Da braute sich was zusammen. Hawk erkannte die Burschen in den Lederkutten, die sich in den Ecken postierten, das war Verfurths Brut. Ihre Blicke klebten sich fest an ihm, sollten sie doch, er war nicht gekommen, um den Schwanz einzuziehen. Ein paar lösten sich von der Hauswand und folgten ihm. Auch der Typ in der Telefonzelle drehte sich um. Der hielt den Hörer am Ohr und klappte mit der anderen Hand seine Jacke auf, damit Hawk das schwere Holster sah. Kurz war er versucht, sein Shirt hochzuziehen – was du hast, hab ich auch. Aber wozu das Drohgeknurr? Seine wichtigste Waffe war ein Blatt Papier.
Die Schlachthöfe bauten sich vor ihm auf. Mittendrin der Cargoturm. Am Eingang rottete sich eine düstere Herde zusammen, das Empfangskomitee. Verfurth nahm die Sache ernst.
Hawk hörte das Motorrad näher kommen und erkannte den harten Sound, sein Todesengel, der fehlte ja noch. Verfurths Bastard, der am Kanal mit ihm über Bord gegangen war. Der wollte die Sache wohl zu Ende bringen. Denn jetzt beschleunigte die Honda am Ende der Straße, schaltete blitzschnell hoch und hielt auf Hawk zu. Der Lederknecht hatte seinen Helm auf dem Kopf, raste ran wie eine Billardkugel, die Schwarze Acht. Die Fußtruppen suchten reflexhaft Deckung, nur Hawk blieb stehen. Was sollte die Nummer? Wieso machte der jetzt auf Soloshow?
Die ersten zückten ihre Kanonen, die Maschine jaulte auf. Der Lederkerl schrie etwas unter seinem Visier, trat auf die Bremse, der schwere Kessel schlitterte auf Hawk zu. Hawk rannte los, eine Hand erwischte ihn am Rücken, fasste sein Shirt, und es tat einen Ruck, aber er war nicht zu stoppen, er rannte mitten auf Verfurths Hof. Im Lauf bemerkte er den Windzug am Körper, der Stoff war zerrissen und die Klamotten verrutscht, die unter den Gürtel geklemmte Glock lag frei. Verflucht, das war nicht gut, das war wie das Angriffssignal. Der Rest der Meute sprang aus den Löchern und legte auf ihn an.
»Stehen bleiben! Waffe weg!«
Hawks Hände schnellten hoch, über seinem Kopf schwenkte er jetzt die Bibelseite, als könnte sie Kugeln abwehren. Der erste Schuss ging mittendurch. Der nächste traf sein Bein. Hier also würde es zu Ende gehen, gleich öffnete sich der Himmel für den Regen aus Blei, der letzte Tropfen direkt ins Herz.
Aber dann spuckte es Feuer über den Hof, Verfurths Trupp stürzte auseinander, und Hawk ließ sich fallen, dabei hatte er aufrecht abtreten wollen. Er rollte über den Boden, etwas Heißes zischte über ihn weg und explodierte am Eingang vom Cargoturm.
Hawk warf sich rum, nicht zu fassen, der Lederknecht schmiss Molotows. Schon züngelte seine Zippoflamme den nächsten Benzinlappen hoch.
»Spring rauf!«
Das Gesicht unter dem Schwarzhelm war nicht zu erkennen, Hawk schnallte nur, dass der Kerl kein Sklave von Verfurth war.
»Komm schon!«
Dann schleuderte er seine Spritbombe. Hawk wollte hoch, aber das Bein gab nach, und der Schmerz hebelte ihn fast von den Füßen, er konnte nur noch hüpfen, wie ein Kriegsveteran. Die Honda puckerte, wartete auf ihn. Der Kerl legte die Hand aufs Gas. Hawk stolperte auf die Maschine zu, versuchte, etwas von der Visage zu sehen, aber die Spiegelung im Visier zeigte nur seine eigene Fratze. Hawk schwang sich auf den hinteren Sitz, das vermasselte Bein zuerst. Hoffentlich war keine Arterie durchsiebt, hoffentlich lief er nicht aus. Eingequetscht zwischen Vordersitz und Seesack am Heck griff er den Kerl um die Hüfte, und der riss am Gas. Hawks Stirnwunde knallte auf den Helm, die Maschine stürmte los. Kalter Kippendunst legte sich um ihn, kam dem Typen aus jeder Pore. Hawk krallte sich in die Lederjacke und versuchte, sein Bein in den Blick zu kriegen. Die Hose färbte sich unten dunkel, er markierte die Straße mit seinem Blut und sollte sich schleunigst die Wunde abbinden, nur schwer zu machen bei voller Fahrt.
Sie fegten auf die Kreuzung zu, und Hawk verdrehte den Hals, um nach Verfurths Gefolge zu sehen – da stürzte schon eine Horde Kawasakis aus den Feuersäulen, machte Jagd auf die Schwarze Acht. Die Honda warf sich in die Kurve, rutschte knapp zwischen zwei Autos durch, die braven Bürger hupten vor Schreck. Jetzt wäre der Moment, sich fallenzulassen, runter von diesem Todesofen, solang es noch ging, solang die Kawasakis nicht dicht am Auspuff klebten oder der Kerl ihm wieder eins überbriet, aber wie weiter auf einem Bein?
Die Honda schmetterte über eine rote Ampel und setzte ein Hupkonzert in Gang, Blech krachte aufeinander, Hawk schielte über die Schulter. Eine Kawasaki hatte sich unter einen Laster gelegt, ihre Räder drehten in der Luft, zwei andere holten auf.
Schon wieder sprang eine Ampel auf Rot. Mit einem Zug am Gas ließ der Kerl die Honda aufröhren, Fußgänger sprangen aus dem Weg, jemand warf ihnen eine Bierdose nach. Die Maschine sprintete an einem Linienbus vorbei, Nasen drückten sich gegen Fensterscheiben, die Verfolger jagten hinterher. Hawk konnte ihre gebleckten Zähne sehen, so nah waren sie. Dann zog ein Kawasakimann seine Waffe und richtete sie auf Hawk, aus der kurzen Distanz ein leichtes Spiel. Automatisch griff Hawk nach der Glock.
Die Honda ruckte sofort zur Seite und schrammte einen BMW. Der Lederkerl löste die Linke vom Lenker, schlug nach hinten, schlug Hawk die Waffe aus der Hand, sie segelte über die Fahrbahn. Am Straßenrand warfen sich Leute hinter einen Kinderwagen. Als ob das noch wichtig wär, ratterte Hawk durch den Kopf, wer ihm die Glock besorgt hatte. Sie war unregistriert, aber voll mit seinen Fingerabdrücken. Und die lagerten auch in der Bullenkartei. Egal, denn die Kawasaki legte wieder an, die Honda knickte zur Seite, und Hawk kniff die Augen zu, bevor er am Asphalt zerschlug, nur blieb der Aufprall aus, und sie preschten von der Straße auf den Bürgersteig. Leute kreischten und rollten sich in den Dreck, war doch irre, alle wussten, wie man aus der Schusslinie sprang, wenn endlich der Tag gekommen war, in jedem krummgebuckelten Krawattenträger steckte noch ein Rest Fluchtinstinkt.
Da kam die nächste Kawasaki – und zwar von vorn –, bretterte über den Fußgängerweg. Die Honda hielt drauf zu. Der Lederkerl war auf Kamikaze aus – oder er hatte einen anderen Plan, das begriff Hawk aber erst, als er vor sich den Bunker sah und daneben den Eingang mit der schwebenden Schrift, die drei bunten Buchstaben DOM, das sich behäbig drehende Riesenrad, das Spruchband Herzlich Willkommen. Die schlendernden Besucher, noch kein Riesengedränge, weil’s erst früher Abend war, aber genug Seelen auf den Beinen für den finalen Zusammenknall.
Die Honda brach zur Seite aus und kesselte auf den Rummelplatz. Ein Gekreisch wie bei der Fahrt durchs Gruselkabinett, nur war der Horror in den Augen der Leute echt und nicht für billige fünf Mark. Kinder wurden aus dem Weg gerissen, Verkaufsständer mit Nippes kippten um, die Bürger schmissen ihre Fettkringel weg und retteten sich lieber das Leben.
Der Todesengel war ein echter Artist, wie er einen Seitschwinger nach dem nächsten hinlegte und es schaffte, im Gefuchtel der Grimassen niemanden zu Grütze zu fahren, zumindest nicht auf den ersten Metern. Ein Ballonmann ließ seine Ware los, Heliumtiere schwebten davon.
Zwei Kawasakis stürmten ins Rummellabyrinth. Die Honda streifte einen Popcornautomaten, dann tauchte sie im Puffmaisregen zwischen den Fressbuden durch. Jetzt holperte die Maschine über die Holzplanken und Kabelagen an der Rückseite der Fahrgeschäfte, ein geheimer Gang. Hinterm Autoscooter schlüpfte sie wieder raus in die nächste Vergnügungsgasse, rammte einen Strauß Liebesherzen und scheuchte die Halbstarken in den Staub.
Die Maschine torkelte durch ein Spalier aus wirbelnden Körpern und Buden in Kriegsbemalung, nicht zu fassen, wie der Lederkerl die Orientierung behielt. Überall Farben, Musikfetzen und Gerüche, giftbunte Losgewinne, gebrannte Mandeln im Geschrei. Jetzt bogen sie zu den Achterbahnen ein, Gondeln kippten in der Luft, Wagen rotierten, Überschlag. Das Panikbrüllen unten am Boden schraubte sich in das Jauchzen des Volks, das in den unmöglichsten Apparaten aus der Schwerkraft brauste. Die Schmierstimmen der Ankoberer an den Mikrofonen, »Wer will noch mal, wer hat noch nicht!«, aus hundert Lautsprechern hämmerte Diskomusik. Hawk grub seine Finger ins Leder, in der Schiffsschaukel über ihm hing eine Frau über Kopf, ihr Haar wiegte sich leise wie ein Vorhang, der eben gefallen war.
Jemand warf eine Mülltonne in die Gasse, nicht schlecht, die Leute wehrten sich, in die Schreie mischten sich Pöbeleien. Der Lederkerl musste Haken schlagen, eine Flasche zerschellte an seinem Helm. Aus dem Krawall drang Kawasakigrollen, ein Verfolger hing wieder dran. Der nächste Abfallkübel flog durch die Luft. Die Honda wich aus, rutschte über Ketchup-Pappen und Fritten-Reste, hinter ihr tat es einen Knall. Die Honda strauchelte auf den Arm einer Teufelsgondel zu, die sich meterhoch nach oben schwang, und grätschte kurz vor dem Looping zwischen die Verteilerkästen. Wieder rumpelten sie über Planken und Rohre in die Welt hinter den Kulissen, in die Jahrmarktinnereien. Hier war es dunkel, hier war kein Mensch.
Der Lederkerl drosselte sein Tempo und schlängelte sich an den Wohnwagen der Schausteller vorbei durch die versteckte Siedlung aus Caravans. Die Kawasaki kam nicht nach. In der Ferne plärrte ein vertrauter Ton, Polizeisirenen, Hawk entdeckte den ersten Hubschrauber am Himmel.
Die Honda kam zum Stehen. Der Kerl klappte sein Visier nach oben und drehte sich um.
»Ab jetzt laufen.«
Seine Stimme war heiser, wie die von Hawk.
»Laufen geht nicht mit dem Bein.«
»Pech«, sagte der Kerl. »Absteigen.«
Hawk starrte in das halb verdeckte Gesicht unter dem Helm. Der wirkte noch jung.
»Los«, sagte der Typ, seine Pupillen flackerten.
»Bist du hier der Boss, oder was?«
Für wen arbeitete der? Verfurths Konkurrenz, die scharf auf die Bibel war? Die Hubschrauber zirkelten jetzt wie die Geier über dem ganzen Tumult. Hawk rutschte mühsam aus dem Sattel auf den guten Fuß und stützte sich an einen Caravan. Das rechte Bein pochte wie verrückt. Der Kerl schob die Honda zwischen zwei Autoanhänger, sie passte genau. Eine Honda Bol d’Or, wie Hawk jetzt erkannte, die alte Bolle, eine echte Rennmaschine. Der Lederkerl nahm seinen Helm ab, klemmte ihn an den Lenker, fuhr sich durchs wirre schwarze Haar. Dann zerrte er eine Plane unter einem der Anhänger hervor, damit deckte er das Ganze ab. Der Typ kannte sich definitiv aus. Jetzt wühlte er in seinem Riesenseesack und fand eine Rolle Klebeband.
»Das Bein.«
Es tropfte noch, aber nichts Genaues war zu sehen, die Hose hatte sich gründlich vollgesaugt. Der Kerl ging in die Hocke und tastete nach dem Einschussloch, ein Schmerz wie Benzin, und dann Feuerzeug ran. Hawk wollte zutreten, ein Treffer unters Kinn, aber sein Fuß zuckte nur lahm.
»Stillhalten«, sagte der Lederkerl.
Hawk presste die Stirn ans Wohnmobil. Gäbe es nur Schnaps und nicht diese bodenlose Nüchternheit. Hätte er nur die Glock. Der Kerl fand die Stelle und bohrte den Finger rein. Hawk biss sich ins Handgelenk, um nicht zu schreien. Machte dem das Spaß? Was fuhr der für einen Rachetrip? Der Typ setzte das Klebeband an und rollte es um den Unterschenkel, wickelte es fester und fester ums Bein. Dann spuckte er sich in die Hände und wischte das Blut an seiner Hose ab. Wieder zerrte er was aus dem Riesensack.
»Anziehen.«
Ein Pullover mit Kapuze, er stank nach Rauch. Vielleicht legte sich das Ding ja wie Nebel über ihn und bedeckte den ganzen Scheiß. Hawk war zu schummrig, um mehr erkennen zu können, aber der Lederkerl hatte Bartstoppeln, tiefdunkle Augenringe, kannte er den nicht von irgendwoher? Seine Sinne waren noch neben der Spur. Hatte er das hier schon mal erlebt? Er schüttelte sich.
Vom Rummelplatz wehten Stimmen rüber.
»Und?«, fragte Hawk. »Wie weiter? Was fällt dir jetzt Schlaues ein?«
»Maul halten.«
Dem Kerl zuckte der Mund, als wär ihm was besonders widerlich, als könnte er sich kaum zusammenreißen. Er gab seinem Arm einen Ruck und warf ihn um Hawks Schulter.
»Festhalten.«
Der Körper unter der schweren Lederjacke war schmaler, als gedacht. Hawks Hirn suchte nach Fluchtwegen, irgendeinem letzten Mauseloch, aber sein Arm klemmte sich schon an dem Typen fest, um bloß nicht umzufallen.
Auf dem Dom herrschte Kopflosigkeit. Die Leute rannten sich gegenseitig um wie die Sturmflutopfer, schoben auf die Ausgänge zu, ganz schwindelig vor Adrenalin. Hawk hörte was von »Amok« und »Schießerei«, er hatte die Kapuze vorm Gesicht und versuchte, mit dem einen Bein hinkend in den Takt zu kommen. Dem Gedudel der Losbuden und Achterbahnen war endlich der Stecker gezogen, tonlos blinkten sie in die Dämmerung, hysterische Leuchtfetzen und Blaulichtkreise. Der Kerl stützte ihn im Menschenstrom, eine Selbstgedrehte in seinem Mund. Die Finger in den Handschuhen zitterten.
»Was willst du eigentlich von mir?«, zischte Hawk.
Die Kippe glühte auf, glühte in einer Tour.