Nachwort

Als Bosch durch die Glastür der Rechtsmedizin nach draußen kam, lehnte Ballard an der Fassade und wartete auf ihn.

»Ist sie es?«, fragte sie.

Bosch nickte ernst.

»Aber das war mir schon vorher klar.«

»Das tut mir leid«, sagte Ballard.

Er nickte zum Dank. Ihm fiel auf, dass ihr Haar nass und nach hinten frisiert war. Sie merkte, dass es ihm aufgefallen war.

»Ich war gerade mit meinem Board auf dem Wasser, als Sie mir die Nachricht geschickt haben«, sagte sie. »Es war seit einiger Zeit das erste Mal, dass ich nach meiner Schicht zum Paddeln gekommen bin.«

»Sind Sie mit Ihrem Scooby-Doo-Bus hier?«, fragte er.

»Ja.«

Sie gingen die Treppe zum Parkplatz hinunter.

»Haben Sie heute schon in die Zeitung geschaut?«, fragte sie.

Bosch schüttelte den Kopf. »Wieso? Was stand drin?«

»Eine Meldung über diese SIS-Geschichte oben im Valley. Weil es so spät passiert ist, war sie allerdings sehr kurz. Einen ausführlicheren Bericht gibt es wahrscheinlich erst heute im Internet und in der morgigen Ausgabe.«

»Klar. Die SIS sorgt immer für Schlagzeilen. Die nächsten

»In der Zeitung nicht. Aber gestern Nacht habe ich einen Anruf vom Valley Bureau bekommen.«

»Was wollten sie?«

»Es war wegen des Daisy-Clayton-Falls. Sie wussten, dass ich mich damit beschäftigt habe. Sie haben einen Kerl gefasst, von dem sie glauben, dass er es gewesen sein könnte – neben ein paar anderen Morden. Sie haben einen Hinweis von jemand erhalten, der sich als besorgter Bürger bezeichnet hat. So eine Art Batman anscheinend. Sonst ist nichts über ihn bekannt.«

»Haben sie gesagt, ob sie Anklage gegen Dillon erheben können?«

»Das auf Band festgehaltene Geständnis ist zwar zu nichts zu gebrauchen, aber sie haben genügend Verdachtsmomente, um von einem Richter einen Durchsuchungsbeschluss für den Lkw im Lagerhaus zu bekommen.«

»Was wollen sie mehr. Hoffentlich finden sie …«

»Haben sie bereits. Fingerabdrücke und DNA. Wenn sie Übereinstimmungen mit irgendwelchen vermissten Frauen finden, kann Dillon einpacken. Aber nicht wegen Daisy Clayton. Das ist nach so langer Zeit eher unwahrscheinlich.«

»Hauptsache, er wird überhaupt aus dem Verkehr gezogen.«

Ballard nickte.

»Was übrigens komisch war …«, fuhr Ballard fort. »Als die Ermittler im Lagerhaus waren, ist ein Auto angekommen, aber gleich wieder weggefahren. Detective Palmer, der Ermittler, mit dem ich zu tun habe, hat ihm eine Streife hinterhergeschickt. Und jetzt raten Sie mal, wer in dem Wagen gesessen hat.«

»Keine Ahnung«, sagte Bosch.

»Das ist ja interessant.«

»Noch interessanter ist, dass er behauptet, einen anonymen telefonischen Hinweis erhalten zu haben, dass der Kerl im Lagerhaus seine Tochter umgebracht hat. Als sie in seinen Kofferraum geschaut haben, war dort eine Kettensäge. Einfach so, in seinem Kofferraum. Eine Kettensäge.«

Bosch zuckte mit den Achseln, aber Ballard war noch nicht fertig.

»Fast könnte man meinen, dass dieser Batmantyp die beiden Seiten gegeneinander ausspielen wollte«, fuhr sie fort. »Palmer hat mir sogar erzählt, dass ihm dieser anonyme Anrufer geraten hat, sich zu beeilen, weil er Konkurrenz hätte. Deshalb bin ich froh, dass Sie mich heute angerufen haben, Harry. Ich wüsste nämlich schon gern, was Sie da gestern Nacht genau gemacht haben.«

Bosch blieb stehen, damit er sich ihr zuwenden und sie ansehen konnte. Er zuckte mit den Achseln.

»Na ja, eigentlich wollte ich mich an meinen Plan halten, aber dann musste ich plötzlich an Elizabeth denken. Und für mich ist es, als hätte er auch sie umgebracht. Ich habe plötzlich eine Wahnsinnswut bekommen und jemand angerufen. Aber dann habe ich es wieder ausgebügelt. Und jetzt ist doch alles gut ausgegangen.«

»Also, ich weiß nicht«, sagte Ballard. »Es hätte ohne Weiteres auch anders ausgehen können.«

»Wäre das denn so schlimm gewesen?«

»Darum geht es nicht. Worum es geht, ist doch die Frage, ob wir uns wirklich so verhalten wollen?«

Bosch zuckte wieder mit den Achseln und ging zu seinem Auto.

»War das der Grund, weshalb Sie sich mit mir treffen

»Nein«, sagte Bosch. »Eigentlich wollte ich über was anderes sprechen.«

»Worüber?«

»Ich finde, wir haben ziemlich gut zusammengearbeitet. In diesem Fall waren wir ein richtig gutes Team.«

Sie blieben an seinem Cherokee stehen.

»Stimmt, wir waren ein gutes Team«, sagte Ballard. »Was wollen Sie damit sagen?«

Bosch zuckte mit den Achseln.

»Dass wir vielleicht weiter gemeinsam an Fällen arbeiten sollten. Sie wissen schon, Sie finden sie, ich finde sie. Ich bin draußen, Sie sind drinnen. Wir schauen einfach, was sich machen lässt.«

»Und dann?«, sagte sie. »Ziehen Sie wieder Ihre Batman-Nummer ab und entscheiden, wen wir am Schluss anrufen?«

»Nein. Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass das nicht richtig war. Und ich habe es ja auch noch rückgängig gemacht. Das wird nicht wieder vorkommen. Wenn Sie möchten, bestimmen Sie, wo’s langgeht.«

»Und was ist mit der Bezahlung? Ich kriege was dafür und Sie nicht? Teilen wir uns mein Gehalt? Wie stellen Sie sich das vor?«

»Ich will weder von Ihnen noch von sonst jemand Geld. Außerdem ist meine Pension vermutlich höher als Ihr Gehalt. Mich interessiert nur, was Sie haben, Renée. Denn nicht allzu viele haben es.«

»Ich bin nicht sicher, ob ich verstehe, was Sie meinen.«

»Oh, das tun Sie sehr wohl. Sie wissen ganz genau, was ich meine. Sie haben dieses gewisse Etwas – wahrscheinlich hat das höchstens einer von hundert. Sie haben Narben im Gesicht, aber niemand kann sie sehen. Weil sie wild entschlossen sind. Sie geben nicht auf. Ohne das, was Sie haben, gäbe

Ballard hatte die Hände in den Hosentaschen. Sie blickte auf den Asphalt hinab, als Bosch diese Dinge über sie sagte. Dinge, von denen sie wusste, dass sie stimmten. Vor allem, was die Narben anging.

Sie nickte.

»Okay, Harry. Wir können Fälle bearbeiten. Aber wir biegen uns die Regeln nur zurecht. Wir brechen sie nicht.«

Bosch nickte ebenfalls.

»Klar, kein Problem«, sagte er.

»Wo fangen wir an?«, fragte sie.

»Keine Ahnung. Rufen Sie mich einfach an, wenn es was gibt. Ich bin ja nicht weit. Und wollen wir uns zukünftig nicht duzen?«

»Klar, Harry«, sagte Ballard und lächelte. »Ich melde mich bei dir.«

Damit schüttelten sie sich die Hände und gingen ihrer Wege.