19
Ich hantiere in Nates – nein, unserer – Küche herum, während James Harrington, Nates »Anwaltsfreund«, im Wohnzimmer sitzt und auf Nate einredet.
Ich fange Gesprächsfetzen auf. »Anfechtbarkeit … Trunkenheit … UnaufrichtigkeitNicht-Vollzug.« Tja, was die letzte Möglichkeit betrifft, ist Nate im wahrsten Sinn des Wortes gefickt.
Wie die perfekte kleine Hausfrau bringe ich den beiden ein Tablett mit Kaffee. Espresso für mich, Cappuccino für Nate und eine Latte für »den Anwalt«. Auf einem kleinen Teller daneben liegt ein Trio von Muffins – von mir gespendet und in der Mikrowelle aufgetaut. Weil es keine Servietten gibt, habe ich Küchenpapier zu adretten Dreiecken gefaltet. Ich setze mich neben Nate aufs Sofa, James Harrington gegenüber. Zwei gegen einen.
Sie danken mir für den Kaffee.
»Gut, also, Elizabeth, Nate hat mir erklärt, dass wir nicht auf Nicht-Vollzug plädieren können, darum würde ich vorschlagen, wir fechten die Hochzeit an, weil Sie beide betrunken waren …«
»Ich nicht.«
Nate sieht mich böse an.
James wirkt verwirrt. »Ich dachte …«
»Ich will, dass unsere Ehe funktioniert. Nate war vielleicht ein bisschen beschwipst, und wahrscheinlich wurde es durch den Jetlag verstärkt.« Ich sehe Nate an. »Ich habe dich in gutem Glauben geheiratet. Du hast mir erklärt, dass du mich liebst. Wir waren schon einmal ein Paar, und ich habe einen anständigen Mann verlassen, nur weil du mich mit deinem Charme eingewickelt hast. Matt ist am Boden zerstört. Ich musste über Handy mit ihm Schluss machen! Was glaubst du, wie ich mich dabei gefühlt habe?«
Stille. Rainbow schwimmt auf und ab.
Es ist ein wunderbar vertrautes Gefühl, hier neben Nate zu sitzen. Jetzt, wo ich mich – ganz legal – durch die Tür gezwängt habe, werde ich mich auf keinen Fall kampflos zurückziehen.
»Gut. Das kompliziert es natürlich.« Er wirft Nate einen Blick zu und schaut dann auf seine Uhr. »Ich muss ein paar Anrufe machen und gehe dafür kurz nach nebenan, während ihr beide das hier klärt.«
Ich verschränke die Arme und lehne mich zurück.
»Lily …«
Ich ziehe die Stirn in Falten.
»Juliette – nein, Lily, das ist doch verrückt, für mich bleibst du Lily. Bitte. Nimm doch Vernunft an. Ich liebe dich nicht so, wie du es dir wünschst. Das weißt du. Du kannst das doch auch nicht wollen. Du hast etwas Besseres verdient.«
Sein beschwörender Tonfall ärgert mich. »Tja, Pech für dich, ich bin so fest entschlossen, das hier hinzubekommen, dass meine Entschlusskraft für uns beide reicht.«
»Wir haben ein ernstes Problem.« Nate steht auf. »Es tut mir leid, dass du mehr von mir willst, als ich dir geben kann. Was an diesem Abend auch passiert ist, wofür ich nur deine Worte habe –, es war nicht real. Es war absolut überzogen.«
» Nennst du mich eine Lügnerin?«
»Nein. Aber ich wette, du musstest nicht lange überredet werden, um mich vor den Altar zu zerren.«
»Es gab keinen Altar, wir saßen in einem Cadillac. Das weißt du genau. Und niemand hat dich gezerrt. Ruf in der verfluchten Kapelle an, frag sie, ob du irgendwie gezwungen wurdest!«
»Entschuldige. Ich weiß, ich bin genauso schuld wie du. Aber das ist kein Spiel! Das ist unser Leben.«
»Genau. Meines und deines.«
Wir fahren herum, weil sich hinter uns James geradezu dramatisch räuspert.
»Auf ein Wort, Nate«, bittet er.
Nate folgt ihm nach nebenan. Selbstverständlich hat Nate einen Anwaltsfreund. Er hat einen Arztfreund, einen Bankerfreund, einen Finanzberaterfreund, die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Ich bin stinksauer. Wenn James uns nur allein lassen würde, ungestört, könnte ich mir etwas einfallen lassen.
Ich warte ab. Ich höre keine Stimmen.
Mehrere Minuten verstreichen, dann kommt James wieder heraus, gefolgt von Nate.
»Also, wir sehen uns, Elizabeth. Ich lasse euch beide allein.«
»Ja, danke. Ich rufe dich an«, sagt Nate.
James hebt den Arm zu einem kurzen Winken und geht allein zur Tür.
Stille, als die Tür hinter ihm zufällt. Nate sieht fröhlicher aus, auch wenn er mir kaum in die Augen sehen kann.
»Sollen wir irgendwo einen Kaffee trinken gehen und uns in aller Ruhe unterhalten?«, schlägt er vor.
»Nein, danke. Ich bleibe lieber hier, ich bin zu erschöpft. Ich habe auf dem Flug nicht schlafen können. Ich muss mich erst ausruhen, dann können wir uns so lange unterhalten, wie du willst.«
»Ausruhen? Wo denn? Hier?«
Ich zucke mit den Achseln, als wollte ich »Wo sonst?« sagen.
»Nein. Du kannst nicht hierbleiben. Du musst gehen. Ich bringe dich zu deiner Wohnung, und während der Fahrt können wir uns unterhalten.«
»Ich kann nicht geradeaus denken. Du kannst mir schlecht ein Nickerchen verwehren, nachdem du mich wachgehalten hast, nur um mit deinem Freund zu quatschen. Oder? Es kann nicht immer nur nach deinem Willen gehen.«
»Nach meinem Willen? Das ist Wahnsinn. Das ist alles … völlig irre. Ich hoffe immer noch, dass ich irgendwann aufwache und zutiefst erleichtert feststelle, dass nichts davon je passiert ist. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich hätte wissen müssen, dass du es zu weit treiben wirst. Schon deswegen kann es niemals mit uns klappen. Bei dir gibt es immer nur alles oder nichts. Du weißt nicht, wann Schluss ist. Du kannst nie abschalten!«
»Ich lasse dich jetzt allein, damit du dich beruhigen kannst«, erkläre ich ihm in genau dem Tonfall, den er immer einsetzte, wenn ich nach unserer Trennung »vernünftig« sein sollte.
Er bleibt im Wohnzimmer, während ich meine Tasche und den Koffer ins Schlafzimmer rolle; dann hole ich meinen Kulturbeutel heraus und dusche im angeschlossenen Badezimmer. Zwar stecke ich meine Haare hoch, damit sie nicht nass werden, dennoch stelle ich mein Shampoo neben seines in den Duschkorb. Außerdem platziere ich meine Zahnbürste neben seiner. Ich packe aus und stopfe meine sauberen Sachen dabei in Schubladen, die schon einmal ihr Zuhause waren. Nate hat eine davon mit Krempel vollgestopft, der nach unerbetenen Geschenken aussieht – eine Schachtel mit Manschettenknöpfen, zwei Krawatten und ein noch ungeöffnetes Pack Kaufhaus-Unterwäsche. Ich nehme alles heraus und lege es in »seine« Schublade.
Ich habe Nate nicht erzählt, dass ich inzwischen ein Auto habe, darum sind wir gemeinsam in seinem schwarzen Jaguar zu ihm nach Hause gefahren, wie es sich für ein richtiges Paar gehört. Es fühlte sich einfach richtig an. Tatsächlich fühlt sich alles so richtig an, dass ich nicht verstehe, wie er sich so verbissen dagegen wehren kann. Er empfindet etwas für mich, das weiß ich genau.
»Ich stelle mir den Wecker in einer Stunde«, rufe ich nach draußen. »Dann können wir was zu essen bestellen.«
Wenn er glaubt, dass ich für ihn koche, solange er sich so aufführt, hat er sich getäuscht.
Nate antwortet nicht.
Ich bin tatsächlich müde, das stimmt. Durch das Adrenalin und die Anspannung habe ich die zehneinhalb Flugstunden wie unter Hochspannung verbracht.
Es ist noch hell. Offenbar bin ich nur ein paar Minuten eingenickt.
Mein Mund ist ausgetrocknet. Ich schaue nach links. Kein Nate. Ich sacke zurück ins Bett. Meine Glieder schmerzen. Ich spüre, wie mich der Schlaf wieder einfangen will, doch Bewusstsein und Realität bahnen sich ihren Weg. Ich höre vertraute Geräusche: ein morgendliches Knarren und das Pfeifen der Pumpe in der Dusche. Ich war eine ganze Nacht zu Hause. Ich zwinge mich aus dem Bett, ziehe Nates Bademantel über und gehe hinüber ins Wohnzimmer.
Draußen strahlt die Sonne. Sofort beginne ich Pläne zu schmieden. Ich könnte ein Picknick vorbereiten, dann könnten wir zusammen am Fluss sitzen. Ich höre, wie die Dusche ausgeht. In meiner Magengrube breitet sich ein Gefühl der Leere aus, während ich abwarte, wie Nate wohl heute reagieren wird.
Ich gehe in die Küche und schalte die Kaffeemaschine ein. Dann öffne ich den Kühlschrank und begutachte den Inhalt, ehe ich begreife, dass ich überhaupt keinen Hunger habe. Ich belasse es daher bei zwei Kaffee. Nate erscheint in seinen Laufsachen.
»Morgen! Ich habe dir Kaffee gemacht.« Ich lächle.
»Danke.«
Er nimmt ihn entgegen und geht weiter zum Sofa. Ich setze mich neben ihn. Ein paar Sekunden trinken wir schweigend.
»Wieso bist du nicht ins Bett gekommen?«
»Was glaubst du denn?«
Ich antworte nicht.
»Ich habe im kleinen Zimmer geschlafen.«
»Ach.«
»Ich werde die Annullierung beantragen, weil ich betrunken war.«
»Ich verstehe.«
»Ich möchte, dass du zustimmst. Ich möchte nicht, dass das eklig wird. Wenn wir an einem Strang ziehen, ist die Sache relativ schnell geklärt. Ich möchte wirklich, dass wir Freunde bleiben.«
»Du lügst. Das hast du auch gesagt, als du mich letztes Mal abserviert hast. Und dann hast du mich sogar bei Facebook entfreundet. Du hast keinerlei Versuche unternommen, mein Freund zu bleiben.«
»Herrgott noch mal, du doch auch nicht, soweit ich mich erinnere. Ich sagte, wir könnten in Verbindung bleiben, wir müssten nicht gleich alle Kontakte kappen. Aber das wolltest du auf keinen Fall. Entweder ganz so, wie du dir es in den Kopf gesetzt hattest, oder gar nichts.«
Nur weil ich verflucht noch mal keine Wahl hatte.
Ich bin nicht blöd. Damals stimmte etwas mit seinen Gefühlen nicht, sonst hätte er sehr wohl gewollt, dass wir zusammenleben. Also musste ich langfristiger planen. Hätte ich mich mit den Krumen seiner angeblichen Freundschaft begnügt (und mutmaßlich mit sporadischem Sex, wenn er lang genug Single war), dann hätte ich null Chancen gehabt. Null Chancen, unsere Beziehung wieder in die Spur zu bringen. Wer sich mit weniger zufriedengibt, als er verdient, erntet nie Respekt. Genau deswegen war Bella damals überzeugt, so mit mir umspringen zu können. Ich musste fast ein Jahr opfern, nur um sicherzustellen, dass er mich irgendwann wieder in sein Leben lassen würde.
Und jetzt ist dieser Moment gekommen.
»Gib uns eine Chance, Nate. Gib mir eine Woche – hier bei dir –, und wenn du dann noch genauso empfindest, dann bin ich mit allem einverstanden, was du vorschlägst.«
»Was soll das bringen? Im Ernst, was soll das bringen? Die Situation ist so, wie sie ist, und ich werde meine Meinung bestimmt nicht ändern.«
Ich sehe ihn wütend an.
»Es ist am besten so.«
Ich kann nicht aufstehen. Meine Kräfte haben mich verlassen. Das hätte nicht passieren dürfen. Ich dachte, wenn ich mein Lasso erst ausgeworfen habe, wenn er erst vor dem Gesetz mit mir verbunden ist und wieder Zeit mit mir verbringt, würde er sich mit der Situation anfreunden. Und seine Gefühle würden zurückkehren. Was sie ja auch taten. Er war wirklich eifersüchtig auf den imaginären Matt, sein Stolz war angeknackst. Aber ich kenne ihn eben auch. Als wir uns damals trennten und ich nicht gehen wollte, reagierte er umso bockiger.
»Lily. Es tut mir leid. Vielleicht wäre ein klarer Bruch das Beste. Was ist mit anderen Airlines? Du kannst dich jedes Jahr woanders bewerben. Du hast dein ganzes Leben noch vor dir.«
»Hast du auch nur eine Vorstellung, wie herablassend das klingt? Wie wär’s, wenn du zu einer anderen Airline wechselst?«
Er klammert sich weiter eisern an seinem Strohhalm fest, ohne mich einer Antwort zu würdigen. »Oder … du könntest sogar das mit Matt wieder hinkriegen. Gib einfach mir die Schuld an allem.«
Es läutet an der Tür.
»Das ist die Putzfrau«, erklärt er im Aufstehen.
Ich hole tief Luft, stehe wortlos auf und verschwinde ins Schlafzimmer. »Ich gebe dir die Schuld an allem«, erkläre ich ihm über die Schulter.
»Eines Tages wirst du mir dafür dankbar sein«, ruft er zurück und öffnet die Wohnungstür.
Bevor ich die Schlafzimmertür schließe, werfe ich noch einen kurzen Blick durch den Türspalt. Erst begrüßt er kurz die Putzfrau, und im nächsten Moment telefoniert er wieder mit James. Die Selbstgefälligkeit, mit der er behauptet, es sei »alles geklärt«, gibt mir das Gefühl, ich wäre nur ein billiger Wegwerfartikel.
Ich schließe mich im Bad ein und muss mich beherrschen, um nicht den Badezimmerspiegel einzuschlagen.
Tiefe Atemzüge.
Nach kurzer Überlegung geht mir auf, dass nicht alles schlecht ist. Denn in diesem Augenblick kippt ein Schalter in meinem Kopf und meinem Herzen.
Ich hasse Nathan Goldsmith aus tiefstem Herzen.