Der Krankenwagen donnerte über die Landstraße. Was für ein Geschoss, es fühlte sich an wie Panzerfahren, oben auf dem Bock sitzen und durch den Asphalt pflügen, die anderen machten Platz. Neben der Straße blühte noch der Raps und alles andere auch, riesige Bäume schoben sich wie Flügelblenden zwischen die Felder und zerlegten die Landschaft in Gelb und Grün.
Hawk drückte das Gaspedal bis zum Anschlag und schaute der Tachonadel dabei zu, wie sie schwitzend voranzitterte, das Tempo kam langsam, und das Führerhaus wackelte, er streckte den Arm aus dem Fenster und ließ sich vom Fahrtwind einwickeln.
Die Packung Orangensaft lag platt auf dem Boden, nie im Leben hatte er so guten Saft in sich geschüttet, zum Niederknien, jede seiner Poren hatte sich draufgestürzt und gesoffen, was das Zeug hielt. Er trug die schwarzen Security-Klamotten, die aussahen wie frisch gebügelt. Die passten nicht zu seinem Gesicht, in dem nichts gebügelt war, aber besser als weiter dreckige Fetzen am Leib. Seine alte Kleidung hatte er in den Spind geknüllt, sicher stank das Schwesternzimmer schon danach. Seine Hanteln schlummerten auf dem Beifahrersitz.
Die an der Tankstelle hatten ganz schön geguckt, als er auf wackligen Beinen aus dem Krankenwagen geklettert war und mit seinen letzten Münzen den Saft gekauft hatte, die größte Packung im Regal. Für Benzin hatte es nicht mehr gereicht, obwohl im Tank wirklich kein Paradies herrschte, aber bisher war ihm immer was eingefallen.
Und Glück musste man auch mal haben, oder nicht?
Das Glück zum Beispiel, dass die Tür vom Leichenkeller dicht hielt. Dann würde er Landa wieder rauslassen, bevor zur Wachablösung am Abend irgendein pickeliger Kollege das Geschrei mitbekam, unten aufsperrte und womöglich die Bullen rief, alles nur wegen einer Krankenschleuder, die keiner mehr brauchte, wo war denn da bitte das Problem? Aber das wollte der Kerl nicht verstehen.
»Das ist ein Notfall«, war Hawks Ansage gewesen, »Notfall – wie im Krankenhaus, alles klar? Ich muss in Hamburg was regeln, danach bring ich die Kiste zurück. Merkt doch keiner.«
Aber da fummelte Landa schon an seinem Walkie-Talkie, das aussah wie ein Kinderspielzeug, lächerlich, wen wollte er damit aus dem Bett holen am Sonntagmorgen.
»Lass den Quatsch stecken«, sagte Hawk, er hatte es wirklich im Guten versucht.
Das Funkgerät knarzte beim Einschalten.
Landa war ein fürchterlicher Schreihals. Und erbärmlich leicht auszutricksen. Aus dem Kreuzgriff kam er nicht mehr raus – und so was nennt sich Sicherheitsdienst. Im Keller konnte der sich heiser brüllen, wie er wollte. Die Taschenlampe ließ Hawk ihm da, im Dunkeln sitzen will keiner.
»Hast was gut bei mir, wenn ich wiederkomm.«
Der Morgen bretterte dahin, der Fahrtwind blies den Staub von der Krankenkarre, und der Benzinanzeiger stand kurz vor der Ohnmacht. Hier mit der Ambulanz am Straßenrand liegenzubleiben, war keine gute Idee. Wenn er in dem Aufzug und mit der verkohlten Fresse per Anhalter fuhr, rief er die Bullen auf den Plan, noch ehe sich sein Daumen in die Morgensonne reckte. Ihm klebte genug Scheiße am Schuh.
Hawks Finger trommelten übers Lenkrad, komm schon, sein Gehirn feuerte Lösungen, die keine waren, zum Beispiel den Gedanken, eine Tanke klarzumachen, falls hier jemals wieder eine auftauchen würde, irgendwie an Sprit rankommen. Aber erstens hatte er keine Waffe, nicht mal ansatzweise, hier fanden sich höchstens ein paar Spritzen, und die Hanteln brachten ihn auch nicht weiter, und zweitens war er sauber, seit er dem Knast Adieu gesagt hatte, ein solider Typ, der im Telefonbuch stand, mit seinem Namen am Briefkasten und einem Job auf Kontonummer.
Da wühlte einer in seinem Leben, da wollte ihn einer zum Bastard machen, aber wie sollte er das parieren, wenn er im Rapsfeld strandete, eine Niete in gebügelten Security-Hosen. Wer würde da nicht nervös werden und Gebete zu einem Himmel schicken, der seine Ohren immer woanders hatte.
Oder nicht.
Denn da hinten glitzerte was zwischen den Bäumen. Meilenweit weg und noch nicht zu fassen, ein Flirren wie Autoblech in der Sonne, eine verwaschene Fata Morgana. Hawk hielt drauf zu. Er musste gar nichts machen auf dieser schnurgeraden Straße, nur dranbleiben und Glück haben, lass es ein friedliches Auto sein, vollgetankt bis unters Dach.
Wie sehr er sich wünschte, Miss Stetson zu fahren und nicht diese donnernde Krücke, seinen glorreichen Wagen, in dem ihm keiner was konnte, diese Perle von Auto, die in einer von Mahmouds Garagen auf ihn gewartet hatte, als er aus dem Zuchthaus gekommen war. Sie war sofort angesprungen.
Wer zündet so was an?
Jetzt klärte sich das Bild. Da funkelte tatsächlich ein Autodach zwischen zwei stämmigen Eichen, die Hoffnung blitzte auf und rückte näher. Uralte Klopper, diese Bäume der Landstraße, die wer weiß was gesehen hatten, all die jungen Kerls auf zu viel Friesengeist, die ihre Karren um die Stämme wickelten, dass die Rinde spritzte und das Hirn gleich dazu. Die Eichen ließen sich nicht stören, sie wuchsen immer weiter, wer solche Wurzeln hat, fällt nicht mehr um.
Hawk klammerte die Hände ums Lenkrad, noch die paar Meter bis zur Rettung, was für eine Pracht, das einsame Auto strahlte in die Landschaft hinein. Ein unglaublich behäbiger Opel in Froschgrün, eigentlich eine Scheußlichkeit, aber der Fahrer schien ausgeflogen, als wär’s bestellt.
Hawk ließ die Seuchenwanne vorsichtig näher rollen. Dann hielt er am Straßenrand und drehte den Motor ab.
Überall Rapsfelder mit ihren süßlichen Schwaden, kurz vorm Verblühen. Wenn er Pech hatte, war der Typ nur kurz pinkeln und kam gleich zurück aus dem gelben Meer. Mit etwas Glück hatte der was Längeres am Laufen und blieb eine Weile abgetaucht. Hawk stieg aus, ging zur Hecktür und klappte sie auf. Und jetzt finde dich mal in so was zurecht. Offensichtlich hatte hier alles seine Ordnung, aber nur für Leute, die jeden Tag mit Blaulicht durch die Gegend kurvten und aufzuhalten versuchten, was nicht aufzuhalten war.
Hawk wühlte sich durch die Ausstattung, durch die Schubladen und Schränke, die hübsch aufeinandergetürmten Pillenpackungen, Hämmerchen hingen an kleinen Haken, seltsame Plastikbeutel und Geräte mit vielen Knöpfen, für irgendwas war das schon alles gut – dieser Schlauch zum Beispiel, der aus der Wand ragte, mit einem zarten Ruck rausgerupft, und jetzt fehlte nur noch ein Kanister, eine Flasche, um sein Vorhaben rundzumachen. Die Pulle Desinfektionsmittel da vielleicht, aber die fasste gerade mal einen Liter, damit kam er nicht durchs Ziel. Er drehte sich einmal im Kreis, dann fiel sein Blick auf die Gasflasche in der Ecke, geschmückt mit Warnaufklebern. Hawk packte das Ding und hob es hoch, das war reiner Sauerstoff, die Menschheit war wirklich auf Zack. Ein vorbildlich ausgestattetes Seuchenmobil.
Mit der Stahlflasche unterm Arm sprang er auf die Straße, er öffnete das Ventil und ließ es zischen. Der Gasstrahl pustete raus, eine ohrenbetäubende Kraft, und Hawk hielt sich zurück, um nicht weiter aufzudrehen. Er hatte so ein Ding mal durch die Decke fegen sehen, das hatte Karacho wie eine Granate, da musste man besser geduldig sein.
Vom Opelfahrer weiter keine Spur. Vielleicht hielt der ja ein Nickerchen, oder der Erdboden hatte sich aufgetan und ihn weggeschluckt. Als dem Zischen endlich die Luft ausging und sich der letzte Sauerstoff überm Staub der Straße verflüchtigte, schraubte Hawk das Ventil aus der Flasche und schüttelte sie kräftig über Kopf, böse Überraschungen konnte er nicht mehr gebrauchen. Dann knöpfte er sich den Opel vor. Tankdeckel auf und rein mit dem Schlauch. Mal sehen, ob die Karre flüssig war.
Hawk hatte das schon ewig nicht mehr gemacht, aber die meisten Dinge im Leben verlernt man nicht. Er saugte am Schlauch, bis das Benzin aus den Tiefen des Tanks hochstieg, danach lief die Sache von selbst und die Stahlflasche füllte sich. Er spuckte ein paar Mal auf die Straße, gegen das metallische Brennen im Mund, und mit jedem Spei fuhr ein neuer Tross Lebensgeister in ihn ein. Während er dastand und das stinkende Gold empfing, lud die Sonne seine schwarzen Klamotten auf wie das Gefieder einer Krähe, die den Winter überstanden hat. Gleich würde er abheben.
Als das Benzin über den Rand der Flasche schwappte, ließ Hawk den Opel stehen und goss es in die Krankenkarre.
Erst als er die Fahrertür zuknallte und den Motor aufheulen ließ, um der Welt zu zeigen, dass er wieder im Rennen war, sprang auf einmal ein Paar aus dem Raps.
»Hey!«, rief der Typ, ein Hippie mit langen Haaren. Er war nackt und hielt sich die Hand davor. Wusste nicht recht, was tun.
Die Frau blieb zur Hälfte im Feld, die gelben Blüten drängelten sich um ihre Hüften, um auch was abzukriegen.
»Hey«, sagte Hawk und winkte aus dem Fenster. »Ein Notfall.«
Dann gab er Gas. Im Rückspiegel sah er, wie sich die Frau eine Zigarette in den Mund schob.
Er widerstand dem Drang, den Sirenenknopf zu drücken, einfach nur, um zu wissen, wie das klingt, und es war gar nicht so leicht, diesen Finger im Zaum zu halten.