Als Guillaume Lipaire kurz nach Mittag zu seinem Spaziergang aufbrach, war er bester Laune. Und das nicht nur wegen des Wetters – es war ein weiterer strahlender Sommertag, und eine erfrischende Brise wehte durch das Städtchen. Nein, er hatte nun wirklich das Gefühl, ja, die Gewissheit, dass sie ihr Ziel erreichen konnten. Gemeinsam. Dass nicht mehr er derjenige war, der die anderen mitschleppen musste, weil es ihnen an Weitblick und Durchhaltevermögen fehlte. Diesmal zogen sie alle an einem Strang, und ihr Plan war, wenn nicht genial, dann doch ziemlich nahe dran.
Beschwingt zündete er sich eine Zigarre an – eine schöne kubanische aus dem Humidor der Schmittkes, die darin ohnehin nur zu vertrocknen drohte –, nahm genüsslich ein paar Züge und machte sich auf, um seine Mitstreiter bei ihren Vorbereitungen zu besuchen, ihnen durch seine Anwesenheit zu signalisieren, dass er den Überblick hatte und sie sich aufeinander verlassen konnten.
Sein erster Weg führte ihn zu Massimo, einem Italiener, der hier vor vielen Jahren einen Friseursalon mit ganz besonderem Service eröffnet hatte. Schon von Weitem erblickte Guillaume durch die offen stehende Tür Lizzy Schindler, die mit unzähligen Lockenwicklern und Alufolie auf dem Kopf in einem der Stühle saß und in ein Croissant biss. Sie hatte sich sichtlich auf den Termin gefreut, vor allem, als sie ihr gesagt hatten, dass sie nichts würde bezahlen müssen. Dafür erhielten die Eltern des Friseurs, die in Italien wohnten, mal wieder ein schönes Wochenende in einem der von Lipaire verwalteten Appartements.
Neben Lizzy, auf einem etwas kleineren Stuhl, hatte Louis Quatorze wie auf einem seinem Namen angemessenen Thron Platz genommen, vor sich ein Näpfchen mit Hundeknochen, über sich eine Trockenhaube, die seine frisch ondulierten Locken föhnte. Denn darin lag die Besonderheit von Massimos Salon: Er kümmerte sich auf Wunsch auch um die vierbeinigen Freunde seiner Kundschaft. Lipaire hatte Mühe, sich von diesem Bild zu lösen, so bizarr und gleichzeitig putzig sah es aus, wie Frauchen und Hund hier einträchtig bei der Schönheitspflege saßen. Überhaupt war die hochbetagte Frau eine Klasse für sich. Erstaunlich wach und agil für ihr Alter, mit trockenem Humor und immer guten Mutes, obwohl sie auch vom Leben gebeutelt worden war. Vielleicht half ihr dabei auch die Erinnerung an ihre schillernde Vergangenheit. Wenn nur die Hälfte ihrer Geschichten stimmte … Diese Lebenseinstellung nötigte ihm Respekt ab, und er hoffte, im Alter genauso fit zu sein – auch wenn das noch viele Jahre entfernt war.
Er wollte sich schon zum Gehen wenden, da erblickte ihn Lizzy Schindler. Doch statt ihn zu grüßen oder ihm zuzuwinken, strich sie mit ihrem Zeigefinger über ihren rechten Nasenflügel, als würde sie dort ein Insekt verscheuchen. Er seufzte, dann vollführte er die gleiche Geste. Jacqueline hatte sie als ihr Erkennungszeichen vorgeschlagen. Die Studentin hatte sich dabei von dem Film Der Clou inspirieren lassen, was Lipaire ein bisschen albern fand. Da alle anderen aber Feuer und Flamme gewesen waren, hatte er letztlich zugestimmt. Und als er nun seinen Rundgang fortsetzte, summte er sogar die Titelmelodie des Streifens, den berühmten Entertainer.
Sein nächster Weg führte ihn an den Strand, wo er den kleinen Kiosk ansteuerte, in dem Fabrice, einer von Karims Bekannten, allerlei Wassersport- und Tauchutensilien verlieh. Vor der Bude hatte sich bereits eine kleine Schlange gebildet, denn Petitbon war gerade in ein Gespräch mit dem Besitzer vertieft und zeigte auf ein bestimmtes Gerät, doch der andere schüttelte immer wieder energisch den Kopf. Würde der Junge etwa an seinem Teil des Plans scheitern?
Doch als Karim ihn erblickte, grinste er unbeschwert – und vollführte dann ebenfalls die Geste mit dem Finger an der Nase. Das beruhigte Guillaume. Der Junge war wieder ganz der Alte und Lipaires Vertrauen in ihn wiederhergestellt. Er grüßte auf die gleiche Weise zurück und setzte seinen Spaziergang fort.
Sie schienen eine wirklich verlässliche Truppe geworden zu sein, dachte er, als er am Café Fringale vorbeiflanierte, in dem Jacqueline mit zwei anderen jungen Frauen saß. Das mussten die Kommilitoninnen sein, von denen sie gesprochen hatte. Sie hielt eine Ausgabe der Vogue in der Hand und deutete auf ein großes Foto darin. »Kriegt ihr das hin?«, hörte er sie fragen, worauf die anderen zuversichtlich nickten. Auch hier schien also alles bestens zu laufen, was ihn nicht wunderte: Sie war ein wirklich heller Kopf, und wenn sie mal nicht weiterwussten, hatte sie oft die zündende Idee. Hinter ihrer riesigen Brille und den wachen blauen Augen steckte ungeheures Potenzial. Allerdings befürchtete er, dass sie für Karim auf Dauer womöglich eine Nummer zu groß war. Er blieb noch so lange stehen, bis sie ihn sah, damit er auch mit ihr das Zeichen austauschen konnte. Sie hatte daran sicher den größten Spaß.
Somit blieb mit Delphine nur noch eine Person, die er bei ihren Vorbereitungen aufsuchen wollte, bevor er sich mit dem schwersten Fall in der Gruppe treffen würde, seinem ehemaligen Freund Paul Quenot. Noch vor wenigen Tagen hatte er gedacht, dass er ihn für alle Zeit mit Missachtung strafen würde, doch das Schicksal hatte anders entschieden. Guillaume konnte sich auch jetzt noch nicht vorstellen, dass sie einmal an ihre Beziehung von früher anknüpfen könnten. An die Zeit, als er, seine Frau Hilde, der Belgier und Pierre ein unschlagbares Quartett bildeten. Es war einfach zu viel passiert, zu groß waren die Verletzungen, zu unerhört der Vertrauensbruch. Da half auch der momentane Gefühlstaumel nichts, in dem sich die Gruppe befand. Mit Karim hatte ihn bereits vor ihrer gemeinsamen Aktion eine Art Vater-Sohn-Verhältnis verbunden. Die Frauen hatte er nur vom Sehen gekannt. Aber Paul? Immerhin war er einmal sein bester Freund und dann sein schlimmster Feind gewesen, für etwas dazwischen mussten sie noch einen Modus Vivendi finden.
Als er das Schild Madame Portable erblickte, das auf Delphines Handyladen hinwies, kehrten seine Gedanken ins Hier und Jetzt zurück. Er hätte nicht sagen können, auf welchem Weg er hierhergelangt war, so sehr hatten ihn die düsteren Erinnerungen beschäftigt.
Seine gute Stimmung war deswegen beinahe verflogen, hellte sich aber wieder merklich auf, als er durch das kleine Seitenfenster ihres Geschäfts Delphine erblickte, die gerade ein Telefonat führte. »Ja, genau. Darf auf keinen Fall mehr aus der Garage raus. Richtig. Hast du dir die Autonummer notiert? Gut, dann sind wir ja fertig. Und noch mal danke, damit sind wir quitt. Bisous! «
Sie war voll in ihrem Element, und er schämte sich ein bisschen dafür, dass er in ihr anfangs nicht mehr gesehen hatte als eine verschwitzte, ständig mampfende Dicke, die Touristen in ihrem Laden das Geld aus der Tasche zog. Doch seit er wusste, wie liebevoll sie für ihre Töchter sorgte, wie ihr Mann ihr das Leben schwer machte und wie gut sie sich mit Dingen auskannte, von denen er selbst nicht die leiseste Ahnung hatte, sah er sie mit anderen Augen.
Als sie auflegte, kreuzten sich ihre Blicke. Delphine hob die Hand und winkte ihm zu. Lipaire grinste, führte seinen Zeigefinger an die Nase und vollführte ihr Erkennungszeichen.
Er zwang sich selbst dazu, einen café zu trinken und ein bisschen auf den Kanal zu schauen, bevor er weiterging. Ein petit noir , der azurblaue Himmel, der sich im Wasser spiegelte, und das Grundrauschen des Städtchens waren einfach stärker als jeder dunkle Gedanke. So auch heute.
Er war von Haus aus niemand, der viel über Vergangenes grübelte – und im Moment hatte er mehr als einen Grund, sich seine Zukunft rosig auszumalen. Sein Handy klingelte. Er zog es aus der Tasche seiner Shorts und sah aufs Display. Bernadette, die Pflegerin des alten Chevalier Vicomte, rief an. Guillaume schluckte. Das schlechte Gewissen plagte ihn, denn sie hatte ihm bereits geschrieben, dass Marie Vicomte sie nach der Aktion mit der Jacht auf die Straße gesetzt hatte. Daran war letztlich er schuld. Er nahm den Anruf an und säuselte ins Mikrofon: »Bernadette, wenn ich Ihren Namen auf dem Telefon sehe, hellt sich umgehend meine Miene auf, und die Sonne blinzelt hinter einer Wolke hervor. Sogar bei blauem Himmel. Was kann ich für Sie tun?«
»Ihr Gesülze können Sie sich sparen.«
»Hören Sie, werte Bernadette, Sie sind wütend und haben allen Grund dazu«, nahm er ihr gleich den Wind aus den Segeln.
»Ja, natürlich, ich …«
Er ließ sie nicht ausreden. »Ich verspreche Ihnen: Was Sie für uns getan haben, ist nicht vergessen. Wir kümmern uns um Sie, versprochen. Ich melde mich in Kürze bei Ihnen, au revoir. « Schnell legte er auf. Er wusste noch nicht, wie, aber er würde sein Versprechen einlösen.
Nachdem er seine Rechnung hatte anschreiben lassen, ging er pfeifend in Richtung Marktplatz zu den Boulespielern. Gerade führten sie wieder für ein paar Euros, mit denen sie sich die Rente aufbesserten, einen ihrer »Schaukämpfe« für Touristen auf. Das stieß wie immer auf großes Hallo, wie die vielen gezückten Fotoapparate und Handykameras verrieten. Er ging direkt zu ihrem Wortführer, dem Dicken mit dem Schnurrbart. »Salut , Mathieu.«
»Ah, l’Allemand «, sagte der nur und tippte sich an die Schiebermütze.
Lipaire hasste es, wenn man ihn so nannte, ignorierte es aber.
»Na, hat unsere kleine Nummer neulich funktioniert?«, fragte der Schnauzbart.
»Ja, deswegen hab ich einen weiteren Auftrag für euch.«
»Kostet diesmal aber ein bisschen mehr.«
Guillaume nickte. Er hatte Respekt vor geschäftstüchtigen Menschen.
»Was können wir für dich tun?«, fragte Mathieu.
»Wie weit könnt ihr eigentlich mit euren Kugeln werfen?«
»Weit genug.«
»Hm. Wie wäre es, wenn ihr ausnahmsweise mal nicht hier, sondern oben im Dorf spielen würdet?«
Der Dicke kniff die Augen zusammen. »Oben? Da spielen wir doch ständig. Allerdings nur in unserer Freizeit.«
Lipaire rieb sich die Hände. »Na, dann könnt ihr in dem Fall ja das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden …«
Die Boulespieler hatten sofort angebissen, kein Wunder bei dem großzügigen Angebot, das Lipaire ihnen unterbreitet hatte. Aber das waren Peanuts, wenn sie erst einmal ihr Ziel erreicht hatten. Nun war er auf dem Weg zu Paul Quenots Garage. Neben dem großen Parkplatz vor der Stadt hatte man ein gekiestes Gelände mit langen Reihen windiger Wellblechverschläge bebaut. Auch wenn diese eigentlich für Autos gedacht waren, lagerten die meisten dort in Ermangelung von Kellern und Dachböden nur allerlei Krimskrams, der sich über die Jahre angesammelt hatte. Ab und zu konnte man durch ein offenes Tor auch mal einen Blick auf einen Oldtimer oder ein paar seltene Motorräder erhaschen. Der Belgier bewahrte hier seine Gartengeräte und vermutlich auch einen beträchtlichen Teil seiner Waffen auf, aber darüber wollte Guillaume lieber gar nicht nachdenken.
Er schwitzte. Während in den Gassen der Stadt und am Strand ein angenehmes Lüftchen wehte und man immer wieder den Schatten von Bäumen oder Häusern suchen konnte, brannte hier zwischen den Garagen die Sonne unerbittlich. Die Luft flirrte, kaum ein Pflänzchen unterbrach das Einerlei aus Kies und Wellblech. So schön die Stadt war, so unwirtlich und abweisend war dieser Ort. Mit jedem Schritt, der ihn seinem Ziel näher brachte, kehrten mehr der dunklen Gedanken zurück. Als er vor Quenots Garage stand, holte der gerade ein Gartengerät hervor, das ein wenig wie der Enterhaken eines Piraten aussah. »Wen willst du denn damit kaltmachen?«, fragte er den Belgier unvermittelt.
»Niemanden. Ich räume meine Sachen wieder ein, weil sich Karim einen Klappspaten für seinen Auftrag ausgeliehen hat.«
»Aha.«
»Gar nichts aha. «
Lipaire seufzte. Die nächsten Stunden würden kein Zuckerschlecken werden. Gruppenschwur hin oder her. »Bist du fertig?«
»Gleich. Ich habe zwischen den Garagen ein paar Mauerblümchen gerettet und muss die noch in den Park pflanzen. Da werden sie täglich gewässert. Hier haben sie keine Überlebenschance. Die Sonne, die Trockenheit …« Er zeigte auf eine Plastikschale mit einigen kümmerlichen Pflanzen darin.
»Kannst du das nicht später machen?«
Paul schüttelte den Kopf. »Sie brauchen Flüssigkeit. Dringend.«
»Da kann ich helfen«, erklärte Lipaire und schüttete den Inhalt seiner halb ausgetrunkenen Wasserflasche über die Blumen.
»Na gut. Ich hoffe, damit kommen sie einigermaßen über den Tag. Was machen wir denn jetzt eigentlich?«
»Wir treffen ein paar Leute.«
»Weit weg?«
»Fahren wäre ehrlich gestanden besser als Laufen«, räumte der Deutsche ein. »Soll ich schnell noch was organisieren?«
»Nein, ich hab da was.« Quenot ging in die Garage und blieb vor einem undefinierbaren Gebilde stehen, das unter einer Plane versteckt war. Guillaume fragte sich noch, ob er überhaupt wissen wollte, was sich darunter verbarg, da deckte es der Belgier schon auf. Zum Vorschein kam ein Quad, ein Moped mit vier Rädern. Bei diesem allerdings handelte es sich um ein sehr spezielles Modell: Die Reifen hatten ein übertrieben starkes Profil, eine lange Funkantenne prangte auf einem der Kotflügel – und das ganze Gefährt war in mattem Flecktarn lackiert.
Paul blickte stolz zu Lipaire, doch als der schwieg, sagte er: »Nicht schlecht, was?«
»Der Rasenmäher?«
»Rasenmäher?«, kiekste Quenot. »Das ist ein Military Quad, hat CB-Funk an Bord und eine spezielle Stealth-Lackierung, die es der Flugabwehr erschwert, uns aufzuspüren.«
Lipaire nickte. »Toll. Schade nur, dass keiner von uns ein Funkgerät besitzt. Und auch blöd, dass wir damit auf der Straße fahren, wo wir zwar für die Flugabwehr unsichtbar, für alle anderen Verkehrsteilnehmer aber gut zu sehen sind. Na, vielleicht auch besser so, unsichtbar könnte beim Rechts-vor-links Probleme bereiten.«
»Mach dich ruhig lustig. Immerhin gehört das Ding mir und ist nicht … geliehen.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Lipaire mit zusammengekniffenen Augen.
»Gar nichts. Steig einfach auf.«
Der Deutsche zwängte sich hinter den Ex-Soldaten, wo er ein ganzes Stück höher saß als Quenot auf seinem Fahrersitz. Die körperliche Nähe war ihm unangenehm, doch auf diesem Gefährt nun einmal nicht zu vermeiden. Als Paul auch noch einen olivgrünen Stahlhelm aufzog, musste er sich bereits auf die Zunge beißen. Beim Starten des Motors war er ganz kurz davor, doch noch etwas Despektierliches zu sagen, denn die Maschine schepperte tatsächlich so blechern wie ein Rasenmäher – und war, wie er feststellen musste, in etwa auch so schnell. Aber noch hatten sie es ja nicht eilig.
Etwas später als von Lipaire geplant – mehr als fünfundzwanzig Stundenkilometer machte ihr Gefährt beim besten Willen nicht – kamen sie am großen Kreisverkehr in Richtung Saint-Tropez an. Wie immer um diese Tageszeit stauten sich die Autos auf der einzigen Zufahrt in den berühmten Ferienort, doch heute ärgerten sich Paul und Guillaume nicht darüber. Im Gegenteil, sie hatten darauf spekuliert und beobachteten nun ein Schauspiel, das sich hier tagtäglich ereignete: Kaum geriet der Verkehr ins Stocken, sprangen vom Fahrbahnrand ein halbes Dutzend Männer mit Kübeln, Bürsten und Gummiabziehern herbei, schütteten, ohne zu fragen, Wasser auf die Windschutzscheiben und begannen diese zu putzen. Teilweise zwar unter heftigem Protest der Insassen, die oft die Scheibenwischer anstellten, um dem Treiben ein Ende zu machen, was die Männer jedoch einfach ignorierten.
Waren sie fertig, was nur ein paar Sekunden dauerte, hielten sie die Hand auf – und die meisten Fahrer zahlten tatsächlich etwas für den unerwünschten Service. Vermutlich aus schlechtem Gewissen, den Dienst zwar nicht bestellt, aber dennoch in Anspruch genommen zu haben. An der Qualität der Arbeit konnte es jedenfalls nicht liegen, dachte Lipaire mit einem Blick auf die verschmierten Frontscheiben, die nach der überfallartigen Putzaktion manchmal schlimmer aussahen als zuvor.
Während sie sich zentimeterweise der Kreuzung näherten, versuchten sie, jemanden vom Putzkommando zu sich zu winken, doch die Männer nahmen keine Notiz von ihnen. Erst konnte sich Lipaire keinen Reim darauf machen, doch dann wurde ihm klar, dass sie gar keine Windschutzscheibe hatten und somit als Einnahmequelle uninteressant waren.
Irgendwann gab er auf und tippte seinem Vordermann auf die Schulter. »Fahr mal rechts ran.« Dann stieg er ab, stellte sich an den Straßenrand und blickte sich suchend um. Normalerweise war bei den Putzmännern immer ein … ah, da saß er ja. Etwas abseits, im Schatten einer ausladenden Pinie, lümmelte ein ungepflegt wirkender Mann auf einem Klappstuhl, neben sich ein paar Schwämme und Eimer. Doch er selbst machte keine Anstalten, sich zwischen die Autos zu begeben. Musste er auch gar nicht. »Da, Paul, das ist der Putzpate«, erklärte Guillaume und deutete mit dem Finger auf den Mann.
»Oh, Scheibenreinigungs-Mafia, was?«, sagte Quenot grinsend.
»So was Ähnliches. Auf jeden Fall ist das unser Mann. Wir müssen ihn so behandeln, als sei er Chef eines wichtigen Unternehmens. Das heißt, du lässt einfach mich reden.«
Zehn Minuten später saßen sie wieder auf ihrem Quad, das in der Zwischenzeit von oben bis unten geschrubbt worden war – was zwar nicht ganz billig, aber eine der Bedingungen gewesen war, dass sich die Putzkolonne auf ihr Anliegen eingelassen hatte.
Als Lipaire ein paar Kilometer weiter am Straßenrand ein großes Schild mit der Aufschrift Paintball Family – Ouvert toute l’année entdeckte, tippte er seinem Fahrer erneut auf die Schulter, woraufhin der den Blinker setzte und in ein kleines Wäldchen abbog.
»Ich schau mir mal die Gewehre an, die die so im Programm haben«, sagte der Belgier, als er das Quad direkt vor einem Halteverbotsschild geparkt hatte, und stieg ab. Er wies auf einen kleinen Bürocontainer mit der Aufschrift Waffenkammer , der vor einer niedrigen Halle samt großem, umzäuntem Freigelände stand, von dem man immer wieder Knallen und Schreie hörte. Lipaire nickte erleichtert. Seine Verhandlungen würden sich auch hier einfacher gestalten, wenn der Belgier nicht dabei war. Schnellen Schrittes ging er auf die Anmeldung zu.
Keine fünf Minuten später stand er wieder am Quad, das allerdings nicht mehr ganz so gut getarnt und sauber war wie zuvor.
»Putain! Was ist das denn?«, kiekste hinter ihm Quenot, der offenbar aus dem Waffenarsenal zurück war.
»Sieht aus, als hätte ein bisschen Farbmunition ihr Ziel verfehlt«, antwortete Lipaire, der alle Mühe hatte, ein Grinsen zu unterdrücken. Ein rosa und ein hellblauer Farbklecks prangten nun auf dem rechten Kotflügel des Gefährts, das so gar nicht mehr nach Militär aussehen wollte. »Vielleicht hättest du besser auf den Parkplatz fahren sollen.«
»Die Tarnung ist damit im Eimer. Sogar für Sonar und konventionelles Radar sind wir so sichtbar«, sagte Quenot bedeutungsschwer.
»Na, dann ist ja gut, dass wir nur fünfundzwanzig Sachen machen, da können sie uns wenigstens nicht blitzen.«
»Du hättest ja ein bisschen aufpassen können!«
»Ich? Ich war schließlich genauso wenig hier wie du!«
Der Belgier stieg mürrisch auf und fuhr los.
»Wohin geht’s als Nächstes?«, fragte er nach einiger Zeit, in der sie schweigend auf der lärmenden Maschine gefahren waren.
»Eigentlich sind wir fertig. Außer, dir fällt noch was ein.«
Quenot schüttelte den Kopf und machte am ersten Kreisverkehr am Ortsrand von Cogolin kehrt in Richtung Port Grimaud. Dabei blickte er immer wieder in den Rückspiegel seines Gefährts. Irgendwann rief er über seine Schulter: »Hast du die gesehen? Im blauen Toyota?«
»Ja, hab ich«, gab Lipaire zurück. Das Auto folgte ihnen, seit sie den Garagenhof verlassen hatten. Sie standen unter ständiger Beobachtung, aber das hatte er erwartet. Eigentlich war es sogar Bestandteil seines Plans. »Macht nichts, wir ignorieren sie einfach«, sagte er deswegen.
Sie fuhren eine Weile weiter, bis sie einen Hinweis passierten, den Lipaire nicht auf der Rechnung gehabt hatte. Cascadeurs – Hell Drivers war mit roter Farbe auf eine Holztafel gemalt worden. Er hatte natürlich schon von diesen Stuntleuten gehört, die wie ein Zirkus von Ort zu Ort tingelten und am Abend in ihren Shows die tollkühnsten Kunststücke wie Motorradsprünge über brennende Autos oder waghalsige Monstertruckshows aufführten. In Aktion gesehen hatte er sie bisher allerdings noch nicht. In diesem Moment drehte sich Quenot zu ihm um und deutete mit dem Kopf auf das Schild. Sie nickten beide, und der Belgier setzte den Blinker.