Ein Gewitter aus Gebell rollte heran, fegte über den Waldboden und grub mit den Krallen Furchen in die Erde, schwoll bis zu den Spitzen der Baumkronen und schüttelte sie, Äste krachten herunter. Hawk warf den Kopf hin und her und rannte, aber die Hunde waren schneller, sie wussten, wie man ihn kriegte. Die Hunde schnappten nach seiner Kehle wie alte Bekannte, sie schnappten sich gegenseitig weg, ein Jaulen, wenn rottige Zähne eine der Schnauzen auffetzten, gesträubtes Fell, das Funken schlug, er roch den stinkenden Atem der Hunde, und dann sah er, wie sie ihre Fangzähne in seine Beine versenkten, sich festbissen, denn er war das Aas, er schlug um sich, aber es waren zu viele. Er wollte die Hunde zurückrufen, er wusste ihre Namen, doch sie pressten ihr Fell gegen seine Schnauze, ihre Haare in sein Maul, und er hörte, wie seine Bauchdecke unter ihren Zähnen zerriss, spürte, wie es heiß wurde – eine Hitze, die viel zu groß war, was hieß, dass er bald erfrieren würde, wenn er es nicht schaffte, die Augen zu öffnen, um nicht zu verbluten.

Die Hunde versenkten ihre Mäuler in seinen Bauch, ihre Köpfe drängten sich aneinander, die Vorderläufe in den Boden gestemmt. Hawks Eingeweide glitten raus, blasse Innereien wie beim Ausweiden der Tiere, ein

Er schlotterte vor Kälte.

»Mann, wach auf.«

Er musste das Blut wieder einsammeln, das ihm aus dem Bauch schwappte, die Hunde schleckten es weg, ihre Schnauzen dampften, es war seins.

»Mach die Augen auf, du Penner!«

Der Typ bellte Hawk ins Ohr.

Es brauchte eine Weile. Dann kriegte er die Lider auf Halbmast und hatte die Fresse von Landa vor sich, die Hunde liefen davon, der Blutgeruch hing noch etwas in der Luft, bevor er sich dünnemachte. Hawk griff sich an den Bauch, aber da war alles am Platz.

»Hast du sie noch alle?«

Landa, das war der viel zu junge Kerl, der Hawk oft beim Wachdienst im Krankenhaus ablöste. Er redete nur von Mädchen, klares Zeichen dafür, dass er keins hatte und auch so bald keins haben würde, zumindest keins mit Verstand.

»Was schnarchst du hier rum? Hast du überhaupt schon die Runde gemacht?«

»Einen Teufel hab ich«, sagte Hawk und quälte sich in die Senkrechte, erst ein Bein von der Pritsche, dann das andere, vorsichtshalber blieb er erst mal sitzen, obwohl die Gedärme wieder drin waren. Er hatte einen irren Brand auf Orangensaft.

Das war ganz was Neues, Sicherheitsdienst war gestern. Hawks eigene Uniform hing im Spind, die trug er nur, wenn der Chef vorbeikam, und nachts kam der nie. Landa hatte sogar die alberne Kappe auf, und an seinem Gürtel klapperten Taschenlampe, Walkie-Talkie und Schlagstock um die Wette. Müsste er jemals wen durch die Flure verfolgen, würde ihm das ganze Gebimmel ordentlich was zwischen die Beine pfeffern, jede Wette. Und all das Theater nur, weil hier manchmal ein paar Bengel Steine schmissen oder die Fenster aufhebelten, um in den Leichenkeller einzusteigen, eine Mutprobe, schließlich war hier sonst nicht viel los in der Provinz, also rein gar nichts, weshalb auch das ganze Krankenhaus leer stand, so wie der halbe Ort, und im Keller lag längst keine Leiche mehr. Wer hier krank wurde oder tot umfiel, musste sich schon in die nächste Stadt schleppen lassen. Immerhin ein guter Posten, um Wache zu schieben, ruhige Kugel auf Stundenlohn.

»Wie spät ist das?«

Hawk fuhr sich mit den Fingernägeln durch die Bartstoppeln, das Kratzen zündete ein paar Raketen hinter seiner Stirn, sie gingen pfeifend in die Luft.

»Bist du dicht oder was? Ablösung ist jetzt, sechs Uhr«, sagte Landa.

Sechs Uhr früh, wenn’s hochkam, hatte er zwei Stunden geschlafen, wenn man das Schlaf nennen konnte,

»Du stinkst wie Hölle.«

Landas Visage unter der Security-Kappe kräuselte sich, das stand ihm überhaupt nicht.

»Stinkst wie ne Tankstelle und siehst aus wie vorn D-Zug geworfen, total zusammengehaun.«

»Mach mal piano«, sagte Hawk. Jetzt glaubt dieser Typ doch glatt, er hat Oberwasser, nur weil er fest auf zwei Beinen steht in seinem lachhaften Aufzug. Ein Walkie-Talkie macht noch keinen Kerl.

»Und was solln die Dinger hier?«

Landa kam richtig in Fahrt, er stieß mit seinem Stahlkappenstiefel gegen die Sechs-Kilo-Hanteln, die unter der Liege lagen, sie klirrten mit Schwung aneinander, und wieder ging eine Rakete hoch.

»Hier die Schicht verpennen und dann erst mal Eisen stemmen oder was? Meinst wohl, der Bunker bewacht sich von selbst?«

Der Typ wurde unangenehm.

»Leck mich am Arsch mit dem Bunker.«

Hawk ließ seinen verschrammten Körper von der Pritsche gleiten und stellte ihn auf die Füße, in Zeitlupe, der Boden schwankte leicht. Mit zwei Stunden Schlaf war kein Blumentopf zu gewinnen.

»Mach dir nicht ins Hemd, ich geh die Runde. Dann hau ich ab, und alles gehört dir.«

Er schlurfte zur Tür, bloß raus aus dem Kabuff, in dem Brigaden von Krankenschwestern ihre Augenringe gepudert hatten.

Er hatte nicht vor, die Runde zu gehen. Nur ein wenig die Knochen strecken, bloß sachte, er musste wieder funktionstüchtig werden, und dem Boden unter seinen Füßen war nicht zu trauen. Aber alle Achtung, dass er es gestern Nacht noch hierhergeschafft hatte, ins Krankenhaus, das alle Bunker nannten, wahrscheinlich weil es zackenhässlich war. Oder weil es einen auf Hoffnung machte wie ein mickriger Luftschutzbunker, wo die Leute in ihren Betten schimmelten und drauf warteten, dass der Krebs sie fraß, die Bombe sie traf oder jemand ihnen die Raucherbeine abhackte. Jetzt schimmelten nur noch die Wände. Er hatte es in den Bunker geschafft, während die Bullen durch seine Wohnung stiefelten – und anscheinend hatte er sogar Schicht, verdammt, das war doch was, noch war nicht alles aus dem Ruder gelaufen.

Hawk stieg die Stufen runter ins Erdgeschoss, unten war ihm die Sache lieber, wer dermaßen eins reinbekommen hat, muss seine Fluchtwege im Auge behalten. Er ging zum Haupteingang und sah nach draußen. Sechs Uhr früh, nicht zu fassen, da war schon wieder alles hell und auf dem besten Weg, sich zu viel Sonne einzuhandeln. Hawk schüttelte ein Frösteln von der Schulter, er war noch nicht auf der Höhe. Der Parkplatz lag wie ausgegossen da, schlapp, eine verlassene Landebahn, an deren Rändern sich das Moos breitmachte, um sich geduldig alles zurückzuholen. Es hatte alle Zeit der Welt.

Seit einem halben Jahr schob er hier regelmäßig Schicht, am liebsten nachts und am Wochenende, weil

Er mochte es, nachts auf Schicht mit dem Taschenlampenkegel durch die Dunkelheit zu kreisen, leere Gänge, leere Zimmer, leere Betten.

Niemand da, der ihm reinpfuschte.

So sah sein neues Leben aus.

Hawks Magen krampfte sich zusammen, das Knurren schickte sein Echo bis in den Leichenkeller. Er brauchte Orangensaft, brauchte was zwischen die Zähne. Und er stank fürchterlich, das zog ihm in die Nasenlöcher, bis sich die Haare kräuselten, Benzin und Tomatensoße, rote Sprenkel überall. Hawk sah an sich herunter, wer weiß, ob das alles nur Tomate war, irgendein Gestrüpp hatte ihm die Arme aufgekratzt, und seine Fingerknöchel waren steif. So konnte er nicht ans Tageslicht.

Er drehte sich Richtung Cafeteria, komplett nutzlos natürlich, die war genauso dichtgemacht wie der Saal, wo sie an den Leuten rumgeschnippelt hatten, wie die riesige Küche aus Stahl für den Krankenhausfraß und wie das Zimmer vom Chefarzt, wo nur noch ein paar Tittenhefte mit Eselsohren in der Schublade lagen, ein trauriger Anblick, er konnte gar nicht sagen, wieso.

Hawk betrat die Kaffeestube. Kleine Inseln aus Resopaltischen und in den Boden geschraubten Stühlen, die Wände hatten sie pissgelb gestrichen, hinter der Verkaufstheke gähnte die Leere. Nur die Schilder klebten noch: Käsebrötchen, Wiener im Brot mit Kartoffelsalat, Stulle mit Schmalz. Sein Magen kriegte das sofort spitz und schraubte sich ein paar Mal um sich selbst. Großes Kompott, kleines Kompott. Ein Glas Milch. Phantomschilder wie nach dem Atomangriff, nichts mehr zu holen, kein rausgehusteter Krümel mehr.

Aber Moment, an der Wand stand ein Automat für Zuckerbrause. Hawk spähte in die Fächer, und da steckte eine Flasche, eine einzige Flasche. Ihm lag die Orange schon auf der Zunge, die Kohlensäure stieg ihm glatt hoch, und er schob die Hand in die Hosentasche, um nach Münzen zu angeln, fingerte alles raus und warf es auf einen Tisch. Da war der Autoschlüssel, ein nutzloses Ding, der blanke Hohn, und da war der andere Schlüsselbund mit dem ganzen Rest, dann die zweite Hosentasche, Streichhölzer, irgendein Müll und tatsächlich zwei Münzen, halleluja. Gerade wollte er die kleinen Glücksbringer in den Schlitz fummeln, da wurde ihm klar, dass keine einzige Steckdose in diesem verfluchten Seuchenhaus Strom draufhatte. Brauchte keiner. Alles tot.

Hawk packte den Automaten mit beiden Händen und starrte die Flasche an.

Er zögerte. Vielleicht, weil das Einschlagen des milchigen Fensters, hinter dem sich die Brause räkelte, ihm wieder Raketen hinter die Stirn schießen würde. Vielleicht, weil ein schwerer Gegenstand besser wäre, um das elegant zu lösen, besser als seine steife Faust. Vielleicht zögerte er auch, weil er Wachmann war, Uniform hin oder her, das hier war sein kleiner wanziger Job. Den er vermasseln würde, wenn er das Fensterchen einschlug, dieses eine Fensterchen.

Er stand da, sein Blick fiel auf den Tisch, und da lag die Streichholzschachtel, die er in der Hosentasche mit sich herumgetragen hatte. Die in Benzin getränkten Hölzer aus seiner zerlegten Wohnung, der Gruß vom Unbekannten, die Drohung ohne Absender, bereit, alles anzuzünden und ihn gleich mit. Hawk griff nach der Schachtel und las den Aufdruck: Elmsfeuer.

Einen Moment rührte er sich nicht, während die Gänsehaut an seinen Armen hochkroch, Elmsfeuer, unvorstellbar kalt war das hier, dann griff er seine Schlüssel, duckte sich und rannte aus der Kaffeeschenke, rannte durch die Eingangshalle mit der gläsernen Front, jeder hätte auf ihn anlegen können, er brauchte Deckung, rannte ins Treppenhaus, die Stufen hoch, wo seine Beine sich verhakten, knapp fing er sich am Geländer auf. Sein Kiefer presste die Adern raus, sein Puls haute in die gleiche Kerbe. Hier kannte ihn einer mehr, als gesund war, und das stank zum Himmel.

Der Automat behielt seine letzte Flasche.