3. Kapitel: Zur Krisendynamik unglücklicher Paare

Es fordert zum Nachdenken auf: Die meisten der Frauen und Männer, die zerstritten und böse gestimmt in die Paartherapie kommen, sind durchaus sympathische, angenehme und liebevolle Menschen. Oft empfinde ich daher gegenüber diesen meist Verzweifelten Wohlwollen, Zuneigung und Verständnis. Die meisten davon wirken auch attraktiv nicht nur ihres Äußeren wegen, sondern weil sie menschlich, aufmerksam und wach, emotional präsent und engagiert erscheinen. Dann stelle ich mir selbst und auch den beiden die kritische Frage, wie das möglich ist: »Wenn Sie auf mich so eindrucksvoll wirken und in mir Zuneigung wecken, manchmal auch liebevolles Zugewandtsein, wie kann es dann sein, dass Sie sich gegenseitig abstoßend finden und so wenig von dem Liebevollen beim anderen ankommt? Beide wollen Sie doch lieben, Liebe schenken und Liebe bekommen, wie schaffen Sie es, wie bewerkstelligen Sie es, dass Ihnen das Glück zwischen den Fingern zerrinnt?«

Tatsächlich sind diejenigen Menschen, die sich durchgerungen haben und sicherlich nach vielen Zweifeln dann doch in die Paartherapie kommen, in der Regel eher aufgeschlossene, hoch motivierte und änderungswillige Wesen. Deshalb stellt sich die Frage umso mehr, warum und wie sie sich dennoch gegenseitig unglücklich machen. Dass diese ansonsten in der Mitwelt durchaus positiv wirkenden Menschen in der Zweierbeziehung zu streitenden, hassenden, nörgelnden oder gar tobenden Monstern und Furien mit Gewaltausbrüchen und brutaler Missachtung oder Demütigung werden können, ist nicht einfach zu verstehen.

Es ist entscheidend, die Psychologie der Glücksverhinderer und Unglücksmacher im Vergleich zu den Glücksbringern zu durchleuchten. Glückliche und Unglückliche, sie sind wie die zwei Seiten einer Münze.

In der Regel sind nicht äußere Umstände für Glück oder Unglück verantwortlich, sondern die leidenden Frauen und Männer selbst. Sie entscheiden, wie sie die vorhandenen Möglichkeiten nutzen oder missbrauchen, Glück beziehungsweise Unglück zu gestalten.

Nicht die Welt als solche ist gut oder böse, sondern ausschlaggebend ist, was wir jeweils daraus machen. Gleiches gilt für den eigenen Partner. Er ist nicht grundsätzlich gut, aber ebenso wenig böse. Entscheidend ist, was wir aus ihm machen!

Oben wurde schon aufgezeigt, dass viele der zerstrittenen Paare an einem gedeckten Tisch sitzen und alle Privilegien haben, die es braucht, um miteinander glücklich zu sein. Wenn beide und ihre Kinder gesund sind, Geld zum Leben, zum Essen und Kleiden da ist, wenn sie geistig klar sind, sich sozial verträglich und erfolgreich ihren Platz in der Gesellschaft sichern, dann müsste es doch möglich sein, dass die beiden auch erfolgreich mit ihrer Beziehung beziehungsweise mit dem Partner umgehen können.

In einer fortgesetzten Partnerkrise denken viele stattdessen insgeheim oder sagen es auch laut, dass sie wohl den falschen Partner gewählt haben. Sie sind überzeugt, mit einem »besseren« Partner auch mehr Glück zu finden.

Impressionen vom Unglück der Paare

Aus der Paartherapie:

Beispiel: Ein Arzt kommt mit seiner vierten Frau zur Paartherapie. Er ist 60, sie 27, sie haben ein gemeinsames Kind. Sein Motiv: Er hat Angst, dass er jetzt, doch schon auf die 60 zugehend, noch einmal in seiner Beziehung scheitert, nachdem er dreimal geschieden ist und daraus fünf Kinder mitgebracht hat. Die Vorgänger-Frauen waren jeweils Arzthelferinnen aus seiner eigenen Praxis gewesen. Das ist auch die jetzt vierte Frau, allerdings entsprechend jünger.

Beispiel: Ein anderer Mann trennt sich nach zehn Jahren von seiner Frau. Beide stammen aus wohlhabenden Elternhäusern, hatten zusammen ein wenig erfolgreiches Geschäft aufgebaut und sich darüber zerstritten. Er will das alles hinter sich lassen und wandert nach Australien aus. Dort heiratet er ein Jahr später eine sehr attraktive und wohlhabende junge Griechin, mit der zusammen er ein neues Geschäft aufbaut. Nach drei Jahren ist das Geschäft am Ende und die Beziehung auch.

Beispiel: Ein ganz veränderter Mann sitzt Jahre später vor seiner geschiedenen Frau und erzählt ihr weinend, dass seine jetzige Freundin ihn betrogen und schließlich dann auch verlassen hat. Dabei sei doch Ehrlichkeit das Wichtigste im Leben, das habe er bei Facebook auch unter sein Logo geschrieben. Seine geschiedene Frau vor ihm ringt nach Luft und knetet aufgeregt an ihren Händen, denn genau das hat er vier Jahre zuvor auch mit ihr getan.

Natürlich gibt es auch weniger eindeutige und viel extremere Fälle, wie manche unbedacht, unachtsam oder gefährlich ihr Glück mit Füßen treten.

Oder wie ist es zu verstehen, wenn eine 20-jährige Brasilianerin im Internet weltweit ihre Jungfräulichkeit versteigert? Sie trifft sich dann mit dem Meistbietenden, einem Japaner, in einem australischen Hotel für eine Nacht. Oder was mag ein lesbisches Paar bewegen, nach erfolgreicher Befruchtung die übrig gebliebenen Samenspenden, in Holland gekauft, im Internet höchstbietend zu versteigern?

Das Unglück von Liebesbeziehungen hat viele Gesichter und Namen: Ein Mann ist zu schweigsam, eine Frau sexuell passiv, eine andere Frau hungert verzweifelt nach mehr Gefühl von ihrem Mann und vermisst seine Leidenschaft, eine dritte hadert mit seinem Übermaß an Arbeit, TV-Konsum und Internet-Sucht. Ein Mann erträgt nicht mehr die Eifersucht seiner Frau und ein Dritter verwöhnt seine Frau so sehr, dass sie ihn immer mehr von sich stößt. Andere langweilen sich miteinander, vermissen die Leidenschaft, zermürben sich im Dauerstreit, können nicht miteinander kommunizieren oder haben sich angeblich auseinandergelebt.

Beispiel: So kam ein Mann von der Hallig, ein in sich gekehrter Geiger und trotz meinem vorsichtigen und beständigen Nachfragen völlig schweigsam, mitgebracht von seiner Frau, einer Journalistin aus der Großstadt, die ohne Punkt und Komma mich mit ihren Schilderungen atemlos in Spannung hielt. Ich mochte beide.

Das Paradies der Liebe ist eben kein Schlaraffenland. Manche verwechseln das und warten darauf, dass sie glücklich gemacht werden. Geschieht dies aber nicht, reagieren sie depressiv oder aggressiv. Sie richten ihre Enttäuschungswut auf den anderen, statt Mut zur Selbstkritik zu entfalten. Damit beginnt die Vertreibung aus dem Paradies.

In der Regel sind beide Partner jeweils selbst verantwortlich sowohl für ihr Glück wie auch für ihr Unglück. Theoretisch stimmen diesem Satz zwar viele zu, in der Praxis aber findet er meist keine Anwendung. Vielmehr verteidigt jeder seine eigene Wahrnehmung, als ob das ganze Glück daran hängen würde, Recht zu behalten.

Aus dieser Subjektivität der Wahrnehmung wird zudem die Handlungshoheit, den anderen zu kritisieren und zu bekämpfen, abgeleitet und aufgrund dieser subjektiven Wahrnehmung konstruieren die Partner sich jeweils ihre eigene Wahrheit und ihre Welt, auch ihre Beziehungswelt. Kritisch und gefährlich daran ist, dass Kinder, Verwandte, Freunde und Freundinnen – von diesen subjektiven Darstellungen ebenso subjektiv beeinflusst – dann oft auf falsche Weise Partei ergreifen. Dem unterliegen selbstverständlich auch die Psychotherapeuten. Das macht diesen Beruf und Paartherapie insbesondere schwierig.

Beispiel: Eine Frau wollte zunächst um jeden Preis allein in die Paartherapie kommen. Sie berichtete dann Stunde um Stunde unter Tränen, dass ihr Mann sie geradezu brutal unterdrücke, vor anderen lächerlich mache und insbesondere vor den Kindern. Er zeige keinerlei Verständnis und Einfühlsamkeit für ihre Bedürfnisse, setze seine Interessen egoistisch durch und brülle und tobe mitunter so fürchterlich und laut mit ihr, dass sie selbst jetzt beim Erzählen vor Angst zittere. Und tatsächlich, sie weint heftig, kriegt vor lauter Angst kaum Luft und zittert am ganzen Körper. Ich beginne mit ihr zu leiden. Als ich ihr vorschlage, den Mann jetzt doch dazuzuholen, erschrickt sie nahezu und behauptet, er würde sich niemals dazu herablassen. Schließlich rufe ich ihn mit Ihrem Einverständnis in ihrer Anwesenheit selbst an und lade ihn zum nächsten Termin mit ein. Zu meiner Überraschung sagte er auch ohne zu zögern sofort zu. Noch mehr überrascht bin ich allerdings bei seinem Eintreten in das Therapiezimmer zur nächsten gemeinsamen Sitzung. Ich hatte einen großen, schweren und eher grobschlächtigen Mann erwartet, im Grunde so etwas wie einen Orang Utan. Herein trat aber ein kleiner, fast zierlicher, gepflegter und höflich lächelnder Mann, der mir freundlich seine Hand entgegenstreckte. So zeigte er sich denn auch im weiteren Verlauf der Paartherapie, die er von sich aus weiter mitmachen wollte. Natürlich – er war kein leichter Brocken, aber wer von uns ist das schon? Und sie in ihrer klagenden Weise war auch kein leichter Fall.

Im philosophischen Bereich der Erkenntnistheorie wird dieser allen Menschen eigene Mechanismus von subjektiver Weltsicht Konstruktivismus genannt. Demnach besteht die Welt in ihrer Realität gar nicht, sondern jeder von uns baut und schafft sich eine Welt nach seiner Sicht. Jeder von uns konstruiert seine Wirklichkeit.

So ist auch die Tragik vieler unglücklicher Paare zu verstehen. Einer entwirft ein Bild vom anderen, das meist nur noch negativ getönt ist. Deshalb zeigt sich in der Paartherapie oft ein paradoxes Phänomen: Hören die Therapeuten beiden Partnern eine Weile geduldig und einfühlsam deren gegenseitiger Anklage zu, dann stellen sie fest, dass beide Partner recht haben.

Aber wie damit umgehen, dass beide recht haben und den jeweils anderen für schuldig halten?

Hilfreich ist hier eine Übung, die die Position des Anderen und seine Argumente zu verstehen hilft:

Übung Rollentausch

Um aus der Rechthaberfalle und gegenseitigen Daueranklage herauszufinden, unterbrechen sich beide Partner mitten im Streit. Sie setzen sich auf den Platz des anderen und nehmen jeweils seine Rolle ein. Sie übernehmen ganz seine Sprache und seine Argumente und seine Gefühle und setzen auf diese Weise den Streit fort. Das Ergebnis ist oft verblüffend. Noch wirksamer ist, diesen Rollentausch im Beisein der Kinder durchzuführen. Er sollte mindestens eine halbe Stunde dauern.

Ziel dabei ist: Empathie statt Antipathie oder Apathie zu finden. Die für den Rollentausch notwendige Einfühlung in den Partner führt bei einigem Training zur Veränderung des negativ eingefärbten Partnerbildes und zum Verstehen seiner Motive.

Die Glücksverhinderer

Glücksverhinderer sind – einfach gesagt – Partner, die vor allem der Frage »Wie verhinderst du mein Glück?« nachgehen, statt vielmehr über die alles entscheidende Frage »Wie mache ich dich glücklich?« nachzudenken.

Überwiegend verhindern die Streitenden gemeinsam das Glück. Sie tun es meistens, weil sie jeweils mit sich selbst nicht glücklich sind. Stattdessen fordern sie, der andere solle den inneren Mangelschmerz ausgleichen. Schafft er das nicht, setzt zunehmend die alltägliche Negativkonstruktion vom Partner ein. Sie beginnt oft schon bei der kleinsten Kleinigkeit, wächst wie ein Krebsgeschwür und verhindert manchmal auf brutale Weise das Liebesglück.

Den anderen als Verhinderer des eigenen Glücks zu sehen ist die zweite typische menschliche Strategie nach der subjektiv bedingten Negativkonstruktion, die uns verleitet, Schuld von sich selbst abzuwälzen und dem Partner zuzuschreiben. In der Paarsynthese nennen wir das Konflikttransfer beziehungsweise projektive Problemverschiebung. Eine Strategie, unbewusst bis bewusst, die noch gefährlicher wirkt als der in der Psychoanalyse definierte Abwehrmechanismus der Projektion. Der Partner wird zur Mülldeponie für eigenen Seelenschutt. Das ist zugleich Selbstbetrug und Betrug am Partner, um nicht am eigenen Problem arbeiten zu müssen.

Konflikttransfer dient natürlich dem Selbstschutz, wird in der intimen Beziehung aber zur Anklage- und Rechtfertigungsfalle für den Partner. Will der sich nämlich rechtfertigen und verteidigen, dann gerät seine Gegendarstellung automatisch zur Gegenklage, wodurch der erste Partner aber zum Schuldigen würde. Das aber wehrt er doch gerade ab.

Hilfreicher in solchen Labyrinthen von Anklage und Gegenklage wäre natürlich die einfache Umkehrung: statt dem anderen vorzuwerfen: »Du verhindert mein Glück!«, eher die Frage zu stellen: »Wie verhindere ich selbst mein Glück – wie verhindere ich mich selbst?«

Kennzeichen für Glücksverhinderer

Glücksverhinderer sind in der Regel Selbst-Verhinderer. Das will natürlich keiner hören. In Wahrheit will auch keiner das Glück seines Partners verhindern, sicher aber auch nicht sein eigenes. Warum tun sie es dann doch?

Glücksverhinderer haben viele Gesichter: Sie sind beispielsweise Amazonen und Krieger, die meinen, immer kämpfen zu müssen.

Tatsächlich hat sich eine Frau, die ihr Selbstbild zeichnen sollte, als furchterregende Amazone mit Schild und Speer dargestellt, eine andere sogar als Kreissäge und eine dritte als Schwertkämpferin. Aber: Alle drei haben, obwohl sie sich niemals im Leben getroffen haben, in die äußerste Ecke ihres Bildes, ganz klein und fast im Verborgenen, ein ganz kleines und hilfloses Kind gezeichnet. So waren sie wirklich: ein verletztes Kind, ängstlich und flehend, hinter der schrecklichen Maske der alles Zerstörenden, die Furcht und Schrecken verbreitet – zum Selbstschutz.

Natürlich gibt es auch Glücksverhinderer, weil sie immer alles für sich haben wollen. Im Gegensatz dazu gibt es auch die, die vorgeben, gar keine Wünsche zu haben, oder sich schämen, diese zu äußern. Und wieder andere können sich selbst gar nicht fühlen, und manche leben mit geballter Faust in der Tasche. Dann gibt es die, die Angst vor der Lust haben oder die Freiheit fürchten, andere wiederum können ihrer eigenen Sehnsucht keinen Ausdruck geben. Das sind meist solche, die um die Liebe doppelt betrogen wurden, damals als Kind und heute in der Beziehung. Es sind solche, die sich selbst nicht lieben können und deshalb unachtsam, ohne Achtsamkeit durch das Leben gehen. Und es sind diejenigen, die endlos an sich selbst zweifeln, und andererseits diejenigen, die nur am Gegenüber und an den anderen zweifeln, aber nie oder kaum an sich selbst. Die Glücksverhinderer können gar nicht alle aufgezählt werden.

Die Negativkonstruktion vom Partner wird ständig weiter ausgebaut, weil das eigene »Mangelselbst« oder auch falsche »Größenselbst« (Maaz 2012) zu einem beständigen Mangelschmerz führt, der vom Partner nur bedingt geheilt werden kann.

Der zentrale Mechanismus der paradoxen Wunschumkehrung wird dabei auf tragische Weise wirksam. Durch ihn sorgen die Partner unbewusst dafür, dass gerade ihre tiefsten zentralen Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Im Gegenteil: Sie handeln unbewusst so, dass der Partner die Wünsche gar nicht erfüllen kann. In etwa so: »Zeige mir doch viel stärker deine Liebe – aber selbst wenn du es tust, werde ich dir beweisen, dass du mich doch nicht überzeugen kannst von deiner Liebe.« – »Strenge dich doch mal ein bisschen an und tu etwas aus Liebe für mich, aber wenn du es wirklich probierst, werde ich es doch nicht glauben.« – »Beweise mir deine Liebe und beweise mir, dass ich liebenswert bin – aber das geht gar nicht, weil ich mich selbst nicht liebe.«

Die Maxime dabei lautet: Es wird niemals genügend für mich an Anerkennung, Sicherheit, Bewunderung, an Macht und Geld, an Bestätigung und Zuwendung geben, damit ich in mir und mit mir Ruhe und Frieden finde.

Diese Maxime gilt für Selbstzweifler ebenso wie für Selbstüberschätzer: Beide brauchen ständig neue Selbstwertzufuhr, um das innere durchlöcherte Selbst aufzufüllen. Auf diese Weise verhindern sie nicht nur das Glück des Partners, sondern mehr und mehr auch das eigene. Die Negativkonstruktion vom Partner schlägt zurück auf die Eigenkonstruktion vom Selbst.

Der Glücksverhinderung zugrunde liegt eine Art seelischer Autoimmunerkrankung. Der Psychologe Rainer Tschechne (2012) nennt das die »Angst vor dem Glück«. Sollte nämlich der Partner tatsächlich diese Liebe für mich aufbringen, die ich selbst für mich nicht habe und an die ich nicht glaube, dann müsste ich mein ganzes bisheriges Gebäude infrage stellen. Das aber würde den völligen Zusammenbruch meiner bisherigen Lebenskonstruktion mit sich bringen.

Die oben gestellte Glücklich-Frage »Wie mache ich dich glücklich?« verkehrt sich ins Gegenteil: »Wie mache ich dich – und mich selbst – unglücklich?«

Noch einmal: Keiner ist freiwillig ein Glücksverhinderer. Sie sind keine schlechten Menschen. Sie sind selbst unglücklich. Und weil sie selbst unglücklich sind, machen sie auch andere unglücklich – ohne es zu wollen.

Aber auch das Unglück ist etwas Intimes zwischen Partnern. Streiten kann so intim sein wie zusammen schlafen. Die Gefühlswelt wird zu Chaos und Rausch gleichzeitig – und gerät ins Uferlose. Grenzen zum Selbst werden überschritten. »Streiten verbindet«, sagte deshalb der amerikanische Aggressionspsychologe George Bach (1976).

Die Angst vor dem Glück – man könnte sie auch als die Angst vor dem Paradies bezeichnen.

So gibt es viele Menschen, die die Fülle des Lebens und ihres Glücks nicht genießen können. »Wer aber nicht genießen kann, wird bald ungenießbar« – lautet eine alte Volksweisheit. Und tatsächlich, im Paradies ist eigentlich kein Platz für Nörgler, Rechthaber, Miesepeter und Gewalttätige. Doch das irdische Paradies ist voll davon. Um diese Psychodynamik der Unglücklichen zu verstehen und zu begreifen, warum viele Menschen mit sich selbst und dem Liebsten so unglücklich umgehen, müssen wir das Phänomen des Narzissmus verstehen – nämlich die gelungene oder misslungene Selbstliebe.

Narzissmus: Entstehung, Alltagsfolgen und Bearbeitung

Im Rosengarten des Altonaer Balkons mit Blick auf die Elbe hat ein kluger Mensch mit Filzstift auf eine Parkbank geschrieben: »dein leben – mein ego.«

In vier Worten wird hier das Unglück vieler Paare und das Grundproblem narzisstischer Störungen zusammengefasst: »Ich hole mir von dir, was ich selbst nicht habe – statt es selbst zu entwickeln.«

Die Schlüsselfrage lautet: Wie hängen Liebesglück und Narzissmus zusammen? Stehen für die Glückserfüllung der beiden narzisstisches und soziales Verhalten in unversöhnlichem Gegensatz?

Die heutige Lehrmeinung besagt, dass beide Bedürfnisse im Menschen gleich angelegt sind (Klein 2013).

Gesunder primärer Narzissmus meint die Selbstliebe, die wir alle brauchen, um uns selbstwirksam in das Leben einzubringen, daran teilzuhaben und es genießen zu können.

Sekundärer Narzissmus meint die gestörte Selbstliebe. Sie findet kein gesundes Maß zwischen Geben und Nehmen, zwischen Lieben und Geliebtwerden, zwischen Gerechtigkeit für sich und Gerechtigkeit für den Partner. Durch den Mangelschmerz sind in ihrer Selbstliebe narzisstisch Gestörte so sehr um das eigene Selbst besorgt, dass Mitmenschen und der eigene Partner in besonderer Weise dafür herhalten müssen, das eigene innere Defizit auszufüllen und die stets vorhandenen Selbstzweifel zu stillen. »Dein Leben für mein Ego.« Alles dient dazu, das eigene Ego und seinen Hunger zu besänftigen, zu stabilisieren und zufriedenzustellen. Die gemeinsame Sexualität, die Arbeitslast im Job, der exzessiv betriebene Sport, Auto und Motorrad, vieles Essen und Trinken, vor allem aber die Mitmenschen und der Partner werden dazu gebraucht, aber nicht unbedingt dafür geliebt. Sie sollen die gekränkte Selbstliebe heilen. Narzisstisch Gekränkte reagieren daher sehr empfindlich, sind selbst schnell gekränkt und kränken im Gegenzug übermäßig den Partner. Auf diese Weise kommt es zur permanenten Grenzüberschreitung. Der Partner wird zum verlängerten Ego (Kohut 1979).

So ist auch der Satz auf der Parkbank zu verstehen: »dein Leben – mein Ego.«

Narzisstisches und soziales Verhalten geraten auf diese Weise in einen kaum versöhnlichen Gegensatz. Die Sorge um das eigene Glück verstellt den Blick für das Glück des Partners und für das gemeinsame Glück. Die goldene Regel vom gleichberechtigten Austausch funktioniert nicht mehr. Die Selbst-Sorge steht vor der Partner-Sorge. Narzissten können nicht glücklich werden, weil sie mit sich selbst nicht glücklich sind. Gleiches gilt für unsere moderne narzisstische Gesellschaft. Sie wird zum Nimmersatt. Inneres Unglück wird meist durch Machtmissbrauch und Konsum kompensiert.

Es wird zunehmend schwerer, glücklich zu werden.

Es gibt drei Ausprägungsformen dieses Phänomens Narzissmus – jeweils im Positiven und im Negativen:

Der offensive und ungehemmte Narzisst mit dem Größenselbst ist in der Regel mehr aufseiten der Männer zu finden. Er steuert sein Leben überwiegend mit dem Partnerstil der Durchsetzung. Er liebt es, sich selbst darzustellen. Manchmal glaubt er auch, das tun zu müssen, weil sonst niemand seine Leistung sieht oder gar er selbst übersehen wird oder zu kurz kommt. Er muss ganz viel dafür tun und leisten, dass er gemocht, geliebt und als besonderer Mensch gesehen wird. Er sucht die Öffentlichkeit, wichtige Ämter und braucht Bühnen zur Selbstdarstellung. Er sonnt sich gerne im Glanz von Anerkennung und Bewunderung. Wird an seinem Bild gekratzt, wird er kritisiert, auch nur infrage gestellt oder zu wenig beachtet, reagiert er mit hoher Kränkbarkeit und kann dann schlecht verzeihen oder um Verzeihung bitten. Die Sorge gilt immer dem eigenen Selbst und dem eigenen Image – trotz, und das ist verwunderlich, kaum empfundener Zweifel an sich selbst. Er tut viel, um sich aufzuwerten, sich wichtig zu machen, sich Bedeutung zu verleihen. Er will vermehrt haben. Er gibt, um wieder zu bekommen. Er ist ehrgeizig und kommt trotz Erfolg und Wohlstand nicht zur Ruhe. Er ist voller Stress. Um sich sicher zu fühlen, braucht er viel Geld, Konsum und Macht. Die Liebe zum Selbst geht über das verträgliche Maß hinaus. Er wird dem Partner dadurch zur Last, zur Pein, zur Qual. Das aber kann er nicht begreifen, da er weder weiß noch fühlt, dass er ungerecht, egoistisch, verborgen oder offen aggressiv manipulierend ist. In seiner Selbstbezogenheit kann er sich kaum in den Partner einfühlen. Er lebt für die Selbstverherrlichung.

Im Idealfall aber, bei nur leichter und erträglicher Ausprägung, setzt er seine ganze Potenz, Intelligenz und Kreativität, seinen oft großen Idealismus für die Welt und besonders für die geliebte Frau ein. Er lebt mit dem sich selbst nicht eingestandenen Motiv, dafür mindestens ebenso sehr wiedergeliebt zu werden.

Die defensive und gehemmte Narzisstin mit einem Mangelselbst steht dem gegenüber, auch Komplementärnarzisstin genannt; diese Ausprägung gibt es mehr aufseiten der Frauen. Hier ist alles umgekehrt. Sie steuert ihr Leben eher mit dem Partnerstil der Anpassung. Die Zweifel am eigenen Selbst sind so stark, dass eigene Wünsche und Bedürfnisse zurückgestellt werden und die Sorge überwiegend dem Partner gilt. Selbst ängstlich und unsicher, tut sie alles, um Sicherheit und Anerkennung zu bekommen. Sie umsorgt den Partner, verehrt ihn und hebt ihn auf den Thron, nimmt sich zurück und ist bescheiden, eher verhalten bis nachgiebig. Eigene Bedürfnisse werden zurückgestellt oder sogar vernachlässigt. In kluger weiblicher Einfühlung und Diplomatie sorgt sie für Frieden, gibt nach, bittet um Verzeihung, beugt Konflikten vor, gleicht Spannungen aus, arbeitet zielstrebig im Stillen und ist immer solidarisch. Das eigene Selbstbewusstsein wird dadurch stabilisiert, dass der Partner überhöht wird und nicht das eigene Ego. Von solch einem Mann dann auserwählt zu werden und seiner Liebe würdig zu sein, darin liegt der seelische Gewinn und das größte Glück. Sie versucht, in der Welt dadurch zu bestehen, dass sie nicht sonderlich auffällt und möglichst keinem etwas zuleide tut. Aggression und Streit meidet sie. Sie wagt kaum, ihre Wünsche durchzusetzen, oder äußert sie nicht einmal. Im negativen Fall kann sie ihren Platz einfach nicht finden und kommt im Leben zu kurz.

Im Idealfall sind solche Frauen erfolgreich durch angemessenes und bescheidenes Auftreten. Solche Frauen können auch gute Führungspositionen einnehmen und sind gerade deshalb erfolgreich, weil sie sich zurücknehmen. Sie verbreiten Frieden und sorgen für Ausgleich. Sie stehen eher in der zweiten Reihe, sorgen dort aber zuverlässig und unersetzlich für das Wohl der anderen – für den Partner, die Kinder oder den Chef. Sie lebt mit Selbstunterschätzung.

Der erstarrte Narzisst als dritte Form von gestörtem Narzissmus komplettiert die Symptomatik. Sie ist bisher in der Fachliteratur so nicht definiert beziehungsweise diagnostiziert. Seine Symptomatik fehlt aber in der bisherigen Erklärung für beeinträchtigtes oder gestörtes soziales Verhalten. Das mag daher rühren, dass diese Menschen im Alltag und im Beruf wenig oder gar nicht auffallen. Sie stürzen allerdings in der Zweierbeziehung den Partner oft in die Verzweiflung, weil sie sich durch Lethargie, Passivität, mitunter auch Faulheit auszeichnen. Sie steuern ihr Leben durch den Partnerstil der Planung – allerdings im Übermaß.

Alle lebendigen Impulse, Bedürfnisse, Wünsche und Ansprüche an das Leben sind weitgehend blockiert oder lahmgelegt. Solche Menschen scheinen wie erstarrt, gehemmt und gelähmt. Auf ihre Umgebung wirken sie dann farblos, manchmal langweilig, manchmal unbeholfen, meist ungesellig. Sie werden leicht übersehen oder gemieden. Sie scheinen manchmal kaum ansprechbar, wirken oft teilnahmslos oder desinteressiert. Auf Partys gehen sie verloren. Sie meiden eher das fröhliche Treiben. Sie können weder für sich selbst noch für den Partner sorgen. Auslöser dafür ist meist eine tiefe, oft unbewusste Scham, nicht richtig zu sein. Die Scham über das eigene Sosein lähmt alles und hüllt die Betroffenen wie in eine dichte Nebelwand: Der eigene unpassende Körper, Sprachlosigkeit, Gefühllosigkeit, die eigene Unfähigkeit, mangelnde Intelligenz, fehlende Vitalität, blockierte sexuelle Lust bis hin zum Gefühl, in allem falsch zu sein, verhindert den Austausch von Körper, Geist und Seele, verhindert aber auch die eigene Selbstwirksamkeit. Diese Scham vergiftet die eigene Seele. Sie wird regungslos. Gefühle dringen kaum nach außen, selbst Mimik und Gestik bleiben unbeweglich. Irrtümlich werden diese Erstarrten manchmal für behäbig oder faul gehalten, sie reden sich das sogar selbst ein.

Im Idealfall allerdings sind sie unbestechlich und gerecht, treu und hilfsbereit, solidarisch und zuverlässig. Sie verlangen nicht viel und sind froh, wenn ihnen Aufmerksamkeit geschenkt wird. Sie sind auf die Liebe des Partners angewiesen, können diese aber nur schwer lebendig erwidern. Meist wählen sie auch nicht aktiv, sondern werden als Partner gewählt. Sie leben in der Selbstverlorenheit.

Natürlich treten die geschilderten Phänomene nicht immer in dieser Reinform auf, sondern mischen sich. Auf keinen Fall meint diese Symptomschilderung etwas Abwertendes. Die Betroffenen leiden darunter, selbst wenn sie es gar nicht bewusst registrieren. Sie wollen lieben wie alle anderen auch, aber erleiden Schiffbruch. Häufig war schon die Liebesgeschichte mit den Eltern misslungen, jetzt auch noch die mit dem Partner.

Sie sind die in der Liebe doppelt Betrogenen. Sie sind in sich sehr einsam. Sie ahnen manchmal nur, dass etwas nicht stimmt im eigenen Erleben. Dann agieren oder erstarren sie umso stärker, um die eigenen Zweifel wieder ruhigzustellen. Sie fühlen sich meist als falsch verstandene Idealisten. Sie wollen doch nur das Beste – für sich und die anderen. Sie setzen sich häufig für große Werte ein. Diese müssen aber unter der Schicht von ausartender Selbstsorge erst wie ein Schatz an die Erdoberfläche geholt und von anderen in das gute Licht gesetzt werden.

Im Übrigen allerdings haben wir Menschen, vielleicht einzigartig in der Natur und Kreatur, natürlich alle selbst mehr oder weniger Anteile dieser narzisstischen Seelendynamik. Es geht dabei um eine seelische Störung oder, milder ausgedrückt, um eine seelische Schwächung – allerdings mit besonderer Tragik, wenn sie in ausgeprägter Weise auftritt.

Narzisstische, in ihrer Selbstliebe gestörte Menschen sind überempfindlich, weil das verunsicherte Selbstbewusstsein und die vermehrten Selbstzweifel so bedrohlich sind, dass diese inneren Ängste sich zum »Inneren Gegner« verwandeln, konstatiert der berühmte französische Psychotherapeut Cyrulnik (2011). Solche Betroffene fühlen sich leicht bedroht, infrage gestellt, falsch verstanden, nicht richtig gesehen oder zu Unrecht kritisiert. Der innere Gegner verhindert die eigene Selbstwirksamkeit. Fast automatisch wird stattdessen in der Abwehr solcher Bedrohung durch den inneren Gegner der leibhaftige Partner zum Gegner. Der ist viel leichter greifbar und kann auch leichter bekämpft werden als die Dämonen im eigenen Selbst.

Aber: Es gibt auch notwendige Grenzen der Konfrontation mit dem eigenen Selbst. Nicht immer und nicht immer gänzlich sind beide Partner gleichermaßen Ursache und Auslöser für destruktive Paardynamik. Der innere Gegner tobt dann vorwiegend auf einer Seite.

Davon betroffene Paare bewegen sich manchmal fast so vorsichtig wie in einem Minenfeld. Die Beziehungsdynamik wird zum »Eiertanz«. Die Angst vor unberechenbaren Einbrüchen in das immer wieder mühsam gekittete Beziehungsglück herrscht vor – oft nicht nur beim anderen Partner, sonder auch bei den Kindern. Die Ursache dafür liegt relativ oft in einer mehr oder weniger ausgeprägten Symptomatik, die als »Borderline« bezeichnet wird, eine besondere Ausprägung von narzisstischer Störung (Mason/Kreger 2003). Für Partner und Kinder kann das zur Hölle werden. Auch kleinste Fehler oder Kritik, sei es auch nur eine falsche Bemerkung, eine geringschätzige Gestik oder ein Augenverdrehen, vielleicht auch ein ironisches Lächeln, können dann sofort eine Lawine lostreten. Die Sorge um das eigene Selbst wirkt wie eine Klammer: Sie wird zur Klammer für das eigene Selbst, aber auch zur Klammer für den Partner und damit für die Beziehung.

Dann kann Trennung von solch einem Unglücklichen auch zum Glück für den anderen und die Kinder werden. Das ist die härteste Maßnahme auf dem Weg zum Glück – das eigene Glück zu retten und den Unglücklichen zurückzulassen.

Beispiel: Karola schreibt: »Am Ende meiner sechsjährigen Beziehung war ich nicht mehr der gleiche Mensch wie zuvor. Ich war völlig aufgelöst und hatte den Film von den letzten Erlebnissen ständig vor meinem geistigen Auge abgespielt. Einen Film, der meine Seele in tausend Stücke riss. Was war passiert? Der Fluss der Beziehung war ein wunderbarer, warmer Strom, der sich in einen mächtigen, reißenden Fluss verwandelte, wo man nur verzweifelt dachte, wie man da wieder rauskonnte, ohne sich selbst ganz zu verlieren. Wann würde es mir besser gehen? Wenn ich bei ihm bleibe oder mich trenne? Der Mann, der mich liebevoll in den Arm genommen hatte, fürsorglich war, war zusehends verbal aggressiv geworden. Hatte bei jeder Kleinigkeit Ausraster, die auch meine Kinder ängstigten und weinen ließen. Ich wurde mit extremen verbalen Beleidigungen angegriffen aus erfundenen Schuldzuweisungen. Irgendwann gab ich ihm, als er sich nicht mehr beruhigen ließ, eine Ohrfeige. Er schlug daraufhin zweimal zurück. Seine Schläge trafen mich sehr tief, seine Worte hallten wie ein höhnisches Echo wochenlang nach. Ein Jahr zuvor hatte ich ihm einen Seitensprung verziehen. Endlich war der Punkt gekommen, wo ich mir zuflüsterte: ›Jetzt schaffe ich es. Jetzt werde ich mich von ihm trennen.‹

Ich empfand sehr große Liebe für ihn, träumte eine Patchwork-Familie mit seinen und meinen Kindern. Alles platzte wie eine Seifenblase. Die Trennung war ein Weg, der sehr schwer und auch lang war. Ich hatte geglaubt, ohne diesen Menschen nicht mehr leben zu können. Meine Seele hatte ich verleugnet und mich in Gefühlen getäuscht. Es war mehr ein Klammern an Zukunftsvisionen mit ihm. Wilhelm von Humboldt sagte einst: ›Es ist fast noch wichtiger, wie ein Mensch das Schicksal nimmt, als wie sein Schicksal ist.‹ Ich wollte mein Schicksal nicht annehmen, wollte nicht akzeptieren, dass der Mann nicht der Richtige für mich war. Er war doch meine große Liebe!

Als ich lernte, loszulassen, das Schicksal anzunehmen, ging es mir von Tag zu Tag besser. Heute sehe ich Glück nicht mehr nur in Verbindung mit einer anderen Person, sondern Glück ist für mich, dass ich wieder zu mir gefunden habe, dass ich mir selbst treu bin und meine Seele wahrnehme, meinen Atem, mein eigenes Ich. Dass der Wandel zum Leben gehört, dass Blätter von den Bäumen fallen müssen, um im Frühjahr wieder neue sprießen zu lassen, erkannte ich. Nun hörte ich auf, der Vergangenheit nachzuhängen und auch zu grübeln, wie meine Zukunft weitergeht – denn genau das hatte mich an diesen Mann gefesselt. Ich möchte leben und nicht mehr träumen, was wäre. Denn hinter Wünschen steht Unzufriedenheit. Es ist Glück zu wissen, dass man sich selbst treu bleibt, vollkommen im eigenen Ich, und dies dann auch leben und dem anderen Menschen geben kann. Eine Beziehung ist nur dann wahrhaftig, wenn der Mensch im Einklang mit sich selbst ist.«

Zur Entstehung von Narzissmus

Die gestörte Selbstliebe als seelische Autoimmunerkrankung wirkt wie eine Vergiftung der eigenen Seele. Das besonders Tragische daran: Diese Vergiftung wird in die Beziehung auf den Partner übertragen, sozusagen als Mitgift. Sie führt fast unausweichlich zur Kränkung des Partners und lässt die Beziehung erkranken.

Die Ursache für eine solche Dynamik liegt meist in der Entwicklungsgeschichte der jeweiligen Partner bis zurück zur frühen Kindheit. Misslingt im Lernprogramm Liebe mit den Eltern, Geschwistern, Onkeln und Tanten, Mitschülern und Lehrern die gesunde Entfaltung der Eigenliebe, kommt dadurch eine Unterernährung des Selbst, ein defizitäres Selbstgefühl zustande. Das verletzte Kind mit seinem Mangelschmerz wird jetzt erst geboren. Das verletzte Kind in mir identifiziert später dich als Täter. Die Abwehr der eigenen Ohnmachtsgefühle – damals als Kind erlebt – wird zum Widerstand gegen den bedrohlichen Partner.

Für das Kind von damals war es zum Beispiel von übergroßer Bedeutung, die Gefahr, dass die Eltern sich trennen, dadurch abzuwenden, dass es selbst sich opfert: Es versucht, sich für beide Eltern richtig zu verhalten, was die Identität des Kindes zerreißen muss. Oder bei überstrengen Eltern war es sehr gefährlich, fehlerhaft zu sein, weil in der Regel sofort die harte Strafe folgte. Dies gilt auch, wenn Geschwister brutal behandelt oder missbraucht wurden. Der Schaden muss nicht am eigenen Körper, am eigenen Wesen erfahren worden sein, sondern es kann genauso gut in der Geschwistermisshandlung oder in schrecklichen Ereignissen der Umwelt begründet sein.

Vom sexuellen Missbrauch über die Schreckenshöllen der Kriege, von der einfachen Gefühllosigkeit überarbeiteter Eltern bis hin zum lebensgefährlich erkrankten Geschwisterkind, von der überstrengen, moralinsauren und bigotten Bürgermoral bis hin zur kapitalistisch egoistischen Ellbogengesellschaft: Seelische Kränkung und Traumatisierung erleben wir nicht nur als Kinder, auch als Erwachsene.

Seit Freuds Tagen ist das Problem des Narzissmus immer ernst genommen worden. Es hat in der Folge sehr prominente Vertreter dieser Theorien gegeben, die das Verständnis über Narzissmus wesentlich erweitert, vertieft und differenziert haben. Besonders bekannt sind dafür Heinz Kohut und Otto Kernberg, die das Wissen um die persönlichen Auswirkungen sehr vertieft haben. Heutige Autoren wie Maaz und Altmeyer übertragen diese Problematik auf die ganze Gesellschaft, die zunehmend die Symptome von narzisstischen Störungen aufweist im unersättlichen Hunger nach Zuwachsraten und Umsatzsteigerung.

Diese Entwicklung ist nur von der anderen Seite her zu verstehen:

Die kapitalistische Marktlogik begegnet dem herkömmlichen Mangelschmerz mit steigender Überproduktion. Die Institutionen des Kapitalismus wie Börsenhandel, Aktienmarkt und Unternehmensvolumensteigerung übertragen ihre Strategien auf Politik, Parteien und Gesellschaft. Die einzelnen Menschen in dieser Gesellschaft sind in der Folge prädestiniert, die Strategien dieser Überflussgesellschaft zu übernehmen. Der Überfluss und der Mangel – sie erzeugen beide narzisstische Störungen.

Seelischer Schaden und narzisstische Kränkung entstehen nicht nur durch ein Zuwenig an Liebe. Ebenso ursächlich wirken auch der Überfluss und das Zuviel an verwöhnender Liebe.

Die alltäglichen Folgen der narzisstischen Paardynamik: Abwehr und Widerstand zwischen den Partnern

Im Alltag der Paarbeziehung vermengen sich Unzufriedenheit mit dem Partner und Unzufriedenheit mit sich selbst häufig zu einem gefährlichen Krisenpotenzial. Die Unzufriedenheit mit sich selbst als die narzisstische Wunde des verletzten Kindes, die Genuss und Liebesentfaltung verhindert, muss zuerst aufgedeckt und versorgt werden.

Um den inneren Gegner abzuwehren, entwickeln wir, wie bereits ausgeführt, Abwehrmechanismen. Das sind Aktivitäten unserer Ich-Funktionen zum Schutz des Selbst vor Beschämung, Bloßstellung, Verurteilung und anderen seelischen Schmerzen. In der Verstrickung mit dem Partner richten wir diese Mechanismen gegen ihn, weil wir leichter in ihm den Gegner erkennen können als in uns selbst. Um uns selbst nicht infrage stellen oder kritisch durchleuchten zu müssen, um nicht schuldig gesprochen zu werden, wehren wir diese Gefahr ab und transportieren unsere eigenen Probleme auf den Partner.

Da dieser das Gleiche tut, kommt ein Teufelskreis ohne Ende zustande. Streiteskalationen, Dauerstreit und Sinnlosstreit sind die Folge. Die Tragik der paarspezifischen Dynamik liegt darin, dass das durchaus gesunde Bestreben, das eigene Selbst zu schützen, sich fast automatisch und reflexartig als Widerstand gegen den Partner auswirkt. In dieser Doppelfunktion wird die durchaus wichtige Abwehr gleichzeitig zum verhängnisvollen Widerstand gegen den Partner. Die Partner bekämpfen sich, obwohl sie einander lieben, um sich vor sich selbst zu schützen.

Eifersucht, Neid, Konkurrenz, Vergessen, Leugnen, Nörgeln, Besserwisserei und Rechthaberei sind häufig die einsetzenden Symptome und Begleiter dieser narzisstischen Paardynamik. Kennzeichnende Grundgefühle in überbordender Form sind: Scham, Bedürftigkeit, Aggression und Trotz, Angst, Selbstzweifel, Unfähigkeit zum Verzeihen und Depression.

Die Paarsynthese benennt fünf solcher Abwehr- und Widerstandsmechanismen. Sie sind neben subjektiver Wahrnehmung und projektivem Konflikttransfer die dritte Seelenstrategie zur Glücksverhinderung. Sie können durch Kleinigkeiten im Sinne von Triggern ausgelöst werden und reflexartig als fest gebahnte neuronale Verschaltungen zu automatischem Streitverhalten führen. Trotz besserer Einsicht und Um-Verzeihung-Bitten, oft trotz therapeutischer Hilfe und trotz vieler Besserungsschwüre können diese Verhaltensmuster nur schwer abgelegt werden und führen häufig zu Rückfällen.

1. Schuldzuweisung und zwanghaftes Rechthaben: Statt einfacher Klarstellung über mehr oder weniger wichtige Sachverhalte entstehen hitzige Diskussionen und Wortgefechte bis hin zu ausdauerndem Streit. Wer, wo, wann und wie irgendetwas falsch abgestellt, vergessen, verloren, getan oder nicht getan hat, gerät zur erbitterten Auseinandersetzung. Die Schuldfrage ist dann oft die bitterböse Zuspitzung, die häufig mit Tränen auf der einen und Zornausbrüchen auf der anderen Seite endet. Letztlich dient die Schuldzuweisung dazu, von eigenen Fehlern abzulenken oder diese zu verharmlosen. Schuld aber selbst einzugestehen und dafür um Verzeihung zu bitten geht nur ganz schwer und nur bei erdrückender Beweislage. Ebenso schwer fällt es aber, dem anderen seine Schuld zu verzeihen, selbst wenn er sich reumütig dazu bekennt und – manchmal auf Knien – um Verzeihung dafür bittet. Rechthaben-müssen zwingt das Unglück herbei.

2. Entwürdigung und Demütigung: Statt eine einfache Feststellung darüber zu treffen, dass zum Beispiel bei der gemeinsamen Fahrt im Auto die falsche Straße gewählt wurde, dass die Kinder zu spät zur Schule kamen, dass eine Verabredung nicht eingehalten wurde, dass an diesem Wochenende kein Geschlechtsverkehr stattgefunden hat, wird das entsprechende Verhalten des Partners verallgemeinert, als komplettes Missverhalten definiert, das nicht nur gerade heute, sondern immer und ewig so stattfinde. Der Partner wird damit diffamiert und in seiner sonstigen Qualität und Leistung für die Beziehung und die Familie abgewertet. Noch schlimmer, es werden böse Absichten unterstellt oder charakterliche Schwäche. Das geschieht dann mitunter sogar in der Öffentlichkeit, auf einer Party oder unter Freunden. Den Partner abzuwerten, um sich selbst aufzuwerten, zwingt Unglück herbei.

Beispiel: So berichtete eine Frau unter Tränen, dass ihr Mann anderen gegenüber wiederholt behauptet habe, sie würden höchstens zwei- bis dreimal im Jahr zusammen schlafen, und dazu auch noch höhnisch lache. Sie sei tief gekränkt darüber, weil sie doch alle zwei Wochen zusammen schlafen würden. Letztlich dient die Erniedrigung des anderen dazu, sich selbst aufzuwerten.

3. Verweigerung und Erstarrung: Statt mit dem Partner tiefe Regungen, Gefühle und Gedanken, Wünsche und Sehnsüchte, Freude und Lust zu teilen und die innersten Grenzen von Körper, Geist und Seele für ihn zu öffnen, wird der Partner eher davon ausgeschlossen. Veränderung und Austausch sind dann blockiert. Dadurch entsteht das Gefühl von Einsamkeit in der Zweisamkeit. Gesten der Liebe, sanfte Berührungen der Zuneigung und innige Versenkung in tiefen Augenblicken finden nicht statt. Manchmal unterbleibt sogar der tägliche Austausch über den Tagesablauf, die beruflichen Erlebnisse oder mit den Kindern. Grund dafür mag eine innere Blockierung sein, oft genug aber auch eine passive Form von pubertärem Trotz und aggressiver Bestrafung. Der innere Rückzug und der damit verbundene Liebesentzug lassen den anderen ohnmächtig zurück und bieten ihm keine Chance. Eine mächtige Waffe, der der Partner ohnmächtig ausgeliefert ist. Es gibt dann auch keine Möglichkeit zu einer konstruktiven Veränderung, da ein Austausch darüber nicht möglich ist. Diese Form von passiver Aggression und Fühllosigkeit entspricht ganz dem Trotz aus Kindheit und Pubertät. Während er aber damals gegen die Übermacht der Eltern seine Berechtigung hatte, wirkt er in der erwachsenen Liebesbeziehung nur destruktiv. Letztlich dient die Verweigerung dazu, sich vielleicht auch selbst zu schützen, vor allem aber, den anderen in eine ausweglose Lage zu bringen, um selbst der Stärkere zu bleiben. Passives Streiten zwingt das Unglück herbei.

4. Aggression und Zerstörung: Statt eine einfache Auseinandersetzung darüber zu führen, was in der Beziehung schwierig ist und zwischen den Partnern möglicherweise trennend wirkt, reagieren die Betroffenen schnell gekränkt, häufig mit eruptiver Aggression oder Depression, mit Türenknallen, Zornesausbrüchen und Gewalt oder mit Verlassen des Raumes, mit Abhauen und Kofferpacken. Alles wird sofort ganz infrage gestellt und auch das, was einmal schön war, wird mit in den Müll geworfen. Statt Ermutigung findet Entmutigung statt. Aufkeimende Pflänzchen der Hoffnung werden ironisch oder sarkastisch kommentiert. Es zählt nur alles oder gar nichts. Beziehungsabbruch wechselt mit leidenschaftlicher sexueller Vereinigung, Küsse folgen auf Schläge und umgekehrt. Überbordende Gefühle von Angst, Misstrauen, Verzweiflung und Zorn wechseln mit sehnsuchtsvoller Hingabe, Besserungschwüren und tränenreichen Bitten um Verzeihung. Kommt es aber wirklich zur Trennung, dann wird der andere voller Hass bekämpft, manchmal bis zum bitterem, manchmal sogar bis zum tödlichen Ende. Hier kann nicht davon gesprochen werden, dass dieser Mechanismus wirklich irgendeinem Ziel dient, sondern er ist mehr und eher Ausdruck des eigenen inneren Chaos und einer Achterbahn der Gefühle. Affektive Instabilität zwingt das Unglück herbei.

5. Selbstaufgabe statt Selbstbehauptung: Anstelle einer einfachen und klaren Wunsch-Äußerung oder Einforderung eigener Bedürfnisse steht zögerliche, ängstliche und verunsicherte Zurückhaltung. Die Unfähigkeit, die eigenen Wünsche zu artikulieren, anzumelden, geschweige denn durchzusetzen, macht den betreffenden nur scheinbar zu einem anspruchslosen Partner. Natürlich steht dahinter eine tief empfundene Bedürftigkeit, die aber nicht zu stillen ist, weil sie nicht eindeutig benannt wird. Die Sehnsucht bleibt ohne Namen und der Partner kann höchstens ahnen, was der andere wirklich bräuchte. Die scheinbare Wunschlosigkeit verhindert die Bedürfnisbefriedigung. Dadurch wird aber auch der Partner blockiert und kommt seinerseits zu kurz. Im Extremen kann dieser Mechanismus bis zur völligen Selbstaufgabe, bis zum Selbstmord führen. Statt Aggression gegenüber dem Partner zu zeigen, was stark bedrohlich wirkt, scheint es leichter, die Aggression gegen sich selbst zu richten und in Depression umzuwandeln. Auch hier bekommt der Partner keine wirkliche Chance, weil kein wirkliches Gegenüber vorhanden ist, um einen gleichberechtigten und sinnvollen Dialog zu führen um das, was die Liebe zur Entfaltung bringen würde. Resignation zwingt das Unglück herbei.

Für alle fünf Abwehr- und Widerstandsmechanismen gilt gleichermaßen, dass sie dazu tendieren, über die Verhältnismäßigkeit im Vergleich zum Anlass hinauszuschießen. Oft gewinnen sie dadurch eine derart massive und zerstörerische Intensität, dass die Keule der Trennungsandrohung gegen den anderen geschwungen wird. Verblüffend und immer wieder erstaunlich daran ist, dass solche Paare in der Therapie oft berichten, dass sie jetzt zwar gar nicht mehr wüssten, worum es eigentlich gegangen sei oder was der Anlass zum Streit war, dass sie sich aber fürchterlich gestritten und sogar mit Trennung gedroht hätten.

Ein besonderes Merkmal dieser narzisstischen Abwehr- und Widerstandsmechanismen ist ihre tiefe Eingrabung in die Persönlichkeitsstruktur. Sie gehören damit so sehr in das Charakterbild dieses Menschen, dass der Betroffene selbst gar nicht erkennen und spüren kann, dass er ein Fehlverhalten in die Beziehung bringt. Ihm ist es tatsächlich meist nicht bewusst, dass seine narzisstischen Kränkungsmuster zerstörerisch wirken könnten. In der Regel haben sich diese Muster ja schon in der frühen Kindheit durch die damalige defizitäre Liebesbeziehung mit den Eltern in den Organismus eingegraben und werden aus Gewohnheit Bestandteil der eigenen Persönlichkeit. Dann würde eine vom Partner gewünschte Veränderung daran einem Verbiegen gleichkommen.

Die therapeutische Bearbeitung narzisstischer Paardynamik als Weg zum Liebesglück

Paartherapie bedeutet immer eine große Chance, vielleicht die letzte, auf dem Weg zur Rückkehr der Liebe. Oft erfordert das harte Arbeit, seelische Altlasten, Kränkungen und Übergriffe wie Schutt und Felsbrocken aus dem Weg zu räumen.

Paartherapie arbeitet immer gleichzeitig am eigenen inneren Frieden und am Frieden zwischen den Partnern, denn das eine ist ohne das andere gar nicht vorstellbar. Die Paarsynthese als spezifisch paartherapeutisches Verfahren leistet deshalb Einzeltherapie und Paartherapie in einem. Das ist unerlässlich, weil die seelischen Belastungen des einen sich mit denen des anderen nicht nur mischen, sondern sich gegenseitig potenzieren. Die durch die Intimität bedingte Verdichtung im Austausch von Körper Geist und Seele reaktiviert außer Glücksgefühlen in besonderer Weise auch die Abwehr- und Widerstandsmechanismen früherer Liebesverletzungen aus Kindheit und Jugend.

Das Vorgehen der Paarsynthese im therapeutischen Prozess ist gekennzeichnet durch fünf aufeinander aufbauende therapeutische Zyklen beziehungsweise Schritte. Sie heißen:

1. Paargestalt, 2. Partnerwerdung, 3. Paardynamik, 4. Paaranalyse, 5. Paargestaltung. Sie bilden für ratsuchende Paare und ihren Therapeuten eine Orientierungshilfe im Chaos der Gefühle, im Trommelfeuer gegenseitiger Vorwürfe und manchmal auch in der Symbiose von Hass.

1. Paargestalt

Die Therapeuten bitten die ratsuchenden Partner schon bei der Anmeldung, zur Vorbereitung auf die erste Sitzung getrennt voneinander einen kurzen Zustandsbericht über die Problem- und Konfliktsituation und deren Ursachen jeweils aus eigener Sicht zu schicken. So ist es möglich, ohne lange Schnörkel den Therapeuten direkt vom Konfliktgeschehen zu berichten. Die Therapeuten helfen durch sensibles Nachfragen, genaue Beobachtung der fünf Dialogsäulen und durch kleine verdichtende Anleitungen, die Probleme nicht nur faktisch aufzuzählen, sondern die vertieften Gefühle wie Trauer, Wut, Enttäuschung und Verzweiflung deutlich zu zeigen. Keinesfalls geht es jetzt schon darum, nach Lösungen zu suchen, da die hintergründigen Ursachen noch gar nicht auf dem Tisch sind. Das wäre sonst der dritte Schritt vor dem ersten. Drei bis fünf Sitzungen werden gebraucht, um die Problemlage differenziert und mit allen Aspekten auszubreiten. Intensive Anhörung, Ausleuchtung und diagnostische Erkenntnisse sind das Vordringliche.

Die Therapeuten achten darauf, welche Motivlage, Kränkungsmuster, Paardialoge und Partnerstile von den Partnern ins Feld geführt werden. Die Art und Weise, wie die Klagen, Anklagen und Gegenklagen gegeneinander vorgetragen werden, ist dabei genauso wichtig wie der Inhalt der Klagen selbst.

Die Therapeuten bereiten dem Paar eine Bühne und sorgen für einen geschützten Raum, damit die Partner sich mit ihrer ganzen verletzten Intimität erklären und zeigen können. Alle Aspekte und viele Details sind wichtig und dürfen doch nicht vom Kern ablenken. Die Therapeuten helfen, damit starke Gefühle, Verzweiflung und Not, Hilflosigkeit und Scham, existenzielle Ängste und viele andere Empfindungen auf den Tisch kommen. Alltagsprobleme wie Rauchen, Trinken, schmutzige Socken bis hin zu Gewaltexzessen, Fremdgehen und seelischen Übergriffen, alltägliche vom Partner missachtete Sorgen, beruflicher Stress – erst alle Aspekte zusammen ergeben das Gesamtmosaik der Krisendynamik des Paares.

Ziel ist es, die wahren Motive und wirklichen Ursachen hinter dem äußerlich wahrnehmbaren Konfliktverhalten auch für die Streitenden selbst spürbar aufzuzeigen. Wenn nötig, stoppen die Therapeuten eskalierenden Streit, fordern aber auch die kritische Aufdeckung verschwiegener oder tabuisierter Themen. Schon die ersten Sitzungen sollen zu einer Stunde der Wahrheit werden. Kleine Körperübungen sollen über das pure Reden hinaus die intime Verdichtung der Konfliktdynamik deutlich machen. So sollen die Partner zum Beispiel zeigen, wie viel Nähe und Liebe sie sich gegenseitig noch schenken, wie viel Distanz sie haben oder wie viel Wut in Ihnen steckt.

Je nach Krisenlage sollen die Sitzungen alle 2 Wochen oder wöchentlich stattfindenden. Hilfreich ist es, dass die Partner von den Sitzungen Kurzprotokolle verfassen und sie wieder zuschicken, damit nicht durch die emotionale Erregung die wichtigen Stationen der Sitzungen verloren gehen. Kleine Hausaufgaben, wie zum Beispiel Aufschreiben der drei wichtigsten Wünsche an den Partner oder Antworten auf Fragen wie »Wofür will ich dich um Verzeihung bitten?«, »Was ist mein Fehler – was ist dein Fehler?«, »Was verstehe ich unter Liebe?«, sollen die Partner mit nach Hause nehmen und schriftlich beantworten.

2. Partnerwerdung

Etwa ab der dritten Sitzung kann damit begonnen werden, nach den tiefer liegenden Gründen für das Unglück des Paares zu forschen. Diese müssen erkannt und an die Oberfläche geholt werden, bevor dann im dritten Schritt erste Lösungsansätze in Betracht gezogen werden können.

Mit tiefer liegenden Gründen ist gemeint, dass die Ursachen für die aktuellen Partnerkrisen zwar oft durch äußere Anlässe getriggert werden, in Wahrheit aber nicht friedlich gelöst werden können und oft eskalieren, weil unbewusst alte narzisstische Wunden und Kränkungsmuster aus der eigenen Beziehungsgeschichte reaktiviert worden sind und nun im Gefecht mit dem Partner virulent werden.

Die Wunden von damals brechen wieder auf.

Jetzt versuchen die Therapeuten aktiv zu werden, indem sie die damals verletzten Kinder in den heute äußerlich erwachsenen Partnern mit ihrer Not anhören und trösten und »nachnähren«, um den Mangelschmerz aufzufangen. Das geschieht, indem die Partner abwechselnd in ihrer Erinnerung zurückgeführt werden bis an wichtige schmerzliche Kindheitsszenen. Fotos, Tagebücher Briefe und andere Erinnerungsstücke werden zu Hilfe gezogen. Ängste, Nöte und Kränkungen von damals werden in einem Brief an die Eltern, an die Geschwister oder andere wichtige Bezugspersonen wie Verwandte, Lehrer und Mitschüler festgehalten. Zu verabredeten Terminen werden diese den Betroffenen dann vorgelesen.

Auf diese Weise sollen die »verletzten Kinder« zu Wort kommen, spätes Recht und Genugtuung erfahren und die blockierte Liebe zu diesen Bezugspersonen, vor allem zu den Eltern, dann ohne diese Altlasten neu gestalten.

Wichtig daran ist, dass der eigene Partner unmittelbar an dieser Geschichtsaufarbeitung von gelungener oder misslungener Liebe teilhat. Er sieht, hört und fühlt unmittelbar die Tiefe emotionaler Erschütterungen und Verzweiflungsausbrüche mit. Jetzt kann er unter Anleitung der Therapeuten mehr Verständnis für die heutige Verletzlichkeit seines Partners entfalten, kann Anteil nehmen, kann trösten und Entwicklungshelfer werden, die Altlasten abzulegen.

Natürlich kommt es zum Rollentausch, sodass beide Partner sich gegenseitig auf dieser Reise in die Vergangenheit begleiten und gestärkt daraus zurückkehren können. Ausgerüstet mit diesen neuen Erkenntnissen und den tröstlichen Erfahrungen an Leib und Seele können sich die Partner jetzt unbelastet von den Schatten der Vergangenheit einander neu zuwenden.

Dieser zweite therapeutische Schritt braucht aller Wahrscheinlichkeit nach mehr Sitzungen als der erste, denn das ganze Material aus der Vergangenheit mit den nötigen Hausarbeiten wie Elternbesuche, Geschwisterkontakte und so weiter lässt sich nicht in kurzer Zeit bewerkstelligen.

3. Paardynamik

Jetzt prüfen die Partner mithilfe der Therapeuten, auf welche Weise diese Altlasten und Ahnenbotschaften mit ihren Verletzungen und Kränkungen die Beziehungsgestaltung zum Partner geprägt haben. Bisher wurden viele der Altlasten auf den Partner abgeladen, statt sie dorthin zurück tragen zu können, wo sie herkamen.

Die beiden treten jetzt in einen vertieften Dialog darüber, wie sie mit der jeweiligen Mitgift umgehen sollen und wollen. Sie prüfen, inwieweit die Muster der Vergangenheit zu Mustern ihrer jetzigen Beziehung geworden sind. Sie können nun einander besser erklären, welche eigenen Schattenanteile, Fehlverhalten und Mangelzustände zum derzeitigen Konflikt beitragen. Einbezogen in diese Auseinandersetzung werden alle fünf Dialogebenen von Körper, Gefühl, Sprache, Sinnfindung und Zeit.

Die Partner können sich jetzt selbst als Täter und nicht nur als Opfer dem anderen gegenüber identifizieren und zu erkennen geben. Das ist der große Fortschritt in dieser dritten Phase. Sie lernen jetzt, den Partner dafür, was sie ihm aufgrund der eigenen narzisstischen Verstörungen oder Störungen zugefügt haben, um Verzeihung zu bitten. Sie können miteinander nach dem gemeinsamen Substanzkonflikt suchen, das heißt nach der jeweilig tiefsten Kränkung oder Verletzung, die jeder in sich trägt und die er unbewusst am Partner abgearbeitet oder auf diesen übertragen hat.

Vor allem wird es wichtig, im Dialog, möglicherweise auch im kontrollierten Streit, faire Regeln, eine Streitkultur, einzuführen (siehe Kapitel 5). Alle Wünsche und Bedürfnisse, aber auch Gegensätzlichkeiten und Widersprüche werden ausgetragen, allerdings ohne die bisher lange üblichen Abwehr- und Widerstandsmechanismen: Schuldzuweisung und Rechthabenmüssen, Entwürdigung und Demütigung, Verweigerung und Erstarrung, Aggression und Zerstörung, Regression und Selbstaufgabe.

Als Hausaufgaben bieten sich jetzt Dialogabende an, begrenzt auf eine intensive und sinnliche Begegnung jeweils pro Abend und auf eine Säule beschränkt: Körper, Gefühl, Sprache, Sinnfindung oder Zeitgestaltung, jeweils ohne sexuelle Annäherung. Stattdessen geht es jetzt vorrangig um eine allmähliche Wiederannäherung und Veränderung im alltäglichen Umgang.

4. Paaranalyse

Der vierte Schritt geht über die Bewältigung der alltäglichen Problematik und das Wiederfinden einer liebevollen Haltung hinaus. Ein neues Fundament für den Sinn im Zusammenleben als Paar soll gelegt werden. Die Partner suchen miteinander nach Zielen und Wertvorstellungen für ihr Leben, die sie über die Triebbefriedigung, die Existenzbewältigung und die Aufzucht der Kinder hinaus gemeinsam anstreben.

Die Partner erläutern einander mit Blick auf die »Liebesgeschichten« ihr Vorleben verständnisvoll, ebenso das eigene daraus herleitbare Fehlverhalten, und bitten noch einmal um Verzeihung dafür. Zusammen mit den Therapeuten ergründen sie die gemeinsame Verknotung ihrer Kränkungsmuster. Sie analysieren, was sie miteinander und voneinander zu lernen haben. Befreit von den Altlasten und der gefährlichen Mitgift, frei auch vom Substanzkonflikt und dem darin gefangenen Ego, bauen sie nun an einer neuen Wertvorstellung für ihre gemeinsame Zukunft.

Dazu gehört natürlich auch, neue Verhaltensmuster und alle Partnerstile einzuüben. Dabei können Fragen nach dem Sinn ihrer Beziehung hilfreich sein, wie: »Was kann ich von dir lernen und wie kann ich dir helfen? Welche Hilfe kann ich von dir bekommen, um meine Schattenseiten abzubauen, um erwachsen zu werden? Wie kann ich dich fördern und fordern? In welcher Welt wollen wir leben und wie können wir daran mit bauen?«

Die Therapeuten haben die Aufgabe, die Partner gerade auch auf dieser Suche nach neuem Sinn und Wert zu begleiten. Sie achten darauf, dass sich die Partner bei auftauchenden Differenzen nicht mehr in alten Konfliktmustern verfangen oder in emotionale Aufgebrachtheit geraten, sondern mit klarer Vernunft gegensätzliche Standpunkte und Trennendes als wesentlichen Bestandteil ihrer gemeinsamen Paardynamik anerkennen

Sofern Konflikte nicht schon beigelegt sind, werden sie jetzt auf einem höheren Niveau behandelt. Es geht nun nicht mehr um Täter oder Opfer, um Schuld, Strafe und Sühne, sondern um das Begreifen und Lernen auch aus den Fehlern, aus deinen und meinen. Auch Fehler haben irgendeinen verborgenen Sinn, nach dem zu suchen und den herauszufinden für das Glück des Paares wichtig sein wird.

Die Suche nach dem Sinn, nach dem gemeinsamen Sinn, ist der Weg zum neuen Glück des Paares – zum Sinn des Liebens und zum Sinn des Streitens gleichermaßen:

Wozu lieben wir uns – und wofür streiten wir uns?

5. Paargestaltung

Die kräftezehrenden Paarkonflikte sind nun hoffentlich auf ein gesundes Maß reduziert und die ebenso zehrenden Altlasten verträglich abgebaut. Jetzt werden Kräfte frei für den Umbau und die Neugestaltung der Beziehung. Ideen und Kreativität sind jetzt gefragt. Die vitale Präsenz mit allen Sinnen wird dazu gebraucht.

Die Partner reservieren sich zum Beispiel ein freies Wochenende und gehen in ein Brainstorming für ihre Beziehung. Natürlich können sie auch ein Liebeswochenende gestalten mit neuen Formen sinnlicher Begegnung (Cöllen 2003).

Es ist allerdings nicht zu unterschätzen, dass das Ende der Konflikt- und Krisenarbeit des Paares nicht zugleich der Anfang eines neuen Paradieses ist. Vielmehr wird es Rückfälle geben in alte Kränkungsmuster. Noch wichtiger wird es, neue liebevolle, konstruktive und von Achtsamkeit getragene Verhaltensmuster zu entwickeln und einzuüben. Es genügt also nicht, mit schlechten Eigenschaften Schluss zu machen. Das würde einfach Beziehungslöcher hinterlassen. Manche Paare wissen dann tatsächlich nicht, was sie noch miteinander reden oder anfangen sollen. Es müssen an ihrer Stelle neue positive Verhaltensmuster treten.

Nach der Konflikt- und Krisenarbeit und nach der Arbeit an der gemeinsamen Sinnsuche folgt jetzt im letzten Schritt gelungener Paartherapie die Gestaltungsarbeit. Das alte Haus wird nicht abgerissen, aber umgebaut. Der alte Garten wird neu angelegt. Wir Menschen kennen und genießen dieses kreative Schaffen und Gestalten als Ausdruck gesunder Lebensfreude, auch wenn es mit Arbeit und Schweiß verbunden ist. Das gilt besonders für das Liebesglück.

Es ist wenig heilsam, nach dem ersten Abklingen der schwersten Symptome die entsprechende Medizin einfach abzusetzen. So ist es auch mit der Paartherapie: Sie ist erst erfolgreich, wenn nach der Beendigung der Konflikte neue beglückende Begegnung und achtsamer Umgang miteinander ihren Platz finden im Alltag des Paradieses. Die Liebenden müssen sich um ihr Glück kümmern, es pflegen und kultivieren, damit ein blühender Garten daraus wird.