Obwohl Nach der Befreiung in vielerlei Hinsicht Barbara Skargas bemerkenswertestes Buch ist, ist es auch ihr am meisten unterschätztes und vielleicht ihr am wenigsten gelesenes. Auch wenn es in den letzten Jahrzehnten einige Nachdrucke von Nach der Befreiung gab, waren die Auflagen immer äußerst gering. Daher ist es heute schwierig, wenn nicht gar unmöglich, an ein Exemplar zu kommen. Wer ein Exemplar bei einem Antiquitätenhändler oder auf dem Gebrauchtmarkt ergattert, hält ein seltenes Kleinod in Händen.
Das Buch erschien erstmals im Jahr 1985. Aufgrund der kommunistischen Zensur und Repressionen veröffentlichte Skarga ihre Aufzeichnungen aus dem Gulag zunächst unter einem Pseudonym (Wiktoria Kraśniewska) und im Ausland. Das Instytut Literacki in Paris – viele Jahre lang das kulturelle Epizentrum der polnischen intellektuellen Diaspora – übernahm die Veröffentlichung. Der letzte Nachdruck erschien 2008, kurz vor Skargas Tod.
Dieser Übersetzung wurde die Ausgabe von 1990 zugrunde gelegt, die vom Verlag W drodze in Poznań bearbeitet wurde. Nach dem Fall des Kommunismus konnte Skarga das Buch erstmals unter ihrem eigenen Namen veröffentlichen, wobei in dieser Ausgabe auch Skargas Pseudonym in Klammern steht. Die Ausgabe von 1990 unterscheidet sich in einigen Punkten von der ersten. So waren in der ersten Auflage noch alle Ortsnamen anonymisiert und durch einen Buchstaben oder einen anderen Namen gekennzeichnet (Budjonowka ist der einzige fiktive Ortsname, den Skarga beibehalten hat), sodass es für die Behörden schwieriger war, den Autor zu ermitteln. Die wichtigste Änderung betrifft das Ende von Kapitel 1. In der Ausgabe von 1990 endet es mit der Hinrichtung der polnischen Gefangenen. In der Originalausgabe folgten auf diese Passage unmittelbar die ersten Absätze von Kapitel 3, auch wenn sie thematisch nicht so recht zusammenpassten.
Über die Gründe, warum Nach der Befreiung nur schwer den Weg zu seinen Lesern gefunden hat, lässt sich viel spekulieren. Liegt es daran, dass das Interesse am Gulag – sowohl an der allgemeinen Geschichte als auch an persönlichen Erzählungen – nicht sehr groß ist? Liegt es daran, dass der Zeitgeist ein anderer war – erst durfte das Buch in Polen nicht veröffentlicht werden, dann wollte man mit der Vergangenheit abschließen und mit dem Wandel so schnell wie möglich in eine neue Zukunft starten?
Zweifellos spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass dem Manuskript die fürsorgliche Hand eines guten Lektors fehlte, weshalb es einige Fehler und Schlampigkeiten enthält. Es fällt auch auf, dass Skarga vom Leser ein Maß an Intelligenz und Wissen erwartet, das, gelinde gesagt, nicht sehr realistisch sein dürfte. Zum einen sind ihre Notizen mit zahlreichen literarischen, kulturellen und historischen Verweisen gespickt, die selbst für die meisten Slawisten nicht zum Allgemeinwissen gehören werden. Zum anderen verfasste Skarga ihre Notizen in einem Jargon und mit Begriffen (technisch, organisatorisch, politisch, juristisch usw.), die zum Leben im Gulag gehörten, aber für den normalen Leser in der normalen Realität ohne Hintergrundinformationen nicht verständlich sind. Skarga hat sich jedoch nicht die Mühe gemacht, ihre Notizen mit Fußnoten zu versehen oder sie auf andere Weise zugänglicher zu machen.
Dies bringt uns zu einem weiteren Grund, warum das polnische Manuskript von Nach der Befreiung so ein harter Brocken ist: Skargas Sprache. Drei Aspekte sollten hier hervorgehoben werden. Erstens: Der Unterschied zwischen geschriebener und gesprochener Sprache ist im Polnischen ohnehin recht groß, und Skarga schreibt in einer stilisierten Form des Polnischen, die typisch war für die polnische intellektuelle Elite, die in der Zwischenkriegszeit in Litauen aufwuchs und dort ausgebildet wurde (und zu der beispielsweise der Nobelpreisträger Czesław Miłosz gehörte). Zweitens enthalten ihre Aufzeichnungen zahlreiche russische Phrasen in polnischer Transliteration; vor allem wenn sie die Gespräche unter den Häftlingen oder die Gespräche mit den Lagerbehörden beschreibt. Solche »russischen« Phrasen sind manchmal kursiv gesetzt (wie Skarga es tat) und stehen dann nicht in Anführungszeichen. Das Problem, das sich hier stellt, ist, dass diese Transliteration nicht immer regelkonform erfolgt ist. Während man vielleicht davon ausgehen konnte, dass der polnische Leser in den achtziger Jahren die russische Sprache ausreichend beherrschte, um zu verstehen, was Skarga meinte, ist dies für den zeitgenössischen Leser und für Leser im Ausland offensichtlich nicht der Fall. Drittens fällt auf, wie sehr die Jahre in Russland Skargas Sprache geprägt haben. Ihr Polnisch wurde in jenen Jahren etwas russifiziert. Am auffälligsten war dies natürlich in den Jahren unmittelbar nach ihrer Rückkehr nach Polen (Skarga hat auch in anderen autobiographischen Erinnerungen davon berichtet), aber auch noch viele Jahre später, wie unter anderem aus ihren in den achtziger Jahren niedergeschriebenen Aufzeichnungen über den Gulag hervorgeht. Skarga »polonisiert« in ihrer Sprache häufig russische Wörter. Aus linguistischer Sicht ist dies besonders faszinierend, aber für den normalen Leser stellt dies für eine flüssige Lektüre ihrer Werke manchmal einen Stolperstein dar.
Ich möchte einige Beispiele anführen. Wenn Skarga ein Trinkgelage in der Kolchose beschreibt, spricht sie von einer Pijanka. Pijanka ist jedoch kein anerkanntes polnisches Wort. Pijany/pijana ist das polnische Wort für betrunken, und ein Pijak ist ein Betrunkener. Aber Pijanka gibt es nicht; das ist eine Poloniserung des russischen пьянка. Das korrekte Polnisch müsste Pijatyka lauten. Wie der Leser sehen kann, haben die Begriffe hier eine andere slawische Wurzel, und es ist nicht sehr schwierig, die Bedeutung von Skargas Neologismus herauszufinden. Dies ist jedoch keineswegs immer der Fall. Wenn Skarga in Kapitel 5 den an Lethargie grenzenden russischen Gleichmut beschreibt, sagt sie, die Russen fügten sich leicht in ihr Schicksal und bissen dann einfach auf Siemeczki. Das ist eine Polonisierung des russischen семечки: Sonnenblumenkerne. Das korrekte Polnisch ist pestki słonecznika. Skargas Notizen enthalten mehrere solcher russifizierter Neologismen, die – wenn der Leser des Russischen und Polnischen nicht gleichermaßen mächtig ist – eine flüssige Leseerfahrung und die Verständlichkeit bestimmter Passagen behindern.
Um die Leseerfahrung und die Verständlichkeit zu optimieren, wurde die niederländische Übersetzung von Skargas Aufzeichnungen – mit Zustimmung von Skargas Erben – deshalb vielfach mit Anmerkungen versehen und, wo nötig, redigiert. Nach der Befreiung bietet der niederländischsprachigen Leserschaft somit sowohl einen authentischen Augenzeugenbericht des Lebens im Gulag als auch eine wichtige Informationsquelle zu Aspekten der europäischen Geschichte, die nur unzureichend bekannt sind, die aber die Welt bis heute prägen.