Sklavenhändler

Grisham hätte es nicht für möglich gehalten, aber er hatte sich daran gewöhnt, auf einem Gebirgspony zu reiten. Und es erfüllte ihn mit Stolz, dass sich sein Pony keinen Sattel von Oda auflegen ließ, sehr wohl jedoch Grisham erlaubte, es zu reiten – natürlich erst nach viel Pflege und Aufmerksamkeit. Grisham hatte Odas Rat befolgt und das Vertrauen des Tiers gewonnen.

Oda nahm es dem Pony übel, dass es seine Vorliebe so offen kundtat. Aus Rache nannte er es seither eine kurzbeinige, schaukelnde Landplage. Zum Glück hatte sich das andere Gebirgspony als weniger wählerisch erwiesen und ließ jeden auf sich reiten – sogar einen polternden Zwerg. An diesem Tag war er mit einer Gruppe anderer Soldaten auf dem Pony zu einem ganztägigen Erkundungsausflug aufgebrochen und hatte Grisham zurückgelassen.

Was Grisham nicht störte. Er genoss es, in Ruhe vor sich hin zu arbeiten – Waffen polieren, Pferde striegeln. Tatsächlich hatte Oda angedeutet, Grishams wahre Berufung könnte eher Stallmeister als Soldat sein. Offenbar wurde selbst dem sturen Zwerg allmählich klar, dass aus Grisham nie ein großer Krieger werden würde.

Grisham rieb gerade einige der Pferde ab, als eine weitere Gruppe von Soldaten die Koppel betrat, darunter Nicholas.

»Grisham! Schön zu sehen, dass du zu angemesseneren Aufgaben übergegangen bist.« Er schmunzelte freundlich. »Da du schon mal hier bist, möchtest du uns zu einem kleinen Ausflug begleiten?«

»Wohin reitet ihr?«

Nicholas legte den Sattel auf seinen Lieblingsbraunen auf. »Ein paar Schafe sind aus ihrem Pferch ausgebrochen und weggelaufen. Der Hirte braucht Hilfe dabei, sie wieder einzufangen. Weit können sie nicht gekommen sein.«

Grisham entschied, dass er nichts dagegen hätte, ein wenig auszureiten. »Gern. Ich helfe mit.«

Er legte eine Pferdedecke auf sein Pony, schnappte sich Zaumzeug, und schon bald trabte er mit Nicholas und zwei anderen Soldaten in Richtung der kaputten Pferche los.

Nicholas zeigte nach Osten. »Ich sehe ihre Spuren. Sie führen ins Tal hinunter.«

Er trieb sein Pferd in einen Galopp. Grisham folgte seinem Beispiel und hielt sich mit aller Kraft an seinem Reittier fest.

* * *

Seit Grisham bei der Karawane war, hatte er gelernt, dass Nebel häufig in Niederungen auftrat, besonders am Morgen. Dieser Tag bildete keine Ausnahme. Im Tal herrschte so dichter Nebel, dass Grisham kaum das Hinterteil des Pferds vor ihm sehen konnte.

»Wie sollen wir bei dieser Witterung die Schafe finden?«, fragte er.

Neben ihm legte Nicholas einen Finger an die Lippen und zügelte sein Pferd, brachte es zum Stehen.

Grisham tat es ihm gleich und lauschte aufmerksam in die Umgebung. Er hörte das Schnauben eines Pferds auf Nicholas’ anderer Seite. Dann, nach fast einer Minute völliger Stille, vernahm er in der Ferne etwas, das nach dem Blöken eines Schafs klang.

»Hast du das gehört?«, fragte er Nicholas.

Sein Freund schüttelte den Kopf. »Nein, aber falls du ein Schaf gehört hast, übernimm die Führung.«

Grisham spitzte erneut die Ohren. Als er ein weiteres Blöken hörte, stupste er sein Pony in die Richtung. Die anderen folgten ihm. Aber er konnte in den grauen Schwaden nichts erkennen und war noch nicht weit gekommen, bevor er an den Zügeln zog und abermals lauschte.

Einer der anderen Soldaten grummelte: »Ich kann nicht mal die Hufe meines eigenen Pferds sehen, geschweige denn irgendwelche Spuren.«

Grisham hörte ein weiteres Blöken. Nur ... klang das irgendwie falsch. Er hörte ein ähnliches Geräusch aus einer anderen Richtung, dann noch einmal aus einer dritten.

Offenbar war es laut genug, dass es auch die anderen hörten, denn Nicholas lachte. »Schätze, wir sind umzingelt. Das macht es einfacher, sie zu finden.«

Grisham Herz hämmerte wild in der Brust. »Das sind keine echten Schafe, Nicholas«, flüsterte er. »Das sind Leute, die Schafe nachahmen.«

Nicholas zog sein Schwert. »Bist du sicher?«

»Ja.«

Nicholas wendete das Pferd zu den anderen Soldaten. »Seid wachsam, Jungs. Lasst uns verschwinden.«

In dem Moment hallte das Zischen von Klingen durch den Nebel, die aus Scheiden gezogen wurden, und graue Umrisse lösten sich aus dem Nebel. Sie waren nicht nur umzingelt, sondern zahlenmäßig deutlich unterlegen.

»Halt!«, brüllte der Soldat, der sich Nicholas am nächsten befand. »Oder ihr werdet es bereuen!«

Ein halbes Dutzend Netze fiel aus dem Nebel und landete auf ihrer Gruppe.

Grishams Pony geriet in Panik und verhedderte sich sofort darin. Grisham wurde abgeworfen und landete in einem Gewirr zappelnder Beine. Ein harter Schlag traf ihn am Kopf.

Das trübe Grau des Nebels verdunkelte sich zu Schwarz.

* * *

Schier unerträgliche Schmerzen wüteten in Grishams Kopf. Er tauchte aus den Tiefen der Bewusstlosigkeit auf und musste feststellen, dass er sich auf der harten Ladefläche eines Wagens befand, der über einen felsigen Pfad holperte. Jedes Rumpeln bereitete ihm Qualen.

Er öffnete ein Auge einen Spalt, um seine Lage zu beurteilen. Sie war noch schlimmer als befürchtet.

Er befand sich in einen Käfig gepfercht, mit einem Kragen um den Hals daran angekettet. Nach wenigen, kurzen Monaten der Freiheit war er wieder ein Gefangener, wieder in Ketten wie ein Tier.

Sein Käfig befand sich zusammen mit zwei anderen auf einem großen Pritschenwagen. Der Käfig, der ihm am nächsten war, beherbergte eine riesige Sumpfkatze mit bernsteinfarbenen Augen. Das Tier roch schwärend, und tatsächlich sickerte Eiter aus einer Wunde am rechten Hinterbein. Die Katze gab ein leises, grollendes Knurren von sich – ein Geräusch des Schmerzes und der Frustration.

Der dritte Käfig enthielt einen der anderen Soldaten, die Nicholas begleitet hatten. Grisham kannte nicht mal den Namen des Mannes. Auch er trug einen Kragen, und Grisham stöhnte, als er die Machart sah. Es handelte sich um denselben, den er und die anderen Sklaven in den Minen getragen hatten.

Vielleicht würde er dorthin zurückkehren. In dieselben Minen, aus denen er einst geflohen war. Vielleicht würde man ihn sogar vor die Priesterin bringen.

Bei dem Gedanken schauderte Grisham.

Doch plötzlich wusste er, was er dagegen unternehmen konnte.

Er schloss die Augen und stellte sich einen Megafüßler vor. Dann suchte er in sich nach der inneren Kraft, von der er wusste, dass er sie besaß. Er tastete nach dem Quell der Energie, fand ihn, zapfte ihn an ...

Ein stechender Schmerz im Kopf verschlug ihm den Atem, und er spürte nichts mehr.