Delphine saß in einem netten kleinen Café direkt an der Croisette , der berühmten Prachtmeile von Cannes, und biss gerade beherzt in das éclair , das sie sich nebst einem weiteren bestellt hatte. Es war zu ihrer großen Freude eines mit richtig guter Füllung, knallgelb eingefärbt und mit viel künstlicher Vanille. Genau wie die aus dem Supermarkt. Sie mochte sie viel lieber als die der Patisserien, die neuerdings aus unerklärlichen Gründen echten, aber leider ziemlich blassen Bourbon-Vanille-Pudding in die Gebäckstücke füllten. Just in dem Moment, in dem sie den Mund voller pappsüßer Creme hatte, klingelte ihr Telefon. Filmstar ruft an , vermeldete das Display. Sie schlang den Bissen, so gut es ging, hinunter und nahm das Gespräch an.
»Ja, waff gimt’s?«, mampfte sie ins Telefon.
»Delphine, alles gut bei dir? Du klingst so komisch.«
»Allef beftems. Und keine Namn.«
»Äh … okay. Aber ich komm doch sowieso gleich bei dir vorbei. Egal, ich wollte dir nur sagen, dass Nummer eins aus dem Spiel ist. Ich hab ihr ein Angebot gemacht, das sie nicht ablehnen konnte.«
Delphine lachte, legte auf und wählte Lizzys Nummer, die ihr bestätigte, dass die Lage unverändert sei: Isabelle habe sich vor über einer Stunde weggeschlichen, danach habe niemand mehr das Haus verlassen.
Kurz darauf tauchte Jacqueline bereits an ihrem Tisch auf. Sie musste zweimal hinsehen, denn sie sah aus wie diese Schauspielerin …
Bevor sie etwas sagen konnte, legte die junge Frau ihr in Agentenmanier ein goldenes Handy unter einer Zeitung auf den Tisch, warf ihr noch eine Kusshand zu und brauste mit ihrem Roller davon.
Delphine zuckte mit den Achseln, rieb sich die Hände und zog den Laptop aus ihrem Einkaufsnetz. Nun kam also ihr Part bei der Sache. Sie schob sich die Lese- über die Plastiksonnenbrille mit den großen Gläsern, suchte das passende Verbindungskabel für Isabelle Vicomtes iPhone, stöpselte das Gerät an und startete die Software auf dem Computer. Zufrieden genehmigte sich Delphine ein weiteres Stückchen Vanillegebäck, dann vermeldete der Rechner mit einem metallischen »Pling«, dass er seine Arbeit bereits verrichtet hatte: Das Handy war entsperrt. Sie schleckte sich den Zuckerguss des éclairs notdürftig von der Hand, suchte den Kontakt von Marie Yolante, der amtierenden Chefin des Vicomte-Clans, und tippte mit spitzen Fingern:
Maman, bitte, du musst mir helfen. Hol mich hier raus, schnell!
Eine Weile passierte nichts. Als Delphine dann bereits das zweite éclair zur Hälfte vertilgt hatte, diesmal ein Exemplar mit Kaffeecreme, das seinem vanilligen Bruder bei Weitem nicht das Wasser reichen konnte, kam endlich eine Antwort.
Mon Dieu, wo bist du denn? Dachte, du seist oben im Zimmer. Was ist passiert? Hast du dich davongeschlichen?
Delphine überlegte einen Augenblick, dann musste sie grinsen und antwortete:
Geschlichen? Echt jetzt? Maman, ich bin kein Kind mehr. Ich bin in Cannes. Hilf mir. Bitte.
Delphine blinzelte in die Sonne. Den Kommentar zu Isabelles Alter hatte sie sich einfach nicht verkneifen können. Sie trank von ihrem café au lait und verschluckte sich vor Schreck, als das goldene Handy zu vibrieren begann und auf dem Display die Meldung Marie ruft an erschien.
Delphine ließ es läuten, bis die Mobilbox angesprungen war. Das Handy vermeldete eine Sprachnachricht, dann schrieb Delphine zurück:
Ich kann nicht telefonieren, maman. Nur schreiben. Es hat sich etwas in Cannes ergeben. Aber jetzt stecke ich hier fest … ich erkläre dir alles später. Komm jetzt! Bitte!! SOFORT!!!
Die Antwort ließ nur wenige Sekunden auf sich warten.
Ich habe verstanden, ma puce . Bleib ruhig, ich fahre jetzt los. Wohin genau soll ich kommen?
Delphine gab ihr die Adresse durch: Eine kleine Tiefgarage unweit der zentralen Markthalle von Cannes, die ihr alter Freund Mathieu von einer externen Steuerzentrale aus verwaltete. Er war im Bilde und wartete schon auf das silberne Porsche-Cabriolet. Zu gern wäre Delphine bei ihm vorbeigeschneit und hätte sich auf dem Monitor die bestimmt fuchsteufelswilde Marie Vicomte angesehen, doch zu diesem Zeitpunkt musste sie Cannes längst verlassen haben. Sie war ja schließlich nicht zum Spaß unterwegs. Außerdem würde sich Mathieu, ihre verflossene Jugendliebe, sonst nur wieder unberechtigte Hoffnung auf ein Liebescomeback machen. Und dafür hatte sie im Moment überhaupt keinen Kopf.
Sie schob sich den letzten Rest Gebäck in den Mund, packte ihren Laptop weg, befreite Isabelle Vicomtes Handy mittels einer Serviette notdürftig von den Zuckergussresten und Fettfinger-Abdrücken, legte einen Zwanzigeuroschein in das kleine Schälchen mit der Rechnung und griff zu ihrem eigenen Telefon. Sie tippte gespannt auf den Kontakt Grande Dame und hielt sich das Gerät ans Ohr.
»Kindchen, was ist denn bloß los? Hier tut sich leider überhaupt nichts.«
Delphine stutzte. Eigentlich hatte sie gedacht, dass Marie Vicomte überstürzt aufbrechen würde, um ihr Prinzesschen zu retten. Und nun tat sich nichts? Sie checkte zur Sicherheit noch einmal Isabelles Handy. Keine neue Nachricht. »Hm, keine Ahnung, es sieht eigentlich so aus, als hätte sie den Köder …«
»Korrigiere, eben verlässt Madame Marie das Haus. Mit gepunktetem Kopftuch und dunkler Sonnenbrille. Sieht nach einer Spritztour im Cabrio aus. Gut gemacht. Over and out .«