V erdammt noch mal, Oswald! Kannst du mir verraten, was das alles sollte?« Nur mit Mühe brachte Conlin seinen Zorn unter Kontrolle. Es hatte ihn Stunden gekostet, sich bei Schöffen, Schultheiß und schließlich in der erzbischöflichen Burg durchzufragen, Zugeständnisse zu machen und am Ende auch noch einen ordentlichen Batzen Silber- und Goldmünzen zu hinterlegen, bis man ihm gestattete, Oswald in der kalten, engen Gefängniszelle aufzusuchen. »Warum in aller Welt hast du im Gasthaus von Klais Brauer randaliert und einen fremden Kaufmann zusammengeschlagen? Man sagte mir, der Mann sei so übel zugerichtet, dass er nicht mehr aus den Augen schauen kann.«
»Er hat Streit angefangen.« Oswalds Stimme klang seltsam ruhig. Zu ruhig. Conlin lief es kalt den Rücken hinab. Wenn sein Bruder in diesem Tonfall sprach, war äußerste Vorsicht geboten.
»Streit angefangen? Klais Brauer hat gesagt, dass ihr gewürfelt habt und plötzlich seist du auf den Mann losgegangen.«
»Er hat mich beleidigt und mein Weib eine feile Metze genannt.«
Conlin runzelte die Stirn. »Die Schöffen sagen, der Mann habe ausgesagt, nichts dergleichen getan zu haben. Du seist aus heiterem Himmel auf ihn losgegangen.«
»Er lügt.« Immer noch diese leise, aufgeräumte Stimme, die Conlin die Haare zu Berge stehen ließ. »Ich habe es genau gehört. Die feile Metze macht es mit jedem, hat er gesagt, sogar mit dir, und dass ich ein Betrüger sei und dass er mir alles nehmen werde. Das hat er gesagt, jawohl! Und dass ich ein erbärmlicher Schwächling sei, der nicht einmal die eigenen Familienrechte einzuklagen imstande ist. Solche und weitere Bösartigkeiten hat er mir zugeflüstert, während er mich im Würfeln übervorteilt hat. Wie hättest du da reagiert, Bruder? Ich musste ihn zum Schweigen bringen. Meine Ehre gebietet es mir. Ich kann mich doch nicht von einem dahergelaufenen Krämer der Lächerlichkeit preisgeben und beleidigen lassen.«
»Das hat er alles zu dir gesagt?« Besorgt runzelte Conlin die Stirn.
»Ins Ohr geflüstert, so laut, dass es bestimmt alle im Gasthaus gehört haben. Frag sie nur, jeden, der dort gewesen ist. Sie werden es dir bestätigen.«
»Oswald …« Die Sache war noch ernster, als Conlin gedacht hatte. »Niemand hat irgendetwas gehört. Du musst dir das eingebildet haben. Ihr habt ganz friedlich gewürfelt und dann hast du …« Er stockte. »Du hast eine Stimme gehört, die dir eingeflüstert hat, dass der Mann dich beleidigt.«
»Ach was, so ein Unsinn. Was denn für eine Stimme außer der seinen, die mich auf das Übelste bloßgestellt hat!« Nun wurde Oswald doch eine Spur lauter, ungeduldiger.
Conlin war auf der Hut. In dieser Stimmung konnte sein Bruder gefährlich werden. »Das Gericht wird dich zu einer hohen Geldstrafe verurteilen, und zu Recht. Du hast den Kaufmann schwer verletzt. Wir können von Glück sagen, dass du nicht noch härter bestraft wirst. Ich konnte mit den Schöffen reden. Sie lassen dich frei, solange ich die Verantwortung dafür übernehme, dass du geradewegs nach Hause gehst und auch dort verbleibst, bis die Schöffen das Urteil verkünden und du deine Strafe bezahlt hast. Außerdem musste ich dafür bürgen, dass du auch wegen dieser Sache mit dem Überfall auf die Kaufleute ordnungsgemäß befragt und deine Aussage machen wirst.«
»Lass mich doch mit diesem Überfall in Ruhe. Niemand kann mir etwas nachweisen, egal, wie lange sie mich befragen. Und eine Strafe zahlen? Das ist lächerlich. Nicht ich gehöre verurteilt, sondern der dreckige Krämer! Ich habe mir nichts vorzuwerfen, denn ich habe nur meine Ehre und die meiner Familie verteidigt. Und überhaupt, ich kann jetzt nicht nach Hause gehen. Ich muss rüber auf die Straße nach Mayen und kontrollieren, ob unsere Knechte die Zollschranke richtig aufgestellt haben. Unter keinen Umständen lasse ich zu, dass man unsere Familie weiterhin ihrer wichtigsten Einkommensquelle beraubt.«
Argwöhnisch starrte Conlin Oswald an. »Von was für einer Zollschranke redest du da?«
Oswald erwiderte seinen Blick, als wäre Conlin begriffsstutzig. »Na, von der unseren, Bruder. Was dachtest du denn? Ich habe dir doch gesagt, dass wir einen Zoll zwischen Mayen und Koblenz besitzen. Die Urkunden habe ich erst kürzlich in einer von Vaters Truhen gefunden. Warum er uns nie davon erzählt hat, weiß ich nicht, aber der Zoll ist unsere Rettung, Conlin. Die Einnahmen werden unsere leere Kasse wieder füllen. Stell dir nur vor, wie lange wir schon auf diese Einnahmen verzichtet haben, weil wir nichts davon wussten.«
»Wir besitzen keinen Zoll, weder zwischen Koblenz und Mayen noch sonst irgendwo.« Conlin hatte sich zwar nie intensiv mit der Verwaltung der Ländereien seiner Familie befasst, aber so viel wusste er doch. Niemals hätte sein Vater Oswald eine solche Einnahmequelle verschwiegen – noch sie brachliegen lassen. Das war vollkommen unmöglich.
»Und wie wir diesen Zoll besitzen. Er gehört uns schon seit … Was weiß ich. Seit Menschengedenken. Sieh doch selbst in der Truhe nach. Ich habe sie in das Schreibzimmer gestellt, in dem Bruder Fidelmus früher immer über seinen Gebetbüchern gehockt hat.«
Innerlich seufzte Conlin. Anscheinend musste er sich doch einmal mit dieser Sache beschäftigen, um herauszufinden, was die Hirngespinste seines Bruders zu bedeuten hatten. Hinter ihm räusperte sich vernehmlich der Wachmann, der Conlin hinab in das Verlies der erzbischöflichen Burg geführt hatte, einen Ort, den kennenzulernen Conlin nie vorgehabt hatte.
Ihm graute jetzt schon vor dem Gerede in der Stadt darüber, dass man den Grafen Oswald vom Langenreth festgesetzt hatte – wieder einmal. Bis ins Gefängnis hatte er es freilich bisher noch nicht geschafft. Dafür hatte es diesmal einen ordentlichen Menschenauflauf gegeben, sodass sich die Kunde vermutlich inzwischen bis in den letzten Winkel der Stadt verbreitet hatte. Zähneknirschend trat er auf seinen Bruder zu. »Komm jetzt, Oswald, wir gehen nach Hause.«
»Nein.« Stur schüttelte Oswald den Kopf. »Ich muss noch unbedingt nach …«
»Nach Hause!« Zornig funkelte Conlin ihn an. »Auf der Stelle. Andernfalls veranlasse ich, dass die Wache dich wieder einschließt und dich erst wieder rauslässt, wenn du wieder bei Verstand bist. Du kannst von Glück sagen, dass ich überhaupt heute hier bin. Was hättest du getan, wenn ich, wie ursprünglich geplant, bis zum Herbst fortgeblieben wäre? Was hättest du Mutter und Amalia zugemutet? Ich bin sicher, sie sind außer sich vor Sorge um dich – und um den Ruf unserer Familie. Was ist bloß in dich gefahren, Oswald?« Obwohl er wusste, dass er das Risiko einging, einen von Oswalds berüchtigten Zornausbrüchen auszulösen, packte er ihn am Arm und stieß ihn in Richtung Tür. »Nach Hause«, wiederholte er. »Und dann schläfst du dich erst einmal aus. Du riechst, als hättest du in Wein gebadet. Wie viel hast du gesoffen?«
»Fast gar nichts.« Unwillig entzog Oswald ihm den Arm, ging jedoch gehorsam hinter dem Wächter her, der sie nach draußen geleitete. »Der Mistkrämer hat mir einen Krug Wein übergeschüttet.« Als sie an einer in einer Wandhalterung befestigten Pechfackel vorbeikamen, deutete er auf den dunklen Fleck, der sich quer über sein blassgrünes Wams zog.
Es dauerte eine Weile, bis sie das Haupttor der Burg erreicht hatten. Dort drückte Conlin dem Wächter noch eine weitere Münze in die Hand, bevor er Oswald durch das schmale Mannloch stieß. Draußen warteten sein Pferd und eines aus dem Mietstall in der Dechantsgasse angebunden an einem Geländer. Conlin hatte alle Wertsachen, die er bei seiner Ankunft bei sich gehabt hatte, Reinhild übergeben, damit sie darauf achtgab. Morgen würde er alles in Palmiros Kontor abholen müssen.
Es widerstrebte ihm zutiefst, dass er die junge Witwe in seine Angelegenheiten hineingezogen hatte. Oder vielmehr, dass sie mit eigenen Augen gesehen hatte, was mit seinem Bruder los war. Sie würde natürlich Fragen stellen. Fragen, die, wenn er sie wahrheitsgemäß beantwortete, ihn und seine Familie in einem denkbar schlechten Licht dastehen ließen. Ausgerechnet jetzt! Doch wie sollte er verhindern, dass diese Geschichte ihnen allen schadete – von seinem neuen Gewerbe ganz zu schweigen?
Oswald war verrückt. Nicht erst seit heute, doch offenkundig wurde es immer schlimmer. Er war gewalttätig, bildete sich Dinge ein, hörte Stimmen, die ihm haarsträubende Geschichten einflüsterten. Conlin hatte nicht die geringste Ahnung, wie er damit umgehen sollte.
»Steig auf.« Er deutete auf das Mietpferd und schwang sich gleichzeitig in den Sattel seines eigenen Reittieres.
Murrend gehorchte sein Bruder und nahm die Zügel in die Hand. »Auf nach Mayen. Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren.«
»Verdammt, Oswald!« Gerade noch rechtzeitig konnte Conlin in die Zügel greifen und sie Oswald entreißen. »Nach Hause.«
»Aber …«
»Es ist mitten in der Nacht! Was glaubst du, so spät und in der Finsternis noch entdecken zu können?«
»Aber die Zollschranke ist wichtig für uns. Ich will überprüfen, ob unsere Männer sie auf die rechte Weise aufgebaut haben und bewachen.« Plötzlich klang Oswalds Stimme fast weinerlich wie die eines übermüdeten Kleinkindes.
Conlin atmete auf, obwohl sich gleichzeitig sein Magen schmerzhaft zusammenzog. Die Gefahr war vorerst gebannt. »Bei Tageslicht kann man so etwas viel besser überschauen. Nun los, Bruder, ich habe eine lange Reise hinter mir und will ein paar Stunden schlafen.«
»Aber der Mistkrämer hat mich beleidigt, Conlin. Mich und mein Weib und uns alle und überhaupt. Ich sei nicht Manns genug, mein eigen Hab und Gut zu verwalten, wie es angemessen ist. Hämisch ausgelacht hat er mich, Conlin.« Die fast schon greinende Stimme seines Bruders verursachte Conlin eine unangenehme Gänsehaut. Er wusste nicht, was schlimmer war: Dass sein Bruder nach und nach den Verstand verlor oder dass er ihm praktisch dabei zusehen und – hören konnte.
***
Angespannt und mit pochendem Herzen sah Palmiro der Tür zu, wie sie langsam nach innen aufschwang. Doch erst, als er einen Schritt in die Kammer machte, die Hand fest um den Griff seines Kurzschwertes gelegt, erblickte er den hochgewachsenen jungen Mann, der im Licht einer Öllampe auf dem Stuhl in der Ecke des Raumes saß und nun hastig aufsprang.
Für einen langen Moment sahen sie einander schweigend an – Palmiro verblüfft, sein Besucher sichtlich verlegen. Palmiro lockerte den Griff an seiner Waffe und musterte sein Gegenüber eingehend von Kopf bis Fuß. Der junge Knecht von der Gasse vor dem Hurenhaus machte einen überaus gefälligen Eindruck. Er hatte Hemd und Hose gegen saubere Kleidungsstücke getauscht und sich offenbar gewaschen oder sogar gebadet und den kurzen Bart stutzen lassen. Die blonden Locken waren ebenfalls sauber und entwirrt, der Blick aus den haselnussbraunen Augen wirkte zwar ein wenig unsicher, aber gleichzeitig auch entschlossen.
In Palmiros Magengrube bildete sich ein kleines, sanftes Ziehen und das Kruzifix an seiner Brust schien sich zu erwärmen und zu vibrieren. Ehe er es verhindern konnte, nahm er das dunkelgoldene Leuchten um den jungen Mann wahr, das in der Mitte rötlich pulsierte. Ihm wurde warm, innerlich wie äußerlich, sein Herzschlag holperte ein wenig, das Ziehen in der Magengrube verstärkte sich, sodass er sich schließlich räusperte, um den Bann zu brechen. »Guten Abend, Bursche.«
Der Knecht schluckte so heftig, dass sein Adamsapfel auf und ab hüpfte. »Mein Name ist Bert, Herr … äh, Don Palmiro. Verzeiht mein unangemeldetes Eindringen …«
»Wie bist du hier hereingekommen?« Rasch schloss Palmiro die Tür hinter sich und trat noch einen Schritt auf den jungen Mann zu.
»Die, äh, Tür war nicht verschlossen, Herr. Und auch die Türen unten sind es nicht, ist ja eine Herberge und so. Da wären versperrte Türen wohl nicht so gut.«
»Theis Mött lässt Vorder- und Hintereingang der Herberge bewachen.« Obwohl er keine direkte Gefahr von Bert ausgehen spürte, ließ Palmiro sicherheitshalber seine Hand weiter auf dem Griff des Kurzschwerts ruhen. Auch sein Gegenüber hatte das bemerkt und sein Blick zuckte immer wieder ängstlich dorthin.
»Kann sein, Herr, aber seine Knechte sollen doch wohl aufpassen, dass Ihr nicht von hier abhaut, nicht, dass jemand Euch besucht. Außerdem weiß doch keiner, das ich zu Euch rauf bin. Und überhaupt.« Bert ging an das Fenster und stieß den Laden ein wenig auf und deutete nach unten zur Gasse hin. »Der da kriegt nicht mal mit, wenn das Haus abbrennt.«
Palmiro trat ebenfalls ans Fenster und warf einen Blick nach unten. Neben dem Eingang saß Mötts Wachknecht auf dem Boden, den Rücken gegen ein Mäuerchen gelehnt. Sein Kopf war auf die Brust gesunken; ganz eindeutig schlief er den Schlaf der Gerechten.
»Der am Hintereingang schnarcht dabei auch noch gehörig«, fügte Bert leise hinzu.
»Und da hast du dich an ihm vorbei ins Haus geschlichen, um mich zu besuchen.« Palmiro wandte sich dem Knecht zu. Sie standen einander nun dicht gegenüber, ihre Blicke trafen aufeinander, das Ziehen in Palmiros Magengrube wurde zu einem Pochen, das sich mit dem seines Herzens zusammentat.
»Ja.« Bert schluckte wieder, nestelte ein wenig an seiner Hose herum, zupfte an seinem Hemd, wich Palmiros eindringlichem Blick jedoch nicht aus. Ein Knistern schien in der Luft zwischen ihnen zu liegen, unheilvoll, verheißungsvoll. »Ich dachte, ich meine … Ihr wart heute so … Ich … ich bewundere Euch, Herr. Ihr wart sehr mutig dem Mött gegenüber. Dem bieten nicht viele Männer die Stirn und die Kleine, die Nilda, die kann sich glücklich schätzen. Ja … äh, und … also … als Ihr mich da so angesehen habt … Ich dachte, glaubte …«
Innerlich fluchte Palmiro, weil er unvorsichtig gewesen war. Gleichzeitig konnte er nicht verhindern, dass sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen stahl. »Du hast mich erkannt, nicht wahr, Bert?«
»Er…erkannt?« Bert schluckte noch einmal heftig.
»Als das, was ich bin.« Verdammt war er, das stand fest. Auf ewig verdammt. »So, wie ich dich erkannt habe, als das, was du bist.« Seine Stimme klang rau in seinen eigenen Ohren und er konnte Bert ansehen, was das tiefe Timbre mit ihm anstellte. Langsam hob Palmiro die Hand und berührte ganz sachte Berts Wange. »Du hättest nicht herkommen dürfen.«
Bei der sanften Berührung sog Bert ein wenig unstet die Luft ein. »Ich … weiß, Herr. Aber ich … konnte nicht anders. Schickt …« Ein weiteres Schlucken. »Bitte schickt mich nicht fort.«
»Das muss ich tun, Bert.« Rasch zog Palmiro die Hand zurück und ging zur Tür. »Ich muss dich fortschicken, das weißt du genau.«
Bert senkte den Blick, verzagt, dann hob er ihn wieder. »Und wenn ich nicht gehe?«
Verdammt war er, verdammt bis ans Ende aller Tage und darüber hinaus. Schweigend schob Palmiro den Riegel vor die Tür und trat wieder auf Bert zu, der daraufhin hastig die Fensterläden schloss und sich ihm gleich darauf wieder zuwandte.
Ein, zwei Atemzüge lang standen sie dicht voreinander, schweigend, bis Palmiro beherzt die Hand hob und Bert mit einem Ruck am Nacken zu sich heranzog. Im nächsten Moment trafen ihre Lippen aufeinander, hart, sehnsüchtig. Ein heftiger Stich durchzuckte Palmiros Inneres, Hitze stieg zwischen ihnen auf, in seinen Lenden begann es begierig zu pochen.
Bert stieß einen unartikulierten Laut aus und grub seine Finger in Palmiros Schultern. Sein Unterleib drängte sich an ihn, sodass Palmiro die Erregung des Knechts unmissverständlich spüren konnte. Die seine war nun ebenfalls nicht mehr zu verbergen. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, als er eine Hand nach unten wandern ließ und über die harte Erhebung in Berts Schritt strich.
Der junge Mann tat es ihm gleich, bis Palmiro Sternchen sah und einen halben Schritt zurücktrat, um seinen Gürtel zu lösen, Schwert und Geldbörse abzulegen und die Stiefel auszuziehen. Bert half ihm, Wams und Hemd abzulegen, und zog dann selbst sein graues Leinenhemd über den Kopf und warf es zu Boden. Der Anblick der breiten, wohlgeformten Brust ließ Palmiros Herz höherschlagen.
Die beiden Männer traten wieder aufeinander zu, Haut prallte auf Haut, Mund auf Mund, Zunge auf Zunge. Die Hitze zwischen ihnen waberte wie feuriger Nebel. Bert stöhnte auf, als Palmiro seine Hose aufnestelte und die Hand tief hineinschob, Berts aufgerichtetes Glied verlangend umschloss. Er spürte samtige Haut über pulsierendem, hartem Fleisch. Seine eigene Erregung drückte fordernd gegen den Stoff seiner Brouch.
Fahrig nestelte Bert an Palmiros Hose, bis er sie ebenfalls geöffnet hatte und hineingriff. Palmiro verdrehte mit einem Keuchen die Augen, als er die große, schwielige Hand des jungen Knechts zu spüren bekam. Lust stach in seinen Lenden, die er kaum zügeln konnte. Entschlossen zog er Bert mit sich zum Bett, das zwar schmal war, für das, was ihm vorschwebte, jedoch gerade ausreichend Platz bot.
Nachdem sie sich beide ihrer Beinkleider entledigt hatten, küssten sie sich erneut, jeweils mit einem Bein stehend, mit dem anderen auf der Strohmatratze kniend, ihre Leiber aneinandergedrängt. Verlangend umfasste Palmiro Berts festes Hinterteil, knetete es, bis Bert erneut nach seinem pulsierenden Schaft griff, ihn fest umschloss. »Herr, wollt Ihr … gleich … ich meine …« Er stöhnte, als Palmiro mit den Zähnen an seinem Hals entlangfuhr und sich in seiner Halsbeuge festsaugte. »Ihr … dürft … wenn Ihr wollt … Herr …« Bert machte sich schwer atmend los und drehte Palmiro den Rücken zu, um sich gleich darauf devot hinzuknien.
Das Angebot war allzu verlockend, doch Palmiro beugte sich lediglich über Bert, küsste seinen Rücken, streichelte fest an seinen Seiten entlang. »Noch nicht, Bert, nicht sofort.« Er kannte die Regeln, die im Allgemeinen in der Welt der Verdammten herrschten. Wer den höheren Rang besaß, durfte den Unterlegenen nehmen und mit ihm tun, wonach ihn verlangte. Doch Palmiro hatte sich noch nie gern an Regeln gehalten. Zumindest nicht, wenn sie ihm höchstes Vergnügen versagten – oder dem Mann, mit dem er zusammen war. »Ich will, dass es dir ebenso gefällt wie mir, Bert. Sag mir, was du gernhast.« Während er sprach, drehte er den Knecht mit sanfter Entschlossenheit wieder zu sich herum, sodass sie einander gegenüber auf der Matratze knieten.
Bert starrte ihn mit höchster Verwunderung an. »Aber Herr, es wird mir gefallen, wenn Ihr … Oh.« Er stieß einen fast erschrockenen Laut aus, als Palmiro sein Gemächt mit der Faust umschloss und erst seine Brust, dann seinen Bauch küsste. Immer weiter abwärts ließ er seine Lippen wandern. »Herr, aber … Ihr … das ist … nicht … O Gott!« Viel zu laut stöhnte er auf, als Palmiro mit seiner Zunge an der seidig weichen Haut seiner Männlichkeit entlangstrich.
»Schsch.« Lächelnd blickte Palmiro zu Bert auf, dann drängte er ihn in eine liegende Position und kniete sich verkehrt herum über ihn. Mit einem verschmitzten Lächeln blickte er zwischen ihren Leibern hindurch in Berts Gesicht. »Sag mir, ob dir das hier gefällt.« Wieder strich er mit der Zunge rau und zugleich zärtlich über das harte zuckende Gemächt.
***
Es war kurz nach Mitternacht, als sie die Pferde dem Stallknecht übergaben und gemeinsam das Haus betraten. Auf dem Weg zum Gut Langenreth hatten sie die meiste Zeit geschwiegen und Conlin hoffte, seinen Bruder ohne weitere Probleme ins Bett verfrachten zu können. In der Stube brannte noch eine Öllampe; Christine wartete offenbar auf Oswalds Rückkehr. Als sie die Stubentür öffnete und ihre beiden Söhne erblickte, stieß sie einen überraschten Laut aus.
»Conlin! Großer Gott, Conlin, du bist zurück, welch eine glückliche Fügung! Und Oswald, du bist nicht mehr im Gefängnis. Uns wurde zugetragen, du seiest verhaftet worden. Um des Allmächtigen willen, ich konnte es nicht glauben. Ein Irrtum doch wohl, oder? Das kann doch gar nicht sein, dass man den Grafen vom Langenreth ins Verlies wirft. Wir haben uns solche Sorgen gemacht. Ach, Conlin, wie gut, dass du da bist. Hast du deinem Bruder geholfen? Amalia!«, rief sie in Richtung der Treppe. »Amalia, wach auf und sieh, wer hier ist! Oswald ist zurück und ganz heil und gesund und Conlin ist auch hier!«
Oben knarzte eine Tür, gleich darauf erschien Oswalds Gemahlin in einem langen hellen Leinenhemd und mit unbedecktem Haarzopf auf den Stufen. »Conlin? O mein Gott, Conlin, du bist zurück!« Sie bekreuzigte sich und eilte die restlichen Stufen herab. »Welch ein Glück! Wir fürchteten schon … Als man uns das mit Oswald erzählt hat …« Sie wandte sich an ihren Gemahl. »Oswald, mein Guter, Ihr seid hier, was bin ich erleichtert!«
»Ach ja?« Mit gerunzelter Stirn und missbilligendem Zug um den Mund musterte Oswald seine Frau.
»Aber natürlich sind wir das.« Irritiert blickte Amalia zu ihm auf. »Wir fürchteten schon schreckliche Dinge, als Asbald uns erzählte, Ihr wäret von den Stadtsoldaten festgesetzt worden. Er wollte ja nur nach der Weinlieferung bei Wied fragen, kam aber gleich wieder zurück, als er das mit der Verhaftung erfahren hat. Wir waren in großer Sorge um Euch. Was ist denn bloß geschehen?«
»Er hat einen auswärtigen Kaufmann beim Würfeln in Klais Brauers Gasthof zusammengeschlagen«, antwortete Conlin, noch bevor sein Bruder auch nur Luft holen konnte. »Es wird einen Prozess geben und Oswald kann von Glück sagen, wenn die Schöffen ihn nicht zu mehr als einer hohen Geldstrafe verurteilen.«
»Oh. Du lieber Gott!« Erschrocken schlug Amalia eine Hand vor den Mund und schwankte leicht. Rasch griff Conlin nach ihrem Arm und fing sie auf, bevor sie stürzte. Dankbar hielt sie sich an seiner Schulter fest. »Warum habt Ihr das getan, Oswald?«
»Der Mistkrämer hat gekriegt, was er verdient!«, knurrte Oswald ungehalten und mit zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen. »Beleidigt hat er mich, immer und immer wieder. Und dich auch, obwohl …« Zwischen seinen Augen erschien eine steile Falte. »Wenn ich mir das so ansehe … Womöglich hatte er sogar recht, was?« Unvermittelt stieß er Amalia vor die Brust, sodass sie erneut strauchelte. Diesmal konnte Conlin sie jedoch nicht auffangen, weil Oswald auch ihm einen rüden Stoß verpasste.
»Um Gottes willen, Oswald!« Gerade noch fing Amalia sich und wich zwei Schritte vor ihrem Gemahl zurück. »Was soll das denn bedeuten? Ich weiß gar nicht, was Ihr meint.«
»Ach, das weißt du also nicht, du mistige kleine Hure? Wen hast du denn eben so freudig begrüßt? Mich etwa? Oh nein, meinen Bruder! Seinen Namen hattest du auf den Lippen, bis du dich bequemt hast, dich an mich zu erinnern. Hast wohl gedacht, er sei heimlich zurückgekommen, um es dir zu besorgen, während ich fort bin, was?« Ruckartig wandte er sich Conlin zu. »Sag die Wahrheit, du elender Hundsfott! Treibst du es heimlich hinter meinem Rücken mit meiner Frau?«
»Du bist ja nicht bei Trost.« Conlin bemühte sich, ruhig zu bleiben ob dieser infamen Anschuldigung. »Amalia und ich haben nie … Sie ist dir treu ergeben, du Idiot!«
»Sprich nicht so mit mir!« Oswalds Stimme wurde lauter und kippte leicht, sein Blick irrte unstet zwischen Conlin und Amalia hin und her und blieb schließlich an ihr hängen. Sie wich erschrocken noch einen Schritt zurück und stieß gegen das Türblatt. Oswald zog die Augenbrauen zusammen. »Ich sehe es dir doch an, du feile Dirne, du … Die ganze Zeit hast du mich mit meinem Bruder betrogen, mit meinem eigen Fleisch und Blut!« Grob packte er sie und schüttelte sie durch.
»Oswald, nein!« Mit schreckensbleichem Gesicht versuchte Amalia, sich loszumachen. »Niemals habe ich so etwas getan, so glaubt mir doch! Ich trage Euren Sohn unter dem Herzen.«
»Meinen Sohn! Das soll ich noch glauben? Woher soll ich denn wissen, ob das nicht Conlins Brut ist?«
»Aber Oswald«, mischte sich Christine mit schwankender Stimme ein. Sie wollte ihrem ältesten Sohn begütigend eine Hand auf den Arm legen, doch Conlin hielt sie gerade noch zurück. Dennoch sprach sie weiter. »Conlin war doch so lange fort. Wie kommst du darauf, er könnte mit Amalia … Das ist doch reiner Unsinn.« Unsicher, flehentlich, blickte sie zu Conlin. »Sag ihm, dass es Unsinn ist!«
Conlin knirschte mit den Zähnen. »Selbstverständlich ist es widersinniger Unfug. Oswald, lass Amalia in Frieden und geh zu Bett. Du bist heute nicht mehr Herr deiner selbst.«
»Oh nein, das wird heute noch geklärt, und wenn es sein muss, prügele ich die Wahrheit aus euch beiden heraus!« Oswald steigerte sich in ein zorniges Gebrüll hinein. »Ich lasse mir doch nicht von meinem eigenen Bruder Hörner aufsetzen.« Er wirbelte zu Conlin herum und boxte ihn gegen die Schulter. »Sag die Wahrheit, du Mistvieh. Wie lange treibst du es schon mit ihr? Wie lange?«
Ehe Conlin sich von dem heftigen Stoß fangen konnte, hatte Oswald auch schon wieder Amalia gepackt und schlug ihr ins Gesicht. »Sag es, Weib! Sag mir sofort die Wahrheit! Ihr habt euch doch alle gegen mich verschworen.« Noch einmal schlug er Amalia, dann stieß er sie brutal zu Boden. Sie stieß einen Schrei aus, als sie der Länge nach aufschlug. Oswald trat ihr hart in die Seite. »Ihr alle, jawohl. Wahrscheinlich habt ihr den Mistkrämer geschickt, was? Damit er mir diese Schmach ins Ohr flüstert und ich ihm eine Abreibung verpasse? Oh ja, ich durchschaue euch! Aber ihr habt euch verschätzt, ihr beide.« Wild drosch er auf Amalia ein. »Was hattet ihr vor? Wolltet ihr mich im Gefängnis verrotten lassen, damit ihr euch weiter miteinander vergnügen könnt?«
»Hör auf, Oswald! Lass sie in Frieden, du verdammter Schwachkopf.« Wutentbrannt riss Conlin seinen Bruder von Amalia fort und gab ihm einen Stoß, der ihn hart gegen den Türstock knallen ließ. Auch den Kopf stieß er sich an und taumelte für einem Moment benommen. Conlin packte ihn am Kragen. »Niemand betrügt dich in diesem Haus. Dein Weib schon gleich dreimal nicht. Und wie kommst du darauf, dass ich mich an sie heranmachen würde? Wann denn überhaupt? Ich war anderthalb Jahre außer Landes und seit meiner Rückkehr habe ich ganz sicher anderes zu tun, als Unzucht mit meiner Schwägerin zu treiben. Ist dir überhaupt klar, was du uns hier vorwirfst, du dämlicher Tölpel? Meine Ehre verbietet es mir, überhaupt jemals auch nur an so etwas zu denken, und Amalia beleidigst du aufs Äußerste mit dergleichen Anschuldigungen. Sie liebt dich, auch wenn man sich weiß Gott fragen darf, wie sie das fertigbringt. Also beruhige dich jetzt gefälligst und geh zu Bett.«
Da Oswald offenbar immer noch nicht wieder ganz bei sich war, leistete er keine Gegenwehr, als Conlin ihn zur Tür hinaus in Richtung Treppe schubste. »Der Krämer hat es behauptet. Er hat gesagt, ihr beide würdet …«
»Es ist mir gleich, was er gesagt hat oder was du glaubst, dass dir irgendwer ins Ohr geflüstert hat.« Conlin nahm an, dass sein Bruder sich wieder beruhigt hatte und die Gefahr gebannt war, denn Oswalds Stimme hatte wieder diesen kleinlauten, weinerlichen Tonfall angenommen, der signalisierte, dass der Tobsuchtsanfall vorübergezogen war. »Dass du mir solche Dinge fälschlich unterstellst, lassen wir mal außen vor, aber Amalia tust du damit grausam Unrecht. Sie war und ist dir schon immer eine getreue Gemahlin. Eine bessere kannst du dir gar nicht wünschen. Also verschone sie zukünftig mit diesem Irrsinn und wag es nicht noch einmal, sie so grob herumzuschubsen. Meine Güte, Mann, sie ist schwanger!« Er hätte seinen Bruder liebend gerne noch weiter angeschnauzt, doch er konnte sehen, dass dieser nun wieder ganz bei Sinnen war und vollkommen ruhig atmete. Auch sein Blick irrte nicht mehr so ziellos umher, wie es bei seinen Anfällen oft der Fall war. Deshalb riss nun auch Conlin sich zusammen. Sie hatten inzwischen die Treppe erreicht, deshalb ließ er Oswald vorsichtig los. »Geh zu Bett.«
Oswald nickte nur und umfasste den hölzernen Handlauf so fest, dass seine Fingerknöchel weiß unter der Haut hervortraten. »Ich habe Durst.« Nun klang er beinahe wie ein kleiner, quengelnder Junge.
Conlin seufzte unterdrückt. »Warte hier.« Mit wenigen Schritten war er in der Küche und goss Wein aus einer Karaffe in einen Becher. Als er zur Treppe zurückkehrte, hatte Amalia sich zu ihrem Gemahl gesellt. Sie hielt seinen Arm umfasst und erklomm mit ihm zusammen die schmale Stiege, obgleich diese eigentlich viel zu schmal dafür war.
»Amalia.« Als sie innehielt und sich zu ihm umsah, reichte er ihr den Becher. »Wie geht es dir? Hast du dich bei dem Sturz verletzt?«
»Mir geht es gut, Conlin.« Sie nahm den Becher und wandte sich an Oswald. »Kommt, Herr Gemahl, es ist spät. Lasst uns nun zu Bett gehen.«
»Durst«, kam es erneut undeutlich von Oswald.
»Hier, bitte, trinkt.« Sie reichte ihm den Becher, doch er nahm ihn erst an, als sie die oberste Stufe erreicht hatten. Ohne sich noch einmal zu Conlin umzudrehen, verschwanden die beiden in ihrer Schlafkammer.
»Conlin.« Christine war in der Stubentür aufgetaucht, das Gesicht grau vor Sorge. »Danke.«
Conlin trat auf sie zu und fand seine Mutter einen Augenblick später in seinen Armen wieder. Sie schluchzte trocken und klammerte sich regelrecht an ihm fest.
»Es ist gut, dass du da bist, mein Junge.« Ihre Stimme klang dumpf und gepresst. »Du musst uns helfen und dich um Oswald kümmern. Um uns alle. Ich bin so froh, dass du hier bist.«
Conlin antwortete nichts darauf. Für eine geraume Weile standen sie einfach nur so da, doch irgendwann löste er sich vorsichtig von ihr und verließ schweigend das Haus. Draußen setzte er sich auf eine einfache Holzbank vor dem Stall, lehnte den Kopf gegen die raue Außenmauer des Gebäudes und starrte in den dunklen Nachthimmel hinauf.
Er musste eingeschlafen sein, denn er erwachte ruckartig, als er den gellenden Schrei einer Frau vernahm. Erschrocken sprang er auf die Füße und rannte ins Haus zurück. Viel Zeit konnte nicht vergangen sein, denn drinnen brannten immer noch Kerzen in den Haltern und die Tür war nicht verriegelt.
Als er die Treppe erreicht hatte, hörte er Amalia oben erneut einen schrillen Schrei ausstoßen, dann ein Wimmern, dann wieder einen Schrei. Etwas polterte. Nun schrie auch noch die fünfjährige Adelheid auf, die offenbar von dem Lärm erwacht war. Im nächsten Augenblick ertönte schrilles Kinderweinen. Das musste Walther sein, der Vierjährige. Gleich darauf war die beruhigende Stimme der Kinderfrau zu vernehmen, durchbrochen vom Geplärr der zweijährigen Kunigunde, die im zweiten Obergeschoss von ihrer Amme betreut wurde.
»Ihr täuscht Euch, Oswald«, vernahm er Amalias flehende Stimme. »Conlin hat Euch doch geholfen, aus dem Gefängnis freizukommen. Er würde Euch niemals ein Unrecht …«
»Pah, vielleicht hat er einfach nur gemerkt, dass sein Plan nicht aufgeht, weil ich viel zu schlau bin und euch alle durchschaue!« Oswalds Stimme klang noch zorniger als zuvor, falls das überhaupt noch möglich war. »Euch alle, hörst du? Ich weiß genau, dass ihr Euch gegen mich verschworen habt, ihr treuloses, elendiges Pack.« Das Klatschen, als er Amalia schlug, war bis ins Erdgeschoss zu vernehmen, genau wie Amalias schmerzerfülltes Keuchen.
»Verfluchter Mistdreck, Oswald!« Mehrere Stufen gleichzeitig nehmend, erklomm Conlin die Treppe ins erste Obergeschoss. »Lass sofort von Amalia ab.« Er erreichte die Schlafkammer gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Oswald seine Gemahlin an den Haaren riss und ihr ins Gesicht schlug, dann stieß er sie mit einem Wutschrei von sich.
Amalia schluchzte und schrie gleichzeitig und versuchte, Oswald zu entkommen. Sie trat um sich und traf ihn am Schienbein, ob mit Absicht oder aus Versehen, konnte Conlin nicht erkennen. Doch Oswald brüllte zornig auf und ließ sie für einen Moment los. Amalia sprang zur Seite, rutschte aus – und fiel die Treppe hinab.
Conlin, der sich gerade mit einem Wutschrei auf Oswald stürzen wollte, um ihn von seiner Gemahlin fernzuhalten, konnte nicht verhindern, dass sie hart aufschlug.
Für einen langen Moment herrschte Stille. Amalia rührte sich zunächst nicht, doch dann stöhnte sie leise. Offenbar war sie nicht ganz bei Sinnen. Conlin fluchte laut, stieß Oswald von sich und versuchte, dessen schwangere Frau irgendwie von der Treppe herunterzubekommen. Oswald stand am oberen Treppenabsatz und stierte nur mit weit aufgerissenen Augen.
»Verdammt, hilf mir gefälligst!«, brüllte Conlin ihn an, doch Oswald reagierte nicht.
»Um der Liebe Gottes willen. Amalia! Oje, oh nein!« Christine kam aus dem zweiten Obergeschoss die Treppe herabgeeilt und versuchte, Conlin zu helfen. »O du liebe Muttergottes. Ich hole Hilfe, einen Knecht. Knechte!« Mit aschfahlem Gesicht rannte sie zur Haustür und riss sie auf. »Wilbert, Martel, Heide! Zu Hilfe! O mein Gott, wo steckt die Magd, wenn man sie braucht? Und wo die Männer? Heide, Heide!« Ihre Stimme überschlug sich. Von draußen wurden Stimmen laut; die Mägde und Knechte, die nebenan im Gesindehaus nächtigten, waren erwacht und kamen herbeigeeilt.
»Verflucht, Oswald, komm und hilf mir. Deine Gemahlin ist verletzt!« Erbost fuchtelte Conlin mit einem Arm, während er Amalia vorsichtig, Stufe für Stufe, die Treppe herabzog. Sie wimmerte kläglich, die Augen geschlossen.
Endlich kam Leben in Oswald. Er raufte sich die Haare, kam langsam näher. »Das wollte ich nicht. Ich wollte das nicht. Ich hab sie nicht gestoßen. Ich hab sie nicht … Sie ist gefallen. Ich wollte das nicht.«
»Halt dein verdammtes Maul und hilf mir, sie nach unten zu tragen!« Am liebsten hätte Conlin seinem Bruder ins Gesicht geschlagen, wieder und wieder und wieder. Doch Amalia war verletzt. Wie schwer, konnte er nicht einschätzen.
Als Oswald endlich mit anfasste, riss Amalia die Augen auf und starrte ihn entgeistert an. Sie zappelte, wimmerte, dann stieß sie einen markerschütternden Schrei aus, der nicht enden wollte.
»O Gott, o Gott, was ist mit ihr?« Christine eilte wieder herbei, dicht gefolgt von der kräftigen Hausmagd Heide und zwei Knechten. Draußen wurden noch mehr Stimmen laut. Offenbar war inzwischen das gesamte Gesinde auf den Beinen.
Amalia krümmte sich, heulte vor Schmerzen auf.
Conlin würgte es in der Kehle. »Kann es sein, dass das Kind kommt?«
»Bei allen Heiligen!« Entsetzt schlug seine Mutter die Hände vors Gesicht. »Das wäre viel, viel zu früh. O Gott, wie konnte das alles nur geschehen? Heide, lauf los, hol eine Hebamme.«
»Aber Herrin, mitten in der Nacht? Bis ich in der Stadt bin und die Hebamme geholt habe …« Sie vollendete den Satz nicht, sondern rannte zur Tür hinaus.
»Mein Kind, mein Kind.« Amalia, die inzwischen vor der Treppe auf dem Boden lag, presste ihre Hände auf ihren gerundeten Leib. »Oh bitte, es darf jetzt noch nicht kommen. Es …« Wieder stieß sie einen gellenden Schrei aus, krümmte sich.
Christine fiel neben ihr auf die Knie und ergriff ihre Hände. »Ganz ruhig, Liebes, ganz ruhig. Wir tun alles, was wir können.« Sie hob den Kopf und sah sich nach den Knechten um. »Ihr Männer, holt den Gebärstuhl aus der Remise. Rasch, rasch! Bringt ihn …« Fahrig sah sie sich um. »In die Küche.«
»Nein, nein, nein.« Amalia weinte. »Ich kriege mein Kindlein nicht in der Küche. Ich will nicht … Es darf nicht …« Wieder gingen ihre Worte in einen jämmerlichen Schrei über.
Weitere Mägde kamen herbeigerannt, versuchten zu helfen. Amalia wurde, halb geführt, halb getragen, in die Küche gebracht, wo die Köchin bereits einen Eimer mit Wasser in den Kessel über dem frisch angefachten Herdfeuer goss.
Conlin stützte Amalia, als diese versuchte, sich auf die Bank zu setzen. Sie zitterte und bebte am ganzen Leib. Tränen rannen ihr über die Wangen, sie atmete viel zu wild und hastig. Als sie Oswalds gewahr wurde, der bei der Tür stehen geblieben war und weiß wie ein Wiedergänger ins Leere starrte, wich sie unwillkürlich zurück und stöhnte vor Schmerzen. Dann vernahm Conlin ein leises Plätschern. Amalia schluchzte auf.
»Mein Wasser, das Wasser geht ab, das Kind kommt. Es darf doch nicht kommen. Es darf nicht.« Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen starrte sie Conlin an. »Geht! Geht weg! Alle! Das ist nichts … Bitte geht! Ich kann nicht …«
»Verlasst bitte die Küche.« Christine, die sich neben ihrer Schwiegertochter auf die Bank gesetzt hatte, berührte Conlin leicht am Arm. »Nimm Oswald mit und geht hinaus. Eine Geburt ist nichts für Männer. Ah, da sind die Knechte mit dem Gebärstuhl. Hier hin, stellt ihn gleich neben das Herdfeuer. Nein, doch besser dort drüben hin. Schiebt den Tisch zur Seite. Dann geht. Geht alle. Nur die Mägde bleiben.« Sie bekreuzigte sich. »O liebe heilige Muttergottes, steh uns bei. Wir haben keine Hebamme hier und nicht einmal einen Priester. Conlin, hol einen Priester.«
»Nein, nein, nicht, keinen Priester. Das Kind darf nicht kommen, es darf nicht … nein!« Amalia wand sich und schrie und schluchzte abwechselnd.
»Doch, doch, mein Liebes, ein Priester muss her.« Tröstend streichelte Christine ihr übers Haar. »Nur zur Sicherheit.« Sie warf Conlin einen flehentlichen Blick zu. »Bitte, hol den Priester. Schnell.«
Conlin erwachte aus der Starre, in die er beim Anblick seiner sich in Wehen windenden Schwägerin verfallen war. Grob packte er Oswald bei den Schultern und schob ihn zur Tür hinaus und hinüber in die Stube. Dort zwang er ihn auf einen Stuhl. »Setz dich und rühr dich nicht von der Stelle.«
Oswald reagierte immer noch nicht. Sein Blick war merkwürdig leer, kein Muskel regte sich in seiner Miene.
Skeptisch musterte Conlin ihn, dann winkte er Martel herbei, der gerade die Küche verließ. »Bleib bei deinem Herrn. Er soll die Stube nicht verlassen, bis ich zurück bin.«
»Aber …« Unsicher warf der junge Knecht einen Blick in die Stube auf den reglos dasitzenden und ins Leere stierenden Grafen. »Ich kann ihn doch nicht zwingen …«
»Das ist ein Befehl, Martel. Sperr die Tür zu, wenn es sein muss.« Während aus der Küche erneut ein markerschütternder Schrei gellte, verließ Conlin mit ausholenden Schritten das Haus.