14. KAPITEL
LANDON
Ich hatte keine Ahnung, wie er das geschafft hatte, aber Harvey hatte mitten in Cannes ein indisches Restaurant ausfindig gemacht.
»Trinkst du nichts?«, fragte er und gab der Kellnerin die Speisekarte zurück, nachdem wir bestellt hatten.
»Heute Abend nicht«, antwortete ich. »Nur um sicherzugehen, dass ich morgen in aller Frühe aus dem Bett komme.«
»Nun, das wird deinem Bootsmann gefallen.« Harvey deutete mit seiner Bierflasche auf mich, ehe er einen großen Schluck trank.
»Und nur darauf kommt es an«, sagte ich.
»Also, wie waren deine ersten zehn Tage auf der Jacht? Hast du dich schon daran gewöhnt, zu tun, was man dir sagt, ohne weiter darüber nachzudenken?«, fragte Harvey.
»Hey, ich war Soldat, schon vergessen? Ist kein Problem für mich, einfach zu tun, was man mir sagt.«
Harvey lachte. Wir wussten beide, dass das nicht stimmte. Zum Auswahlverfahren für den SAS gehörte es, herauszufinden, ob die Rekruten wussten, wann sie Befehle ausführen und wann sie sie ignorieren mussten. Wir Leute vom SAS waren nicht nur die Elite, wir waren auch anders  – Querdenker auf unserem Gebiet .
»Aber einfach freizuhaben, ist trotzdem besser, stimmt’s?«
»Klar, alles okay. Ich will schließlich keine Karriere machen. Wie ist dein Gast? Ist er ein anständiger Mensch?«
Harvey zuckte mit den Schultern: »Na ja, Geld ist wie eine Krankheit. Es verzerrt die Werteskala der Menschen. Aber soweit ich es beurteilen kann und nach allem, was Reynolds mir erzählt hat, hat dieser Typ keine echten Feinde. Er ist nur ein bisschen paranoid.«
»Tja, das ist wahrscheinlich gut so.«
»Ja, aber langweilig«, versetzte Harvey. »Wie läuft dein Auftrag? Es muss eine reale Bedrohung geben, sonst hättest du ihn nicht angenommen. Du hast nie etwas nur um des Geldes willen gemacht.«
Nun war ich es, der mit den Schultern zuckte. »Die größte Herausforderung besteht darin, immer genug Sonnenschutz aufzutragen. Die Mittagssonne ist echt übel.« Harvey wusste, dass ich nicht über den Auftrag reden konnte, den ich gerade erfüllte.
»Pass nur gut auf August auf«, sagte er.
»Klar, mach ich.«
»Wenn ich gewusst hätte, dass ihr zwei auf ein und derselben Jacht seid, hätte ich ihr vielleicht vorgeschlagen, sich etwas auf einem anderen Schiff zu suchen.«
»Dann ist es ja gut, dass du es nicht gewusst hast«, sagte ich. »Aber mal im Ernst: Sie ist in Sicherheit.« Jedenfalls, solange ich in der Nähe war.
Harvey grinste und trank noch einen Schluck Bier. »Da wir gerade von Frauen reden: Wie geht es der schönen Skylar?«
»Sie ist immer noch schön, aber wenn ich gewusst hätte, dass wir auf derselben Jacht arbeiten, hätte ich mich von ihr ferngehalten. «
»Vielleicht wollen die Götter, dass du auch auf See regelmäßig Sex hast.«
Ich lachte leise. »Du weißt, dass das nicht mein Stil ist. Und außerdem bin ich nicht Skylars Typ.« Sobald ich mich dieser Frau näherte, fühlte ich mich zu ihr hingezogen. Ich ertappte mich dabei, dass ich mich zurückhalten musste, und ich war es nicht gewöhnt, dass die Anwesenheit einer Frau solche Gefühle in mir auslöste. Allerdings verbrachte ich auf meinem Arbeitsgebiet auch nur wenig Zeit mit Frauen. Skylar war in vieler Hinsicht eine neue Erfahrung für mich.
»Vielen Dank, Kollege«, sagte Harvey, als der Kellner das letzte von gefühlt fünfzig Gerichten auf den Tisch stellte. Er entfernte sich, und Harvey blickte auf einen Punkt hinter meiner Schulter. »Wenn man vom Teufel spricht …«
Ich drehte mich um und sah Skylar und August auf uns zukommen. Mein Magen rebellierte, als Skylar mir in die Augen blickte und ihr Lächeln dabei verblasste. Himmel, dieses Mädel stellte mein Ego wahrlich auf eine harte Probe.
»Hey, Jungs.« Mit energischen Schritten kam August auf unseren Tisch zu. Sie ignorierte mich und schlang Harvey die Arme um den Nacken und küsste ihn.
Ich hätte mir den Dienstplan ansehen sollen. Mir war nicht klar gewesen, dass auch August und Skylar freihatten, andernfalls hätte ich Harvey nämlich kein Treffen vorgeschlagen.
»Hey«, sagte ich. Skylar nahm neben mir Platz, während Harvey und August sich weiterhin befummelten.
»Hey. Mit dir habe ich gar nicht gerechnet«, sagte Skylar.
»Kann ich mir vorstellen. Sonst wärst du ja nicht hier.«
»In den anderen drei Bars war es langweilig, und auf der Party auf der Jacht konnten wir schlecht aufkreuzen. Also haben wir die Suche einfach aufgegeben«, erklärte August .
Skylar zuckte nur mit den Schultern und warf einen Blick auf mein Curry.
»Es ist vindaloo . Was so viel bedeutet wie scharf. Aber bedien dich ruhig.« Ich deutete auf die Auswahl an Gerichten, die wir bestellt hatten.
»Großartig. Ich bin wahnsinnig hungrig, und ich liebe Curry«, sagte Skylar, deren Augen sich angesichts der Vielzahl von Speisen weiteten.
»Du magst Curry?«
»Ich finde es carb-tastisch. Das Naan, das Chapati, der Reis – einfach köstlich.«
Ich musste lachen. »Und ich dachte, Mädels hassen Kohlehydrate.«
Ihre Nasenflügel zuckten, als sie sich einen Teller belud. »Ich nicht. Als ich ungefähr fünfzehn war, hatten wir eine Köchin, und die hat am Freitagabend immer Curry gemacht.« Sie runzelte die Stirn. »Sie ist nicht lange geblieben.«
Ihre Familie hatte eine Köchin? Im Grunde wusste ich kaum etwas Persönliches über Skylar, aber ich war neugierig zu erfahren, wie sie tickte. Ich hätte nie geglaubt, dass sie aus wohlhabenden Verhältnissen stammte.
»Mich erinnert es auch an zu Hause«, sagte ich.
»Ihr in Großbritannien esst so was häufig, stimmt’s?«
»Ja, echtes Männeressen«, knurrte ich und grinste dann.
»Interessant. Ist das der Grund, warum ihr beiden hier seid, Harvey und du?«
»Genau«, sagte ich und zuckte mit den Schultern.
»Du hast also das Bedürfnis nach Überkompensation, weil du dir deiner Männlichkeit nicht sicher bist?« Ihre Miene war ausdruckslos, und für einen Moment glaubte ich, sie meinte es ernst, doch dann grinste sie übers ganze Gesicht. »Das ist schade, und ich bin gern bereit, zu deinen Gunsten auszusagen. «
Ich lachte und fragte dann: »Bei euch zu Hause gab es also selbst gemachtes Curry?« War Skylars Familie etwa schwerreich?
»So könnte man es nennen. Gab es bei euch Essen zum Mitnehmen?«, erwiderte sie, ohne meine Frage zu beantworten.
»Wenn wir Glück hatten.« Ich würde mich nicht ablenken lassen, denn ich wollte herausfinden, wie viel Skylar mir verraten würde. »Hast du Geschwister?«, fragte ich.
Kopfschüttelnd blickte sie auf ihren Teller. »Nein. Meine Mom … Meine Mutter hatte mit mir schon genug zu tun.«
»Tatsächlich?«
»Ja, ein Kind war vermutlich eins zu viel«, sagte Skylar schulterzuckend.
Ich schwieg, denn ich wollte mehr hören. Welches Kind glaubte, dass es für seine Eltern eine Last war? Es war irgendwie herzzerreißend, dass sie so etwas sagte.
»Und was ist mit dir? Hast du Geschwister?«, fragte sie. Aus dieser Frau war einfach nichts herauszubekommen.
»Einen Bruder.« Ich räusperte mich und trank einen Schluck Wasser.
»Ist der auch bei der Armee?«
Ich lachte und blickte mich zu Harvey um, weil ich wissen wollte, ob er die Frage gehört hatte. Jeder, der meinem Luxus liebenden Bruder je begegnet war, würde sich über diese Frage amüsieren. Wie nicht anders erwartet, hatte Harvey nichts gehört. Er befand sich mit August in einer Parallelwelt. Hayden hätte in der Armee niemals überlebt, dazu war er viel zu sehr auf häuslichen Komfort angewiesen. »Nope.«
»Du redest nicht gern über dich selbst, stimmt’s?«
»Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen«, erwiderte ich. Es gab eine Menge, was Skylar nicht von mir wusste, dabei hätte ich reichlich Gelegenheit gehabt, ihr etwas zu erzählen. Tatsache war, dass ich gerade nur Zeit totschlug, bevor ich eine neue Aufgabe übernehmen würde, dass ich mein Unternehmen vor Kurzem für einen Betrag verkauft hatte, der höher war, als ich je für möglich gehalten hätte – und dass ich mehr über Walt Williams wusste als sie.
»Die meisten Männer reden sehr gern über sich selbst.« Seufzend, als hätte sie eine Woche lang nichts zu essen bekommen, biss sie in ihr Naanbrot.
»Hat das etwas mit dem Typ Mann zu tun, den du datest?«
»Ich date niemanden«, entgegnete sie. »Eigentlich nicht.«
»Weil es kaum Männer gibt, die deinen Kriterien entsprechen?«, fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern. »Schon möglich.«
Je weniger sie mir verriet, umso mehr wollte ich wissen.
»Es gibt bestimmt sehr viele Männer, die deinen Erwartungen gern entsprechen würde«, sagte ich, denn Skylar erregte überall Aufsehen. Obwohl wir mit dem Rücken zu den anderen Restaurantgästen saßen, wusste ich eines mit Sicherheit: Wenn ich mich umdrehte, würde ich die meisten Männer dabei erwischen, wie sie ihr verstohlene Blicke zuwarfen.
Skylars Schönheit entsprach nicht dem Typ Frau, der sich üblicherweise in Cannes herumtrieb – spindeldürre Models oder übermäßig gebotoxte Möchtegernschauspielerinnen. Ihre Schönheit wirkte ein wenig altmodisch. Klassisch.
»Flirtest du mit mir?«, fragte sie lächelnd.
Ich versuchte, sie kennenzulernen, obwohl das für meinen Umgang mit Frauen absolut untypisch war. Um sie besser ansehen zu können, drehte ich meinen Stuhl zur Seite. »Würde es dir etwas ausmachen, wenn es so wäre?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Stört mich nicht weiter. Du bist definitiv nicht mein Typ.«
»Tatsächlich? «
»Du bist ein hervorragender Küsser«, sagte sie in einem Ton, als machte sie eine Bemerkung über meine Leistungen im Job.
»Äh … danke.«
»Das ist eine nützliche Fähigkeit.« Sie zog die Brauen zusammen, als wollte sie mir klarmachen, dass sie es absolut ernst meinte.
»Nun, du beherrscht auch viele Dinge hervorragend«, sagte ich. »Egal, ob nackt oder angezogen oder beim Curryessen.«
»Vorsicht, sonst werden wir am Ende noch Freunde«, sagte sie. »Zumal unsere beiden besten Freunde keinerlei Notiz von uns nehmen, wenn wir mit ihnen ausgehen.«
»Vermutlich sollten wir einfach das Beste daraus machen und übereinkommen, dass wir Freunde sind . Freunde, die ein kleines bisschen aufeinander stehen«, sagte ich, denn ich wollte wissen, wie sie auf mein Geständnis reagieren würde, dass ich sie attraktiv fand.
»Aufeinander stehen? Ist das was typisch Britisches?« Sie betonte das Wort, indem sie das E lang zog, was ziemlich niedlich klang.
»Ja, du weißt schon, einander attraktiv finden. Sich mögen.«
»Okay«, sagte sie. »Ich gebe zu, dass ich ein kleines bisschen auf dich stehe . Was allerdings nicht bedeutet, dass zwischen uns etwas laufen wird.«
Ich lachte. »Gut zu wissen. Und ich stehe auch ein kleines bisschen auf dich.«
»Worüber kichert ihr beiden da?« August löste den Arm von Harveys Nacken und trank einen großen Schluck von seinem Bier.
»Wir kichern nicht. Wir beschäftigen uns nur, anstatt hier herumzusitzen und euch beiden beim Trockensex zuzusehen«, sagte Skylar .
Ich lachte und schob mir noch einen Bissen Curry in den Mund.
August seufzte. »Tja, wenn ihr nicht vorhabt, miteinander zu vögeln – was ihr, nur fürs Protokoll, meiner Meinung nach unbedingt tun solltet, ihr würdet nämlich sehr schöne Babys machen …«
»Wir werden nicht miteinander vögeln. Noch ein Wort zu diesem Thema, August, und ich steche dir mit diesem Ding hier ein Auge aus«, sagte Skylar und wedelte lächelnd mit der Gabel in der Luft herum.
»Okay, aber wie ich schon sagte: Wenn es nicht zum Best-Case -Szenario kommt, könnt ihr euch wenigstens gegenseitig bei der Partnersuche unterstützen. Landon, du kennst doch bestimmt einen reichen, scharfen, ledigen und heterosexuellen Ehemann für meine Freundin, oder?«
»Jedenfalls kann er dafür sorgen, dass sie nicht in Schwierigkeiten gerät, bis sie so einen Typen findet«, sagte Harvey.
»Klingt, als sollte ich den Anstandswauwau für sie spielen«, antwortete ich.
»Den ich überhaupt nicht brauche«, sagte Skylar. »Kohlenhydrate reichen mir heute Abend völlig.«
Ich lachte. Außerhalb des Schlafzimmers verbrachte ich kaum Zeit mit Frauen, aber je länger ich mit Skylar abhing, desto mehr Zeit mit ihr wünschte ich mir.