, als die Mickerficker der schönen Chica nachsteigen, im Disturbomodus, und ihr dreckig ins Ohr sülzen: Ich kann mich in ein andres Leben hangeln, wenn ich diese fokkin Meridianer trashe. Bin schließlich tot auf die Welt gekommen und habe kein Fünkchen Schiss. War schon immer so und eben auch, als ich einem der Mickerficker das Gebiss poliert habe, der hatte die Chica angebellt, und die, ohne ein Wort, hat bloß die Straße fixiert, wo der Bus auftauchen musste, ganz angeflaut, erst recht, als ihr der Pinscher den Hintern abgegriffelt hat mit seinen verseuchten Schnulzfingern. Da habe ich die Leinen gekappt, die mich an den Ladentisch der Book vertäuten, wo ich arbeite, habe gespürt, wie der Staub um mich herum in Aufruhr geriet, und bin rausgeschossen, um mir die Fäuste an seiner Schnauze zu stauchen, was hatte ich zu verlieren, wo ich nie was besessen habe. Komme dem Fips also von hinten und schwengle ihm den Schuh gegen den Knöchel, der krümmt sich wie eine Nacktschnecke, die an Regentagen die Scheibe runterkriecht, schön langsam, dann schwinge ich ihm mit voller Wucht einen olympischen Haken hinten gegen das Oberlicht.
Zack! Bumm! Kawatsch! Ich niete ihm die Zähne um, bis er nur noch sein rotes, feistes Mus sieht, wie er da großspurig rumzippert, der Länge nach auf den Gehweg gelümmelt, die Beine gegrätscht. Da hatte sich schon ein Häufchen um mich zusammengeballt, denn immer wenn es auf der Street Geklopfe gibt, pflanzen sich Mickerficker neben Mackerfacker, um aus erster Reihe zu glotzen.
Sagt einer der Fipse zu mir:
»Fokkin, men, nicht auf die fiese Tour, Drecksmex, mach’s wie die Machines.«
Und schon stürzt er sich mit blitzendem Eisen zwischen den Zähnen auf mich wie diese Hunde, die alles zerfetzen, was sie zu fassen kriegen, und automatisch verpasse ich mit demselben Fuß, mit dem ich den ersten zerlegt habe, dem zweiten einen Bazookatritt zwischen die Stelzen und holze ihn um. Bevor er zu Boden gegangen ist, habe ich noch gesehen, wie seine Augen weiß wurden; die Eier sind ihm wohl durch den Arsch hirnwärts gewandert. Und er schlägt hin, schön der Nase nach.
Da hat in dem fokkin Häufchen niemand mehr den Macker spielen wollen, die haben mich bloß angeglotzt, blau angelaufen, eingeschrumpft, wie von der Luft gequetscht.
Dann habe ich mich nach der Chica umgesehen, na ja, wollte wissen, ob’s ihr gut geht, aber die war weg. So viele Mickerficker standen um mich rum, dass ich nicht wusste, war der Bus schon gekommen oder hatte sie sich irgendein Mackerfacker unter den Nagel gerissen und in die Nebengässchen gezerrt, wo die Häuser Rattennester sind.
Eine Schwarze, die das Desaster mit angesehen hat, drängt sich zu mir und zieht mich am Arm aus der Meute, während ein paar Mickerficker noch versuchen, den beiden Säcken auf dem Gehweg Luft zuzuwedeln; bringt mich zur Ecke, die Schwarze, und sagt:
»Mammamia, Sackfratze, hast grad das Wespennest geschüttelt, mach dich dünne, sonst gibt’s Ärger, hier atmest du nicht drei Sekunden länger.«
Ich mache mich vom Arm der Schwarzen los, lasse sie an der Ecke allein weiterquatschen, überquere die Straße Richtung Buchhandlung, um wieder die Fliegen zu bedienen.
[Ah, so gut hatte ich mich nicht mehr gefühlt, seit ich kopfüber in den Río Bravo gesprungen war, wäre fast abgeschwirrt dabei, aber meine Arme haben mich wieder nach oben befördert, Stunden später, mehr tot als lebendig, als atmete ich zum ersten Mal. Da hat mich endgültig der Bammel vor allem Grobzeug verlassen, am Fuß des Wassers, auf dieser Seite des Abgrunds.]
Am Ladentisch der Book überfällt mich der Chief wie eine Sense von hinten und fragt:
»Hast du was verkauft, Scheißfilzlaus?« Dann tritt er ans Schaufenster und bellt: »Fuck, was ist an der verdammten Ecke los?«
Ich zucke mit den Schultern, den Wischwedel in der Hand, denn ich hatte das Abstauben unterbrochen, um die Mickerficker zu zerlegen und die Chica zu verteidigen.
»Hund überfahren«, sage ich mürrisch und schnaufe gravitaben genervt. Ich blicke nach draußen und kriege einen Gurgelknoten, einen Schwinger gegen den Magenmund: Die Chica kommt über die Straße Richtung Buchhandlung.
Erde, verschluck mich.
Die Eier verschrumpeln mir vor Schreck.
Ich kann nicht mal schlucken.
Ich sehe vor mir, wie ich unter ihrem Blick sekundenschnell in der Luft verdampfe, im Nu flüchte ich ins Transparente.
Der Chief sieht sie auch und sagt mir musketierisch:
»Die bedien ich, Stinkwanze«, macht mir ein Zeichen, ich soll mich zu den Regalen hinten verziehen, damit ich ihn nicht vor dem Goldvogel blamiere, und streicht sich den Spitzbart.
Die Chica tritt über die Schwelle, zerzaust heillos die Luft, würdigt die Bücher im Regal und auf den Tischen keines Blickes, geht weiter und pflanzt sich vor den Ladentisch. Der Chief plustert die Brauen und fährt die Augen spazieren, als wollte er dem Prachtstück bloß nicht in den Ausschnitt glotzen.
Ich blicke starr zu Boden, fühle mich als Schiffbrüchiger im papiernen Büchermeer.
Mein Mund ist so trocken, dass ich mit der Luft zu gurgeln beginne.
Sie sagt Gott weiß was zu ihm, denn ich höre nichts mehr, spüre nur meine Schläfen mit tausend Stundenkilometern flattern. Der Chief winkt mich rüber und sagt mir mit Peanutsstimme fast ins Ohr:
»Was hast du mit der angestellt, fokkin Filzlaus, die will mit dir reden!«
Der Chief entfernt sich ein paar Schritte, tut so, als sähe er nicht hin, aber ich weiß, er hat Augen hinter den Ohren und Ohren in den Pupillen. Die Chica mustert mich von Kopf bis Fuß, als durchbohrte sie mich, als wäre ich aus Rauch, und bevor sie kehrtmacht und den Laden verlässt, sagt sie bloß:
»Thanks, Chico … und no thanks. Brauch keine Helden, you know?«, macht kehrt, und ich spüre, wie alle ihre Kurven, ihre Lippen, ihre Brüste, ihr Geruch meine rot angelaufene Grottenolmhaut wie ein Hurrikan beuteln. Der Chief glotzt ihr auf den knallroten Hintern, als sie durch die Tür geht und die Straße in Richtung ihres Hauses überquert. Ich verteile mich über alle Bodenkacheln, verspritze mich als irgendein klebriges Zeug. Der Chief dreht sich um und sagt gallig:
»Scheißbastard, was zum Teufel war das?«
Ich zucke wieder mit den Schultern und habe nicht übel Lust, an Ort und Stelle zu reihern, inmitten all der Liter Tinte, die die Druckereien verbraucht haben müssen, um all die Bücher mit Buchstaben zu bespritzen. Aber das ist nicht die Angst vor der Prügelwut. Beim Streit vor der Tür hatte ich den Puls eines mumifizierten Kataleptikers. Die Gleichmut in Person. Ich hätte ein Kamel durch ein Nadelöhr fädeln können, während ich die Mickerficker auf den Rückenpanzer drehte. Nein, der Bammel kommt bei den Chicas, vor allem bei den schönen, den leicht koketten; mir hüpft da was im Wanst, wenn ich nur dran denke, dass ich einer nahe komme, mir scheint, ich darf nicht mal dieselbe Luft wie sie atmen; das Knochenmark verbrutzelt mir, sobald ich ihre Haut nur mit den Blicken streife. Beim Prügeln stehe ich meinen Mann, klare Sache. Aber die Kurven bringen mich ins Schleudern, katapultieren mich in den schlimmsten meiner Abgründe. Als die Chica aus der Book gerauscht war, fühlte ich mich jedenfalls elend, umgestülpt und ausgeleiert.
Und keinen Piep, keinen Piep hatte ich ihr sagen können.
»Scheiße Mann, was war das?«, der Chief reißt mich aus meinem benebelten Beben.
»Nichts, Chief«, ich klaube wieder meine Einzelteile bis zur Hypophyse auf. »Die Chica wollte eine Zeitschrift, die wir nicht haben«, sage ich dem Quälsack, damit er seine Nadel nicht mehr in den klaffenden Riss bohrt, der sich da in meiner Brust auftut.
»Biblischer Bastard, wie sollen wir uns über Wasser halten, wenn du nicht mal eine Scheißzeitschrift verkaufen kannst, he? Fuck. Fuck. Fuck.«
Und ich, ganz umwölkt, bis zum Ekel von meiner eigenen Kotze verschluckt.
Ich kann nicht schlafen, starre nur ins verwaschene Dunkel, das mir in die Iris sticht, die Poren aufbohrt, um sie mit Kälte zu füllen, jawohl, oben auf dem Dachboden, den mir der Chief überlässt, damit ich in der Buchhandlung bleiben kann, hier oben, umahnt von honigsüßen Spinnen, eingebautem Ungeziefer in den Wänden, bereit, mein Fleisch zu bespringen. Kamikazespinnen. Und nein, ich kann nicht in den Schlaf tauchen, stelle mir die Chica vor, die an der nackten Glühbirne schwingt, bis alles Glas zerscherbt ist, und mich mit dunkelvioletten Nägeln mitten in der Nacht erdolcht. Ja mir scheint, ich kann sogar das Zwiegeraspel ihrer Hände hören, die mir die Haut zerreißen, mich zerfetzen wie eine Zeitung zum Fensterputzen, und zugleich das Geräusch von splitterndem Glas.
»Bastard. Scheiße. Fuck. Fuck. Fuck. Bastard. Filzige Zündelzecke. Fuck, fuck, fuck«, brüllt es immer lauter und wahnsinniger.
Ich will nicht aufstehen.
Ich habe nicht die Kraft, es aus eigenem Willen zu tun. Noch klebt mir das Fieber am Leder; eine gappende Turbulenz trudelt mir durch die Eingeweide. Während ich zusehe, wie der Staub heiß durch die Leuchteingeweide des Sonnenstrahls schwebt, stößt der Chief unten in der Buchhandlung einen Schrei aus, als klebte sein Schädel an einem Schalltrichter.
Ich pfeffere die Wolldecken in die Ecke und stürze das Speichertreppchen runter, die Augen gemasert, als hätte ich die ganze Nacht zerstoßenes Glas geweint, aber auch meine von Schlaflosigkeit zerkratzten Augen sehen die Bescherung.
Die Buchhandlung ist ein Trümmerfeld. Völlig zerstört. Der Chief stellt gerade ein Regal auf und beginnt, die Leichen der entblätterten Bücher aufzusammeln. Der Laden gleicht dem Weg im Wells Park im Herbst, fein eingemummelt in aberhundert rote Blätter, die den Boden beläufern. Manche Bücher scheinen mit Messern, Knüppeln, Zähnen, Bissen ermordet worden zu sein, manche wirken wie Amputierte, als hätte eine Rakete im Hintern ihnen die Eingeweide oder den Rücken zerfetzt. Der Chief sieht mich an, in den Händen einen Strauß zerfledderter Seiten, aber anstatt mich anzuschnauzen, das gesamte Konto seines Zorns auf mich zu entleeren, sehe ich, wie seine Augen splittern und er über den Glitzerschuppen zusammensinkt. Ich weiß nicht, was tun, tue also nichts. Ich zucke nur wieder mit den Schultern und fange an, aufzusammeln, was in meiner Reichweite liegt. Ich stelle einen entwurzelten Tisch auf und pflanze darauf ein Getümmel von Büchern, die ich vom Boden auflese.
[»Die Bücher bluten«, hatte der Chief gesagt, als er mich zum ersten Mal in der Book empfing, denn er brauchte einen Jungen, schön billig, der sich in die Ritzen der Buchhandlung drängte und saubermachte, ihm bei allem zur Hand ging; der wie ein Skorpion die Wände emporkletterte und geschriebene Anmaßungen hinauf- oder hinabbeförderte; der anakreontische Kisten mit Wälzern schleppte und sie in den Keller brachte, damit sie langsamer vor sich hin wurmten, wie sie alle Fraß der Würmer werden, die fokkin Bücher; der einem wilden Wortgewürge standhielt und dabei wischte, entstaubte und den Laden aufräumte.
»Chico, was weißt du über Bücher?«, hatte er damals, beim ersten Mal gefragt, als ich Arbeit bei ihm suchte.
»Nichts weiß ich, Mister«, antwortete ich.
»Was heißt nichts, Chico? Bist doch nicht dämlich, oder?«
»Nein, bin ich nicht, Señor.«
»Also, was weißt du über Bücher?«
Ich erinnere mich, dass ich mich in seinem Winzloch umsah, bis zur Decke mit Schwarten angefüllt, und bloß sagte, was mir als Erstes in den Sinn kam:
»Stehen einem quer im Weg.«
Da habe ich zum ersten Mal dieses Lachen gehört, das Lachen eines Alebrije, eines plattarschigen Fabelviechs. Er nahm die Brille ab und brummte wie eine Hummel.
»Fuck, hiui, hiui, hiui! Du bist nicht nur ein Idiot, hiui, hiui, hiui, sondern ein Vollidiot!« Und er lachte noch lange weiter.
Als er genug herumgekrächzt hatte, engagierte er mich vom Fleck weg, auf Probe, damit ich ihm umsonst die Schaufenster putzte.
»Mal sehen, ob du nicht ganz so blöd bist, wie’s scheint, und die Scheiben vor Sauberkeit knistern, fuck. Ach ja, noch was: Warum stinkst du, als würde dir Scheiße an den Klamotten kleben?«
Ein Kinderspiel, habe ich gedacht, die Scheiben würden so cleanisch knistern wie die Fenster in den Särgen, wenn der Tote keinen Hauch mehr tut, hinübergegangen auf die andere Seite der Luft, unerschütterlich, auf ewig, ohne fokkin Atem. Und das habe ich dann getan, habe den Dreck von Jahrhunderten abgepellt, mit meinen Nägeln als Spachtel und meiner Puste als Fensterpolitur.
Monate später hat der Chief mal so nebenbei fallenlassen, er habe mich angestellt, weil ich der einzige Chico gewesen sei, der so aussah, als würde er ihm niemals auch nur einen einzigen Wälzer klauen.
»Was zum Teufel soll ich mit denen anfangen«, antwortete ich, angesäuert wegen meiner befleckten Ehre, »will bloß weiter Richtung New York, weg vom Ufer, woher ich gerade geflohen bin. Erst klaube ich ein bisschen Kohle zusammen und platsche dann wie ein Stein in die nächste Pfütze.«
Aber das Letzte hatte der Chief nicht mehr gehört, denn das war so leise rausgekommen, dass ich es vielleicht nur gedacht hatte.
So vergingen die Wochen, und da ich mich als Chico für alles bewährte, überließ er mir den Speicher über der Buchhandlung, damit ich mich nicht nur den lieben langen Tag abrackerte, sondern auch nachts ein Auge auf sie hatte, wenn er homewärts abzog, zu Señora und Señoritos. Ich blieb eingepfercht, fast eingesperrt zurück, das Dachfenster zugenagelt.
»… aber wenn dir jemand helpen soll, darfst du das Phone benutzen. Nicht vergessen, du Kauterlaus, schön zum Phone greifen, capichi?«
Und er verschwand in seinen Vorort, rund und munter, um seine Señora mit seinem Schwanz zu kauterisieren und noch mehr Señoritos zu zeugen.
Oben im Dachstübchen habe ich dann schön zaghaft angefangen, mir Triefaugen über den Büchern zu holen. Zuerst die mit Bildchen. Die hatte ich mir mit hinaufgenommen, denn ab und zu schneite so eine Aufgedonnerte herein, wollte Bücher auf Spanish und verlangte, wovon ich keinen Schimmer hatte. Der Chief hatte es gesehen und mich eines Nachmittags algorithmisch angebellt:
»Hirnverbrannter Zeck, lies gefälligst was, wenigstens die Klappentexte, damit du weißt, worum es verdammt noch mal geht, und ein fokkin Book verkaufen kannst und nicht so ein brunzdummer Bastard bleibst.«
Mit der Pistole auf der Brust zog ich mir also eine tüchtige Portion von dem Gesülze rein, das man als Schwanz an die Bücher klebt. Schwitzte Blut dabei, denn vom Lesen tun einem erst die Augen weh, und dann verlaust einem nach und nach die Seele. Abends nahm ich jungfräuliche Bücher mit nach oben, und morgens trug ich sie entjungfert wieder nach unten.
»Hör mal, Bastard, weißt du, warum auf dem fokkin Book hier lauter Fettpratzen sind?«
»Nein, Chief, Hand aufs Herz.«
»Spiel nicht den Trottel, Primatenbastard.«
Also lernte ich, mir Plastiktüten über die Hände zu ziehen, damit ich keine Spuren auf den Büchern hinterließ. Wie sie nach oben kamen, so brachte ich sie wieder runter. Hatte sogar gelernt, sie aus der Originalverpackung zu zupfen und wieder einzuwickeln, damit sie makellos blieben. Denn der Chief liebte seine Bücher und hatte bei jedem Verkauf das Gefühl, seine Seele mit zu verkaufen. So sind die prallen Paviane: angeranzt von ihren eigenen Wehwehchen.]
»Zieh los, Bastard, sag meiner Señora, sie soll kommen, fuck, ich will sie nicht anrufen, sonst erschrickt sie, und es passiert noch Schlimmeres«, sagt der Chief, der immer noch auf dem Boden der zerlegten Buchhandlung kniet, nachdem ich bereits alle Regale wieder aufgestellt und begonnen habe, die verstreuten Blätter mit dem Besen aufzufegen. Da sehe ich ihn mir genauer an. Und finde ihn so verändert, so kniegebeugt, wie er da die Buchfetzen volltropft, die er in Händen hält. Wie ein undichter Brunnen: Der Chief ist zu einem Regen geworden, der an Lassos von den Wolken baumelt. So wolkenbruchartig, so schutzlos hockt er da vor mir, quiekt wie eine säuische Missgeburt über den Schnitzeln seiner zersprengten Bücher, dass ich den Besen tanzend in der Luft zurücklasse und affenartig davonquicke, auf die libidinöse Straße hinaus, damit ich wenigstens durchatmen kann, denn mir steckt immer noch so ein Putzlumpen in der Kehle, quer wie einen Avocadokern, ein Erdbebenzittern verstopft mir die Arterien, ich weiß nicht, bin wie hineingelöffelt in ein gottloses Loch. Ich puste mir Luft in die Nase.
»He, Chico, haben Bienen dich an Hintern erwischt, Sackfratze?«, höre ich von der anderen Straßenseite die zahnlose Schwarze rüberrufen, die ein metallenes Wägelchen voller Gerümpel vor sich hertreibt. Dann zieht sie weiter Richtung Ecke und verschwindet hinter dem Haus der Chica. Ich bleibe zurück, auf den Gehweg gehämmert, pendle die Zeit hin und her. Fühle mich verloren. Sehe eine Gruppe von Mackerfackern im Pulk vorbeikommen, das Handy ans Ohr geklebt; sehe Fipse und Mickerficker, die sich die Hände beim Eierwiegen abnudeln; sehe Chicos und Chicas die Straße überqueren, sehe sie kommen und gehen, aus allen Poren Kohlendioxyd bluten. Sehe die Autos, die anhalten und beschleunigen, metallen dahinrollen, sich vermengen. Gehupe, Gemurmel, die lärmende Sonne, die auf die Gebäudespitzen prügelt, und alle Vögel haben sich in den Drähten verheddert. Ich sehe die hohen Fenster, durch die sich Blumentöpfe über Feuerleitern herabhangeln, über gluckende Giebelfenster. Sehe geschlossene Jalousien und offene Jalousien. Die backsteinfarbenen Häuser angegraut, die Scheiben rauchfarben. Gepflegte Bäume, makellose Blumenkästen.
Das Latino-Viertel ist ein Korridor, gesäumt von Elektrogeräten.
Aufgedonnert kommt eine mit Mikroköter vorbei, der in eine Stoffrolle gestopft ist. Die Augen tun mir tüchtig weh. Langsam überquere ich die Straße Richtung Bushaltestelle, und von allen Seiten dreschen abertausend Hupen auf mich ein.
»Fuck you, man«, rufen sie. »Fuck, fuck, fuck. Go home, fokkin Drecksmex, furz dich zurück zum Arsch deiner Mama, Proletenindio.«
Ich erreiche die Bushaltestelle und ramme mich in die Bank, blicke auf und sehe, dass sich drüben grabmalstarr die Buchhandlung erhebt, zu Tode verwundet, hinter zerbrochenen Scheiben begraben. Ich schärfe den Blick und sehe den Chief, noch immer gebeugt, als betete er vor seiner gekreuzigten Buchhandlung.
»Hey, Scheißer«, ruft es auf einmal hinter mir. »Berserken ist wohl dein Ding, wenn’s um Ärsche geht, die nicht dir gehören, was?«
Ich verrenke das Genick, um zu sehen, wer mich da an der Schulter packt, und stelle fest, dass ein kupferfarbenes Handgeschoss in Lichtgeschwindigkeit auf meinen Backenknochen zusaust. Er lässt meinen Augen nicht mal Zeit, in den Taucheranzug zu schlüpfen. Geblendet schickt er mich, Arsch voran, zu Boden. Ich sehe Sterne und spüre, wie mir das Blut vom Mund brustwärts rinnt.
»Fokkin Drecksmex!«, fährt gloribel der Mackerfacker fort, der mit den Blumen für die Chica, der ewig verknallte Kläffer, der ihr kreuz und quer nachlefzt. »Na, du Arschklau, du Supermachine, fokkin Kacker? Wer zum Scheiß hat dir gesagt, du darfst einen Hintern verteidigen, der nicht dir gehört, he?«
»Fotz noch mal, da wird gekeilt«, schreit ein Mickerficker mit Pulkmut, der näher kommt, als er mich da so außer Betrieb auf dem Pflaster sieht, voll rotem Mus, »immer rauf auf den Scheißer.«
Und es kommandieren sich wer weiß wie viele zusammen und erschießen mich mit Tritten, ein Bataillon haariger Ameisen, das mich überall mit Füßen kickt. Ich beschirme bloß meine Birne und rolle mich zusammen, damit ich so kompakt wie möglich von Stelze zu Stelze droppe. Ich sehe, die Autos rollen weiter, aber dann füllt sich alles mit Tritten. Eins, zwei, drei, vier, tausend, achttausend.
»Lasst ihn, Scheißbande.« Ein Schrei überfliegt den Schwarm Querärsche. Und mit einem Mal flauen die Hiebe ab.
»Wenn ich dich noch mal in der Nähe meiner Fotze sehe, fokkin Drecksmex«, sagt der Meridianer-Mackerfacker, »winde ich dir die Eier ums Genick, Kleiner.« Er verpasst mir einen letzten Kick und hechtet aus dem Häufchen heraus, das mir meine erloschenen Laternen nun verdecken. Auch die Mickerficker verkrümeln sich zu Ameisenaugengröße und verschwinden, wie sie gekommen sind.
»Geht’s, Junge?«, fragt mich ein Mann mit angegrautem Bart und hält mir ein buntgemustertes Taschentuch hin. Er kniet neben mir nieder und beäugt mich, als wollte er den Katarakt aus Blut durchdringen, der mir von Wipfel bis Wurzel fließt. »Ach du Heilige, die haben dich ja zugerichtet wie den Schmerzensmann, schlimmer als ein Tüchlein im Saustall.«
Ich nehme ihm den Lappen aus der Hand und trockne mir das mit Schweiß vermengte Blut, das sie mir auf die Stirn tätowiert haben.
»Haben sie dir noch mehr als den Kopf aufgeschlagen?«
Ich schüttle ihn. Belutsche mir den Mund, ja, den aufgeblühten Mund, aber mir fehlt kein Zahn. Eine Rippe schmerzt, eine Wade, die Lider, das Haar, es schmerzt unter den Nägeln, unter der Zunge, aber ich werde überleben, scheint’s.
[Meine Patentante hatte mir jedes Mal gesagt, wenn ich mit durchgebrannten Glühbirnen und dornigen Kratzspuren nach Hause kam: »Unkraut vergeht nicht, Mückenscheißer.« Denn drüben in Mexiko stürzt man sich bloß ins Gekeile, um zu überleben, deshalb bin ich hergekommen, ich hatte die Nase voll, ständig in die Eingeweide der Erde zu beißen und mir den Rotz am Staub abzuwischen.]
»Warte, Junge, nicht gleich aufstehen«, sagt mir der Mann, als sich das Häufchen schließlich verlaufen hat, mir scheint, sogar gefilmt haben sie mich mit ihren Scheißhandys, fokkin Irre, aber jetzt will ich nicht länger Teppich für ihre Blicke sein. Ich stehe auf, und der Herr packt mich beim Arm, weil mir eine ozeanische Seekrankheit Schlagseite verleiht. »Besser, du setzt dich, bevor es wieder ganz abwärts geht.« Das tue ich, plumpse auf die Busbank, Arsch voran. Noch pochen meine Schläfen mit zweihundert Stundenkilometern. »Hast du Familie, die man anrufen kann?« Ich starre ihn mit beduselter Idiotenmiene an, blaubelämmert. Wieder schüttle ich den Kopf. »Also«, sagt der Herr und mustert mich langsilbig von oben bis unten, »nur blutige Beulen und Abschürfungen. Mit ein paar Aspirin, Salbe und Pflastern erkennt man dich in ein paar Tagen wieder. Hast du eine Bleibe?« Ich schüttle zum dritten Mal den Kopf und rucke mit den Schultern. »Na los, Junge, komm für ein paar Tage in meine Herberge, dann sehen wir, was wir mit dir anfangen.« Ich blicke ihn mit grenzenlosem Misstrauen an, verhärtet von der Abreibung, glasig gebraten von dem siedenden Öl, in dem ich köchle. »Komm«, knarrt der Mann, als er in meinen Augen all die Furcht, den Zorn, den Groll liest, der auf dem Grund meiner Seele vor sich hin klumpt und jeden Augenblick in Flammen aufgehen und alles zur Hölle schicken kann. »Komm, Junge«, nervt er weiter, »die Welt ist nicht so schlimm, wie sie aussieht, Hoffnung gibt es immer, immer gibt es die, jawoll«, sagt er mir durch die Passionsblume. Er schweigt einen Augenblick, sieht mich aus Druidenaugen an und reicht mir dann die Hand, um mir hochzuhelfen: »Ich bin Mister Abacuc«, sagt er. »Und du, Junge?«
Ja, sie haben mich gerade stratosphärisch benebelt, meine Glühbirnen sind durchgebrannt, schichtweise stratifiziert wie beim Waschbär, ein fokkin Panda. Dunkelviolett. Ein zerdroschener Verflossener. Bei mir im Dorf hätte man gesagt, dass ich Musglupscher habe oder etwas in der Art, wie das grünäugige Monster, fuck. Meine Glupscher können sich jedenfalls kaum an den Dingen festkrallen. Die Ohren tosen asymmetrisch, dezibelisiert vom Dreschregen der Fipse. Aus dem Augenwinkel sehe ich einen roten Bus kommen, der an der Haltestelle hält: ein Teil des Häufchens, das zugesehen hatte, wie mich Mackerfacker und Mickerficker in die Machinemangel genommen hatten, steigt ein und ein Städterhäufchen steigt aus und verrinnt wie fokkin Ameisen in einem Wolkenbruchbach.
Die Stadt steht nie still. Alles rollt auf ihrem Räderwerk, zahnlos, seimsüß, ein großes Rad, das alles zermalmt.
»Liborio«, sage ich dem Mann und schwenke sein mit blutigem Rotz paniertes Taschentuch in Richtung der ausgestreckten Hand.
»Behalt es, Junge«, sagt er pythagoreisch mit der Kathete seines Lächelns. Irrer Tatter, denke ich, wer hilft schon jemandem einfach so? Etwas Wüstes, Dreckiges oder dergleichen steckt doch in jedem; so eine trüb stinkende Konserve, wo die Fliegen größer sind als die Geier, Fliegen riesig wie Säue. »Ist gut, Junge«, fährt Mister Abacuc fort. »Da«, er reicht mir zwei Zehn-Dollar-Scheine. »Kauf dir ein Schmerzmittel, eine Salbe mit Lidocain und ein Päckchen Kreuzpflaster.«
»What!« Ich bin verblüfft.
»Besser, ich schreibe es dir auf, denn ich sehe, du bist noch fern von diesem Planeten, und ich gebe dir auch gleich die Adresse meiner Herberge, falls du mal eine Bleibe suchst.« Er zieht aus seinem Mantel ein Trumm von Kugelschreiber, reißt ein Zettelchen vom Pfosten der Bushaltestelle, kritzelt auf die Rückseite und fragt dabei: »Die Schlägerei, war das wegen einer Herzenssache?« Dann hält er es mir zusammen mit den zerfledderten Scheinen vor die geschwollene Visage.
»Sind Sie schief eingeschraubt, Sie Spinner?« Ich will herausbekommen, ob ich ihm mit verbleibender Kraft den Fuß in die Eier rammen und losrennen muss, die Jalousien auf Halbmast, auch wenn ich dabei gegen den nächsten Pfosten pralle.
»Was?« Er lächelt immer noch.
»Ja, Sie scheinheilige Sumpfranze, ob Sie irre sind.«
»Hahhaha, nein, nein, nein. Das wäre doch Irrsinn in meinem Alter, jawoll.«
Einen Moment lang inspiziere ich ihn mit veilchenumwölkten Augen. Dann reiße ich ihm Scheine und Zettel aus der Hand und versenke sie im Geheimfach meines Gürtels, neben dem Medaillon meiner Mutter.
»Fein«, sagt er. »Und schnelle Besserung.«
Er dreht sich um und macht sich in die andere Richtung auf.
»He«, rufe ich hinterher, mit gruftiger Stimme, da die Rippen so schmerzen, »glauben Sie an Gott?«
Mister Abacuc bleibt stehen, blickt sich um und antwortet mit gebügeltem Lächeln:
»Nein, und du?« Dann zieht er weiter und verschwindet hinter der Ecke der Chica. Ich bleibe sitzen, gekräuselt von den vorbeiwehenden Autos. Habe keine Lust, mich zu bewegen. Ich wünschte mir ein Laubblatt, das mich in den Orbit befördert und mich dort sanft in den Schlaf wiegt, zwischen den Scheißsternen.
[»Aber Träume sind Träume«, hat mir der Chief mal gesagt, als ich ihm erzählt habe:
»Ja, warum nicht, irgendwann hätt ich gern eine Familie mit so Zwergbälgern, die Krieg spielen; ja, ein paar Dreckfrösche in Haus und Hof, falls ich mal ein Haus, Frau und Frischlinge haben sollte und mit beiden Händen in all dem fokkin Mist schaufle, mit dem man sein Leben verbringt und sich ins Alter hineinlangweilt.«
»Hui, hui, hui«, lachte der Chief. »Grottenhässlich bist du, fokkin Scheißbastard, hui, hui, shit, wer will dir schon an den Arsch?«
Das verschlug mir die Sprache, trübetümplig, wie eine Rassel geschüttelt von dem Fratzenbild, das die anderen von mir haben. Und wenn es Gott tatsächlich nicht gibt und wir bloß Abrieb in der Time sind, Teilchen, die sich gegenseitig zerstören? Das frage ich mich oft, vor allem, wenn ich mitten im Clinch stecke und in seine Hosen scheißen soll, und früher, als mich meine Patentante — Tante habe ich sie genannt — gekopfnusst hat, damit ich die Psalmen lerne.
»Sollst doch mal ein ordentliches Mensch werden, nicht so krumm und schief«, sagte sie. Und ich: zur Hölle mit ihr, mit dem Pfarrer und seinen katatonischen Allüren eines beknackten Volltrottels, eines perversen Schwanzgrapschers.
Wer wird schon Pfarrer und bleibt keusch für den Rest seines fokkin Lebens?
Genau das hatte ich ihn eines Tages im Katechismusunterricht gefragt: »Pater Terán, sagen Sie, wie oft befummeln Sie sich die Eier?«
Da jagt er mich mit einem Schädeltriller ins Teufelseck. Er ließ meine Patentante kommen, und zusammen segneten sie mich mit einer schnalzigen Pfefferbaumgerte.
»Ich halt’s nicht mehr aus mit dir: Entweder du verschwindest auf der Stelle, oder ich lass dich ins Kittchen sperren«, sollte mir einige Zeit später die Tante sagen, die nicht meine richtige Tante war, sondern meine Patentante. Und so bin ich ohne alles los, habe mich Richtung Morast und Pennerpflaster ausgeblendet, in die Frischluft unter den Brücken, ins steinige Sein an sich, als Felssplitter. Mit meinem Fähnlein von Kumpeln, zusammengerottet zwischen Marihuanawolken, zwischen Getürme und Gekeile.
»Entweder du haust ab, oder du wachst nicht mehr auf«, habe ich mir manchmal in den Straßen, im Schatten der Laternensteppnaht, gesagt und auf meine blutigen Hände geblickt.]
Aber was soll’s. Jetzt bin ich drüben. Es ist vorbei. Ist es vorbei? Wieder wische ich mir mit dem blutigen Lappen über die Nase. Zum Glück war ich schon immer Betonwand. Nicht mal die Mücken haben durch mein Eselsleder dringen können, oder ich habe es nicht gemerkt, wegen der Elefantenhaut, die ich wie einen Handschuh trage, wenn mein Blut zu fliegenden Tröpfchen in den Mücken wird. Da hält ein weißer Lieferwagen vor mir, und eine Frau mit Baseballmütze und Sonnenbrille ruft mir näselnd aus dem Fenster zu:
»Hi, Fella, steig ein.« Sie öffnet die Schiebetür. Ich weiß nicht, ob sie mich meint, und blende mich weg wie ein trübes Licht. »Come on, Kleiner«, sie bleibt hartnäckig, »hab keine Angst.«
Ich bleibe sitzen, eselsstörrisch, denn der Ärger beginnt, wenn die Quadratlatschen schneller sind als der Quadratschädel. Als sie sieht, dass ich keine Anstalten mache, mich zu rühren, schließt sie die Tür ihrer Kiste und ruft mir mit der Stimme eines vergrippten Glühwürmchens zu:
»Ich habe gesehen, was für ein harter Knochen du bist, hast nicht mal gemuckst.« Die Autos hinter ihr fangen wie besessen zu hupen an. »Überschlag dich, Scheißkerl, wenn du kannst«, schreit sie den Fahrern hinter sich zu. Dann wieder zu mir: »Bist ein ganz schön zäher Scheißer, weiß Gott! Wie alt bist du, Kleiner?«
»Was geht dich das fokkin an!«, sage ich schließlich, um sie zu narkotisieren, damit sie aus meinem Leben verschwindet, wie sie gekommen ist.
»Gut, Muckefucker, ich komme später noch mal, wenn du dich beruhigt hast und wir plaudern können. Du arbeitest da, nicht wahr?«, sie zeigt auf die Buchhandlung. Ich sehe demonstrativ weg. »Gut, Kleiner«, sie zückt eine Kamera und zielt auf mich. Bevor der Blitz kommt, zeige ich ihr den Stinkefinger. »See you, morrou«, und sie fängt krächzend zu lachen an: »Buaahaha, sniff, buaa, hahaha.«
Ihr Lieferwagen fährt an, schießt davon und verwebt sich mit dem Horizont der Autos, die kreuz und quer vorbeifliegen. Ich wende den Kopf zur Buchhandlung und sehe den Chief von hinten, mit hängendem Kopf. Er hat nichts bemerkt. Angesichts der eigenen Tragödie spielen die der anderen vermutlich keine Rolle.
Gehe ich zu seiner Señora, oder lecke ich mir besser die Eier in der Buchhandlung?
Ich steige in einen roten Bus, der gerade vor mir hält, bezahle und schieße wie eine Rakete zur hintersten Reihe, wo Grobklötze wie ich gewöhnlich sitzen, damit wir weder Schwarz noch Weiß erschrecken, denn wir sind grau, und grau ist hier die Vorhölle, die weder bei Gott noch beim Teufel ist.
»Was ist denn mit dir passiert, Jungchen?«, fragt die Señora, als sie die Tür ihrer Casa öffnet.
»Nichts, Señora«, sage ich, »die Buchhandlung wurde bloß überfallen.«
Sie hüpft rückwärts wie ein Frosch, ihre Hand fährt zur Brust, und sie rumpelt in sich zusammen wie ein schiefer Haufen Steine.
[Sie hat mich nie schlecht behandelt, im Gegenteil, hin und wieder hat sie mir ein Sandwich mitgebracht, wenn sie in der Stadt war. Hat mir sogar eine Jeans gekauft und ein Hemd mit aufgesticktem Buchhandlungslogo, ein Paar Boots dazu, vor einigen Monaten, keine teuren, aber bequemer als meine Lochsandalen von drüben.
»Da, nimm, Jungchen, damit du nicht so abgerissen rumläufst!«]
Bevor also die Señora auf dem Boden aufschlägt, greife ich sie bei einem Flügel wie ein gerupftes Huhn und helfe ihr beim Fallen. Nachdem sie sich über ihre Sneakers verteilt hat, ihr Atem zahnfäulig, rolle ich sie ins Haus. Ihre Señoritos müssen in der School sein. Was mache ich? Benommen greife ich mir eine Flasche aus der Hausbar, neben dem Altar der Jungfrau von Guadalupe, entkorke sie und setze sie ihr steil an.
»Ich steeeerbe«, kräht sie sofort, und ein Krampfhusten hüpft von ihrer Kehle bis zum Hintergarten, diesem Garten, den der Chief für seine Grillabende mit heißen Hunden american way of life benutzt. »Wodka, du dummer Zwerg, willst du mich umbringen?«, sagt die Señora, als der Hustenanfall vorüber ist und sie mir die Flasche aus der Hand reißt. Ja, was zum Teufel weiß ich von Wiederbelebungen, bloß, dass ein Toter wieder aufgestanden und losmarschiert ist, während sich ihm bestimmt schon die Würmer durchs Leder gebohrt haben.
Ich helfe ihr auf die Beine, und Minuten später fahren wir in ihrem Pick-up Richtung Buchhandlung.
»Warum hat er mich nicht auf dem Handy angerufen?«, fragt die Señora, als wir schon auf dem Freeway sind. Beharrlich wählt sie die Nummer des Chiefs. Die Stadt ist aus der Ferne von glasigem Blau, Lapislazuli, von weitem schläfrig, doch drinnen voller Virenschwärme. Die hohen Gebäude sehen aus wie Herkulessäulen, atlantenmäßig stützen sie den Zug der Vögel, den ich letzten Herbst endlich erlebt hatte, als sie den Wells Park verließen und hoch oben wer weiß wohin flogen. »Und sie haben euch mit Pistolen bedroht? Euch verprügelt? Ist mein Mann schwer verletzt? Wie viele waren es? Habt ihr die Polizei geholt? Warum hat er mich nicht angerufen? Ich muss in der Schule Bescheid sagen, wegen der Kinder. Ach, die Nachbarin soll sie abholen. Ja! Und was ist noch passiert? Habt ihr sie erkannt? Um wie viel Uhr war das? Ist niemand zu Hilfe gekommen? Hat sich schon jemand deine Blutergüsse angesehen? Wie viele sind über dich hergefallen? Heilige Jungfrau! Ach, Jungchen, wenn meinem Mann etwas passiert ist, sterbe ich.«
Die Señora übertreibt nicht: Sie liebt ihn wirklich, liebt ihn bis zum letzten Backenzahn, das roch und spürte man an ihren Essenskörbchen, ihren hyperbolischen Hätscheleien, ihren Tlalpeño-Küssen.
[»Schau mal, kleiner Bastard«, hatte mir der Chief einmal bei sich zu Hause gesagt, als er mich zum ersten oder zweiten Mal zum Barbecue eingeladen hatte und ihm der Tequila schon die Zunge fesselte, »siehst du die da drüben? Das ist meine Señora, du talgiges Scheißerchen, aber du kennst sie ja, nicht wahr? Siehst du sie? Und weißt du was? Sie liebt mich, sie liebt mich; das weiß ich, bei Gott, hier drinnen. Und weißt du was? Ich liebe sie auch, denn … für sie, für sie würde ich, würde ich alles …«, und der Chief taucht bekaskert ab, den Blick ins leere Tequilaglas versenkt.
Dann setzte sich der schräge Argentinier zu uns, mit dem er gern alle möglichen Wetten abschloss und den er zu all seinen Besäufnissen einlud.
»Du bist der Dussel, der Pibe, der ihm in der Buchhandlung aushilft, oder?«
Wir kreuzen den letzten Freeway und sind in der Stadt. Die Señora biegt an der dritten Kreuzung ab und steuert das Zentrum an. Wir kommen an der Mall vorbei, bunt bewimpelt mit McDonald’s, Starbucks, Wal-Mart, Costco, Home Depot, 7-Eleven, Sam’s Club, Domino’s, den Cinemark-Kinos und den Schildern von Coca-Cola, Western Union, FedEx, UPS, Apple, Microsoft.
Dann biegen wir links ab und gelangen schleudernd in die Straße der Buchhandlung, versengen Reifengummi von hundert auf null. Sie parkt in einer Lücke vor dem Buchladen, steigt aus und hastet, eine Wahnsinnige, mit weiten Schritten voran. Ich folge stolpernd.
Die Tür der Buchhandlung steht sperrangelweit offen, die Bücher liegen noch am Boden, die Regale sind wieder umgekippt. Die Lampen brennen noch, fokkin Fin-de-Siècle-Gespenster.
»Jesses Maria! Liebling! Liebling! Schatz!« Die Señora verstreut ihre Schreie in alle Winkel.
»Chief! Chief! Chief!«, rufe ich hinter ihr her wie ein verstimmtes Echo.
»Wo ist mein Mann, Jungchen?«, bestürmt mich die Señora. Ich hebe die Schultern, stehe da, saumäßig zombifiziert. »Hat er gesagt, ob er Anzeige erstatten will? Ob er zur Polizei geht? Was hat er gesagt? Ihr habt doch die Polizei gerufen, nicht wahr?«, fragt sie wieder. Ihre Augen werden bei jedem Blinzeln zu roten, angeschwollenen Teichen, zu spitzen Krötenlinien unter den gezupften Augenbrauen. »Der Dachboden!« Und sie hastet das Treppchen nach oben, während ich den Chief zum vierten oder fünften Mal im Lagerraum suche, vielleicht hat er sich neben seinen Mistbüchern mit Liebesgedichten eingesponnen wie eine fokkin Schmetterlingspuppe und füllt sich gerade mit Würmern; vielleicht ist er auch auf dem Klo, im Abflussrohr stecken geblieben, aus weichlicher Wut, denn ich weiß, Angst und Galle ändern unsere Düfte; die Rage macht den Schleim ölig, bernsteingelb, zäh, blutig. Die Angst dagegen wittern die Hunde, und wie rasend beißen sie zu, wenn sich deine Poren plustern.
»Nein, keine Spur von ihm.«
Der Chief scheint sich in ein Spukgespenst verwandelt zu haben.
Ich gehe zur kaputten Ladentür, nichts. Stelle mich in die Öffnung. Die Leute gehen vorüber wie immer, sehen nur ihre Schritte, den Blick gesenkt oder das Handy eingerastet zwischen Kopf und Hand. An der frischen Luft, im rauen Treiben dieses Scheißtags, sticht mein Gesicht wieder, als marschierten Hunderte von Stacheln darüber. Die Beulen trage ich wie Hörner, aber die werden schon weggehen, denke ich.
Draußen naht der Abend in Wolkenschwällen. Die Sonne strahlt immer schräger und verzieht sich wie jeden Tag, eine hüpfende Orange zwischen Zirruswolken. Die Autos rollen weiter. Die Mickerficker krabbeln allmählich aus ihren Höhlen. Die Chicas wiegen ihren Hintern, miniberockte Druckwellen. Die Buchhandlung ist vollkommen zerstört, und es gibt keine Gaffer? Was ist los mit der fokkin Welt?
Ich gehe wieder ins Innere und fange an, Regale aufzurichten, um ein wenig Ordnung ins fokkin Chaos zu bringen. Da kommt die Señora vom Dachboden, mit einem Haufen Bücher, die ich zum Lesen mit nach oben genommen und an dem Morgen nicht hatte hinunterbringen können. Sie sagt kein Wort. Was soll sie sagen, wenn der Chief sich zwischen den Scherben aufgelöst hat? Sie legt die Bücher auf den Ladentisch, ihr Zittern ist abgeflaut.
[Manchmal begleitete die Señora den Chief in die Buchhandlung. Sie half ihm an der Kasse. Dann holte sie ihre Señoritos aus der School ab, und ich sah sie erst wieder in der Woche darauf, wenn sie ihm etwas zu essen brachte. Als der Chief Vertrauen zu mir gefasst hatte, überließ er mir die Buchhandlung und stromerte nach Lust und Laune zu seiner Frau.
»Komm gleich wieder, zäher Zeck, ich geh zur Señora meines Herzens!«, und wild entschlossen stürzte er los, ein verknallter Astronaut, direkt Richtung fokkin Himmel.]
»Wir müssen alles so lassen, wie es ist, damit die Polizei die ganze Bescherung sieht.« Die Señora entknotet das Schweigen, während sie das Buchdesaster und die umgekippten Regale mit dem Blick umschnürt.
Nie habe ich die Señora auch nur eine fokkin Silbe Spanglish reden hören. Entweder spricht sie Spanisch, oder sie spricht Englisch, nichts dazwischen. Sie hat auch nie ein vulgäres Wort gesagt, solche wie der Chief etwa, die nicht im Totschlagschinken vorkommen, im Wörterbuch, diesem fokkin Wörterbuch, in dem ich blätterte, weil ich einen Scheißdreck von all dem verstand, was ich las. Brandstifterwörter, die ehrlicher sind als die zusammengeschusterten Anstandsvokabeln: Scheißseñoritas mit Zuckerguss und triefender Patina, ausrangiert, angegraut und arrogant. Lieber die bombigen Schlampen, diese Wörter, die in die Fresse hauen und nicht am Glas nippen. Ich weiß nicht, warum die Señora immer so dezent ist. Ich weiß es nicht. Weiß bloß, dass ich nicht auf die Polizei warten kann, nicht bei diesem Schlamassel. Die Señora blickt mir in die Augen und begreift, wenn ich vor der Polizei aussage, lande ich mit einem Fußtritt am anderen Ende der Welt, in der Stratosphäre, wie eine verdammte Rakete.
»Da, nimm, Jungchen«, sagt sie mit roten Augen und reicht mir ein paar Scheine, die sie aus ihrer Jogginghose gezogen hat. »Ich möchte, dass du für ein paar Tage die Gegend erkundest, bis das hier vorüber ist. Aber lass von dir hören, Jungchen, wir werden jede Menge Hilfe brauchen, um unsere Buchhandlung wiederaufzubauen. Jetzt rufe ich 911 an. Bleib in der Nähe, und jemand soll sich deine Blutergüsse ansehen.«
Ich nehme ihr die Scheine aus der Hand. Es sind drei Hundert-Dollar-Scheine.
»In Ordnung, Señora. Und keine Sorge, bald ist der Chief wieder da.«
Ich drehe mich um und gehe, während sie zum Handy greift und die Notrufnummer tippt.
Und jetzt, was zum Scheißteufel mache ich jetzt? Krämpfe zwirnen mir die Waden. Wie kleine Quirle, die in meinen Arterien Schokolade schlagen. Heiße Atole, aus meinen Adern gezapft. Mein Gesicht sieht aus, als hätte mich eine Riesenwespe in der Zange gehabt.
Ich überquere die Straße. Die Autos haben die Scheinwerfer schon angeschaltet. Straßenlaternen beblüten die Nacht. Nie habe ich hier einen Stern gesehen. Die Quecksilberjustiz hat in den Städten die blinkenden Sterne exekutiert. Ich sehe den blauen Himmel und versuche mit Volldampf den fehlenden Sauerstoff aufzutanken.
Ich bin in einer fremden Stadt.
Ich habe keinen einzigen fokkin Freund.
Die Zukunft, habe ich immer gedacht, besteht darin, einfach weiterzugehen, ohne sich bei den Tagen aufzuhalten, bei ihren giftigen Stunden, bei den Leichen ihrer Sekunden, die einander zerstören, wenn sie sich koppeln und Gesandtschaften von sechzig Selbstmördern bilden. Ich überquere noch eine Straße und mache mich Richtung Wells Park hinter der Ecke auf. Bevor ich um das Haus der Chica biege, höre ich heransausende Streifenwagen jaulen. Ich stecke die Hände in meine Jeans und knorple den Körper nach vorn.
Die Kälte nimmt zu, und kein Dachboden, keine Spinnen wärmen mir die Nacht.