Als Aiden am Samstagmorgen erwachte, hatte er das irritierende, unbehagliche Gefühl im Hinterkopf, gestern Abend ein paar Fehlentscheidungen getroffen zu haben.
Benommen und verkatert pellte er sein Gesicht von dem klebrigen Sabberfleck auf dem Kissen ab und sah nach, ob er allein war. Ja. Okay, das
war es also nicht. Er ließ sich auf den Rücken plumpsen und zuckte zusammen, als das Zimmer sich ein wenig drehte und sein Magen ins Schlingern geriet.
Oh Gott. Ich hab‘ Tequila getrunken.
Erinnerungsfetzen an den gestrigen Abend krochen allmählich aus den alkohol-vernebelten Tiefen seines Gedächtnisses hervor. Liv war eine verdammte Landplage. Die Frau konnte eine ganze Rugbymannschaft unter den Tisch trinken. Aiden hätte es besser wissen müssen, als am Freitag nach der Arbeit mit ihr einen trinken zu gehen. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn fertiggemacht hatte.
Sie hatte ihm mit irgendwas in den Ohren gelegen, das wusste er noch. Hatte ständig auf ihm herumgehackt von wegen guter Vorsätze fürs neue Jahr und der Mitgliedschaft im Fitnessclub, die er nie nutzte.
Fuck.
Die Erinnerung daran, wozu er sich bereit erklärt hatte, traf Aiden wie ein Schwall Eiswasser.
Aiden hatte nie vorgehabt, sich zu Liz‘ verrücktem Vorhaben überreden zu lassen. Er hasste es, auf etwas anderem als einem Laufband zu laufen, und nicht mal das machte er besonders gern. Allerdings hatte das Trinken auf leeren Magen seine Abwehrmechanismen geschwächt, und der Tequila war der Nagel zum Sarg seiner Widerstandskraft gewesen. Liv hatte nicht locker gelassen, und schließlich war er eingeknickt, nur um seine Ruhe zu haben. Und mit dem ganzen Alkohol im Blut war ihm die Vorstellung, meilenweit durch einen schlammigen Hindernisparcours zu rennen, eigentlich ganz spaßig vorgekommen. Ein leicht verrücktes, aber nobles Unterfangen – vor allem, da es ein Mannschaftswettbewerb war, und weil sie Spenden für wohltätige Zwecke sammeln würden, indem sie über Mauern kletterten und im eisigen Schmodder unter Gepäcknetzen durchkrochen.
Aiden vergrub das Gesicht in den Händen und stöhnte auf. Nie und nimmer würde Liv ihn da wieder rauslassen – nicht mit intakten Eiern. Ohne eine kreative Ausrede – vielleicht könnte er sich den Knöchel brechen oder sowas – hatte er die nächsten drei Monate seines Lebens an Livs neuestes Projekt überschrieben. Aiden würde beim Mad Mucker mitlaufen.
Und wirklich klingelte am Samstag gegen Mittag Aidens Smartphone, als er gerade auf dem Sofa lag und bei einer Episode von Game of Thrones
seinen Kater pflegte. Er fühlte sich nach drei Tassen Tee und einem Bacon-Sandwich mit brauner Soße zwar fast wieder menschlich, hatte aber trotzdem keine Lust, irgendwas anderes zu tun, als in der Horizontalen zu bleiben. Schon der Griff nach dem Handy auf dem Kaffeetisch kam ihm anstrengend vor, und er sank mit dem Telefon am Ohr dankbar wieder in sein Nest auf dem Sofa zurück.
„Hi, Liv.“ Seine Stimme war immer noch ein bisschen rostig.
„Hey, Aiden, wie geht es dir?“
„Nicht besonders“, gab er zu. „Und dafür mache ich ganz
allein dich verantwortlich. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass der Tequila deine Idee war.“
Liv lachte. Sie klang schrecklich munter, fand Aiden. „Ja, ist ja meistens so. Tut mir leid. Mir war heute Morgen ein bisschen schlecht, aber das habe ich mir im Fitnessstudio rausgeschwitzt, und jetzt geht’s mir gut.“
„Klar doch.“ Aiden schaute an sich hinab. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich anzuziehen.
„Jedenfalls rufe ich wegen des Wettlaufs an. Er ist schon in drei Monaten, also müssen zusehen, dass wir das mit der Registrierung organisiert kriegen.“
„Was für ein Wettlauf?“ Aiden stellte sich dumm. Einen Versuch war es wert.
„Der Wettlauf, an dem du teilnimmst, weil du dich gestern Abend dazu bereit erklärt hast. Weißt du nicht mehr? Wir haben uns darüber unterhalten, dass du mehr Sport machen musst, und ich habe vorgeschlagen, dass wir uns als Motivation für einen Wettlauf anmelden.“
„Wirklich? Daran würde ich mich bestimmt erinnern. So blau war ich nun doch nicht.“
„Du faule Socke, natürlich erinnerst du dich daran. Guter Versuch, Aiden Watson, aber da windest du dich nicht raus. Du hast es versprochen.“
Aiden seufzte.
„Ja, das hab‘ ich. Aber können wir nicht an einem normalen Wettlauf teilnehmen? Mit was Dezenterem anfangen, einem 5- oder 10-km-Lauf, aber auf einer anständigen Bahn?“
„Nein, können wir nicht. Du warst mit dem Mad Mucker einverstanden, und dabei bleibt es auch. Das wird sowieso viel lustiger. Ich hab‘ schon jede Menge Straßenrennen und normale Querfeldeinläufe mitgemacht, und nach einer Weile wird das ein bisschen langweilig.“
Aiden verdrehte die Augen, obwohl sie ihn nicht sehen konnte. „Wenn durch den Schlamm zu rennen und in
Eiswasser-Pfützen zu tauchen das ist, was du unter ‚Spaß‘ verstehst, dann frag‘ ich mich ernsthaft, wobei du in deinem Leben zu kurz gekommen bist.“
„Probier’s erst mal aus, bevor du es schlechtmachst“, antwortete sie. „Jedenfalls berufe ich für morgen Nachmittag ein Team-Meeting ein, damit wir uns einen Namen für unser Team überlegen und eine Wohltätigkeitsorganisation aussuchen können, die wir unterstützen wollen. Wir können auch über das Training für diejenigen reden, die Hilfe beim Aufstellen eines Trainingsplans brauchen. Einige aus dem Team werden mehr Hilfe brauchen als andere.“
„Damit meinst du wohl mich?“ Aden versuchte, beleidigt zu klingen, aber er wusste, dass er dem kaum widersprechen konnte. Irgendwie hatte er es sich im letzten Jahr total abgewöhnt, regelmäßig zu trainieren. Und er musste zugeben, dass man ihm das ansah.
„Ja, aber nicht nur dich. Greg aus dem Vertrieb wollte auch mitmachen, und er ist wahrscheinlich noch schlechter in Form als du.“
„Das will ich mal schwer hoffen!“ Greg aus dem Vertrieb war schätzungsweise an die fünfzig und hatte regelrechte Männerbrüste. Aiden war um die Taille herum vielleicht ein bisschen weicher als früher, aber er brauchte noch keinen BH für seine Brustmuskeln.
„Also, kannst du kommen? Wir treffen uns morgen Mittag um zwei im Admiral
.“
„Ja, klar.“ Aiden konnte die Resignation in seiner Stimme hören. Wenn Greg aus dem Vertrieb das verdammte Rennen mitmachte, dann würde Aiden das auch tun. Er war dreiunddreißig, da würde die Schwerkraft ihn früher oder später einholen. Greg und seine Männerbrüste waren Aidens Zukunft, wenn er nicht anfing, besser auf sich zu achten.
„Gut, dann ist das also abgemacht. Warum bewegst du deinen Hintern nicht nachher ins Fitnessstudio oder gehst eine
Runde joggen oder so? Das hilft vielleicht gegen den Kater.“ Sie klang unerträglich selbstzufrieden.
„Ich hasse dich.“
„Ich weiß. Ich liebe dich auch. Bis morgen.“
Aiden legte das Handy weg und kuschelte sich wieder unter seine Decken. Vielleicht würde er später ins Fitnessstudio gehen.
Oder vielleicht würde er das auf morgen verschieben – mal wieder.
Am Samstag
schaffte Aiden es nicht ins Fitnessstudio, und am Sonntagmorgen schlief er aus. Bis sich sein Frühstück ein wenig gesetzt hatte, war es schon zu spät, um noch ins Studio zu gehen und trotzdem rechtzeitig zu dem Treffen mit Liv und den anderen armen Teufeln, die sie für ihre hirnverbrannte Idee eingespannt hatte, wieder zurück zu sein. Er nahm sich fest vor, am Nachmittag stattdessen eine kleine Runde zu laufen. Aber dann fing es an zu regnen, und da erschien es ihm wesentlich reizvoller, drinnen zu bleiben und die Sonntagszeitung zu lesen.
Das Pub, in dem sie sich verabredet hatten, lag in der Innenstadt von Bristol, in der Nähe des Flusses. Von Aidens Wohnung aus war es zu Fuß viel zu weit bis dorthin, und er hatte den Platten von letztem Sommer an seinem Fahrrad immer noch nicht repariert. Aber glücklicherweise hatte das Admiral
einen Parkplatz, also fuhr er mit dem Auto.
Als Aiden vom Parkplatz ums Haus herum auf die Eingangstür des Pubs zuging, schoss ein Traum in Lycra – muskulöse Schenkel und ein Arsch, bei dem einem das Wasser im Mund zusammenlief – auf einem eindrucksvoll aussehenden Rennrad an ihm vorbei. Der Typ kam mit quietschenden Bremsen am Zaun vor dem Pub zum Stehen und ging in die
Hocke, um das Fahrrad an einem der Metallpfosten anzuschließen. Aiden blieb für einen Moment stehen, um diese Schenkel erneut zu bewundern. Und dieser Arsch… Gott
. Der Typ richtete sich wieder auf und begann seinen Helm abzunehmen. Da Aiden sich nicht beim Gaffen erwischen lassen wollte, wandte er sich widerwillig ab und betrat das Pub.
„Aiden, hier drüben!“ Liv winkte ihm von einem Tisch in der Ecke aus grüßend zu.
Einige der anderen waren bereits da, Greg und noch einer aus der Firma, den Aiden als Rhys aus der IT-Abteilung erkannte. „Hi.“ Aiden erwiderte ihre Begrüßung mit einem Nicken, dann wandte er sich mit einem vielsagenden Lächeln an Liz. Seit Rhys vor einigen Monaten bei Science Quest angefangen hatte, redete Liz andauernd von ihm. Er war ziemlich attraktiv, wenn man auf Rothaarige stand, und Liz hatte ein absolutes Faible für Rotschöpfe. Wenn Rhys sich von ihr zu so etwas überreden lassen hatte, war ihr das Glück womöglich hold. Aiden fiel kein anderer Grund ein, warum ein offensichtlich geistig gesunder Mensch, der nicht unter dem Einfluss von Tequila stand, sich bereit erklären sollte, an diesem blöden Wettlauf teilzunehmen.
„Oh, gut, da ist Matt.“ Liv schaute an Aiden vorbei. „Dann warten wir jetzt nur noch auf Caitlin.“
Aiden kannte Caitlin aus der Schulungsabteilung, aber seines Wissens gab es in der Firma niemanden, der Matt hieß. Er drehte sich um, weil er wissen wollte, von wem Liv sprach, und sah den in Lycra gekleideten Gott von vorhin auf den Tisch zukommen.
Verdammt, so attraktiv zu sein gehört gesetzlich verboten.
Matt – wer auch immer er war – sah auf klassische Art gut aus mit seinen regelmäßigen Gesichtszügen und seinem dichten, dunkelblonden Haar, doch sein Dreitagebart gab ihm etwas Raues, das Aiden sehr reizvoll fand. Er mochte seine
Männer ein bisschen ungeschliffen, ganz so, wie er selbst war mit seinem Stoppelbart und seinem kurzgeschorenen Haar. Männer, die zu hübsch und zu geschniegelt waren, hatten für ihn keinen Reiz.
„Leute, das ist Matt.“ Liv stand auf, um den Fremden zu begrüßen, der sich an Aiden vorbeidrängte und sie kurz umarmte. „Er ist mein Cousin. Matt, das sind Greg, Rhys und Aiden.“
Matt schüttelte allen der Reihe nach die Hände, zuletzt Aiden. „Freut mich, euch kennenzulernen.“
„Gleichfalls“, antwortete Aiden automatisch, da er den Druck dieser warmen Hand ein bisschen zu sehr genoss. „Ich wusste gar nicht, dass du einen Cousin hast“, sagte er zu Liv. Erst recht nicht einen, der so heiß ist.
„Matt hat im Ausland gelebt“, erklärte Liv. „Er ist erst vor kurzem wieder nach England gezogen.“
„Ach, wirklich? Wo hast du denn gelebt?“ Aiden wandte sich wieder an Matt, der sich in seiner momentanen Rolle als Mittelpunkt der Aufmerksamkeit nicht sonderlich wohlzufühlen schien.
„Australien“, antwortete er knapp.
„Na, das erklärt die Bräune.“ Aiden nutzte die Gelegenheit, um Matts Beine erneut zu bewundern – und die von Lycra bedeckte Beule dazwischen, die sein Blick auf dem Weg nach unten streifte.
„Kann schon sein.“ Matts Tonfall war abweisend.
Aiden hatte genug Erfahrung im Flirten mit heterosexuellen Männern, um zu wissen, wann er aufhören musste. Er wandte sich an Liv, die den Wortwechsel mit einem Anflug von Belustigung beobachtet hatte, während Rhys und Greg die gespannte Atmosphäre gar nicht wahrzunehmen schienen.
„Okay, ich hol‘ mir was zu trinken“, sagte Aiden. „Möchte sonst noch jemand was, wenn ich an die Bar gehe?“
„Nein, danke, ich bin versorgt“, antwortete Liv. Greg und
Rhys hatten bereits Gläser vor sich stehen und lehnten ebenfalls ab.
„Matt?“, fragte Aiden.
„Äh… ja, okay. Eine Zitronenlimo, bitte.“
An der Bar war nicht viel los, daher wurde Aiden schnell bedient. Als er mit den Getränken zurückkehrte, war Caitlin inzwischen auch gekommen.
„Hi, Caitlin. Tut mir leid, aber diese Runde hast du verpasst.“ Aiden stellte Matts Glas vor ihm auf den Tisch.
Matt blickte auf und warf Aiden ein kleines Lächeln zu. „Danke.“
Aiden setzte sich auf den Platz neben Liv, gegenüber von Matt, und trank dankbar einen großen Schluck von seinem Guinness. Er blickte sich am Tisch um und stellte fest, dass alle anderen alkoholfreie Getränke vor sich hatten – jedenfalls sah es so aus. Es sei denn, Greg hätte heimlich einen Schuss Wodka in seine Cola geschummelt.
Als Caitlin auch wieder von der Bar zurück war, packte Liv ein paar Computerausdrucke, einen Notizblock und einen Stift aus und übernahm das Kommando.
Sie ging das Registrierungsverfahren mit ihnen durch. Aiden war alles andere als begeistert, als er erkannte, dass er fünfzig Pfund für das Privileg zahlen sollte, bei etwas mitmachen zu dürfen, woran er eigentlich gar nicht teilnehmen wollte. Offenbar mussten sie sich alle einzeln registrieren, aber Liv würde ein Team zusammenstellen, und dann konnten sie bei der Registrierung ihren Team-Namen angeben und sich alle dieselbe Startzeit sichern, indem sie eine Zusatzgebühr entrichteten.
„Und wie nennen wir jetzt unser Team?“, fragte Caitlin.
„Soweit hatte ich nicht gedacht“, antwortete Liv. „Irgendwelche Vorschläge?“
„Die durchgeknallten Spinner.“ Aiden griff erneut nach seinem Pint.
Rhys lachte. „Wenn der Schuh passt…“
„Das schreibe ich bestimmt
nicht auf unsere Fundraising-Website.“ Liv runzelte die Stirn. „Wie wär’s mit ‚Science Questers‘? Tut mir leid, Matt, ich weiß, du arbeitest nicht bei uns, aber so animieren wir vielleicht noch ein paar Leute aus der Firma zum Spenden.“
Matt zuckte die Achseln. „Meinetwegen. Ist mir egal.“
„Oder nur ‚Questers‘“, schlug Caitlin vor. „Dann ist es immer noch mit unserer Firma verbunden, aber nicht ganz so offensichtlich.“
„Das klingt okay.“ Liv blickte sich am Tisch um. Die meisten nickten, und es gab keinen Widerspruch. „Gut, dann bleiben wir also bei ‚Questers‘, falls das nicht schon vergeben ist.“ Sie machte sich eine Notiz auf ihrem Block. „Nun, diese Wettläufe sind beliebt, also müsst ihr euch unbedingt bald registrieren, um sicher zu sein, dass ihr einen Platz bekommt.“
Aidens Lippen zuckten unwillkürlich, denn er dachte gerade bei sich, wie jammerschade es doch wäre, wenn er mit der Anmeldung zu spät dran wäre und nicht mitmachen könnte. Liv durchschaute ihn offensichtlich, denn sie schaute ihn mit argwöhnisch zusammengekniffenen Augen an.
„Denk‘ nicht mal dran.“
Aiden fing ein Aufblitzen von Belustigung auf Matts Gesicht auf.
„Na schön, aber wenn ich dabei tot umfalle, geht das auf deine Kappe, Liv. Dann kannst du meine Beerdigung bezahlen.“
„Also dann, weiter zum Training.“ Liv zog ein weiteres Blatt Papier aus ihrem Stapel und legte es obenauf. „Alle im Team haben unterschiedliche Anfangs-Fitnessniveaus. Aber bei dieser Art von Wettlauf müssen wir möglichst nah zusammenbleiben, weil wir uns gegenseitig über die Hindernisse helfen müssen. Also sollten wir alle versuchen, in den nächsten zwölf Wochen so viel Kraft und Ausdauer wie
möglich aufzubauen. Ich habe diverse Webseiten mit Trainingsempfehlungen gefunden, die ich euch weiterleiten kann, aber Matt“ – sie deutete mit einer Handbewegung auf ihn – „arbeitet in der Freizeitindustrie und ist ein Experte, also kann er euch bei möglichen Fragen oder Problemen weiterhelfen. Was meinst du, Matt, auf welche Art von Training sollten wir uns konzentrieren? Der Mucker ist mehr als nur ein Wettlauf.“
„Ja, das ist er“, stimmte Matt zu. „Ihr werdet sogar merken, dass ihr wegen der Bedingungen auf der Strecke ziemlich oft kaum richtig rennen könnt. Den Fotos von der Laufstrecke nach zu schließen, die ich gesehen habe, gibt es auch ein paar steile Abschnitte. Durch Lauftraining baut ihr natürlich kardiovaskuläre Fitness auf, so dass ihr am Wettkampftag besser klarkommt. Aber wir werden über weite Teile ganz bestimmt nicht besonders schnell rennen können.“
Während Matt sprach, konzentrierte Aiden sich auf ihn, froh um die Gelegenheit, ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Verdammt, er war attraktiv. Er hatte auch eine sexy Art zu sprechen, mit tiefer Stimme und wortgewandt, als wäre er auf einer Privatschule gewesen. Was wahrscheinlich auch zutraf, da Livs Familie ziemlich wohlhabend war.
„Abgesehen von der Distanz – und unter diesen Bedingungen sind zwölf Meilen eine ganze Menge – sind die Hindernisse an sich schon eine Herausforderung. Wir werden nicht disqualifiziert, wenn wir sie nicht schaffen. Aber eigentlich ist es so gedacht, dass wir sie als Team gemeinsam zu bewältigen versuchen. Für viele davon – zum Beispiel die Monkey-Bars und das Baumstammtragen – ist Kraft im Oberkörper erforderlich. Deshalb wäre es eine gute Idee für uns alle, sowohl Lauf- als auch Krafttraining zu machen.“
„Das ist jetzt vielleicht eine dumme Frage“, begann Aiden, „aber machen wir das nicht hauptsächlich zum Spaß? Spielt es denn wirklich eine Rolle, ob wir langsam sind, oder ob ein
paar von uns von den Monkey-Bars fallen oder um die eiskalten Schlammgruben herumlaufen?“
Ein eindringlicher Blick aus Matts blauen Augen traf Aiden.
„Aber würdest du denn nicht gerne dein Bestes geben?“ Er hörte sich ungläubig an, als wäre es ihm noch nie in den Sinn gekommen, weniger als hundert Prozent zu geben.
„Offen gestanden, nein.“ Aiden zuckte die Achseln. „Ich würde an dem Tag lieber im Bett bleiben. Aber da mich jemand dazu überredet hat, als ich wehrlos war – und mit wehrlos meine ich ein Opfer des Tequila–“ er warf Liv einen finsteren Blick zu – „bin ich schon froh, wenn ich die blöde Strecke überhaupt schaffe. Ich muss mich nicht auch noch rühmen können, dass ich jedes einzelne Hindernis erledigt habe.“
Rhys und Caitlin lachten, während Matt Aiden finster anstarrte. Ein Stirnrunzeln verdarb die Perfektion seiner Gesichtszüge.
„Das ist aber nicht die richtige Einstellung…“, begann Greg milde.
„Oh, Himmelherrgott nochmal, Aiden“, schimpfte Liv. Ihre Stimme übertönte Greg mühelos. „Sei doch nicht so ein Spielverderber! Ich kenne
dich. Du stellst dich bloß absichtlich quer, weil du hoffst, dass ich dich aus dem Team schmeiße. Aber daraus wird nichts. Du hast es versprochen, und dabei bleibt‘s. Also wirst du deinen faulen Arsch in Bewegung setzen und trainieren, und du wirst diese verdammte Strecke schaffen, einschließlich sämtlicher Hindernisse. Und jetzt hör auf zu meckern und reiß dich verdammt nochmal zusammen.“
Matt schnaubte. „Das war beeindruckend, Liv. Hast du schon mal an eine alternative Karriere als Kompaniefeldwebel gedacht?“
Aiden grinste, ohne eine Spur von Reue zu zeigen. „Du solltest erst mal hören, wie sie bei der Arbeit mit mir redet, wenn ich mich nicht ins Zeug lege.“
„Du bist ein fauler Hund. Du brauchst das“, schniefte Liv. Aber es war kein Feuer dahinter.
Aiden tätschelte ihr den Arm. „Okay, Liv. Für dich friere ich mir in kalten Tauchbecken die Eier ab und renke mir an den Monkey-Bars die Arme aus, wenn es dich glücklich macht.“
Sie strahlte. „Danke, Schatz.“
Sie machten sich daran, das Training eingehender zu besprechen. Liv hatte natürlich ihren Trainingsplan bereits ausgearbeitet und empfahl den anderen, dasselbe zu tun.
„Es hilft mir, konzentriert zu bleiben, wenn ich einen Plan mache und mich auch daran halte“, sagte sie gerade. „Ich will vier Tage die Woche laufen und zweimal zum Krafttraining gehen. Damit bleibt mir ein ganzer Tag pro Woche zum Ausruhen.“
„Ein ganzer Tag!“ Aiden schüttelte den Kopf und griff nach seinem inzwischen fast leeren Bierglas. „Vorsicht, sonst verkümmern deine Muskeln womöglich.“
Er trank die letzten Tropfen aus und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum vom Mund. Als er Matt dabei ertappte, wie er ihn beobachtete, leckte er sich absichtlich die Lippen. Er konnte einfach nicht widerstehen, mit dem Mann zu flirten, auch wenn sein Interesse vollkommen einseitig war. Der Typ sah aus, als hätte er einen Stock im Hintern, und Aiden konnte sich nicht vorstellen, dass er gerne etwas Interessanteres da drin gehabt hätte. Schade eigentlich. Aiden hätte nichts dagegen gehabt, es zu versuchen.
Livs Stimme holte ihn mit einem Ruck aus seinen Tagträumen von Matts Hintern zurück ins Hier und Jetzt. „Und, wie oft hast du vor zu laufen, Aiden?“
„Oh… äh, ja. Drei-, vier Mal, denke ich“, sagte er vage. „Das müsste hinkommen. Und ich habe ein paar Hanteln zuhause, also kann ich die benutzen, falls ich es nicht ins Fitnessstudio schaffe.“ Sie verstaubten irgendwo ganz hinten in einem Schrank.
„Matt wohnt bei dir in der Nähe. Vielleicht könntet ihr zusammen trainieren?“ Liv hatte ein infames Funkeln in den Augen. „Es ist immer motivierend, einen Trainingspartner zu haben. An einem Regentag zu kneifen ist ja so einfach, wenn man sich vor niemandem rechtfertigen muss, stimmt’s?“
„Kann schon sein“, meinte Aiden argwöhnisch. „Aber ich glaube nicht, dass das nötig ist. Ich möchte Matt nicht ausbremsen.“
Er ging davon aus, dass Matt das genauso sah. Warum zum Teufel sollte Matt mit ihm trainieren wollen? Aiden hatte nicht gerade einen tollen ersten Eindruck gemacht. Matt würde ganz bestimmt nicht wollen, dass Aiden ihm hinterhertrottete und ihm in die Quere kam.
Doch überraschenderweise grinste Matt ihn an. Der spitzbübische, etwas zu vielsagende Blick in seinen Augen kam Aiden bekannt vor, und zum ersten Mal sah er die Familienähnlichkeit zwischen Matt und Liv. „Das ist eine super Idee, finde ich.“
Aiden machte den Mund auf, aber ausnahmsweise einmal fehlten ihm die Worte. Er machte den Mund wieder zu und schluckte.
„Hervorragend“, sagte Liv. „Dann solltet ihr Telefonnummern austauschen, damit ihr was vereinbaren könnt.“
Matt zückte sein Handy. „Wir können morgen nach der Arbeit anfangen. Wie ist deine Nummer?“
Aiden wusste, wann er sich geschlagen geben musste. Anscheinend hatte er sich einen Trainingspartner eingefangen. Einen nervigen, rechthaberischen, attraktiven, aber tragischerweise heterosexuellen Trainingspartner. Wenigstens würde er eine hübsche Aussicht auf Matts Hintern habe, während er versuchte, mit ihm Schritt zu halten.
„Zu guter Letzt: Wohltätigkeitsorganisationen“, begann Liv. „Ich würde gerne die British Heart Foundation unterstützen, es
sei denn, jemand hätte was dagegen?“ Ihr Tonfall war brüsk und sie machte nicht den Eindruck, als wollte sie ihren Vorschlag näher ausführen. Es gab zustimmendes Gemurmel und keine Einwände. Aiden bemerkte, dass sie einen Blick mit Matt wechselte und ihm kurz zulächelte. Matts Gesicht war angespannt, aber er nickte ebenfalls.
„Okay. Dann richte ich eine Just Giving- Website für die Gruppe ein, und wir können den Link allen schicken, von denen wir denken, dass sie uns vielleicht unterstützen möchten. Ich schicke euch eine E-Mail, wenn ich fertig bin.“ Sie begann, ihre Papiere zu sortieren und wieder in ihren Plastik-Ordner zu packen. „Hat noch jemand Fragen? Ich glaube, das war alles, was wir besprechen wollten.“
Alle schienen zufrieden. Die Versammlung löste sich unter allgemeinem Geplauder auf, und die meisten tranken ihre Gläser aus und gingen.
„Um wie viel Uhr wollen wir uns dann morgen zum Training treffen?“, fragte Matt, während Aiden und er sich zum Aufbruch bereit machten.
„Gegen halb sechs müsste ich zuhause sein, dann können wir los. Passt dir das?“ Von der Arbeit nach Hause zu kommen und gleich wieder los zu müssen, klang nicht sonderlich verlockend, aber immer noch besser, als es auf später am Abend zu verschieben.
Sie tauschten Adressen aus. Matt meinte, er würde bei Aiden vorbeikommen und sie könnten von dort aus loslaufen. „Ich wohne nur etwa eine Meile von dir entfernt. Dann kann ich mich schon mal warmlaufen.“ Er hatte nicht mal den Anstand, zu klingen, als würde er Witze machen.
Sie waren inzwischen auf dem Weg nach draußen, und es regnete. Das Kopfsteinpflaster vor dem Pub war nass und rutschig. Aiden fröstelte und schlug den Kragen seiner Jacke hoch.
Er deutete mit einem Kopfnicken auf Matts Fahrrad. „Besser
du als ich, Kumpel. Bist du sicher, dass ich dich nicht nach Hause fahren soll? Wenn man das Ding zusammenklappen kann, kriegen wir es wahrscheinlich hinten in mein Auto.“
„Nein, danke. Das geht schon.“ Matt schüttelte den Kopf. „Ich bin daran gewöhnt. Und ich konnte heute Morgen nicht laufen gehen, da brauche ich jetzt Bewegung.“
Ja, nee, ist klar.
Aiden kämpfte gegen den Drang an, die Augen zu verdrehen. „Also dann, bis morgen“, sagte er stattdessen und versuchte, ein wenig Begeisterung in seinen Tonfall zu legen.
„Ja, bis dann.“
Als Matt zu seinem Fahrrad ging, schaute Aiden auf seinen perfekten Hintern. Oh ja. Mit ihm zu trainieren würde definitiv auch seine Vorteile haben.