„Komm schon,
Ols. Es soll nicht ernst sein. Es ist nur aus Spaß und für ein bisschen Publicity.“
Ich sehe mich in der Bar mit den mit Samt bezogenen Nischen und Ohrensesseln um. Eine mit Kork bedeckte Wand ist voll mit Schwarz-Weiß-Fotos, die sich, nach genauerem Hinsehen, als alte Verbrecherfotos herausstellen. Die Patina der Mahagoni-Bar, ein milchiger Spiegel dahinter, geätzt und gealtert. Die hundert schicken Flaschen, die davor aufgereiht sind. Die Cocktail-Karte, die Liköre und Tinkturen mit einem Schuss Alkohol zu Preisen anbietet, die einem Tränen in die Augen steigen lassen.
„Dieser Ort ist nicht gerade subtil, oder?“ Ich sehe mir das Personal an, die Frauen hinter der Bar, die wie Cancan-Tänzerinnen angezogen sind, die Männer wie Schwarzhändler in kragenlosen Hemden und Hosenträgern, Schiebermützen und schicken kleinen Filzhüten.
„Was?“ Mirandas Blick folgt meinem, obwohl sie einen anderen Ort zu sehen scheint. „Es ist cool. Irgendwie intim. Es sieht nicht aus wie ein Puff, wenn du das meinst. Außerdem hast du es ausgesucht. Und wir waren seither zweimal hier.“
Ich stoße einen langen, nervösen Atemzug aus, während ich mir mit einer Hand durchs Haar fahre. „Sag mir, dass ich umsonst panisch bin.“
„Das bist du absolut. Diese Bar ist klasse. Es ist genau das, wonach wir suchen. Es ist atmosphärisch und die Kunden werden es lieben.“
„Atmosphärisch“, wiederhole ich, während ich mich erneut in dem Etablissement umsehe. „Nicht eher kultivierte Sittenlosigkeit?“
„Retro“, gibt sie zurück. „Ein Ort, an dem man erwartet, Gangster und ihre Bräute zu finden. Hosen mit Nadelstreifen und Jacketts mit breiten Aufschlägen, Federboas und rot lackierte Fingernägel, die dünne Zigarettenspitzen halten.“
„Unterwelt-Charme.“
„Es ist eine Bar, um Himmels willen. Es ist sexy. Genau die Art von Ort, mit der du in Verbindung gebracht werden willst. Wir verkaufen hier Romantik, oder nicht?“ Ich lächle über ihre Verwendung des Pluralis majestatis; wir sind belustigt. Sehr belustigt. Aber wir sind ebenfalls sehr nervös. „Denk nur daran, wie die Fotos aussehen werden.“
„Du hast ja recht. Ich bin nur gestresst.“
Auch mit den Fotos hat sie recht. Die Evening News
schicken heute Abend einen Reporter plus Fotografen und haben uns einen Artikel in ihrer Wochenendbeilage versprochen. Je mehr Publicity wir bekommen, desto mehr Mitglieder haben wir, und je mehr Mitglieder wir haben, desto leichter wird es, E-Volve zu verkaufen. Das Ziel dieses Spiels. Der Grund, aus dem ich meine Seele an Beckett verkauft habe und all das.
„Was soll ich hiermit anfangen?“ Heather taucht plötzlich neben mir auf, mit einem Dutzend kleiner silberner Eimer, die an ihren Händen baumeln. Sie sieht aus wie ein Milchmädchen, das die Kühe melken geht. Wenn Milchmädchen Skinny Jeans und T-Shirts tragen, auf denen „Brains are the new tits“ steht.
„Stell einen auf jeden Tisch“, weist Mir sie an. „Dann leg die Karten in jeden hinein.“
Heather hat das Wochenende damit verbracht, ausgefallene Stichworte auszudrucken, die in den Eimern bereitgestellt
werden, damit unsere Gäste einen Anfang haben. Kennenlernfragen, nehme ich an.
Was machst du in deiner Freizeit?
Was steht auf deiner Löffelliste?
Was tust du, um zu entspannen?
Was ist dein größter Traum?
Erzähl mir etwas Faszinierendes über dich.
Und andere brillante Fragen.
„Also, wenn sie hereingekommen, dann gebe ich jedem von ihnen eine dieser Punktekarten, richtig?“
„Vielleicht ist es besser, wenn wir sie nicht Punktekarten nennen, Heather. Das ist keine Runde Minigolf.“
„Aber wir geben jedem von ihnen einen Ministift, oder?“
„Ja, einen von denen mit Logo.“ Mirs Idee. Ich weiß nicht. Vielleicht mag sie Minigolf?
„Lasst sie uns Feedback-Karten nennen.“ Immerhin sind sie das. Karten mit Kästchen, um den Speed Dating-Partner zu bewerten.
X oder ✓, je nachdem, was zutrifft.
Ja, ich würde von dieser Person gern im Hinblick darauf kontaktiert werden, sie besser kennenzulernen.
Nein, danke.
Ich würde von dieser Person gern im Hinblick auf eine Freundschaft hören.
Oder Freundschaft Plus, bitte sagt uns das nicht.
„Also bekommen sie einen kleinen Stift –“
„Und so viel kostenlosen Alkohol wie sie brauchen, um locker zu werden“, unterbricht Miranda mit einem Kichern.
„Nein, sie bekommen ein Glas irgendeines Drinks, der zu Ehren dieses Abends gemacht wird.“ Ich wedle mit der Hand in die grobe Richtung der Bar. „Und danach gibt es Prosecco und ein paar Flaschen Wein; rot und weiß. Das Letzte, was wir brauchen, ist ein Haufen betrunkener, geiler Singles.“
„Sprich für dich selbst“, antwortet Mir. „Das klingt wie eine
meiner besten Arbeiten.“
„Wie auch immer
.“ Zurück zum Thema. „Heather, es ist deine Aufgabe, die Punktekarten einzusammeln –“
„Feedback-Karten“, korrigiert sie.
„Ja, die. Du sammelst sie am Ende des Abends ein, und dann gleichen wir die Punkte ab, ich meine die Informationen. Dann melden wir uns über die beim Abonnement angegebene E-Mail-Adresse bei den Teilnehmern.“
„Und dann werden sich ein oder zwei der Paare wiedersehen“, ruft Mir aus. „Sie werden ein Date im Kino haben, dann lädt er sie zu einem netten Essen ein, sie gehen ein paar Wochen lang miteinander aus, dann treiben sie es und verlieben sich ineinander. Und dann kommt E-Volve erneut in die Zeitung. Tadaa!“
„Ja, wir werden sehen.“
„Du scheinst dich immer noch nicht auf heute Abend zu freuen. Komm schon, entspann dich.“ Mirs Arm gleitet um meinen Ellbogen. „Es wird ein großer Erfolg werden. Die Leute nehmen Speed Dating nicht allzu ernst. Es ist nur ein Weg, um sich zu amüsieren und ein bisschen was zu trinken, vielleicht ein paar coole Leute kennenzulernen oder nach einer Trennung wieder in den Sattel zu steigen. Es ist nur so zum Spaß, Ols. Das ist alles.“
„Wir sind aber nicht nur zum Spaß im Geschäft, oder?“ Zumindest bin ich das nicht.
„Du spürst nur den Druck. Zuerst diese Sache im Hiya
-Magazin und jetzt die Evening News
. Aber das passiert, wenn man die eine Hälfte des heißesten Power Couples in London wird.“ Ich stöhne tatsächlich auf, da ich weiß, was als Nächstes kommt. „Bolivia.“
„Wisch dir das Grinsen vom Gesicht. Das ist so ein schreckliches Portmanteau-Wort.“
„Port Mann was?“
Was so ziemlich das ist, was ich gesagt hatte, als ich
Beckett davon erzählte, wie wir im Büro jetzt genannt wurden. Ich hatte den Ausdruck Collage
verwendet und er hatte mich verwirrt angesehen. Also hatte ich es genauer erklärt: B für Beckett, dann Olivia. Er hatte gegrinst und mich darüber informiert, dass der Ausdruck, nach dem ich suchte, Portmanteau
sei. Klugscheißer.
„Bolivia ist ein Portmanteau-Wort aus Beckett und Olivia, weißt du das nicht?“, antworte ich recht erhaben.
„Wie eine Mischung aus Namen?“, fragt Mir, deren Gesicht immer noch vor Fassungslosigkeit verzogen ist.
„Ja“, gebe ich nach. „Genau so.“
„Bolivia ist nicht so schlimm. Immerhin hätte es auch Olecket sein können.“
Seltsam. Das hat Beckett auch gesagt. Nicht, dass Olecket nicht schlimm ist, sondern dass es nicht allzu schlimm ist, wenn man Bolivien
als das Zuhause von Lamas, Kokain und Bürgerunruhen betrachtet. Er sagte, wenn man die Lamas wegnimmt, dann wäre es als Name für uns beide nicht ganz so zufällig.
Ich habe nicht gelacht.
„Fertig“, verkündet Heather, als sie neben mir erscheint. „Die Namensschilder sind neben der Tür, Steckbriefe und Stifte sind auf dem Tisch, die Eisbrecher sind in den Eimern. Was als Nächstes?“
„Ich weiß es“, antwortet Miranda mit einem Grinsen. „Lasst uns mit dem Prosecco anfangen.“