15
Ich höre, wie etwas auf einer harten Oberfläche abgestellt wird. Die Tür geht auf, und Nate starrt mich an.
»Hi.«
»Hi. Kann ich kurz reinkommen?«
Er tritt zur Seite, um mich hereinzulassen. »Ja. Ja, natürlich.«
»In der Arbeit kennen mich alle als Juliette«, erkläre ich ihm im Vorbeigehen. »Ich verwende jetzt meinen zweiten Vornamen.«
»Juliette?« Er verstummt, als müsste er darüber nachdenken.
Ich drehe den Schreibtischstuhl zum Zimmer und setze mich. Das Bett wäre zu vertraulich, zu intim. Er muss sich sicher fühlen; er muss hundertprozentig überzeugt sein, dass er mir vertrauen kann, jetzt, wo ich ihm gerade erst bewiesen habe, dass meine Gefühle für ihn verpufft sind.
»Alex aus der Economy hat eben angerufen und mir ausgerichtet, dass wir uns ein bisschen später treffen, darum hatte ich noch Zeit totzuschlagen. Und ich dachte, es wäre vielleicht ganz gut, wenn wir uns kurz vorher unterhalten – persönlich –, bevor wir die anderen treffen.«
»Richtig, gut«, sagt er und sinkt mir gegenüber aufs Bett. »Möchtest du was trinken? Ich habe Wein hier.«
»Ach ja, danke.«
Ich schaue zu, wie er zwei Miniflaschen Rotwein herausholt. Ich drehe mich um und strecke die Hand nach den Gläsern neben dem Wasserkocher aus. Erst entferne ich die Plastikfolien, dann stelle ich sie richtig herum auf. Nate schenkt ein. Seine Hand zittert leicht dabei.
»Prost!«, wünschen wir uns und heben gleichzeitig das Glas, während er sich wieder mir gegenübersetzt.
Ich nehme einen Schluck. Plötzlich weiß ich nicht mehr weiter.
»Ich hätte wirklich niemals damit gerechnet, dich hier in Vegas zu treffen.«
»Ich weiß«, stimme ich ihm lachend zu. »Das ist alles ein bisschen surreal. Was hast du die ganze Zeit über getrieben?«
»Das Übliche. Ich war unterwegs. Zu Hause. Wieder unterwegs.«
Ich lächle. »Du hattest übrigens ganz recht, was Reading angeht. Meine Nachbarn sind toll, wir unternehmen viel zusammen. Im Grunde habe ich es dir zu verdanken, dass ich meinem Neuen begegnet bin, er wohnt nur zwei Türen weiter. Ich habe das WLAN nicht zum Laufen bekommen, und er hat angeboten, mir zu helfen. Wir stehen natürlich noch ganz am Anfang …« Ich breche ab. »Entschuldige, ich plappere. Ich bin nervös.« Ich nehme einen Schluck Wein; er schmeckt bitter.
»Nein, gar nicht. Ich bin froh, dass du glücklich bist. Schön für dich.«
»Danke.« Ich schaue auf die Uhr. »Ich gehe gleich runter in die Bar. Alex kennt einen tollen Club für später.«
»Hast du sonst noch Pläne, während du hier bist?«
»Na ja, ich war ja noch nie in Vegas, da gäbe es natürlich eine Menge. Den heutigen Tag habe ich abgeschrieben, ich war so müde. Inzwischen verstehe ich viel besser, wie das für dich gewesen sein muss. Vor allem, wenn du von einem Flug zurückkamst und ich da war. Kein Wunder, dass du mich nach Reading abgeschoben hast – wahrscheinlich brauchtest du einfach etwas Ruhe und Frieden.«
Er rutscht verlegen auf dem Bett herum. »So war es nicht.«
Ich lächle immer noch. »War nur Spaß. Jedenfalls kannst du mir jetzt, wo wir das geklärt haben, einen Kaffee spendieren, falls wir uns irgendwann noch mal über den Weg laufen.«
»Sicher.«
»Es tut mir leid«, sage ich. »Was damals gelaufen ist. Ich wollte wirklich zu viel zu früh. Du hattest recht. Es lief einfach so gut zwischen uns, dass ich jedes Maß verloren hatte.«
»Es war gut«, gibt er zu. »Größtenteils.«
Was bleibt ihm auch übrig, er kann kaum etwas anderes sagen. Die Wahrheit lässt sich nicht leugnen, und ich war es, die damals alles vermasselt hat. Ich habe bei unserer Beziehung allzu sehr aufs Tempo gedrückt und nicht begriffen, dass man ab und zu vom Gas gehen muss. Inzwischen ist mir das sonnenklar.
»Es war ganz richtig, einen Gang zurückzuschalten. Danke für den Drink.« Ich stelle mein Glas ab. Es ist noch fast voll, aber ich bringe keinen Schluck mehr herunter. »Ich muss los, die anderen treffen. Habt ihr auch irgendwelche Pläne?«
»Barry hat hier Verwandte, also nein, und der dritte Pilot will morgen ganz früh los auf eine Tour zum Grand Canyon.«
»Du kannst ja mit uns kommen, wenn du willst«, schlage ich ihm vor.
»Ich hatte überlegt, später in die Bar zu gehen.«
»Dann sehen wir uns vielleicht später.« Ich stehe auf. »Falls nicht, dann spätestens beim Pick-up.«
»Weißt du was?«, meint er. »Vielleicht komme ich tatsächlich mit, ich müsste mich nur schnell umziehen. Vor allem, wenn wir noch ausgehen wollen. Du hast dich ja schon in Schale geworfen.«
Ich zucke mit den Achseln. »Nicht wirklich. Ich weiß beim besten Willen nicht, was ich hier anziehen soll. Draußen ist es glühend heiß und drinnen eisig, weil die Klimaanlagen so hochgefahren werden.«
»Du hast eine neue Frisur«, stellt er fest. »Steht dir.«
Mein Herz schlägt schneller. Kaum erscheine ich unerreichbar, zeigt sich wieder der alte Nate. Er zerrt sein legeres T-Shirt über den Kopf und holt ein eleganteres aus dem Koffer. Ich tue so, als würde ich wegsehen, aber ich kann ihn im Spiegel beobachten.
Draußen gehen wir nebeneinander zum Lift. Ich könnte ohne Weiteres meine Hand in seine schieben oder den Arm um ihn legen, aber ich schaue voraus. Als der Aufzug kommt, ist er fast voll, darum müssen wir uns getrennt voneinander zwischen mehrere holländische Touristen und eine Familie mit drei Jungen quetschen. Wir warten stumm ab, treten dann in die Lobby und gehen rüber in die Bar.
In der Bar angekommen, verschlagen mir Licht und Lärm für eine Sekunde den Atem. Nirgendwo entkommt man hier den Geldautomaten. Ich kneife die Augen zusammen und erspähe Alex zusammen mit ein paar anderen, was nicht immer leicht ist, schließlich sehen viele Männer ohne ihre Uniform ganz anders aus. Ich entdecke einen freien Hocker an seiner Seite und bestelle bei der Kellnerin ein Soda.
Dann wende ich mich Alex zu. Ich bekomme mit, dass Nate mit Joanna plaudert, einer Kollegin vom Oberdeck. Alex und ich werden in ein Gespräch über den Job verwickelt, es geht um die unpopuläre Umstellung der Service-Abläufe an Bord, Kopfgeburt einiger Bürohengste, die nie das Vergnügen hatten, in einem engen Flugzeuggang Menschen zu bedienen. Ich beteilige mich zum Schein, nicke und stimme hin und wieder zu, doch währenddessen versuche ich, Nate zu belauschen.
»Was ist jetzt mit diesem Club?«, frage ich Alex irgendwann. »Ich will nicht mehr über die Arbeit quatschen.«
»Hast du Lust, vorher noch was zu essen? Es gibt im selben Hotel wie dem Club noch einen Vietnamesen mit fantastischen Nudelgerichten.«
»Perfekt. Ach übrigens, ich hätte noch ein Ticket übrig. Meine Freundin ist doch nicht gekommen, sie hatte sich verspätet und wurde jetzt nach Hongkong geschickt.«
Ich verschwinde auf die Damentoilette, während Alex mit den übrigen aus der Gruppe den weiteren Ablauf klärt. Nate soll auf keinen Fall irgendwelche unterbewussten Signale auffangen, wie sehr ich mir wünsche, dass er mitkommt – und hoffentlich wird Alex ihm mein »überzähliges« Ticket anbieten, sodass mir das erspart bleibt.
Bei meiner Rückkehr ist die Gruppe schon auf dem Weg in die Lobby, und Alex organisiert bei den Portiers Taxis für alle. Nachdem wir die Drehtüren passiert haben, halte ich mich dezent im Hintergrund, während vier von uns ins erste Taxi klettern, sodass ich mit Alex, Nate und Joanna zurückbleibe. Ein zweites Taxi fährt vor.
»Stört es euch, wenn ich vorne sitze?«, fragt Joanna. »Mir wird im Auto leicht schlecht.«
Niemand hat was dagegen. Nate geht hinter dem Taxi herum, zieht die Hecktür hinter dem Fahrersitz auf und steigt ein. Ich rutsche in die Mitte, Alex sitzt rechts von mir. Ich klemme zwischen den beiden und spüre Nates Oberschenkel an meinem.
Ich kann kaum atmen.
Wir biegen auf den Strip, und sofort bin ich wieder erschlagen vom Verkehr, den Neonlichtern und vielen Schildern. Als wir am hell erleuchteten Bellagio Fountains vorbeifahren, würde ich zu gern Nates Hand nehmen. Vielleicht würde er das sogar zulassen; er schaut aus dem Fenster, und seine Körperhaltung und Miene wirken völlig entspannt. Stattdessen wende ich mich an Alex, während unser Fahrer einen riesigen schwarzen Pick-up überholt, der mit einem erbosten Hupen protestiert.
»Offenbar gibt es auch hier kein Vergnügen umsonst.« Ich deute auf die Werbetafeln für Strafrechtsanwälte und Kautionsbüros und ignoriere dabei die leise Gänsehaut, die mich überläuft, wenn ich an die von Michele Bianchi besorgten Pillen denke, die ich in einem Fläschchen für Vitamintabletten aufbewahre.
»Ja, kann ich mir vorstellen.«
Wir halten vor einem weiteren Hotel, das genauso aussieht wie unseres. Der Rest der Gruppe ist bereits aus dem ersten Taxi gestiegen und wartet unten an der Treppe. Nate, ich, Alex und Joanna wühlen in den Taschen nach Dollarscheinen, doch Alex bezahlt das Taxi.
»Spendiert mir später was zu trinken«, wehrt er unsere angebotenen Scheine ab.
Als wir an unseren Tisch geführt werden, setze ich mich neben Alex und lasse mich von ihm bei der Auswahl der Gerichte beraten. Nate sitzt uns gegenüber. Wir ordern Bier, während alle anderen zuhören, wie der Kellner die Sonderangebote herunterrasselt. Als Vorspeise bestellen wir Sommerrollen für alle, danach entscheide ich mich für ein Kokoscurry mit Tofu, Nate für eine scharfe Nudelsuppe. Alex gibt eine Anekdote über seinen letzten Besuch in diesem Club zum Besten. Eines der Mädchen aus seiner Crew war so blau, dass sie überall im Club Fremde anbettelte, sie zu heiraten, bevor sie von ihrem Kabinenchef ins Hotel gebracht werden musste – die Security drohte damit, die ganze Gruppe rauszuwerfen.
Das setzt einen lebhaften Austausch über ähnliche Erlebnisse in Gang, eines schlimmer als das andere. Niemand gibt zu, die Hauptperson gewesen zu sein, doch allen Geschichten ist gemeinsam, dass sie hauptsächlich von Alkohol und Jetlag beflügelt wurden, oder auch dem Bedürfnis, nach der Enge zu Hause einmal richtig die Sau rauszulassen.
Inzwischen ist mir klar geworden, dass dieser Job – für viele ein Kindheitstraum – etwas sehr Einsames hat, auch wenn ihn die meisten von uns lieben und die damit einhergehende Unbeständigkeit schätzen. Zu meiner Überraschung habe ich erfahren, dass Suizide zwar nicht gerade häufig sind, aber durchaus vorkommen. Und meist unterwegs, wo alle Probleme, weit entfernt von allen Freunden und Verwandten, wie unter einer Lupe ziemlich groß erscheinen können. Ich lasse den Blick um den Tisch wandern – alle wirken entspannt, lachen, trinken, essen, schwatzen. Für einen unbeteiligten Beobachter könnten wir wie eine Feriengruppe aussehen. Dabei kenne ich keinen einzigen dieser Menschen, abgesehen von Nate, versteht sich. Den anderen bin ich erst vor sechsunddreißig Stunden begegnet, und viele von ihnen – wenn nicht alle – werde ich nie wiedersehen. Geheimnisse werden offenbart, Erfahrungen geteilt, doch die meisten dieser zarten Bande werden sich in Luft auflösen, sobald das Flugzeug in Heathrow aufsetzt.
Die strengen Mails und Newsletter aus dem »Office« erwecken den allgemeinen Eindruck, dass das fliegende Personal »ein lockeres Leben« führt. Rio in der einen Woche; Sydney in der nächsten. Dem Anschein nach ein Traum. Doch obwohl es auf den ersten Blick ein Leichtes zu sein scheint, sich wie eine Spielfigur quer über den Globus verschieben zu lassen, höre ich auf jedem Flug neue Leidensgeschichten. Das fliegende Personal hat die gleichen Probleme wie alle Menschen und muss zu allem anderen noch mit der unterschwelligen Bedrohung durch den wachsenden Terrorismus leben. Außerdem habe ich erfahren, dass unter den Frauen Unfruchtbarkeit ein weit verbreitetes Problem ist. Und es existiert ein Mythos, dass Piloten hauptsächlich Mädchen zeugen.
Ich sehe zu Nate hinüber.
Er fängt meinen Blick auf und lächelt. Das Lächeln erreicht seine Augen; es bilden sich Fältchen in den Winkeln.
Ich lege meine Gabel ab; ich bringe keinen Bissen mehr herunter. Stattdessen hole ich mein Handy aus der Tasche, schaue darauf und lächle über eine angebliche Nachricht. »Entschuldigt mich«, sage ich zum ganzen Tisch und verschwinde nach draußen.
Draußen ist es zwar glühend heiß, aber ich muss mich von meiner eigenen Gefühlswelt erholen. Ich lasse mir ein paar Minuten Zeit, um mich wieder zu sammeln, bevor ich wieder hineingehe.
Der Club ist nicht von dieser Welt. Wirklich. Mir fällt keine bessere Beschreibung dafür ein. Es ist, als würde alles außerhalb dieses Raumes aufhören zu existieren. Der extrem angesagte DJ ist kaum zu sehen – ein dunkler, Kopfhörer tragender Schatten, hoch über der Menge thronend, zum Halbgott erhoben. Seine Verehrer tanzen mit erhobenen Händen unter den LED -Lichtern. Musik pulsiert durch meinen Körper.
»Ich hole dir was zu trinken«, schreie ich in Alex’ Ohr. »Was willst du?«
»Wodka, pur bitte«, brüllt er zurück.
Wir drängen uns um die Bar, umgeben von mehreren Podesten, auf denen sich Tänzerinnen winden. Die flatternden, hüpfenden Kostüme schimmern golden, silbern, schwarz. Ich bestelle eine Runde Wodka, und während wir alle bis drei zählen, um ihn gleichzeitig zu kippen, blitzen in meinem Kopf Alans Worte während meines ersten Flugs nach Los Angeles auf – dass ich mich schon bald an den Alkohol gewöhnen würde. Alkoholismus ist ein weiteres Problem unter dem fliegenden Personal, das ziemlich verbreitet ist.
Ich muss an eine Geschichte denken, die vorhin am Tisch erzählt wurde – von einem Kollegen, der entlassen wurde, weil er das Spendengeld, das am Ende eines jeden Fluges gesammelt wird, nicht abgegeben hatte. Er wurde wegen Diebstahls angeklagt – er hatte mehrere tausend Pfund unterschlagen, auch durch den Verkauf von zollfreien Waren –, und anfangs kursierten Gerüchte, dass er ein starker Trinker wäre. Doch während der Verhandlung stellte sich heraus, dass sein leicht autistischer Sohn in der Schule gemobbt wurde und er ihn um jeden Preis in eine Privatschule stecken wollte. Ich war dem Mann zwar nie begegnet, trotzdem tat er mir leid. Wenigstens versuchte er, seinem Sohn zu helfen. Ich bezweifle, dass er bei solchen Ausflügen mitgemacht hätte. Ich wette, bei ihm war Schmalhans der Küchenmeister – wahrscheinlich brachte er sich was von zu Hause mit und aß es auf seinem Zimmer.
»Komm, wir tanzen.« Alex nimmt mich bei der Hand, und wir mischen uns unter die Menge auf der großen Tanzfläche.
Ich nehme die anderen um uns herum wahr – darunter auch Nate –, doch zum ersten Mal seit langer, langer Zeit bin ich so ausgelassen, so abgelenkt, dass ich nicht fortwährend mein Verhalten und meine Gedanken kontrolliere, nur weil ich einen guten Eindruck auf Nate machen will.
Als ich auf die Uhr sehe, begreife ich erschrocken, dass es schon nach ein Uhr ist, also neun Uhr zu Hause. Ich schleiche mich davon, raus auf den Balkon. Die Hitze hat nachgelassen, einen Hauch wenigstens. Ich schaue auf das hell erleuchtete Panorama und frage mich, wie viele Menschen sich in diesem Moment wohl amüsieren und wie viele mit gebrochenem Herzen oder tiefer Enttäuschung fertigwerden müssen. Ich schaudere. Offenbar setzt die Müdigkeit ein.
»Fantastisch, nicht wahr?« Nates Stimme.
Er erscheint neben mir.
»Warst du schon mal hier?«, frage ich.
»Hier nicht, nein. Was hat dein Freund dir vorhin geschrieben?«
Ich richte den Blick auf ein rosa angestrahltes Hochhaus direkt vor uns. »Dass er mich vermisst.« Ich drehe mich zu ihm. »Hast du zurzeit jemanden?«
»Eigentlich nicht. Bis vor Kurzem war da jemand. Sie ist auch Pilotin, aber irgendwie hat es nicht hingehauen.«
»Das tut mir leid.« Ich nehme seine Hand, denn in diesem Moment schallt ein Lied, das ich kenne, durch die Türen. »Ich liebe den Song. Komm, wir gehen wieder rein.«
Wir tanzen das gesamte Stück durch. Nate wirkt entspannt. Ich bin glücklich, aber gefasst. Ich frage mich, ob dies einer der Momente in meinem Leben ist. Einer jener Momente, bei denen man erst rückblickend erkennt, wie schön sie wirklich waren. Würden mir diese besonderen Augenblicke im Leben doch irgendwie im Voraus angezeigt, damit ich Bescheid weiß. Immer wenn ich an die gemeinsamen Monate mit Nate zurückdenke, wünsche ich mir, ich hätte die Zeit genossen und mir weniger den Kopf über alltägliche Dinge zerbrochen – was ich abends kochen sollte oder ob sein Flugzeug abstürzen und mich zur Freundinnen-Witwe machen könnte, bevor wir überhaupt die Gelegenheit bekommen hätten zu heiraten. Ich sehnte mich so nach Stabilität, dass ich kaum je entspannen konnte.
Inzwischen kenne ich die Antwort, ich weiß genau, dass sich unsere Beziehung schnell enorm vertiefen wird, wenn ich nur mehr Sicherheit und Bestätigung aus seiner Nähe ziehen kann. All diese rationalen Überlegungen machen mir klar, dass es der perfekte Augenblick ist, mich zu verabschieden. Ich muss wie Aschenputtel gehen, solange er noch mehr von mir möchte.
»Mir reicht es für heute«, rufe ich ihm ins Ohr. »Entschuldige mich bei den anderen. Ich erwarte noch einen Anruf von Matt.«
»Ich komme mit raus und besorge dir ein Taxi.«
»Nein, nicht nötig, danke. Bleib nur und amüsier dich!«, beharre ich.
Genau das habe ich gemeint. Er glaubt, dass er mich nicht will, doch seine Reaktion beweist, dass er es sehr wohl tut. Jetzt liegt es allein an mir, ihm zu helfen, dass er sich seinen Gefühlen öffnet, damit diese endlosen widersprüchlichen Botschaften aufhören. Ihn abzuweisen wird schwerer als alles, was ich bisher bewerkstelligt habe, aber ich habe keine Wahl.
Dieses Mal ist mir bewusst, dass eine Langstrecke vor uns liegt.