»Aha«, sagt Pernilla, »hier liegst du also und kannst nicht anders.«
Irgendwann war sie eingeschlafen. Vollständig bekleidet, in Lukas’ Bett. An Mikael hatte sie kaum einen Gedanken verschwendet. Der Polizei zufolge ging es ihm den Umständen entsprechend gut. Sie kochte Tee, goss die Blumen, und dann beschloss sie, im Krankenhaus anzufangen. Vielleicht war es die Kurve kurz hinter Harads, in der sie ins Schleudern geriet, die ihre Gefühle wieder zum Leben erweckte. Die Angst, die Sehnsucht, die Wut. Ja, vor allem die Wut. Ein ganzes wütendes Leben.
»Willst du dich nicht setzen?« Mikael streckt ihr die Hand entgegen.
»Nein.« Sie bleibt stehen und nimmt auch nicht seine Hand. »Ich bin gleich wieder weg.«
»Wie geht es dir?«
»Was glaubst du wohl, verdammt? Mein Kind ist entführt worden! Die Polizei hat bislang keine Spur, aber vielleicht weißt du ja etwas.«
»Mir ist klar, dass du verzweifelt bist, aber weshalb sollte ich mehr wissen als die Polizei?«
»Weil sich bei dir immer alles um den nächsten Scoop dreht. Glaubst du vielleicht, dass ich nicht sehe, wie du versuchst, irgendwelchen Dreck über Henry auszugraben? Dass du nur deshalb mit zum Tigerzahnorden wolltest? Ich hab schon kapiert, dass du ihn nicht ausstehen kannst – die Nachricht ist angekommen. Aber dass du Geld mit ihm verdienen willst, ist einfach nur erbärmlich. Ist Lukas auch Teil des Plans?«
»Jetzt mal halblang.« Er stemmt sich hoch. »Lukas ist mein Enkelkind. Meinst du wirklich, er wäre mir egal oder ich wäre nicht genauso schockiert wie du, dass sie ihn verschleppt haben?«
»Das glaube ich dir sogar. Trotzdem ist er nicht nur dein Enkelkind – er ist obendrein ein potenzieller Artikel in deinem Laptop. Ich weiß genau, wie du tickst. Sobald sie dich hier entlassen, fängst du an zu recherchieren. Der Verwaltungsleiter, dessen Stiefkind verschwunden ist. Du bist schlimmer als der Expressen ! Jedes Mal, wenn wir uns sehen, ist irgendwas mit deinem Job. Der gefeierte große Journalist braucht Hilfe, und ich komme wie die letzte Idiotin angerannt. Nie rufst du an, es sei denn, es nützt dir etwas. Hast du mal überlegt, wie sich das für mich anfühlt? Du weißt überhaupt nichts von mir – wo ich arbeite, was ich mache, was ich kann oder was ich mag. Ich bin die überflüssige Tochter, die du nun mal am Hals hast und um die du dich nie gekümmert hast.«
»Ich weiß schon, dass ich nicht immer …«
»Du hast dich nie wie ein richtiger Vater verhalten, und jetzt glaubst du, du könntest deinen Schwiegersohn wegen irgendwas drankriegen. Stimmt doch, oder nicht? Du schießt dich auf ihn ein, drehst jeden verdammten Kieselstein um und pfeifst darauf, wie sich das für mich anfühlt. Oder im Übrigen auch für Lukas. Er hat keinen Vater – aber er hat Henry. Und selbst dass du glaubst, du hättest eine ach so große Bedeutung für ihn, nur weil er mal eine Woche bei dir war, hat einzig und allein mit deinem verrutschten Selbstbild zu tun, mit deiner Hybris! Hörst du das, du Drecksack? Mit deiner Hybris!«
»Du hörst jetzt sofort damit auf«, schreit Mikael zurück. »Ich bin kein Heiliger, aber ich bin verdammt noch mal auch nicht das personifizierte Böse. Im Unterschied zu deinem heiligen Henry Salo, der seine Schmutzfinger überall drin hat, mache ich einen ehrlichen Reporterjob. Kapierst du überhaupt, was er treibt und was das für Risiken sind, denen er euch aussetzt, indem er hier einen auf Bonze macht? Wer ist denn losgelaufen und wollte den Kleinen retten und wurde angeschossen – er vielleicht? Nein! Er stand an der Bar und hat versucht, die Bedienungen zu beeindrucken.«
»Genau das meine ich! Hörst du eigentlich selbst, was du sagst? Lukas ist weg, sie haben ihn wie einen Sack Kartoffeln rausgeschleppt, und du liegst hier wie ein verdammter Luxuspatient mit einem Kratzer an der Schulter und erzählst was von journalistischer Integrität. Mein Kind haben sie verschleppt, mein Kind, verdammt noch mal!« Pernilla wendet sich zur Tür, hält inne und dreht sich noch einmal um. »Ich hab deine Sachen gepackt. Du suchst dir eine andere Bleibe. Und vergiss nicht, nach einem Ersatzpflaster zu fragen. Bestimmt haben sie eins mit Bärchen.«