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Neulich bin ich auf ein Zitat gestoßen: Die Menschen werden vergessen, was du gesagt hast, sie werden vergessen, was du getan hast, aber sie werden nie vergessen, was für ein Gefühl du ihnen gegeben hast.
Ich möchte daher unbedingt vermeiden, dass Nate sich bedroht
fühlt, während er diese Situation zu verarbeiten versucht, darum trete ich den Rückzug an.
»Danke.« Ich verschwinde und ziehe leise die Tür hinter mir zu.
Nach der Abgeschiedenheit im Cockpit empfängt mich Hektik in der Kabine. Ich zwänge mich zwischen den Passagieren hindurch, die Taschen aus den Gepäckfächern zerren oder sich vorbeugen, um ihre Habseligkeiten zusammenzusammeln, und drängele mich auf der Treppe vor.
»Verzeihung. Verzeihung, bitte«, wiederhole ich, während ich mich durch die Abfälle vorarbeite: Kopfhörer, weggeworfene Ohrstöpsel, Schlafbrillen und Zeitungen.
Ich bin wie betäubt. Ich dachte, ich würde kalte Angst, Euphorie, ein Hochgefühl, irgendeine starke Emotion empfinden. Stattdessen sind meine Gefühle wie eingefroren; meine Sinne sind betäubt. Nur gedämpft dringt der Lärm an mein Ohr, bis auf die laute Stimme in meinem Kopf.
Konzentrier dich. Du darfst auf keinen Fall versagen.
Wie auf Autopilot packe ich meine Flugschürze und die flachen Schuhe in die Reisetasche. Auf einem Sitz stehend kontrolliere ich, ob die Deckenfächer leer sind, und halte nach den grell orangefarbenen Kindergurten in den Sitzreihen Ausschau. Ich sammle zwei davon ein
und verstaue sie in den Schubfächern hinter der letzten Reihe.
Den Blick stur geradeaus gerichtet, verlasse ich zusammen mit meinen Kolleginnen aus der Economy das Flugzeug. Wir passieren ein paar Geldspielautomaten unter einem Bombardement von Werbetafeln – für Hotels, Autovermietungen, Clubs, Bars, Restaurants, Hochzeiten. Die Passagiere warten in langen, dicht stehenden Schlangen. Eine erschöpft aussehende und kunterbunte Ansammlung von Menschen, die resigniert langsam vorwärtstrippelt, teils in Sommerkleidern, dreiviertellangen Leggings, Baseballcaps und T-Shirts, teils sorgfältiger gekleidet in Stoffhosen, mit Jacken oder Pullovern über den Armen.
Das Crew-Gepäck wurde schon ausgeladen und steht, ordentlich aufgereiht, neben dem Kofferband. Ich nehme meine Sachen und gehe durch den Zoll, ohne auch nur einem Beamten in die Augen zu sehen, so als hätte ich nichts zu verbergen. Endlich öffnen sich die Automatiktüren. Meine beiden Koffer hinter mir herziehend, finde ich mich in der Ankunftshalle wieder. Angestrengt halte ich über den Ballons, Blumen, Schildern und dem anderen Krimskrams, den die Wartenden mitgebracht haben, nach den Schildern für den Ausgang Ausschau.
Ich entkomme.
Die Spätnachmittagshitze, die mir draußen entgegenschlägt, wirkt eigenartig ernüchternd, und mein Kopf klart sich auf. Tief durchatmen. Eine leise Beklemmung bohrt ein Loch in meine Magengrube.
Mit gesenktem Kopf nähere ich mich dem Crew-Bus. Ich warte, bis ich an die Reihe komme und der Fahrer meine beiden Koffer in den Anhänger hinter dem Bus lädt. Ich kann sehen, dass die drei Koffer der Piloten bereits eingeladen wurden. Wie festgewachsen stehe ich da und überlege angestrengt, wann ich am besten in den Bus steigen soll.
Im Allgemeinen sitzen die Piloten gemeinsam vorn, denn höflichkeitshalber wird der erste Platz für den Kapitän freigehalten.
Aller Wahrscheinlichkeit nach lässt es sich nicht vermeiden, dass ich an Nate vorbeigehe. Ich warte, bis die letzten Kollegen aus dem Flughafengebäude kommen, und steige dann ein.
Sofort fange ich Nates Blick auf. Ich lächle und sage: »Hi«, so als hätten wir uns erst neulich gesehen, und gehe dann weiter nach hinten, ohne abzuwarten, ob er meinen Gruß erwidert. Ich setze mich neben Alex, einen der Jungs, mit denen ich in der Economy gearbeitet habe. Er hat eine Lesebrille aufgesetzt und ist gerade in sein Smartphone vertieft, trotzdem verwickle ich ihn in eine Unterhaltung. Ich brauche ihn als Statisten.
»Was hast du so vor?«
Alex blickt auf, sieht mich durch die Brille an und zuckt mit den Achseln. »Weiß noch nicht. Fitnessraum. Pool. Bar. Das Übliche.«
»Ich bin das erste Mal hier. Irgendwelche Tipps?«
Er lächelt. »Jede Menge. Wenn du später in der Bar dabei bist, gehe ich hinterher mit dir in einen wirklich irren Club. Wir können ja fragen, ob sonst noch jemand mit möchte, weil wir Tickets besorgen müssten. Oder du könntest dir eine Show anschauen, aber die können richtig teuer sein.«
»Danke.«
Er sieht wieder in sein Handy.
Ich hole meines ebenfalls heraus, aber zuvor wage ich noch einen verstohlenen Blick auf Nate. Er schaut nach vorn und unterhält sich mit niemandem.
Die Fahrt ist kurz – zu kurz –, und ich schlucke schwer, als ich aus dem Bus klettere. Trotzdem bleibe ich konzentriert und schnappe mir meinen kleinen Rollkoffer, während die Träger eilig die schwereren Koffer auf ihre Wagen laden, um die Auffahrt möglichst schnell wieder freizubekommen. Während die Crew und der Bordmanager sich ihre Zimmerschlüssel aushändigen lassen, bleibe ich etwas abseits am Rand der Lobby stehen und tue so, als würde ich eine Nachricht in mein
Handy tippen. Touristen in Ferienuniform – T-Shirts mit irgendwelchen Slogans darauf – flanieren zwischen förmlich gekleideten Geschäftsleuten und uniformierten Hotelangestellten durch die Lobby. Ich habe das Gefühl, dass Nate mich beobachtet, halte es aber für keine gute Idee, es nachzuprüfen.
Alex kommt zu mir und gibt mir seine Zimmernummer, dann stoßen ein paar Kollegen zu uns, und wir vereinbaren, uns am nächsten Tag um sechs in der Bar zu treffen.
»Ich muss die Tickets für den Club im Voraus buchen. Ich habe gerade nachgesehen, der DJ
wird als das nächste Riesending
vermarktet«, wobei er Zitathäkchen mit den Fingern macht. »Es wird also richtig voll werden.«
»Ich nehme zwei«, sage ich. »Eine Freundin von mir arbeitet auf dem Flug morgen.«
Auf diese Weise habe ich ein Ticket für Nate übrig, falls ich ihn überreden kann, mit uns zu kommen. Als ich an die Theke trete, um einzuchecken, sehe ich mich kurz um. Mein Magen sackt enttäuscht nach unten – ich bin die Letzte aus unserer Crew, die noch in der Lobby ist.
Nate ist verduftet.
»Könnte ich bitte zweihundert Dollar von meinem Crew-Konto abheben?«, frage ich die Frau hinter der Theke.
Ich war so damit beschäftigt, alles für diese Reise vorzubereiten, dass ich die einfachsten Dinge vergessen habe, wie zum Beispiel Geld zu einem vernünftigen Umtauschkurs zu wechseln.
»Natürlich.«
Sie zählt die zweihundert Dollar ab und schiebt sie dann in einen Umschlag, den sie mir mit einem freundlichen Lächeln überreicht.
Ich gehe zum Lift, drücke auf den Aufwärts-Pfeil und erwarte dabei immer noch halb, dass Nate neben mir auftaucht.
Sekunden, nachdem ich mein Zimmer betreten habe, klopft jemand
energisch an die Tür. Ich reiße sie auf.
»Koffer für Ms. Price«, sagt ein Gepäckträger und geht an mir vorbei. Mit einer Hand hebt er den tragbaren Kofferständer an und klappt ihn auf, dann legt er meinen Reisekoffer darauf ab.
Ich hole meinen Geldbeutel heraus und drücke ihm ein paar Dollarscheine in die Hand. »Danke.«
»Gern geschehen. Schönen Aufenthalt.«
Ich gehe ans Fenster, ziehe die Gardinen zurück und lasse die Stirn gegen das Glas sinken. Das Hotel steht vom Strip ein Stück zurückgesetzt, und mein Zimmer geht nach hinten. Unter mir sehe ich Gebäude, Straßen, Schilder – eine ganz gewöhnliche Stadt. Ich unterdrücke ein Gähnen, obwohl ich zu aufgedreht bin, um mich meiner Müdigkeit wirklich hinzugeben. Stattdessen fühle ich mich losgelöst und wie in Trance. Ich drehe mich um und beginne halbherzig auszupacken.
Mein Koffer ist ungewöhnlich voll, denn für gewöhnlich reise ich mit leerem Koffer los und komme voll bepackt zurück. Sorgfältig hänge ich meine Outfits auf, vor allem die Kleider. Ich halte eines davon gegen meine Brust und betrachte mich im Spiegel, in der Hoffnung, dass ich es immer noch genauso mag wie früher und es hier nicht anders wirkt. Ich lächle. Es ist immer noch perfekt. Das kornblumenblaue Unterkleid ist aus Seide, mit schlichter Spitze überzogen und endet knapp über dem Knie. Ich habe mehr dafür bezahlt als für irgendein anderes Outfit. Ich liebe es. Es hat einen runden, tiefen Ausschnitt, der gut mit einer schlichten Halskette harmoniert.
Ich beschließe zu duschen, um wieder wach zu werden. Wenn ich mich erst wieder frischer fühle, muss ich mir überlegen, wie ich mich Nate am besten nähern kann. Wahrscheinlich wird er heute Abend länger aufbleiben, denn er legt größten Wert darauf, »sich der Ortszeit anzupassen«. Aus Gesprächen mit Kollegen weiß ich, dass viele es ähnlich halten. Ich persönlich verstehe nicht, was das bringen soll. Es
stört mich nicht, wenn ich nachts oder frühmorgens wach bin, ich finde immer etwas, womit ich mich beschäftigen kann.
Ich trete ins Bad, ziehe den Vorhang vor und hantiere an den Duscharmaturen herum. Zu meinen kürzlich erworbenen Überlebensfähigkeiten zählt auch das Wissen, wie man in den verschiedenen Hotels die richtige Wassertemperatur einstellt, die von brühendheiß bis eiskalt schwanken kann. Während ich meine Haare shampooniere und damit das Haarspray und den Gestank der Bordküche auswasche, versuche ich, Nates vorige Nicht-Reaktion positiv umzudeuten. Das laute, altmodische Schrillen des Hoteltelefons reißt mich aus meinen Gedanken. Ich greife durch die Lücke zwischen Wand und Duschvorhang, ziehe den Hörer aus der Halterung und halte Arm und Kopf aus dem Wasserstrahl. Das Shampoo brennt in meinen zugekniffenen Augen.
»Hallo?«
Schweigen.
»Hallo?«
Ich taste mit der freien Hand nach der Armatur, drehe das Wasser ab und tatsche dann die Wand ab, bis ich eine Metallstange spüre. Im nächsten Moment bekomme ich ein weiches Handtuch zu fassen, reiße es vom Halter und tupfe mir die Augen ab.
»Elizabeth? Lily?«
Ein Freudenschub. »Nate?«
»Was ist da los? Ich hätte fast einen Herzanfall bekommen.«
Ich lächle. Er klingt nicht sauer.
»Entschuldige. Das wollte ich nicht. Ich hatte den Piloten schon beim Briefing gefragt, ob ich zur Landung nach vorn kommen dürfte. Dass du mitfliegst, habe ich erst mitbekommen, als ich deine Stimme über die Bordsprechanlage gehört habe.« Ich zittere. »Warte kurz. Ich muss schnell aus der Dusche steigen.« Ich klettere aus der Wanne, setze mich auf den Rand und wickle mich notdürftig in mein Handtuch, während
ich in der freien Hand immer noch den altmodischen Hörer halte. Das Brennen in meinen Augen lässt langsam nach. »Ich habe nach unserer Trennung deinen Rat befolgt und beschlossen, ganz neu anzufangen. Was Neues auszuprobieren. Aber weißt du was?«
»Was?«
»Die anderen Fluggesellschaften – insgesamt drei – haben mich alle abblitzen lassen.«
»Im Ernst?«
»Im Ernst. Bei der letzten bekam ich gesagt, ich wäre zu enthusiastisch. Wie kann eine Flugbegleiterin zu enthusiastisch sein?«
Er lacht.
Blanke Erleichterung durchflutet meine Adern, frische Hoffnung keimt. »Aber mal Spaß beiseite«, fahre ich fort, »ich habe natürlich an dich gedacht. Ich habe überlegt, ob ich dir Bescheid sagen soll, aber gleichzeitig wollte ich dir auch deinen Freiraum lassen. Du solltest dich nicht verpflichtet fühlen, mit mir in der Kantine Kaffee zu trinken oder so, bloß weil wir jetzt Kollegen sind.«
»Okaaay.« Er klingt, als würde er seine Emotionen filtern und verarbeiten. »Wie lange bist du schon dabei?«
Ich lächle. Meine Antwort beweist, dass ich durchaus in der Lage bin, ihm seinen kostbaren Freiraum
zu lassen.
»Sieben Monate.«
»Oh.« Es wird kurz still. »Gehst du heute noch an die Bar?«
»Nein, heute Abend nicht. Vielleicht morgen. Entschuldige nochmals, wenn ich dir einen Schreck eingejagt habe, aber vielleicht können wir uns ja irgendwann zusammensetzen und plaudern. Ich muss jetzt Schluss machen, mein Freund will gleich mit mir skypen.«
»Ach so. Klar. Natürlich. Ich will dich nicht aufhalten.«
Sobald ich den Hörer in die Halterung zurückgehängt habe, boxe ich in die Luft. Ich wette, das hat er nicht erwartet. Nein – wahrscheinlich hat er sich ausgemalt, ich würde vor seiner Tür knien und schluchzend
um Aufmerksamkeit betteln. Gut gelaunt steige ich wieder unter die Dusche und spüle das Shampoo aus.
Zweiundsiebzig Stunden; mehr Zeit habe ich nicht.
Hinterher wickle ich mich in einen Hotelbademantel. Er ist eher durchgestärkt als flauschig, aber er genügt den Anforderungen. Erst drehe ich die Klimaanlage herunter, dann setze ich mich an den Schreibtisch. Ich schlage den Hotelinformationsordner auf, nehme hinten zwei Blatt Briefpapier heraus und fange an zu kritzeln.
Elizabeth Goldsmith, Juliette Goldsmith, Elizabeth Juliette Goldsmith, Mrs. E.J. Goldsmith.
Miss Price, Miss Elizabeth Juliette Price.
Bis ich beschließe, im Spa anzurufen und für morgen Nachmittag mehrere Anwendungen zu buchen – darunter eine Pediküre und Maniküre –, ist mein Haar fast wieder trocken. Der Fön erledigt schnell den Rest, dann gestatte ich mir den Luxus zu schlafen.
Während ich langsam abdrifte, kann ich spüren, wie mich das ersehnte Vergessen umfängt, und lasse mich tief entspannt hineinsinken.
Ein Geräusch dringt in mein ungestörtes Glücksgefühl. Es ist Amelia. Ihre Sätze ergeben keinen Sinn, doch hin und wieder kann ich ein Wort aufschnappen, so wie »Verantwortungsgefühl«. Als würde ich von einer Wolke zur nächsten hüpfen, wechseln die Szenerien. Will und ich sind im Dorf, auf dem alten Kinderspielplatz mit der einen kleinen Rutsche, den beiden Babyschaukeln und dem Klettergerüst, das dringend einen frischen Anstrich bräuchte, vielleicht in einer leuchtenden Primärfarbe wie Sonnengelb. Ich schubse ihn an, und mal fürchtet er sich, mal ruft er fordernd: »Höher!«
Weiter hinten, über dem Zaun um den Spielplatz, kann ich die Hügel sehen, die das Dorf umgeben. Ich weiß, dass nicht weit dahinter die
Küste liegt. Ein Schrei holt mich abrupt zurück auf den Spielplatz. Will ist von der Schaukel gefallen. Keine Ahnung warum, aber irgendwas hat mich abgelenkt. Er hat sich beide Knie aufgeschürft. Amelia wird toben.
Bella kommt in einer Krankenschwesteruniform und mit einer Schachtel voller Pflaster auf den Spielplatz gelaufen. Ich merke, wie ungerecht ich mich behandelt fühle. Sie schimpft mit mir, weil ich ihn nicht beschützt habe. Hinter ihr nehme ich auf einmal einen Fluss wahr. Ich schubse Bella ins Wasser und schaue zu, wie eine Gruppe verdatterter Schwäne ihren dahintreibenden Leichnam umkreist.
Ich schrecke aus dem Schlaf. Im Zimmer ist es dunkel. Ich taste nach meinem Handy, um etwas Licht zu haben, während William, Amelia und Bella im Nichts ausbleichen. Ich schaue auf die Uhrzeit. Vier Uhr dreißig.
Vier Uhr dreißig wo? In welcher Zeitzone? Welchem Land?
Ich schließe die Augen. Der Spielplatz fühlte sich so real an. Ich schalte das Nachtlicht an und greife nach der Wasserflasche. Ich trinke in großen, tiefen Schlucken, etwas Wasser läuft an meinem Kinn herunter, Tropfen klatschen auf mein Pyjama-Oberteil. Meine Glieder sind schwer, doch ich zwinge mich aus dem Bett, widerstehe dem Drang, mich in den Park meines Traumes zurücksacken zu lassen, wo keine – realen – Probleme existieren.
Ich bestelle Frühstück beim Zimmerservice – ein Omelett und eine Stempelkanne mit starkem Kaffee –, bevor ich beschließe, schwimmen zu gehen.
Der Pool ist leer bis auf ein älteres Paar, das langsam seine Bahnen zieht. Ich tauche ein und spüre, wie mich der stechende Chlorgeruch in der Nase juckt, während ich meine Arme bewege und damit meinen Körper voranbringe. Kurz hole ich Luft, dann tauche ich wieder unter. Ich fordere mich richtig, mehr, als ich mir seit Langem zugemutet habe. Irgendwann ziehe ich mich am Beckenrand hoch. Die Füße im Wasser, schließe ich die Augen und schaudere leicht, während ich im
Kopf die nächsten Tage durchgehe.
Es ist ganz entscheidend, dass ich mein Blatt richtig ausspiele.
Wieder auf meinem Zimmer, zwinge ich mich zur Ruhe – ich werde meine ganze Energie brauchen – und liege auf dem Bett, während im Hintergrund der Fernseher läuft. Über dem Geräusch von Polizeisirenen, Gelächter und Reklame treibe ich im Halbschlaf dahin. Worte und Geräusche vermischen sich in meinem Bewusstsein, vermengen Realität und Fiktion.
Als der Wecker klingelt, setze ich mich benommen und desorientiert auf.
Selbst nach der Dusche fühle ich mich wie erschlagen, trotzdem zwinge ich mich, den Laptop aufzuklappen und mich an die Arbeit zu machen, meine Pläne anzupassen und ein weiteres Mal zu überprüfen, dass ich nichts vergessen habe. Ich will das Schicksal nicht auf die Probe stellen, aber ich kann einfach nicht ignorieren, dass manche Dinge Vorbereitung brauchen, dass sich nicht alles spontan und organisch ergeben kann.
Zufrieden, dass ich alles in meiner Macht getan habe, verkrieche ich mich im Spa. Ich nehme den angebotenen Kräutertee an, und der warme Duft nach Zimt und Ingwer beruhigt mich tatsächlich. Nach der Maniküre und Gesichtsmassage sitze ich im Friseursalon und gebe mir alle Mühe, nicht zu zappeln, während mein Make-up aufgetragen und mein Haar gefönt wird. Ich bitte die Stylistin, die Spitzen zu wellen, so wie es Nate gefällt.
Als ich die Keycard ins Schloss schiebe und mein Zimmer betrete, beginnt mein Herz voller Vorfreude zu klopfen, weil das rote Nachrichtenlicht am Hoteltelefon blinkt. Ich nehme den Hörer ab und drücke die Sieben – wie es die Automatenstimme verlangt –, um die Nachricht abzuhören, doch meine Freude versiegt sofort wieder, als
ich nicht Nates Stimme höre.
Es ist Alex. »Hi, wollte dir nur Bescheid sagen, dass wir uns ein bisschen später treffen. Es wird eher sieben werden.«
Damit muss ich eine zusätzliche Stunde ausfüllen.
Ich ziehe mich an. Ich entscheide mich nicht für mein Lieblingskleid, sondern ein schlichtes schwarzes Etuikleid. Es endet ebenfalls über dem Knie, sitzt aber lockerer. Es ist die Art von Kleid, das zu jedem Anlass passt, ob elegant oder eher casual. Ich lege einen silbernen, herzförmigen Anhänger an, der genau kurz oberhalb meines Dekolletés zu liegen kommt. Zuletzt steige ich in blassviolette, an den Fersen offene Pumps. Ich trete zurück und schaue in den Spiegel. Die Stylistinnen haben ganze Arbeit geleistet. Nachdem ich eine schlichte schwarze Jacke übergestreift habe, greife ich zum Hoteltelefon.
»Können Sie mir bitte die Zimmernummer von Nathan Goldsmith sagen?«
»Lassen Sie mich kurz in der Crew-Liste nachsehen«, antwortet die Männerstimme. »Möchten Sie gleich verbunden werden?«
»Nein, danke. Nur die Zimmernummer, bitte.«
»Siebenhundertzweiundachtzig.«
Ich lege den Hörer auf und prüfe ein letztes Mal mein Spiegelbild, bevor ich meine Clutch nehme und aus dem Zimmer gehe.
Die Tür fällt mit einem leisen Klicken hinter mir ins Schloss, während der mit Teppich ausgelegte Korridor meine Schritte verschluckt. Die Liftglocke schlägt an, die Türen öffnen sich schaudernd. Ich trete ein und drücke auf die Sieben. Mein Mund ist trocken, doch ich widerstehe dem Drang, auf dem Absatz kehrtzumachen.
Vor Zimmer 782 bleibe ich stehen und lausche. Der Fernseher läuft, ich höre Gelächter aus der Konserve.
Nach einem letzten tiefen Atemzug klopfe ich an.