19

»Seid mal ruhig!«, flüsterte plötzlich Nils und presste sein Ohr gegen die Steinplatte. Ich schätzte, dass mindestens eine Stunde vergangen war, auch wenn mein Zeitgefühl kaum noch existierte.

»Da oben ist irgendwer«, sagte Nils. »Ich hör es ganz deutlich.« »Wer wohl?«, fragte Pit genervt. »Fred natürlich.«

In Ninas Augen trat ein Glitzern.

»Und wenn schon?«, fragte Nils. »Dann müssen wir ihn eben dazu bringen, die Platte noch mal zur Seite zu schieben. Solange nur er da ist, ist er unsere einzige Chance.«

Er fing an, wie ein Irrer um Hilfe zu schreien. Nach kurzem Zögern machten wir anderen mit. Es schien sinnlos, machte aber immer noch mehr Sinn, als gar nichts zu tun. Und dann passierte das Wunder: In den Atempausen hörten wir, wie oben die Steine von der Platte gerollt wurden.

»Seht ihr!«, stieß Nils hervor. »Er fragt sich, was hier los ist, und will nachsehen. Jetzt kommt es drauf an, dass wir ihm keine Gelegenheit mehr lassen, die Platte zurückzuschieben. Das darf einfach nicht passieren, hört ihr, unter keinen Umständen! Sonst ist es vorbei.«

Keine halbe Minute später ging oben knarrend die Luke auf.

»Das ist Fred!« Ninas Stimme überschlug sich. »Er will mich doch rausholen. Ich hab’s gewusst. Er liebt mich. Freddy, Schatz, ich komme.«

Wir anderen nahmen uns Nils’ Mahnung zu Herzen und waren, je nach Möglichkeit, auf dem Sprung. Selbst Pit, der eigentlich keinen Funken Kraft mehr hatte. Aber auch ihm war klar, was die Stunde geschlagen hatte. Dann erschien oben in der Öffnung ein Gesicht. Zuerst glaubte ich an eine Halluzination, denn was ich erblickte, konnte nicht die Wirklichkeit sein. Erst als Nina verzweifelt anfing zu heulen, wusste ich, dass ich richtig sah.

»Wer ist da unten?«, rief Marlena. »Nils, bist du es? Klara?«

»Wie kommst du denn hierher?«, fragte Nils. Auch er war fassungslos.

»Die Taxifahrerin«, sagte Marlena. »Sie hat gemerkt, dass etwas nicht stimmt.«

»Du musst sofort einen Krankenwagen rufen«, meinte Nils. »Klara und Pit sind verletzt.«

Marlena telefonierte kurz. Als Erstes schickten wir Pit nach oben.

»Sie hat ein paar Fetzen eures Gespräch mitbekommen«, fuhr Marlena fort, als wir alle oben waren. »Oder vielleicht auch ein bisschen mehr als nur ein paar Fetzen. Obwohl sie offenbar nicht besonders gut hört. Jedenfalls hat sie uns alarmiert.«

»Womit sie uns allen das Leben gerettet hat«, meinte Nils. »Gut, dass sie uns was vorgemacht hat. Und Fred Lohmeier, wo ist der?«

»Unterwegs zum Präsidium«, sagte Marlena. »Er ist uns direkt in die Arme gelaufen.«

»Kein Widerstand?«, fragte Nils erstaunt.

»Eigentlich nicht der Rede wert«, grinste Marlena. Was genau hinter ihrem Grinsen steckte, ließ sich nicht ergründen.

»Letztlich war er es, der uns zu euch geführt hat. Wenn auch nicht ganz freiwillig.«

»Auf die hier«, sagte Nils und deutete mit dem Kinn auf Nina, die völlig in sich zusammengesackt war, »solltest du ein Auge haben. Noch mal lauf ich ihr jedenfalls nicht hinterher. Da kannst du Gift drauf nehmen.«