiner perfekten Kindheit vor.“
„Ich würde nicht sagen, dass meine Kindheit perfekt war.“
„Ich glaube nicht, dass es keine idyllische Erfahrung war.“
Die Art, wie sie Geschäfte führt, sagt, dass sie eine gewisse Unschuld hat. Und Unschuld ist das Ergebnis eines Mangels an Erfahrung mit der realen Welt. „Ich bin sicher, deine war eine friedliche Erfahrung, voller Ausflüge zur Eisdiele, voller Teddybären und Kuscheln auf Verlangen.“ Denn wer könnte widerstehen, sie zu umarmen? Sie zu haben.
Diese Frau hat einfach etwas. Etwas Verlockendes. Verführerisches. Etwas, bei dem ich nicht anders kann, als es besitzen zu wollen. Ich bin mir sicher, dass meine Kindheit im Vergleich wie ein Roman von Dickens klingt, aber ich muss daran denken, dass sie, trotz der Art, wie sie mich ansieht, hier ist, weil ich ihr keine andere Wahl gelassen habe.
„Nicht so. Ich komme aus zerrütteten Familienverhältnissen. Mein Dad ist gegangen, als ich sehr jung war, ich kann mich kaum an ihn erinnern.“
„Vaterkomplex?“, frage ich mit einem Funkeln.
„Ha. Das hättest du wohl gern.“ Sie nimmt ihr Glas, wirkt aber für einen Moment nachdenklich. „Mein Großvater war eine Vaterfigur für mich. Ihm hat eine Drogeriekette gehört, bis er in Rente gegangen ist. Er war die beste Art Mann. Treu und ehrlich, und er hat mir den Wert harter Arbeit beigebracht. Ihm habe ich E-Volve zu verdanken—sein Ableben hat mir das Kapital gegeben.“ Sie macht ein Geräusch, das nur als abfällig beschrieben werden kann. „Ich nehme an, ich habe seinen Ratschlägen nicht genügend Beachtung geschenkt, ansonsten hätte ich vielleicht nicht alles so verbockt.“ Sie nimmt einen tiefen Schluck, aber ich weigere mich, ihr zu erlauben, rührselig zu werden.
„Ich bin sicher, dass ich dir nicht sagen muss, dass drei von vier Start-ups scheitern. Willst du sagen, dass fünfundsiebzig Prozent aller Start-up-Besitzer Versager sind?“
„Nein, es ist nur—“
„Nur nichts. Manchmal hat man einfach schlechte Karten.“ Ihr Gesichtsausdruck verhärtet sich. Ich bin mir sicher, dass sie an Luke denkt. Gut
. „Scheitern ist nicht endgültig. Wichtig ist, den Mut zum Weitermachen zu haben, egal was ist.“
„Ich will nicht mehr darüber reden.“ Ihre Worte kommen in einem Schwall heraus, entschlossen, die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken. Auch gut.
„Sag mir, wo bist du auf das College gegangen?“
„Oxford.“
„Natürlich“, sagt sie trocken. „Und du hast einen Abschluss in Jura, Mr. Schick Angezogen.“
„Rechtslehre“, korrigiere ich und füge hinzu: „Ich bin mehr an deiner Kleidung interessiert. Und da wo ich herkomme, meint man mit Kleidung Dessous. Ich frage mich, bist du ein
Mädchen für Spitze oder für Seide?“
„Vielleicht bin ich nichts davon.“
„Das funktioniert auch für mich.“
„Was ich sagen will, ist, dass ich vielleicht ein Mädchen für schlichte Baumwolle bin—wie Zeltbaumwolle.“ Sie tut so, als würde sie sich ihre Unterwäsche über den Oberkörper ziehen.
„Auch nicht wichtig für mich. Du warst auf dem University College London?“
„Ja.“ Sie kneift argwöhnisch die Augen zusammen. „Ich sehe, du hast deine Hausaufgaben gemacht.“
„Würdest du etwas anderes erwarten?“
„Also“, fügt sie in direktem Tonfall hinzu, die Hände auf dem Tisch verschränkt, „du bist auf die Art furznoble Schule gegangen, die so besonders ist, dass sie einen Abschluss in Jura nicht einen Abschluss in Jura nennen kann.“
„Das Thema Unterwäsche ist so viel reizvoller als unsere Schulbildung.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob Omaschlüpfer als Dessous zählen“, murmelt sie schnell. „Aber ja, machen wir weiter. Also Oxford, hm?“
„Ich nehme an, manche Menschen würden sagen, Oxford klingt recht überheblich.“
„Ich nehme an, manche Menschen haben versucht, höflich zu sein“, gibt sie trocken zurück.
„Meinetwegen ist das nicht nötig.“
„Ah, ja. Ich habe vergessen, dass du nicht beleidigt werden kannst. Meine Meinung ist so irrelevant, wie ich mich erinnere, dass du einfach keine Lust hast, dich angegriffen zu fühlen.“ Meine Antwort? Ein saures Lächeln, während ich zusehe, wie sie nach ihrem Glas greift. „Du wirst dich nicht einmal verteidigen oder entschuldigen?“, fügt sie gekränkt hinzu.
„Meine Güte, bist du emotional.“
„Es ist irgendwie schwer, das nicht zu sein, wenn du so persönlich bist.“
„Das Problem ist, dass du entschlossen warst, es persönlich zu nehmen. Wenn du nicht so bereit gewesen wärst, beleidigt zu sein, hättest du gehört, was ich wirklich gesagt habe. Was ist, dass ich mich dazu entscheide, mich nicht emotional in die Meinungen der Menschen über mich hineinziehen zu lassen. Ihre Worte haben keine Macht; daher sind ihre Meinungen unbedeutend. Es ist ein Denkprozess.“
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht
das ist, was du gesagt hast.“
Ich lächle erneut, was sie endgültig verärgert. „Du solltest es irgendwann mal versuchen.“ Ich greife nach ihrer Hand, als sie das Glas abstellt. „Ein Diamant verliert aufgrund eines Mangels an Bewunderung nicht seinen Wert.“ Mein Daumen reibt über die funkelnden Steine, die ich vor einer Weile an ihren schlanken Finger gesteckt habe. „Schätze deinen eigenen Wert, Olivia. Denn er ist groß.“
Wegen, oder vielleicht trotz meiner Ehrlichkeit, würde ich wetten, dass die Worte, die ihren Mund verlassen, dies tun, ohne dass ihnen davor viele Gedanken gewidmet wurden.
„Du meinst, ich solle versuchen, nicht beleidigt zu sein, wenn mein Ehepartner mir sagt, er hält mich für einen griesgrämigen Arsch?“
„Dein Ehepartner würde nie so über deinen köstlichen Hintern lästern. Tatsächlich hat dein Ehepartner es auf den besagten Bereich abgesehen.“ Und das sogar sehr.
„Mein Ehepartner sollte lieber seinen Kopf aus seinem eigenen Arsch entfernen. Denn es gibt nicht genug Geld auf der Welt, als dass er Zugang zu besagtem Bereich kaufen könnte.“
„Tu das nicht.“ Die Schärfe in meinem Tonfall ist direkt. „Stell das nicht als etwas hin, das es nicht ist. Etwas Schäbiges und Schmutziges.“
„Ich-ich glaube, ich habe ziemlich gut im Griff, was das ist.“ Ihr Blick sinkt und ihr Ausdruck ist nicht wirklich nachdenklich,
aber vielleicht vorbereitend auf das, was sie zu sagen hat. „Ich bin zur Wahrheit gekommen, meiner Wahrheit, nach dem ich viel in mich gegangen bin und mich viel mit mir beschäftigt habe. Könnte ich das tun? Und was würde es über mich aussagen, wenn ich es täte?“
Ich spreche nicht, sondern warte stattdessen auf ihre Antworten.
„Du siehst mich an, als wäre ich ein Käfer unter einer Glasplatte.“
„Tue ich das? Ich nehme an, ich versuche nur herauszufinden, zu welchem Schluss du gekommen bist.“ Während ich mich frage, ob sie abspringen wird. Nein. Sie ist so weit gekommen.
„Ich habe entschieden, dass es nicht Schwarzweiß sein muss. Das Leben ist voller grauer Bereiche und lauernden Schatten. Ich habe entschieden, dass jeder einen Preis hat—jeder.“
„Genau wie der Mond die Erde umkreist und die Erde ebenso auf die Gravitationskraft der Sonne reagiert, bin ich mir sicher, dass nie mehr würdige Wahrheiten in Worte gefasst werden können.“
„Aber ich habe auch entschieden, dass wenn du auch meinen Preis gefunden haben magst, mein Preis nicht mein Wert ist.“
„Herzlichen Glückwunsch.“ Ich hebe mein Glas und stoße auf die Stärke in ihren Worten an. „Wie der Aphorismus heißt; jeder will ein Diamant sein, aber nur wenige sind bereit, den Schliff zu akzeptieren.“
Olivia ist ein Preis, den ich nie verdienen werde.
Verdienen? Nein.
Haben? Allerdings.
„Hättest du gern Nachtisch?“, frage ich in sorglosem Tonfall. „Oder bis du bereit, zurück ins Hotel zu gehen?“