Der Bäcker war schnell gefunden, lag auf direktem Weg durch die lang gestreckte Ortschaft in Richtung Hänichen, einem weiteren Ortsteil von Bannewitz.
Schauer parkte halb auf dem Bordstein, um nicht die Straße zu blockieren. Da Bruch weder Anstalten machte auszusteigen, noch etwas zu ihr sagte, musste sie davon ausgehen, dass er nichts wollte.
«Sie sind wohl von der Polizei?», fragte die Verkäuferin, eine ältere Frau mit grauem Haar, kaum dass Schauer den Laden betreten hatte. Außer ihnen war niemand in der Bäckerei. «Ist das Mädchen noch immer weg?»
Schauer nickte. «Leider.»
«Die ist bestimmt bloß weggelaufen.»
«Meinen Sie?», fragte Schauer in einem Tonfall, der eigentlich zum Ausdruck bringen sollte, dass sie keine Lust auf Spekulationen hatte.
«Ja, na klar, Stadtkinder. Ich sag Ihnen, die andere damals, die war auch nur weggelaufen.»
«Wie kommen Sie denn darauf?»
«Ich denk’s mir halt. Die wollen es nur nicht zugeben. Damals gab’s nämlich einigen Ärger deshalb.»
«Wie meinen Sie das denn?»
«Ach na ja, man hatte so das Gefühl, die glaubten, wir hätten was damit zu tun.»
«Wir? Sie meinen die Alteingesessenen?»
«Ja, was natürlich völliger Quatsch ist. Es gab eben Reibereien, nachdem hier so viele hinzugezogen waren. Hatten uns ja einiges erhofft. Mehr Umsatz. Aber die kaufen ihr Zeug alle in den großen Kaufhallen, gefrorene Brötchen und Brot aus der Maschine.»
«Das da, mit Salami!» Schauer zeigte auf ein belegtes Brötchen. «Wie meinten Sie denn das, dass Sie was damit zu tun hätten. Die haben ja nicht ernsthaft behauptet, die Alteingesessenen hätten das Mädchen damals entführt?»
«Na, gesagt hat das natürlich niemand, ich sag ja, das war so unterschwellig, als könnten wir was dafür. Drei fünfzig bitte.»
«Und zwei Kaffee bitte.»
«Hätten Sie das mal gleich gesagt, dann hätt ich die zuerst gemacht. Das wären dann sieben achtzig.»
Sieben Euro achtzig, wiederholte Schauer in Gedanken. Irrsinn. Das wären fünfzehn Mark sechzig gewesen für ein belegtes Brötchen und zwei Kaffee.
«Was hat sie gesagt», fragte Bruch.
«Wie meinst du?»
Bruch schwieg, sah sie an. «Ihr habt miteinander gesprochen», sagte er dann, nach einigen Augenblicken.
Schauer stellte die Kaffeebecher in die Halterungen des BMW , warf den Zucker und Milchpackungen in die Armaturenablage und legte das eingepackte Brötchen ins Türfach. «Nur Waschweibergeschwätz. Dass die aus der Siedlung damals behaupteten, die alten Dorfbewohner hätten mit dem Verschwinden von Linda was zu tun.»
Bruch sah sie an, ohne zu blinzeln. Dass der eine Kaffee für ihn sein sollte, hatte er anscheinend noch nicht registriert. Oder er war einfach nur ein ignoranter Affe, der nicht Danke sagen konnte.
«Du denkst doch nicht ernsthaft drüber nach?», fragte Schauer und startete den Motor.
«Hat sie das konkretisiert?»
«Nee, nur so ein Gefühl», zitierte Schauer. Wie er fragte, ohne die Stimme anzuheben, jeder Satz wie eine Aussage, das machte sie richtig wütend.
«Ungewöhnlich ist das.» Es hörte sich an, als käme gleich noch mehr, doch Bruch hatte fertig. Schauer kniff für einen Moment die Augen zusammen. Dann fuhr sie los.
«Immerhin ist das Mädel ja wieder da und hat niemanden im Dorf beschuldigt.»
«Hast du den alten Mann gesehen. Der stand mit draußen vor dem Haus der Kühns.»
Schauer wusste, wen Bruch meinte. «Ja, der muss mindestens achtzig sein.»
«Der scheint nicht neu hinzugezogen. Den will ich sprechen.»
Schauer wagte einen Blick zur Seite. «Wieso?», fragte sie. «Wieso soll der nicht hinzugezogen sein, und wieso willst du ausgerechnet den sprechen und wieso … ach.» Sie winkte ab. Herr Bruch würde schon wissen warum.
«Der Kaffee ist übrigens für dich!», sagte sie und zeigte auch noch auf den Becher, damit er auch kapierte, dass nur der rechte Becher für ihn war. Man wusste ja nie. Bruch glotzte auf den Becher.
«Danke!», sagte Schauer deutlich.
«Danke», wiederholte Bruch. Doch was war das schon wert, wenn man darum betteln musste.
Sven Berger war nicht zur Arbeit erschienen, erfuhren sie auf dem Getränkehof, schon am Vortag nicht. Sie mussten hoffen, dass er daheim war.
«Hast du gehört, gestern ist er auch nicht da gewesen!» Schauer sprach es aus, als wäre es von Bedeutung.
Bruch schwieg dazu. Er mochte nicht sprechen, nicht in diesem Zustand, in dem er sich befand. Wenn ihm jedes Geräusch, jede menschliche Regung wie bittere Galle aufstieß. Das Grau des Himmels sich mit dem Grau in ihm mischte. Jedes Wort zu viel war ihm eine Pein. Und der Tag war noch nicht einmal zur Hälfte um.
«Bist du immer so schweigsam? Wie war denn das mit deinem Kollegen? Sprach der immer für euch? Oder lässt du mich etwa auflaufen, weil ich die Neue bin?» Schauer beschleunigte den Wagen.
Bruch atmete durch. Vier Fragen in fünf Sekunden. Er hatte noch nicht einmal Antwort auf die erste.
Michael hatte gesprochen, wenn es darauf ankam. Michael war anders gewesen als er. Er wollte die Initiative ergreifen. Immer. Wollte der Macher sein. Handeln. Immer überall sein. Das Wort führen. Ihm war es immer recht gewesen. So konnte er sich Worte sparen. Außerdem fuhr Michael zu schnell. Alles war ihm zu langsam. Drei Autos hatte er in zehn Dienstjahren verschlissen. Sein Tod hatte damit nichts zu tun. Wie er ihn in dem Moment angesehen hatte. Warum er ihm diese Frage gestellt hatte, kurz davor? Das alles hatte einen Grund, doch sosehr er sich mühte, sich zu erinnern, in seinem Kopf war nur zähe graue Masse.
Inzwischen hatte Schauer die Geduld schon wieder verloren. «Okaaay, ich seh schon, das wird noch lustig mit uns beiden.»
«Ich schweige lieber», sagte Bruch aus demselben Grund, aus dem er vorhin den Kaffee getrunken hatte, eine Art Pflichtgefühl.
Es war nicht weit zu Sven Bergers Wohnung. Sie befand sich in einem großen Wohnhaus, das zwischen mehreren gleich aussehenden Wohnhäusern stand und Wohnraum für bestimmt zweihundert Menschen bot. Der ganze Komplex war recht neu, kein typischer Sozialwohnungsbestand. Vermutlich hatte man wirklich versucht, den Mann ins wahre Leben zu integrieren, nicht in die Subkultur der Plattenbaughettos. Was auch immer das wahre Leben war.
«Wenn der nicht aufmacht, stehen wir dumm da», murmelte Schauer, während sie die Klingelschilder studierte.
«Er hat Auflagen, er wird öffnen müssen.» Bruch hatte die Klingel längst gefunden, konnte nicht länger warten und drückte auf den Taster.
«Wasn?», plärrte es aus der Sprechanlage.
«Herr Berger? Kripo. Lassen Sie uns rein!»
«Hä! Kripo?»
«Herr Berger, lassen Sie uns rein.»
«Gleich, muss erst was anziehen!» Die Verbindung brach ab.
«Oder was wegräumen», raunte Schauer.
Kurz darauf summte der Türöffner. Bruch drückte die Tür auf, ließ Schauer zuerst hinein.
«Treppe oder Aufzug?», fragte sie.
«Aufzug.»
«Aber woher wissen wir, welche …»
«Vierte.» Das hatte man anhand der Anordnung der Klingeln erkennen können.
In der Vierten angelangt, stand dort schon ein Mann in der offenen Wohnungstür. Besonders schick hatte er sich nicht gemacht. Trug ausgebeulte Jogginghosen, einen labbrigen Pullover und Badelatschen. Sein Haar war schütter. Er hatte einen ordentlichen Bauchansatz, vermutlich vom Bierkonsum. Einige Tätowierungen zierten seinen Hals und die Finger. Hässliche kleine Bilder. Von einem Laien gestochen.
«Was wolltn ihr hier?», fragte er.
«Gehen wir rein!», bestimmte Schauer.
«Dürft ihr das überhaupt?»
«Wollen wir es rausfinden? Ist da was drin, das wir nicht sehen sollen?»
«Nee, Mann, ich mein doch nur.» Berger gab nach, schlurfte in seine Wohnung hinein. Schauer und Bruch folgten ihm.
Die Wohnung war in keinem guten Zustand, das Laminat verdreckt, die Wände abgegriffen, die Türen angeschlagen. Kaum zu glauben, dass er erst vier Monate hier wohnte.
«Braucht ihr nicht zu glotzen, hab die Bude so bekommen.»
Das musste eine glatte Lüge sein. Auf dem Couchtisch standen leere Bierflaschen, eine Großpackung loser Tabak, Zigarettenpapier. Es war kalt in der Wohnung, vermutlich weil er glaubte zu lüften, indem er alle Fenster ankippte. Dabei stank es penetrant nach Rauch. Unterdessen knisterte die Heizung voll aufgedreht. Die Möbel waren billig, vermutlich komplett aus zweiter Hand.
«Haben Sie nur dieses Zimmer?», fragte Schauer.
«Nee, nochn Schlafzimmer.»
«Ich seh mir das an!» Schauer trat zurück in den Flur. Berger wollte ihr nach, doch Bruch stellte sich ihm in den Weg.
«Setzen», befahl er. Berger zuckte mit den Achseln und ließ sich auf die Couch fallen. Er nutzte die Zeit, drehte sich mit geschickten Bewegungen eine Kippe, zündete sie an und lehnte sich in großer Geste zurück, legte den Arm auf die Rückenlehne der Couch. Grinste. Zwei Frontzähne fehlten ihm, einer oben, einer unten.
«Die wird da nix finden.»
«Das heißt, es gibt was zu finden», sagte Bruch.
«Nee, nur dass es nichts zu finden gibt. Weshalb seid ihr denn hier?»
«Warum waren Sie gestern nicht arbeiten?»
«Habs vergessen und eh kein Bock, der Penner dort nervt nur.»
«Was haben Sie stattdessen gemacht?», fragte Berger, sah Schauer an, die zurückgekommen war.
Berger breitete die Arme aus. «Abgegammelt. Fernsehn geglotzt. Seid ihr deshalb hier, weil ich nicht auf Arbeit war?»
«Ihr richtiger Name ist Jens Bürger», sagte Schauer.
«Geht dich mal gaaar nix an, Süße. Und schon gar nicht sollste das hier so laut rumkrakeelen.»
Schauer trat näher an den Mann heran. «Sie haben eine Freiheitsstrafe verbüßt. Vier Jahre wegen schweren sexuellen Missbrauchs.»
«Kann sein, ja, bin verurteilt worden. War ausgemacht. Die haben einen Dummen gesucht.»
Schauer wollte noch etwas fragen, doch Bruch kam ihr zuvor. Er spürte, wie angespannt sie plötzlich war, und die viele Fragerei vorhin und das nervöse Schweigen waren möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass sie ein Problem mit Sexualstraftätern hatte.
«Schildern Sie Ihren Tagesablauf gestern.»
«Alles?» Berger feixte frech.
«Alles!»
«Also, erst mal hab ich schön ausgepennt. Da wart ihr schon auf Achse. Dann bin ich aufgewacht, bin pissen gegangen. Dann hab ich mir eine Kippe gedreht. Hab ’nen Schluck Bier getrunken. Dann hab ich mir noch ’ne Kippe gedreht. Dann hab ich die Glotze angemacht, zwischendurch aus dem Fenster gesehen und so weiter und so fort. Zwischendurch hab ich ’ne Büchse Fertigzeug gefressen. Und scheißen war ich auch. Irgendwann war es Nacht, und ich bin auf der Couch eingepennt.»
«Sie kommen sich wohl witzig vor?», fragte Schauer.
Bruch berührte sie ganz leicht mit seinem Ellbogen. «Waren Sie gestern draußen.»
«Ist das ’ne Frage? Nee, nicht einmal!»
«Gibt’s Zeugen dafür?»
«Wasn für Zeugen, ich wohn ganz allein hier! Die Assis hier im Haus wolln mit mir nix zu tun haben.»
«Haben Sie ein Auto? Ein Moped, irgendein Fortbewegungsmittel?»
«Nee, Mann, von dem bissl Geld, was ich bei dem da oben krieg, kannst dir grad mal Kippen und Alk besorgen.»
«Wie kommen Sie denn zur Arbeit», fragte Bruch. Er musterte Schauer. Eine Veränderung war an ihr geschehen. Ihr Gesicht hatte sich verändert.
«Mitm Fahrrad halt.»
«Er hat Sie doch gerade gefragt ob Sie ein Fortbewegungsmittel haben», schnauzte Schauer den Mann unvermittelt an. «Kennen Sie jemanden in Goppeln? Kommen Sie manchmal da hin?»
«Was soll ich denn …» Der Mann verstummte. «Jetzt kapier ich, was los ist.» Er erhob sich.
«Setzen Sie sich wieder», mahnte Bruch.
«Ihr Wichser denkt, ich hab mit der verschwundenen Göre zu tun! Ich bin doch kein Kinderficker.»
«Wissen wir das?», fragte Schauer. Ganz weiß war sie im Gesicht. «Wie kam es denn zu vier Jahren Knast?»
Berger beugte sich vor, kam ihr mit seinem Gesicht ganz nahe. «Kann ich dir sagen, Püppchen …»
Weiter kam er nicht. Schauers Faust traf ihn ansatzlos im Gesicht. Er stürzte rücklings mit dem Oberkörper auf die Couchkante, prallte dann nach vorn, fand sich auf allen vieren wieder. Blut schoss ihm aus der Nase.
«Eh Alte, bissu bescheuert!», keuchte er, hielt sich die Hand vor das Gesicht.
Schauer holte noch einmal mit der Rechten aus, doch nun reagierte Bruch, hielt sie am Unterarm fest. Einen Moment fochten sie einen stummen Kampf aus. Bruch brauchte seine ganze Kraft, Schauer aufzuhalten. Nun schüttelte er stumm den Kopf, so wie sie es bei Herzfeld getan hatte, als der ihn körperlich angegangen war. In diesem Moment klärte sich Schauers Gesicht auf. Sie nickte ihm zu. Bruch ließ ihren Arm los.
Schauer ging in die Hocke. «Hol mal ein Küchentuch oder Toilettenpapier», bat sie Bruch. Der ging los, kürzte gleich ins Bad ab, zerrte ein paar Meter Toilettenpapier von der Rolle. «Es gibt so ein paar Worte, die gehen gar nicht. Püppchen zum Beispiel. Kleine, Mädchen, Schlampe, Fotze», hörte Bruch Schauer dabei sagen. Anstatt sofort zurückzugehen, wartete er im Flur. «Und wenn einer wie du das nicht kapiert, obwohl er schon vier Jahre im Knast gesessen hat, dann gibt’s eben aufs Maul, kapierste? Penner wie du müssen lernen, dass nicht die Frauen an deinem Scheißleben schuld sind, sondern du selbst!»
«Loslassen», rief Berger theatralisch und leidend. Bruch machte absichtlich ein Geräusch, ehe er sich anschickte, ins Wohnzimmer zurückzukehren. Als er in die Tür trat, hatte Berger sich auf dem Boden sitzend an die Couch gelehnt, sein T-Shirt war voller Blut. Bruch warf ihm den ganzen zusammengeknüllten Haufen Klopapier in den Schoß.
Berger nahm es und presste sich das Papier ins Gesicht. «Du hast das gesehen», nuschelte er. Schon begannen ihm hübsche lila Augenringe zu gedeihen. «Die zeig ich an. Du hast das gesehen! Geboxt hat die mich und mir fast das Ohr abgerissen!»
Bruch erwiderte nichts. Stattdessen zog er den Sessel heran, setzte sich auf die vorderste Kante. «Gestern. Wo waren Sie da?»
«Hier, hab ich doch gesagt!»
«Den ganzen Tag. Können Sie das beweisen?»
«War klar, war so klar, kaum passiert was, bin ich geliefert. Ihr braucht doch nur einen Dummen.»
«Würden Sie mir bitte auf meine Frage antworten.»
Dieser Bruch. Er hörte sich an wie so ein Automat. Unheimlich fast. Und Berger, der musste schlucken und stellte sein Gewinsel ein. «Ich kann’s nicht beweisen. Höchstens die Nachbarn, die kriegen das ja mit, wenn ich rein- oder rausgehe. Mein Fernseher war ja auch an. Aber die können mich nicht leiden.»
Ja, warum nur. Schauer spürte, wie die gerade abgeflaute Wut wieder in ihr aufstieg. Sie hatte ihn gar nicht schlagen wollen, das wollte sie nie. Aber dieses Wort. Püppchen . Sie wusste gar nicht, warum er vier Jahre gesessen hatte. Musste schon schwere sexuelle Nötigung gewesen sein. Er sah nicht aus wie ein Vergewaltiger, der nachts Frauen nachstieg oder kleine Mädchen befummelte. Eher war er einer von der Sorte, die glaubten, ihre Frau wäre ihr Besitz. Die ihrer Ollen mal eine reinballerten, wenn das Essen nicht auf dem Tisch stand. Oder es mit ihr trieben, auch wenn die gar nicht wollte.
Trotzdem hätte es nicht passieren dürfen, dass sie zuschlägt, vor allem nicht am ersten Tag.
«Kennen Sie das Mädchen, das verschwunden ist?»
«Was? Nein, ich weiß doch noch nicht mal, wer das ist. Ich weiß es nur aus dem Radio, dass sie ein Mädchen suchen.»
«Halten Sie sich manchmal in Goppeln auf, haben Sie Bekannte da?»
«Nein, keine. Hören Sie mal, können Sie nicht leiser sprechen, die Leute hier, die sollen nicht wissen, was ich für einer war. Deshalb hab ich ja einen anderen Namen jetzt.»
Bruch erhob sich. Berger wich gleich zurück, als erwartete er noch mehr Schläge.
«Gut, Sie werden hierbleiben. Für gelegentliche Besorgungen dürfen Sie raus. Haben Sie ein Telefon?»
«Ja, da drüben!» Berger zeigte auf den Fernsehtisch, dort lag ein altmodisches Tastenhandy.
«Ich notiere mir Ihre Nummer, tragen Sie es bei sich und gehen Sie ran, wenn ich anrufe.» So wie er das sagte, durfte es keinen Widerspruch geben. «Wo ist Ihr Kellerschlüssel?»
Berger stemmte sich hoch, setzte sich auf die Couch. «Liegt auf dem Schränkchen im Flur.»
Bruch gab ihr ein Zeichen, dass sie im Keller nachsehen sollte.
«Und was ist jetzt damit?», fragte Berger anklagend und deutete auf sein Gesicht.
Bruch zögerte keine Sekunde mit der Antwort. «Das müssen Sie kühlen.»
Er sagte keinen Ton, als sie wenige Minuten später in den BMW stiegen. Seine Miene war ausdruckslos. Er schien ihr keinen Vorwurf zu machen, zeigte aber auch kein Verständnis. Irgendwie war es, als wäre gar nichts geschehen.
«Wir müssen ihn beobachten lassen. Körperlich und durch Mobiltelefonortung.»
«Mit dem Verschwinden von Linda vor zwei Jahren kann er ja nichts zu tun haben, da war er im Bau. Glaubst du, er hat was mit Celinas Verschwinden zu tun?»
Bruch antwortete nicht, und inzwischen glaubte sie verstanden zu haben, dass er einfach nichts sagte, wenn er keine Meinung zu einem Thema hatte.
«Hör mal», begann sie. Es konnte nicht unbesprochen bleiben. Sie musste etwas sagen. «Ich kann bestimmte Dinge nicht ab. Wenn einer so mit mir redet, dann brennen mir die Sicherungen durch.» Sie sah kurz zu ihm herüber. Bruch zeigte keine Regung.
Aber er musste doch eine Meinung dazu haben. Es konnte ihm doch nicht völlig egal sein. Wenn so was publik wurde, dann gab es immer gleich einen Riesenaufschrei. Polizeigewalt, das führte ruckzuck zur Suspension.
Sie wollte nicht fragen, aber die Worte formten sich hinter ihrer Stirn und verursachten Druck. Sie mussten hinaus. «Wirst du das melden oder so?»
Vor ihnen schaltete eine Ampel auf Rot. Sie hielt, sah ihn an.
Endlich bemerkte er es, erwiderte ihren Blick. Er sagte nichts. Aber sein Blick, der musste ihr genügen.