17
Nachdem Nate und ich Arm in Arm über die Piazza San Marco geschlendert sind, sitzen wir uns jetzt in einem Restaurant am Rand eines Kanals gegenüber und essen marinierte Shrimps. Eine Gondel gleitet vorbei. Ich greife nach meinem Glas und nehme einen Schluck Weißwein. Als der Kellner am Tisch hinter uns die Vorspeise serviert, schnappe ich über dem schwachen Chlorgeruch eine Knoblauchschwade auf. Ich gestatte mir ein leises Glücksgefühl. Ich fühle mich, als wäre ich kurz davor, endlich das Leben zu führen, das ich verdiene.
Das Gespräch plätschert dahin, wie von selbst. Auch er ist glücklich. Das hat er mehr oder weniger zugegeben, als er vor ein paar Minuten gestand, wie froh er ist, dass ich ihn zu diesem Ausflug überredet habe.
Unsere Vorspeisen werden abgeräumt, und das Eis im Kübel knirscht, als der Kellner die Flasche herauszieht, um unsere Gläser nachzufüllen.
»Ich mag gar nicht daran denken, was uns das alles kostet«, sorgt sich Nate.
»Dann lass es. Der ganze Abend geht auf mich. Als Dankeschön.«
»Dankeschön?«
»Ja. Du warst wirklich anständig, als wir uns trennten, schließlich hast du die Miete übernommen und mich nicht einfach hängen lassen. Entschuldige noch mal, dass ich das damals so schlecht aufgenommen habe. Ich war völlig durcheinander. Jetzt, wo mein Leben wieder im Gleis ist, ist mir natürlich klar, wie ich damals hätte reagieren sollen.«
»Na ja. Dito. Schnee von gestern.«
Wie der Umgebung angemessen, tun wir das Thema mit einem Lachen ab.
»Wie fandest du den Club gestern Abend?«
»Unglaublich«, antwortet er. »Wenn ich bisher in Vegas war, habe ich immer nur Tagesausflüge unternommen. Zum Grand Canyon oder so. Ich war zwar in ein paar bekannten Restaurants und hiesigen Sehenswürdigkeiten, aber gestern Abend war wirklich lustig.«
Wir verstummen beide.
Mir geht durch den Sinn, wie abgeschnitten von der ganzen Welt wir hier sind und dass uns die Realität schon bald wieder auseinanderreißen wird. Auch darum ist dieser Abend so wichtig. Der Verlauf dieses Abends wird enorme Auswirkungen auf meine Zukunft haben.
Nein, auf unsere Zukunft.
»Ich weiß nicht, wie wir den gestrigen Abend noch schlagen könnten«, sage ich in die Stille zwischen uns, »ich war so wahnsinnig gut drauf. Ich habe tatsächlich nach Tickets für eine Show heute Abend Ausschau gehalten, aber alles, was sich gut anhörte, war entweder ausverkauft oder unverschämt teuer.«
»Es ist doch schön hier. Soll es hier nicht Straßenkünstler geben? Und ich kann mich an einen Dokumentarfilm über Michael Jackson erinnern. Er kam zum Shoppen hierher, und die Shops hier waren wie Aladins Schatztruhe.«
Ich muss lachen. »Shoppen? Du?«
Er lacht ebenfalls. »Auch wahr. Wohl eher nicht.«
»Wenn du mich fragst, sollten wir später hoch in eine der Bars gehen und den Ausblick auf dieses Venedig hier genießen, so als Vorgeschmack. Ich würde zu gern mal in das echte reisen.«
Ich beuge mich vor und schenke uns Wein nach.
Mir einen Schluck, Nate ein halbes Glas.
Ich lenke ihn ab, indem ich ihn auf einen unsicher aussehenden Gondoliere aufmerksam mache, der sich wacklig einer weißen Brücke nähert, während über uns die Oberlichter langsam dunkler werden und die heranrückende Nacht draußen erahnen lassen.
In der Bar bestehe ich auf Kir Royal mit extra viel Cassis, obwohl Nate halbherzig etwas von »morgen fliegen« brummelt. Zwar sitzen wir mitten im Raum, haben also nicht viel Ausblick, doch die Bar selbst mit ihren hohen Decken und opulenten Verzierungen in Schwarz-, Gold- und Silberschattierungen ist durchaus sehenswert. An der Theke vor den dunklen, verspiegelten Regalen, in denen Hunderte Weingläser, Champagnerflöten und grellbunte Flaschen stehen, mixen die Barkeeper ihre Drinks, wobei sie sich trotz der Enge geschickt aus dem Weg gehen.
»Es wird bei dem einen Glas bleiben«, versichere ich ihm lächelnd. »Außerdem fangen wir erst abends an zu arbeiten, also entspann dich.«
Als Nate aufsteht, um auf die Toilette zu gehen, sehe ich mich kurz um. In der Bar ist es relativ dunkel, und niemand nimmt Notiz von mir. Ich beuge mich zu meiner Tasche hinunter, hole eine Tablette heraus, halte mein Glas unter den Tisch und lasse die Pille hineinfallen. Mit einem Cocktailstäbchen rühre ich um. Danach nehme ich Nates Kir Royal und vertausche unsere Gläser. Als er zurückkehrt und an unseren Tisch tritt, hole ich tief Luft.
»Ich muss dir was gestehen«, sage ich und nehme einen Schluck, ohne ihm dabei in die Augen zu sehen.
»Nur zu«, sagt er.
Ich sehe auf. Seit der Erfahrung mit Katie habe ich mich über Drogen schlaugemacht und weiß jetzt, dass die Dosis das Gift macht. Es kann eine halbe Stunde dauern, bis das Rohypnol zu wirken beginnt, aber ab sofort muss ich seinen Alkoholkonsum überwachen, sonst könnte alles schrecklich aus dem Ruder laufen.
»Jackson kommt in Kürze zurück. Ich habe ihn gebeten, uns auf eine Tour mitzunehmen. Ich dachte, es wäre schön, so ganz gemütlich Sightseeing zu machen. Ich amüsiere mich so gut, ich will nicht, dass dieser Abend schon zu Ende geht. Als Nächstes stehen mir vier Tage Riad bevor, das heißt kein Fitnessraum, kein Pool, wahrscheinlich keine Treffen mit der Crew – höchstens irgendwo in einem Café mit einem abgeteilten Familienbereich, soweit ich gehört habe – und ich stecke in meinem Zimmer fest, wo mir nur der BBC World Service Gesellschaft leistet.«
»So schlimm ist es auch wieder nicht; es gibt auch andere Kanäle.« Er grinst. »Aber du hast recht, was diesen Abend angeht, ich finde ihn auch ausgesprochen nett«, sagt er. »Lass uns das machen.«
Ich nehme seine Antwort als Zeichen dafür, dass er für alles offen ist, und schaue stumm zu, wie er sein Glas leert. Ich trinke nur noch einen kleinen Schluck, denn ich muss alles unter Kontrolle behalten.
»Können wir die längste Route fahren, bitte?«, frage ich Jackson, als wir die golden strahlenden Lichter des Venetian hinter uns lassen.
»Sicher doch.«
Unsere Champagnervorräte wurden aufgefrischt, eine neue Flasche steckt im Kübel, was Nate nicht einmal zu bemerken scheint. Die Surrealität des Abends wirkt hypnotisch; ich spüre Vorfreude und extreme Spannung. Ich rutsche neben ihn und deute auf einen Wolkenkratzer.
»Der Stratosphere Tower«, erklärt er.
Unsere Schenkel berühren sich.
Nate dreht sich zu mir.
Ich stelle mein Glas ab, nehme ihm seines aus der Hand und stelle es in den Halter auf der Seite, dann beuge ich mich vor.
Wir küssen uns.
Es ist wie beim ersten Mal, nur besser und noch traumhafter, denn diesmal habe ich mich so lange danach verzehrt, dass jede einzelne qualvolle Sekunde des Wartens augenblicklich wie ausgelöscht ist. Der atemberaubende Duft seines Aftershaves berauscht mich, ich werde übermütig.
Die Limo hält an. Ich setze mich wieder auf. Ich muss die richtigen Worte finden, doch was ich sagen will, fliegt mir wild durcheinander durch den Kopf. Ich schaue aus dem Fenster. Erleichterung überflutet mich. Wir stehen nur an einer Ampel, wir sind noch nicht dort. Der Wagen fährt wieder an. Ich habe die Orientierung verloren, ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit mir bleibt, bis wir unser erstes Ziel erreichen. Ich hoffe, dass ich mich nicht versehentlich selbst unter Drogen gesetzt habe. Ich denke nach. Nein, ich habe hundertprozentig unsere Gläser vertauscht.
Ich wende mich wieder Nate zu. »Ich habe eine Idee. Sie klingt ein bisschen verrückt, aber hör sie dir trotzdem erst einmal an.«
»Du hast einen Bungeesprung von einem Wolkenkratzer arrangiert.«
»Nicht ganz.«
Sein Atem geht schwer, sein Gesicht ist gerötet. Seine Augen strahlen. Ich habe Nate nur wenige Male richtig betrunken gesehen, und das war gewöhnlich, wenn er mit seinen Freunden von der Uni loszog. Er starrt mich an, als würde er mir aufmerksam zuhören. Er wirkt ein bisschen neben der Spur, sein Lächeln erscheint ein bisschen leer. Angenehm gefügig. Im Moment könnte ich ihm vermutlich alles erzählen und alles mit ihm machen, ohne dass er etwas davon mitbekommen würde.
»Zur Tour gehört auch die Little White Chapel. Da gibt es einen ›Tunnel of Love‹, durch den man fahren kann. Komm, wir treiben das Vegas-Erlebnis auf die Spitze.«
»Und heiraten?«
»Warum denn nicht? Bestimmt lassen sich hier dauernd Menschen dazu hinreißen, es muss also irgendwelche Annullierungsfristen oder …«, ich suche nach dem richtigen Wort, »Absicherungen geben«, platzt es aus mir heraus. »Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas. Sagen das deine Kollegen nicht immer? Das hast du mir selbst mal erzählt.«
»Das ist bloß Gequatsche.« Er wird still.
Ich schenke ihm ein möglichst verständnisvolles Lächeln, bevor ich mich vorbeuge und Jackson durch die Sprechanlage frage: »Könnten wir bitte etwas Musik haben?«
»Sicher? Was hätten Sie denn gern?«
»Suchen Sie was aus. Was Fröhliches. Und Lautes.«
Er leistet meinem Wunsch Folge, nicht nur mit Musik, sondern auch mit blinkenden Discolichtern. Wir müssen beide loslachen und stoßen noch mal an.
»Wir sollten lieber ein bisschen vom Gas gehen«, sage ich, während er einen Schluck nimmt. »Wir haben heute Abend ganz schön was getrunken.«
Nate grinst, als könnte ihm nichts je wieder Sorgen machen. Der nächtliche Verkehr kriecht dahin. Nates Grinsen verrutscht zusehends. Er versucht, mich zu küssen, doch sein Mund landet auf meiner Wange. Dann verlangt er von Jackson »was anderes«. Ich hätte gedacht, er wünscht sich was Romantisches, aber er schlägt Guns N’ Roses vor. Während er stumm »Paradise City« mitsingt – Gott sei Dank ohne Luftgitarren-Einlage –, versuche ich, meine Aufregung so gut wie möglich zu verbergen. Ich weiß, er ist nicht er selbst, darum geht es auch gar nicht. Aber er muss das hier etwas ernster nehmen.
Wir halten an. Jackson öffnet die Tür. Ich steige aus, so als wollte ich mit ihm reden. Nate folgt mir nach draußen.
Im nächsten Moment stehen wir alle unten an einer breiten Treppe zu einem Gebäude.
»Danke für Ihre Hilfe«, sage ich zu Jackson. »Ich hoffe, es wird nicht lang dauern.«
»Lassen Sie sich Zeit«, sagt er.
»Was ist das hier?« Nate sieht Jackson an.
Jackson sieht ihn verdattert, aber auch mit Sorge an. »Das Büro für Eheschließungen.«
»Du wirst deinen Pass brauchen«, versuche ich Nate abzulenken, während ich mich gleichzeitig zur Seite beuge und den Pass hinten aus seiner Hosentasche ziehe.
»Wieso?«
»Wir brauchen Ausweise, um alles zu arrangieren. Den Rest hat Jackson schon geklärt, keine Sorge.«
Ich hake meinen rechten Arm in seinen linken und führe ihn die Stufen hinauf. Er hängt schwer an meiner Seite und geht so langsam und bedächtig, als erforderte jeder Schritt höchste Konzentration.
»Gibt’s drinnen auch Musik?«, fragt er.
Scheiße. Eigentlich sollte er entspannt und glücklich sein, nicht total hinüber.
»Später vielleicht.« Ich versuche, mir den Namen mindestens eines Mitglieds von Guns N’ Roses ins Gedächtnis zu rufen, damit ich behaupten kann, er hätte hier geheiratet, aber mir will kein einziger einfallen. »Das hier ist Rock ’n’ Roll, Musik hin oder her.« Innerlich winde ich mich unter meinen Worten, aber etwas Besseres fällt mir nicht ein. »Komm schon.« Ich hake mich fester ein und schleife ihn mehr oder weniger die letzten Stufen hoch.
Oben zögert Nate, darum beuge ich mich vor und gebe ihm einen Kuss. Ein jüngeres Paar tritt aus der Tür. Als sie an uns vorbeikommen, hebt der Mann eine Hand und klatscht Nate ab.
»Alles Gute«, wünsche ich ihnen. »Siehst du?«, wende ich mich an Nate. »Das wird richtig super.«
Seine Hand in meiner, treten wir in das hell erleuchtete Gebäude. Wahrscheinlich ist das nur gut so, denn Nate blinzelt mehrmals und sieht danach wieder normal aus. Meine Augen sichten das Schild für den Expressschalter. Vor uns wartet noch ein Paar. Ich möchte sie anschreien, uns Platz zu machen. Stattdessen hake ich mich weiter bei Nate ein und lenke ihn ab, indem ich ihn daran erinnere, wie wir damals eine Ewigkeit anstanden, um ins London Aquarium zu kommen, und genau, als wir vor dem Schalter standen, der Feueralarm ausgelöst wurde.
Insgeheim bete ich, dass niemand das Online-Formular anspricht, das ich schon vorab ausgefüllt habe. Als wir aufgerufen werden, atme ich auf. Gott sei Dank.
»Guten Abend«, sage ich und schiebe meine Antragsnummer, die Papiere und unsere beiden Pässe über die Theke.
»Danke«, erwidert die bebrillte Angestellte und tippt auf ihrer Tastatur herum.
Nate macht den Eindruck, als würde er sich nicht wohlfühlen, darum drücke ich seine Hand. Ich versuche, mich zu entspannen, ruhig zu wirken, so als wäre es mir völlig egal, wie lang es hier dauert. Trotzdem werde ich immer unruhiger, denn Nate sieht aus, als könnte er jeden Augenblick aufwachen. Und dann öffnet er zu meinem Schrecken den Mund, als wollte er etwas sagen. Ich lächle ihn stumm an und schüttle den Kopf. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren, nur mit größter Mühe schaffe ich es, mich so zu verhalten, wie es meiner Vorstellung nach jemand in meiner Lage tun würde.
»Viel Glück Ihnen beiden«, sagt die Frau, als wir fertig sind.
»Vergiss nicht, was ich gesagt habe«, erkläre ich ihm, während wir zur Tür gehen, obwohl ich am liebsten losrennen würde. »Der ganze Abend geht auf mich. Komm, wir kehren wieder in unsere Fantasiewelt zurück.«
Jackson hält uns wieder den Schlag auf.
»Danke«, sage ich und reiche ihm die Papiere.
»Danke, Jackson. Bist ein Superfahrer«, sagt Nate und klatscht Jackson ab. »Wohin geht’s als Nächstes?«
»Zur Kapelle«, erwidert Jackson.
Ich steige zuerst in den Wagen. Sobald Nate sich gesetzt hat, reiche ich ihm sein Glas und küsse ihn, dann lasse ich mich auf meinen Platz sinken.
Ich hebe mein Glas. »Prost! Auf eine wilde Nacht. Ist das aufregend! Mir kommt das alles so unwirklich vor.«
Wir stoßen an. Es ist so gut wie geschafft. Jetzt dauert es nicht mehr lang.
Als wir uns der Kapelle nähern, pocht mein Herz so laut, dass ich es hören kann. Jackson parkt neben einem weißen Cadillac. Ein Ford Mustang rollt aus der Kapellen-Durchfahrt. Während wir aus der Limo steigen und Jackson uns zu dem Cadillac führt, winkt uns das Pärchen im Mustang zu und ruft: »Viel Glück!«
Ich winke zurück. Nate lässt sich ebenfalls nicht lumpen und hebt kurz die Hand.
Auf dem Rücksitz des Cabrios liegt ein Strauß mit roten Rosen und daneben eine passende Ansteckblume.
»Was ist das?« Nate starrt fragend auf die Blume.
Jackson steht auf der Fahrerseite und schiebt sich eine zweite passende Ansteckblume ins Knopfloch.
»Das gehört alles mit zum Paket«, flüstere ich.
Nate steht still da und wirkt verdattert.
Aus dem Nichts kocht Wut in mir auf. Am liebsten würde ich Nate in den Wagen stoßen; wenn er sich nicht zusammenreißt, wird er mit seiner Trödelei noch alles verderben. Ich bin meinem Ziel so nahe. So unendlich nahe. Dies ist die letzte Hürde. »Das bist du mir schuldig «, würde ich ihm am liebsten erklären. Weil es so ist.
»Alles bereit?«, fragt Jackson und klappt die Rückenlehne des Beifahrersitzes für uns vor.
»Ja«, sage ich fröhlich. »Komm schon«, sage ich zu Nate.
Er steigt ein. Ich könnte heulen vor Erleichterung.
»Wird der Wagen oft mitten in der Tour gewechselt?«, fragt Nate Jackson.
Jackson reagiert mit dem nervösen Lachen, typisch für Menschen, die sich nicht sicher sind, ob ihr Gegenüber witzig sein wollte.
Ich beuge mich zur Seite und fädele die Blume in Nates Hemdknopf, dann lehne ich mich zurück und lege meine rechte Hand auf seinen Schenkel. Er deckt sie nicht mit seiner Hand zu, er tut überhaupt nichts, was uns mit diesem Moment verbinden würde. Auch egal. Uns bleibt noch unser ganzes Leben für kleine Gesten. Ich lege die Rosen in meinen Schoß und streichle mit der freien Hand die Blütenblätter. Doch als ich wieder Nate ansehe, stelle ich entsetzt fest, dass die Hitze hier draußen – in Verbindung mit dem Alkohol und einer einzigen kleinen Pille – extrem einschläfernd auf ihn wirkt. Ihm fallen immer wieder die Augen zu. Er braucht dringend eine Klimaanlage.
Ich beuge mich zu ihm. »Nate! Schatz, wir haben es gleich geschafft.«
Er lächelt schief und öffnet die Augen, doch er starrt nur stur geradeaus.
Als wir uns dem Tunnel of Love nähern, halte ich die Spannung kaum noch aus. Dieser Abend muss so perfekt wie möglich sein.
»Ist das nicht der Wahnsinn?«, sage ich zu Nate. »Ich fühle mich wie beim Film, so als würde gleich jemand ›Action‹ rufen.«
Nate grinst.
Erleichterung überläuft mich. Mein ganzer Körper fühlt sich schwach an.
»Noch besser als gestern Abend«, sagt er.
»Ich werde jede Sekunde genießen«, sage ich. »Ich bin sicher, dass ich so was nie wieder erleben werde.«
»Ich auch nicht«, stimmt Nate mir zu.
Wir rollen an die Einfahrt. Jackson hält vor dem Fenster, und ein Geistlicher kommt durch eine Seitentür heraus. Er hat Dreadlocks, die er zu einem Pferdeschwanz gebündelt hat. Und er hat ein freundliches Lächeln aufgesetzt.
»Alles bereit?«
»Aye-aye«, höre ich mich mit aufgesetztem Akzent sagen.
Ich muss nervöser sein, als ich dachte. Aber nachdem ich so viel auf mich genommen habe, um so weit zu kommen, habe ich auch jedes Recht dazu. Jede Braut ist an ihrem Hochzeitstag nervös, es wäre nicht normal, wenn ich nicht unruhig wäre. Der Geistliche stellt uns »die Offiziantin« vor, eine große Frau mit langen dunklen Locken. Sie sieht aus wie ein Engel und ähnelt jenen, die über uns an der mitternachtsblauen Decke zwischen Sternen und silbernen Mondsicheln schweben.
Jackson steigt aus dem Wagen und nimmt höflich Haltung an.
Die Zeremonie beginnt. Ich habe die kürzest mögliche Version gebucht, die angeboten wird – trotzdem bleibt eine Viertelstunde eine Viertelstunde.
»Willkommen, Elizabeth Juliette Price und Nathan Edward Goldsmith. Werden sich heute Abend noch Gäste aus dem Vereinigten Königreich zu uns gesellen?«
Ich schüttele den Kopf und schöpfe aus meinem Innersten alles, was ich an Glauben an mich selbst aufbieten kann. Ich stelle mir vor, ich sei eine Schauspielerin, die einen wichtigen, alles entscheidenden Auftritt absolviert.
»Wir sind heute hier versammelt …«
Lächelnd nehme ich Nates Hand.
»Können wir nicht einfach wieder in die Bar gehen?«, flüstert er.
Ich drücke seine Hand und erwidere ebenfalls flüsternd: »Gleich.«
»Wollen Sie, Nathan Edward Goldsmith, die hier anwesende Elizabeth Juliette Price zu Ihrer gesetzlich angetrauten Ehefrau nehmen?«
Ich halte den Atem an.
Er sieht mich an.
»Ja, ich will«, soufflier ich ihm leise.
»Ich will«, wiederholt er.
Als ich an die Reihe komme, mein Ehegelübde zu sprechen, klingt meine Stimme fremd in meinen Ohren. Ich wünschte, William wäre hier und würde Blumen streuen, aber dafür wäre er inzwischen natürlich zu alt. Er könnte Trauzeuge sein oder mich anstelle des Brautvaters dem Bräutigam übergeben. Kurz bekomme ich Gewissensbisse, weil ich Barbara nicht eingeladen habe.
Wir haben keine Ringe, die wir tauschen könnten, was ausgesprochen schade ist, aber das hielt ich für zu gewagt. Nate muss später schließlich glauben, dass dieser ganze Abend auf spontanem, gegenseitigem Einverständnis beruht. Ich versuche, nicht auf die Uhr zu sehen, denn so nett unser Prediger auch ist, er ist bedauerlicherweise ein Schwafler.
»Ich bin jetzt seit siebzehn Jahren verheiratet, und der beste Rat, den ich Ihnen geben kann, ist, niemals, ich wiederhole, niemals im Streit schlafen zu gehen. Fangen Sie jeden Tag ganz neu an.«
Ich wage es nicht, Nate anzusehen, denn ich spüre, wie er langsam unruhig wird.
Endlich höre ich die Worte: »Kraft des mir vom Staat Nevada verliehenen Amtes erkläre ich Sie hiermit zu Ehemann und Ehefrau.«
Eine Kamera blitzt. Ich beuge mich zur Seite und küsse Nate auf den Mund. Ich höre die Worte »Lächeln« und »Glückwunsch«. Während wir unterschreiben, werden wir mit Konfetti überschüttet. Wie durch einen Schleier bekomme ich mit, wie ich Trinkgelder übergebe und mich immer wieder bedanke.
Ein absoluter, fantastischer, überwältigender Lebenstraum ist wahr geworden. Meine Hände zittern spürbar.
Am liebsten würde ich die Hochzeit sofort auf allen sozialen Medien verkünden und dann auf all die Gratulationen und guten Wünsche warten. Ich male mir aus, wie sich alle für uns freuen, Bella eingeschlossen, und uns jeder nur das Beste wünscht.
Als wir aus dem Tunnel of Love herausfahren, hält Nate meine Hand, so als wären wir in einem Märchenfilm. Endlich darf ich einmal die Hauptrolle spielen.