Leser, die mit dem Aufbau meiner Bücher vertraut sind, wissen bereits, dass ich im Anhang auf wissenschaftliche Aspekte der gerade gelesenen Geschichte eingehe. Aber das vorliegende Buch ist zweifelsfrei ein Fantasy-Roman. Also diesmal keine Wissenschaft, richtig?
Ja und nein. Ich räume ein, dass im ersten Band dieser vierteiligen Serie am wenigsten davon vorkommt, was ich als traditionelle Wissenschaft bezeichnen würde. Das entwickelt sich künftig noch weiter. Trotzdem sind auch in diesem Roman ein paar interessante, wissenschaftlich relevante Aspekte vorhanden.
Ich sollte anmerken, dass diese Anhänge nur als sehr kurze Erklärungen für teils komplexe Konzepte gedacht sind. Ich möchte gerade genug Informationen für ein grundlegendes Verständnis des Themas liefern. Denjenigen, die mehr wissen wollen, möchte ich auch ausreichend Stichworte an die Hand geben, damit sie eigene Recherchen starten und ein umfassenderes Hintergrundverständnis dieser Themen erlangen können.
Also was für Wissenschaft könnte es überhaupt in einem Fantasy-Roman geben? Ich gebe zu, es ist eine Herausforderung – aber ich bin dafür gewappnet.
Zum Beispiel Arabelles geheimnisvolle Fähigkeit, die Richtung zu bestimmen, in der sich jemand aufhält, den sie gut kennt. Man würde das vielleicht nicht unbedingt als wissenschaftliches Element betrachten, aber man kann es gewissermaßen mit einer verbesserten Version von Magnetorezeption in Verbindung bringen.
»Magnetorezeption? Was ist das?«, fragst du vielleicht.
Magnetorezeption:
Vielleicht hast du schon von Brieftauben gehört. Das sind Vögel, die immer den Weg zurück zu einer bestimmten Stelle finden, ganz gleich, wo sie sich auf der Welt befinden. Das erscheint fast wie Magie, ist aber ein sehr reales Phänomen und basiert auf etwas, das man Magnetorezeption nennt.
Diese Fähigkeit beruht auf dem Gespür eines Organismus für ihn umgebende Magnetfelder. Und seltsamerweise können viele Geschöpfe ein Magnetfeld erkennen, das ihnen hilft, Standort, Höhe und Richtung zu bestimmen.
Das ist gar nicht so selten, wie man meinen möchte. Sogar einige Bakterien haben ein Gespür für Magnetfelder. Auch Weichtiere, etliche Fische und viele Landwirbeltiere. Man könnte argumentieren, dass sogar Menschen in geringem Ausmaß empfindlich auf sie umgebende Felder reagieren, manche mehr als andere.
Um auf das Beispiel der Brieftaube zurückzukommen: Diese Tiere besitzen die unheimliche Fähigkeit, sich an den Ort zu »erinnern«, an dem sie geschlüpft sind. Bringt man sie von dort weg, schaffen sie es sogar über Tausende Kilometer, zu dem Nest zurückzukehren, in dem sie geboren wurden.
Ähnlich ist es bei Haien. Sie nehmen mit Hilfe eines Organs namens Lorenzinische Ampullen die elektrischen Signale anderer Tiere in der Nähe wahr. Man kann sich das wie einen »sechsten Sinn« vorstellen. Oder manche Menschen haben auch irgendwie die Fähigkeit entwickelt, andere aus der Ferne zu spüren.
Manches gehört streng genommen immer noch ins Reich der »Fantasie«, ist aber nicht so weit hergeholt, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Infravision:
Infravision? Das ist ein Lehnwort aus einem populären Spiel und beschreibt die Fähigkeit, Dinge im Infrarotspektrum zu sehen. Gibt es das wirklich? Wäre das für Menschen möglich? Und wenn ja, wäre es wie die Arabelles Fähigkeit, Kreaturen im Dunkeln zu sehen?
Reden wir doch kurz darüber, was Infrarot eigentlich bedeutet. Was ist Infrarot und wie hängt es mit dem gesamten Lichtspektrum zusammen?
Ich gehe davon aus, dass wir alle ein Springseil kennen. Wenn man an einem Ende des Seils rüttelt, stellt man fest, dass es Wellenformen bildet. Der Abstand zwischen den einzelnen Gipfeln wird als Wellenlänge bezeichnet. Je langsamer man das Seil rüttelt und je weniger Energie man hineinsteckt, desto länger wird die Welle.
Mit dem Licht verhält es sich genauso. Licht bewegt sich in Form einer Welle fort, allerdings ist die Länge der Welle sehr, sehr kurz. Wie kurz? Nun, das in der Regel für den Menschen sichtbare Spektrum liegt zwischen 380 Nanometern (Violett) und 740 Nanometern (Rot). Ja, Nanometer. Milliardstel eines Meters. Sehr klein, aber sehr bedeutend.
Infrarotlicht hat Wellenlängen von über 740 Nanometern – und dadurch wird »Infravision« interessant.
Warum ist das interessant?
Normalerweise denken wir bei Licht an etwas, das aus einer Taschenlampe leuchtet oder vielleicht aus einem Fernseher oder Computermonitor. Wir denken nicht daran, dass Gegenstände eigentlich immer Licht abstrahlen. Dein Schreibtisch, ein Stein auf dem Boden, ein Eichhörnchen im Wald. Der Grund ist, dass die meisten von uns ihr Leuchten nicht sehen können.
Ich nenne mal ein hilfreiches Beispiel. Den meisten von uns dürften Herdplatten mit Metallspulen darin kennen. Viele werden selbst welche zu Hause haben. Regelt man die Einstellung der Herdplatte auf »hoch«, glühen diese Spulen rot. Das bedeutet, sie geben genug Energie ab, dass die Wellenlänge der glühenden Spule kürzer wird, ins sichtbare Lichtspektrum gerät und sich rot abzeichnet.
Regelt man auf mittel oder niedrig, bleiben die Spulen schwarz, strahlen kein »Licht« ab. Trotzdem wissen wir, dass sie heiß sind, richtig? Das bedeutet lediglich, dass die Energie des ausgestrahlten Lichts eine größere Wellenlänge hat, als wir sie sehen können. Die Spule leuchtet trotzdem, nur liegt das Licht im Infrarotbereich.
Dasselbe gilt für uns alle. Wir alle leuchten auf verschiedenen Ebenen je nach unserer Wärmesignatur. Und es gibt viele Geschöpfe, die meisten davon Kaltblüter wie Schlangen, Fische und Frösche, die im Infrarotspektrum sehen können.
Es gibt jedoch auch ungewöhnliche Fälle, in denen es Menschen möglich ist, Lichtblitze durch von Infrarotstimulation zu sehen. Dabei wird in der Regel ein Strahl kohärenten Infrarotlichts durch einen Laser geschossen, und ein einzelner Punkt auf der Netzhaut registriert die Energie von zwei ankommenden Photonen als eines und sieht einen grünen Lichtblitz. Allerdings gibt es dafür keine praktischen Anwendungen.
Ich habe oben angemerkt, dass in der Regel Kaltblüter die Fähigkeit entwickelt haben, Infrarot zu sehen, nicht Warmblüter. Das ergibt durchaus Sinn, denn bei Warmblütern strahlt der Körper des Tiers Wärme ab und würde die eigene Sicht beeinträchtigen.
Obwohl es also keine inhärenten Beispiele dafür gibt, dass Menschen im Infrarotspektrum sehen können, ist es nicht unmöglich, sich eine solche Fähigkeit vorzustellen. Und hoffentlich bietet es einen kleinen Einblick, was hinter dem Konzept von Wärmebildtechnik eigentlich steckt.
Mehr Wissenschaft kommt in Die Erben der Prophezeiung vor, so viel kann ich versprechen.