Sechzehn
Der Tag des Wettlaufs versprach glücklicherweise klar und trocken zu werden.
Die Sonne lugte gerade über die Häuser gegenüber, als Aiden die Vorhänge öffnete und sich den Schlaf aus den Augen rieb. In der Woche zuvor hatte es häufig Regen gegeben. Der graue, wolkenverhangene Himmel hatte zwar zu Aidens Stimmung gepasst, aber er war froh, dass es heute nicht regnete.
Aiden hatte Bauchschmerzen vor Nervosität und Aufregung, während er sich anzog – enger Boxerslip, Lauftights und ein eng anliegendes, langärmeliges Top mit seinem Team-T-Shirt darüber – aber er war sich nicht sicher, was ihm mehr auf den Magen schlug: der Gedanke an das Rennen oder die Aussicht darauf, Matt wiederzusehen. Es war erschreckend, wie sehr er ihn in den letzten zwei Wochen vermisst hatte. Ehrlich gesagt war er noch nicht einmal ansatzweise über ihn hinweg. Somit konnte es ihm wohl wenigstens nicht schlechter gehen, wenn er heute Zeit mit Matt verbrachte. Aber Aiden konnte die Hoffnung nicht unterdrücken, dass Matt vielleicht seine Meinung ändern würde, wenn sie sich erst einmal wiedersahen.
Matt wartete bereits draußen vor dem Haus, als Aiden ankam. Das Lächeln, das sich über sein Gesicht ausbreitete, schnitt Aiden ins Herz, aber er schaffte es trotzdem, es zu erwidern.
Matt war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Aber sein Körper war schlank und kräftig in den Laufklamotten, die Aiden ihm am liebsten ausgezogen hätte, um ihn von oben bis unten zu küssen.
„Hi.“ Matt zog die Autotür ins Schloss und warf Aiden einen kurzen Blick zu, ehe er sich dem Anlegen seines Sicherheitsgurts widmete. „Bist du startklar für heute?“
„Kann’s kaum erwarten.“ Aidens Begeisterung klang unecht, daher versuchte er es nochmal. „Ganz ehrlich, ich freu‘ mich drauf.“
Es stimmte. Er hatte viel trainiert, und das hatte ihm gutgetan. Sein Körper hatte sich spürbar verändert, und er war stolz darauf, wie hart er gearbeitet hatte. Das Rennen war der krönende Abschluss dieser ganzen Mühe, und Aiden war bereit dafür.
„Du machst das bestimmt ganz toll.“ Aiden spürte Matts Blick auf sich gerichtet, als er den Gang einlegte und losfuhr. „Hast du es in der letzten Woche ruhig angehen lassen? Du hast mir Sorgen gemacht mit deinen fünfzehn Meilen letzten Samstag.“
„Ja.“ Aiden nickte. „Ich bin seither nur kurze Strecken gelaufen, hab‘ meine Beine für heute geschont.“
Sie fanden den Rest des Teams in der Schlange vor der Startnummernausgabe. Als sie alle eine bekommen und an ihren T-Shirts befestigt hatten, stellten sie sich nochmal woanders an, um sich Stifte zu leihen. Anscheinend mussten sie sich ihre Startnummern auch noch auf die Stirn schreiben.
„Wir sind nachher so dreckig, dass die Ordner die Nummern auf unseren T-Shirts nicht mehr lesen können.“ Liv deutete auf die Papiernummer, die sie vorn an ihr Top geheftet hatte.
„Na super.“ Aiden verdrehte die Augen.
„Die Schlammschlacht ist doch der halbe Spaß.“ Liv grinste.
Aidens Blick huschte zu Matt, und er stellte fest, dass Matt ihn ebenfalls ansah. Er hatte einen vielsagenden Zug um die Lippen, der verriet, dass seine Gedanken in dieselbe Richtung gingen wie die von Aiden.
Aiden schmunzelte. „Ich nehme an, es hat so seinen Reiz.“
Greg brütete über dem Computerausdruck, der die Hindernisse im Einzelnen beschrieb. „Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich die Monkey-Bars schaffe.“ Er klang besorgt. „Vor allem, wenn die Stangen schlammverschmiert und rutschig sind.“
„Das ist doch nicht so wichtig“, versicherte Liv. „Wir machen das nur zum Spaß und als persönliche Herausforderung. Wenn du nicht alle Hindernisse schaffst, ist das kein Problem.“
Greg nickte, aber sein Stirnrunzeln blieb bestehen.
Aiden schaute ihm über die Schulter. Er hatte gestern Abend im Internet nachgesehen, um sich an die ganzen verrückten Dinge zu erinnern, die er zusätzlich zu einem Zwölf-Meilen-Lauf durch den Morast sonst noch machen musste. Manches hörte sich ganz lustig an – Klettern, Baumstammtragen, unter Gepäcknetzen durch den Schlamm robben. Weniger scharf war er auf die Wasserhindernisse, vor allem auf eins, bei dem er wusste, dass Eis mit im Spiel war. Zusätzlich musste man beim Klettern manchmal über Wassergräben – wenn man da nicht drüber kam, ging man nochmal baden. Aiden fröstelte in der kalten Brise, als er sich den plötzlichen Schock beim Sturz von den Monkey-Bars in eisiges Wasser ausmalte. Oh ja, er wollte es wirklich bis auf die andere Seite schaffen.
„Braucht jemand Vaseline?“ Matt hielt eine kleine Blechdose hoch. „Ich wollte noch mailen und es empfehlen, aber das habe ich vergessen.“
„Wofür?“ Rhys runzelte die Stirn.
Aiden lachte leise, denn der naheliegende schmutzige Witz war zu gut, um zu widerstehen. „Ich nehm‘ lieber Gleitgel.“
Der Hauch von Farbe auf Matts Wangen verschaffte Aiden einen Kick. Er wusste, dass Matt gerade an das letzte Mal dachte, als sie Gleitgel gebraucht hatten.
„Also, ich würde empfehlen, dass ihr euch damit die Brustwarzen einreibt.“ Matt funkelte Aiden an, als wollte er ihn herausfordern, etwas anderes zu sagen. Aiden zog die Augenbrauen hoch und grinste unschuldig. „Wenn ihr erst mal nass und kalt seid, scheuern die sich auf. Und glaubt mir, das tut verdammt weh.“
„Autsch.“ Aiden zuckte zusammen. „Okay, na dann – ja bitte.“
Die Männer reichten die Dose herum und schmierten sich unter viel Gelächter gegenseitig die Brustwarzen ein.
„Soll ich dir dabei helfen?“ Liv sah Rhys an und zog die Augenbrauen hoch.
„Vielleicht später, Liebling. Soll ich deine machen?“
„Meine Möpse sind in diesem blöden Sport-BH so fest eingezwängt, dass sie sich nicht von der Stelle rühren können“, versicherte Liv. „Meinen Nippeln passiert nichts.“
Caitlin lehnte ebenfalls ab.
„Okay, und wer trägt nachher wen beim Huckepack-Rennen?“ Greg las wieder den Computerausdruck. „Mein Rücken ist nicht mehr das, was er mal war.“
„Ich bin wahrscheinlich die Leichteste“, meldete Caitlin sich zu Wort. „Und du hast beim Training viel Gewicht verloren, Greg. Ich glaube, ich kann dich tragen. Es sind ja nur zwanzig Meter, oder?“
Greg nickte und tätschelte seinen Bauch, der jetzt nur noch ein Schatten seiner selbst war. Er war kein großer Mann, eher klein und schlank, jetzt, wo er fitter war.
Die anderen schauten sich abwägend an.
„Matt und Aiden sollten sich zusammentun“, sagte Liv bestimmt. „Ihr zwei seid am größten. Und mit Rhys werde ich schon fertig.“
Aiden lachte. „Das möchte ich wetten“, sagte er und jaulte auf, als Liv ihm einen Klaps auf den Hintern gab. „Hey, nicht deine Teamkollegen verhauen. Wir sollen doch zusammenhalten.“
Sie konnten es alle kaum noch erwarten, als sie ihre Plätze im Gedränge am Start des Rennens einnahmen. Adrenalin schoss durch Aidens Adern, straffte seine Muskeln und ließ sein Herz schneller schlagen. Er hüpfte ein paarmal auf und ab, um etwas von der angestauten Energie abzubauen. Matt war neben ihm und joggte auf der Stelle.
„Bist du okay?“ Er stieß Aiden mit dem Ellbogen an.
„Ja.“ Aiden wandte sich um und nickte. „Aufgeregt, ein bisschen nervös… Ich will jetzt einfach nur noch los.“
„Du machst das bestimmt großartig.“
„Dank dir.“ Für einen Moment lächelten sie einander an, und Aidens Herz pochte heftiger. Matts Gesicht war ein offenes Buch, und die ganze verworrene Sehnsucht, die Aiden empfand, spiegelte sich darin.
Er riss den Blick von Matt los und schaute nach vorn über die Masse der Läufer. Ein Meer von Köpfen und Schultern wogte auf und ab, während alle ungeduldig auf den Start warteten und versuchten, sich warmzuhalten und in der kalten Aprilluft nicht steif zu werden.
Der scharfe Knall der Startpistole brachte sie in Bewegung. Läufer und Zuschauer pfiffen und jubelten, während sie langsam losliefen und dann nach und nach in Trab verfielen, als das Läuferfeld sich allmählich auseinanderzog.
Sie waren gestartet.
Das Tempo, das sie vorlegten, war ziemlich mäßig für Aidens Verhältnisse. Sie liefen als Team, und es war von Beginn an klar, dass Greg das schwächste Glied war, was die Geschwindigkeit betraf. Aber bei dieser Veranstaltung ging es nicht darum, die schnellste Zeit zu schaffen. Es ging darum, zusammenzuhalten und das ganze Team über den Parcours zu bringen. Sie trabten gemeinsam dahin und unterhielten sich unterwegs ein bisschen. Es war ungefähr eine Meile bis zum ersten Hindernis, und der Pulk löste sich allmählich auf, da einige Teams vorbeizogen und andere ein eher gemächliches Tempo anschlugen.
Das erste Hindernis war ein natürliches – ein seichter Fluss, der zu durchwaten war – und so mussten sie nicht Schlange stehen und warten, um sich drüber zu schwingen oder irgendwas zu überklettern. Das Wasser reichte ihnen bis über die Knie, und unter der Oberfläche gab es glitschige Felsbrocken, daher stützten sie sich gegenseitig. Aiden rutschte einmal aus, aber Matt packte ihn am Arm und hielt ihn aufrecht.
„Danke“, schnaufte Aiden, dankbar, noch nicht völlig durchnässt zu sein.
„Gern geschehen.“ Noch während Matt das sagte, taumelte er seitwärts gegen Aiden, und Aiden schlang ihm einen Arm um die Taille und fühlte straffe Muskeln und Matts Körperwärme durch die Kleidungsschichten. „Jetzt sind wir quitt.“
Aiden war als erster drüben. Ein Gepäcknetz half beim Erklettern des matschigen Ufers, und sobald er wieder Gras unter den Füßen hatte, reichte er Matt die Hand und zog ihn hoch. Matt grinste; seine Augen leuchteten blau und seine Zähne weiß in einem bereits schlammverschmierten Gesicht.
Auf den ersten paar Meilen ging alles ziemlich glatt, und das Team meisterte sämtliche Hindernisse. Sie hatten ein bisschen Mühe, Liv über eine der höheren Kletterwände zu kriegen, aber dank Rhys, der sie am Hintern hochschob, und Aiden, der ihr von oben behilflich war, während die anderen sie lauthals anfeuerten, schaffte sie es doch.
Aber als sie an die Monkey-Bars kamen, wurde Greg kopfscheu.
„Verdammte Scheiße. Ich wusste nicht, dass die über einen Hügel gehen!“
Das Gerüst erstreckte sich vor ihnen mit sanfter Steigung bis hinauf zu einem Dachfirst-ähnlichen Hügelkamm und dann auf der anderen Seite wieder abwärts. Caitlin war schon fast durch, dichtauf gefolgt von Rhys und Liv, die zwar weit weniger souverän wirkten als Caitlin, aber doch so, als würden sie es schaffen.
„Komm schon, Kumpel“, redete Aiden ihm zu. „Jetzt bist du schon so weit gekommen. Du musst es wenigstens versuchen.“
Es gab ein paar Teilnehmer, die das Hindernis lieber umgingen, statt es in Angriff zu nehmen, und einige fielen auch ins Wasser.
„Ja, okay.“ Greg streckte entschlossen das Kinn vor. „Selbst wenn ich es nur bis zur Hälfte schaffe, ist das besser, als es gar nicht zu machen.“
„Das ist die richtige Einstellung.“ Matt klopfte Greg auf die Schulter. „Na los, wer als erster drüben ist.“
Die Stangen waren so breit, dass mindestens ein Dutzend Teilnehmer nebeneinander Platz fanden, und Matt, Aiden und Greg starteten gemeinsam. Der Rest des Teams wartete jetzt auf der anderen Seite und feuerte sie an.
„Na los, Greg! Du machst das großartig.“ Matt hatte am höchsten Punkt angehalten und schaute über die Schulter zurück.
„Scheiße, meine Arme bringen mich um“, keuchte Greg gequält.
„Von jetzt an geht’s bergab“, stieß Aiden hervor, selbst ganz außer Atem vor Anstrengung. Seine Arme fühlten sich an, als würden sie ihm gleich aus den Gelenken gerissen.
„Das schaff‘ ich nie.“
„Ich bin mir da auch nicht so sicher“, gestand Aiden.
Matt war schon fast durch; er legte den absteigenden Teil mit souveränen, rhythmischen Schwüngen zurück. Als er das Ende erreicht hatte, drehte er sich um, und Aiden richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf ihn. Er konzentrierte sich auf Matt und blendete den Schmerz aus, packte fester zu und versuchte, in Schwung zu bleiben, obwohl seine Finger fast von den Stangen abrutschten. Er hörte, dass die anderen alle Greg anfeuerten, aber Matt rief Aidens Namen.
„Ach, Mist!“, fluchte Greg und plumpste mit einem Aufschrei ins Wasser.
Aiden griff auf seine letzten Energiereserven zurück, und dann, wie durch ein Wunder, war er plötzlich über schlammigem Boden statt über Wasser, und Matt war da, fing ihn auf, als er sich fallen ließ, und umarmte ihn fest.
„Gut gemacht.“ Sein warmer Atem streifte Aidens Wange, und seine Hand lag für einen Moment fest auf Aidens Nacken, ehe er zurückwich.
„Ist Greg okay?“ Aiden drehte sich um und sah, dass Liv und Caitlin gerade dabei waren, Greg aus dem Wasser zu helfen. Greg grinste übers ganze Gesicht.
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich’s bis zur Hälfte schaffe, schon gar nicht bis drei Viertel! Das war der Hammer.“ Er stieß triumphierend die Faust in die Luft, und die anderen umringten ihn, klopften ihm auf die Schultern und gratulierten ihm.
Nach ungefähr neun Meilen kamen sie an ein weiteres Hindernis, bei dem man ins Wasser musste.
„Oh Gott“, grollte Aiden. „Meine Hoden sind nach dem Eisbad vorhin eben erst wieder runtergekommen.“
Das Eisbad hatte sich ungefähr auf halber Strecke des Rennens befunden, und es war darum gegangen, komplett in einem Trog unterzutauchen, in dem buchstäblich Eisbrocken herumschwammen.
„Dann ist das hier im Vergleich dazu wenigstens warm.“ Doch Liv keuchte auf, als sie sich in das brusttiefe Wasser fallen ließ, womit sie ihre Beteuerung so ziemlich widerlegte. „Okay... nicht direkt warm, aber kein Eis.“
Greg und Caitlin folgten ihr hinein, dann Rhys.
Matt zögerte immer noch. „Nach dir?“, fragte Aiden mit einer gespielt huldvollen Geste in Richtung der trüben Brühe.
Bei diesem Hindernis musste man sich auf dem Rücken liegend mit den Händen unter einem Drahtkäfig entlang durchs Wasser ziehen. Zwischen der Wasseroberfläche und dem Metallgeflecht waren nur wenige Zentimeter Raum zum Atmen.
Aiden betrachtete Matt genauer und registrierte die verkrampften Wangenmuskeln und die düstere Miene unter den Schlammspritzern.
„Hey, Matt.“ Matt hob den Kopf, und Aiden sah, dass echte Furcht in seinen Augen lag. Er trat näher und sagte leise: „Du kannst auch dran vorbeigehen, weißt du. Den anderen ist das egal.“
„Aber mir nicht.“ Matts Stimme klang gepresst.
Natürlich. Aiden wusste, wie streng Matt zu sich selbst war. Weniger als hundert Prozent war nicht akzeptabel.
„Okay, dann mal los, bevor die anderen was merken und sich fragen, wieso das so lange dauert.“
Sie stiegen gemeinsam ins Wasser. Die Kälte raubte Aiden den Atem, und als er sich auf den Rücken drehte und sich unter den Käfig zog, wurde ihm auf einmal ganz flau im Magen. Jetzt, wo er hier war, fühlte es sich weit schlimmer an, als es vom Ufer ausgesehen hatte. Plötzlich verstand er ein bisschen besser, was Matt empfand.
„Geht’s dir gut?“ Aiden drehte den Kopf zur Seite, um nach Matt zu sehen, und bekam prompt einen Schwall Wasser in die Nase. Ihre Ellbogen stießen zusammen, als Matt sich neben Aiden an den Maschendraht krallte.
„Ging mir schon besser.“
„Na komm. Du schaffst das. Ich lasse nicht zu, dass dir was passiert. Bleib einfach ruhig, atme und entspann dich.“
Matt stieß ein ersticktes Lachen aus, und Aiden fragte sich, ob Matts Gedanken gerade in dieselbe Richtung gegangen waren wie seine eigenen. Denn dieser gute Rat galt auch für andere Dinge im Leben.
„Auf geht’s. Eins, zwei, drei, vier…“ Aiden zählte Zug um Zug mit, während sie sich unter dem Käfig entlang hangelten. „Bist du noch bei mir?“
„Ja.“
Ihre Arme stießen erneut zusammen.
„Mach weiter.“
Die Strecke schien endlos, obwohl Aiden wusste, dass es in Wirklichkeit höchstens zwölf bis fünfzehn Meter waren. Aber wenn man in der eisigen Brühe festsaß und Mühe hatte, das Gesicht über Wasser zu halten, konnte man nicht nach vorn schauen und nachsehen, wie weit es noch war. Als Aiden endlich den Rand des Käfigs zu fassen bekam, wurde ihm ganz schwach vor Erleichterung. Und als er auftauchte, war Matt direkt neben ihm und schüttelte sich mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht das Wasser aus den Haaren.
„Gut gemacht.“ Aiden legte Matt einen Arm um die Schultern und umarmte ihn ruppig. Matt atmete zittrig, aber er erwiderte die Umarmung – länger, als Aiden erwartet hatte.
„Danke“, raunte er Aiden ins Ohr.
„Gern geschehen.“
„Ich störe eure Bromance ja nur ungern, Jungs, aber ihr blockiert den Parcours.“ Rhys‘ durchdringende Stimme unterbrach sie genau in diesem Moment, und Matt zog sich zurück.
Und es war eindeutig ein wichtiger Moment gewesen, aber Aiden war zu durchgefroren, nass und müde, um allzu viel darüber nachzudenken, was – wenn überhaupt – das jetzt bedeuten könnte.
Die nächsten paar Meilen verliefen ohne größere Missgeschicke.
Sie kamen mit viel Gelächter durch den Teil, wo sie einander tragen musste. Caitlin und Greg scheiterten bei dem Versuch, sich gegenseitig über der Schulter zu tragen, aber sie behalfen sich, indem sie sich huckepack nahmen.
Sowohl Matt als auch Aiden moserten lauthals darüber, wie schwer der andere war, aber sie schafften es ohne große Mühe, sich gegenseitig zu tragen. Und wenn Aidens Hand ein-, zwei Mal so von Matts Hintern abrutschte, dass die Berührung schon fast unanständig zu nennen war… nun ja, Matt beschwerte sich nicht. Genauso wenig wie Aiden, als Matt ihm sogar einen Klaps auf den Hintern gab, weil er nicht still hielt.
„Aber mein Schwanz ist eingeklemmt“, grummelte Aiden und verschob seine Hüften auf Matts Schulter.
„Hör auf zu zappeln, sonst schmeiß‘ ich dich in den Matsch.“
Er schmiss Aiden trotzdem in den Matsch, als er die Ziellinie erreichte, aber Aiden zog ihn mit runter und rang mit ihm, bis er ihn unter sich hatte. Dann kitzelte er ihn, bis Matt um Gnade flehte.
„Oh Gott, ihr zwei, nehmt euch doch ein Zimmer!“ Rhys lachte, und Aiden erstarrte, da er damit rechnete, dass Matt ausflippen würde. Aber Matt nutzte nur die Gelegenheit, um Aiden auf den Rücken zu werfen und ihm Schlamm unter das Shirt zu stopfen.
Das letzte Hindernis beinhaltete schon wieder ein komplettes Tauchbad.
Aiden und Rhys waren als erste oben, dicht gefolgt von Matt und Liv.
„Scheiße, von hier oben sieht’s aber verdammt weit aus bis nach unten.“ Aiden blieb dicht an der Kante stehen und versuchte, den Mut aufzubringen, von der fünf Meter hohen Plattform ins Wasser zu springen. Der Platz war begrenzt, und andere Leute quetschten sich durch, voll Ungeduld, es hinter sich zu bringen und das Rennen zu beenden.
„Na los, macht schon, ihr blöden Schlappschwänze!“, brüllte jemand von hinten aus dem Gedränge.
„Wird schon schiefgehen!“ Rhys sprang, landete mit einem mordsmäßigen Platsch im Wasser und blieb ein paar besorgniserregende Sekunden lang komplett verschwunden, bis er die Oberfläche durchbrach und ans Ufer schwamm.
„Springst du jetzt?“, fragte Matt.
„Ja“, antwortete Aiden. „Jeden Moment.“
Doch die Entscheidung wurde ihm aus der Hand genommen, als jemand hinter ihm offenbar die Geduld verlor und ihn und einen anderen Typen, der zufällig neben ihm stand, so heftig anrempelte, dass sie beide das Gleichgewicht verloren. Ehe Aiden wusste, wie ihm geschah, fiel er auch schon, verheddert mit dem anderen Mann, und das trübe Wasser sauste rasend schnell auf ihn zu und schlug über seinem Kopf zusammen.
Von Panik ergriffen drosch Aiden wild um sich; die Last des Körpers über ihm und die Gliedmaßen, die mit seinen durcheinandergerieten, hinderten ihn daran, an die Oberfläche zu kommen. Er wusste nicht einmal, wo oben und unten war. Wasser drang schmerzhaft in seinen Nebenhöhlen, und seine Lungen brannten. Beim Fallen hatte er vor lauter Schreck nicht einmal anständig Luft holen können, und für einen Moment packte ihn das nackte Entsetzen, als er gegen das Wasser und den Schlamm am Grund des Teichs ankämpfte, in dem er einfach keinen Halt fand, um sich abzustoßen.
Hände packten ihn, und er wehrte sich gegen sie, doch sie ließen nicht los, zerrten an ihm. Starke Arme schlossen sich um seinen Oberkörper und zogen, bis Aidens Kopf die Oberfläche durchbrach und er mit einem Aufkeuchen Luft in seine Lungen sog.
„Alles okay, dir geht’s gut.“ Es war Matts Stimme, und Matt schwamm mit ihm, brachte ihn ans Ufer, wo andere Leute bereits warteten, um ihn herauszuziehen. Wankend, unter Husten und Würgen, spuckte Aiden das Wasser aus, das er geschluckt hatte, und winkte ihre Besorgnis beiseite.
„Mir geht’s gut“, krächzte er. Er schaffte es, ein paar Schritte zur Seite zu stolpern, um den anderen Teilnehmern Platz zu machen, die aus dem Wasser stiegen. Sein Herz pochte wie wild, und er setzte sich hin und nahm den Kopf zwischen die Knie. Er glaubte, sich erbrechen zu müssen.
Liv und Greg kamen angelaufen und fielen neben ihm auf die Knie. Aiden hob den Kopf und hielt Ausschau nach Matt, um ihm zu danken, sah ihn aber nirgends. Laute Stimmen erregten seine Aufmerksamkeit.
Matt stellte gerade einen bulligen Riesenkerl zur Rede.
„Das war verdammt idiotisch, Leute mit Absicht zu schubsen. Du hättest ihn ersäufen können. Pass gefälligst besser auf.“
„Wenn dein Lover nicht den ganzen Verkehr aufgehalten hätte, hätte ich ihn nicht schubsen müssen.“ Der Typ grinste anzüglich auf Matt herab. Schlammverschmiert, wie er war, wirkte er mit seinen massigen Schultern und seinem grobschlächtigen Gesicht wie eine braune Version von Shrek.
Bei dem Wort „Lover“ zuckte Aiden zusammen, doch Matt ballte nur die Fäuste und sagte laut: „Und wenn er mein Lover ist, na und? Das ist wohl kaum relevant und ändert auch nichts daran, dass du ein blödes Arschloch bist.“
Fuck. Aiden fiel die Kinnlade herunter, und Liv gab neben ihm ein schockiertes Kichern von sich. „Gut so, Matt!“
Der Shrek-Klon runzelte die Stirn, als Matt ihm mit messerscharfer Logik kam, der er offensichtlich nichts entgegenzusetzen hatte. Aiden befürchtete schon, er würde stattdessen zu Taten greifen und Matt eine runterhauen, aber da wurde die Situation durch das rechtzeitige Eingreifen einer Ordnerin gerettet.
„Okay, regt euch ab.“ Eine Frau mit Warnweste ging mit erhobenen Händen dazwischen. „Hört auf. Ist ja nochmal gut gegangen. Aber…“ Sie fuhr herum und schnauzte Shrek an: „Wenn du nochmal sowas Gefährliches machst, bist du disqualifiziert.“
Shrek wandte sich ab und ging zu seinen missmutig dreinschauenden Teamkameraden zurück, die wütende Blicke in Matts Richtung warfen.
Matt ging auf Aiden zu und streckte ihm die Hand hin.
Aiden nahm sie und ließ sich von Matt hochziehen. Sie starrten einander an, und Aiden vergaß alles um sich herum, wie magisch angezogen von Matts eindringlichem Blick, der schockierend zärtlich und allein auf ihn konzentriert war.
„Du hast mich zu Tode erschreckt.“
Aiden wurde bewusst, dass Matt immer noch seine Hand hielt und sie nicht losließ. Er versuchte nicht, sie wegzuziehen.
„Ich hab‘ mich auch zu Tode erschreckt.“ Für einen Moment herrschte angespanntes Schweigen. „Du hast ihn glauben lassen, dass wir ein Paar sind.“
Matt zuckte die Achseln. „Dich fast ertrinken zu sehen hat mir vermutlich klargemacht, dass es Schlimmeres im Leben gibt als die Frage, ob jemand weiß, dass ich auf Männer stehe… naja, auf einen ganz bestimmten Mann.“ Unsicherheit lag in seinen Augen. „Wäre jetzt ein schlechter Moment, dich zu bitten, mir noch eine Chance zu geben? Das heißt, falls du immer noch bereit bist, deine ‚keine Beziehungen‘-Regel für mich zu brechen.“
Ein warmes Gefühl stieg in Aiden hoch und entfaltete sich in seiner Brust, und auf seinem Gesicht machte sich ein dümmliches Lächeln breit, das er nicht kontrollieren konnte.
„Ich glaube, für dich kann ich immer noch eine Ausnahme machen.“
Matt antwortete mit einem zutiefst erleichterten Lächeln. „Dem Himmel sei Dank.“ Er ließ Aidens Hand los, trat näher und umfasste stattdessen mit beiden Händen Aidens Gesicht. „Denn jetzt geht’s dir eindeutig gut, und deshalb kann ich Mund-zu-Mund-Beatmung nicht mehr als Ausrede für das hier benutzen.“ Er drückte die Lippen auf Aidens Mund und küsste ihn, lange und innig und entschlossen. Anfeuernde Rufe und Pfiffe brachen um sie herum los, doch Aiden ignorierte das und erwiderte Matts Kuss, packte ihn mit beiden Händen an den Hüften und drückte ihn an sich.
Schließlich rissen sie sich voneinander los, atemlos und grinsend, und wandten sich verlegen den überraschten und belustigten Gesichtern ihrer Teamkollegen zu.
Liv hüpfte auf und ab und klatschte in die Hände. „Ich freu‘ mich riesig für euch! Entschuldige, Matt… das hier kommt nicht völlig überraschend für mich, aber nimm es Aiden nicht übel, dass er dein Geheimnis verraten hat. Irgendwie hatte ich schon sowas vermutet, als er so unglücklich war, und dann habe ich ihn ausgequetscht. Aber das eben war total romantisch, wie im Film.“
„In Filmen gibt’s normalerweise nicht so viel Schlamm“, verwies Aiden.
„Aber ich dachte, du bist hetero!“, wandte Rhys sich an Matt. „Liv hat gesagt, dass du in Australien mit irgendeiner Tussi verlobt warst.“
Matt fasste hastig nach Aidens Hand, und Aiden drückte seine Finger, bot ihm stille Unterstützung.
„Ich bin bisexuell.“
Aiden drückte fester. Er war gerade verdammt stolz auf Matt, und ihm war immer noch ein bisschen schwummrig von dem Kuss… oder vielleicht auch von der Nahtoderfahrung.
„Oh.“ Rhys zuckte die Achseln. „Okay. Na dann. Also, nachdem wir jetzt dieses kleine Drama hinter uns haben, beenden wir nun dieses blöde Rennen oder was?“
„Bist du wieder fit, Aiden?“, fragte Matt.
„Ja. Auf geht’s.“
Es waren nur noch ein paar hundert Meter bis zum Ziel, und als sie die Ziellinie überquerten, hielten sie sich alle an den Händen und rissen unter Triumphgeschrei die Arme hoch. Dann drängten sie sich zu einem ausgepowerten Haufen zusammen, und es gab jede Menge Umarmungen und Schulterklopfen.
„Das war fantastisch!“ Gregs Gesicht war gerötet vor Siegesfreude. „Ich glaube, das war das Beste, was ich je gemacht habe.“
„Stimmt“, pflichtete Aiden ihm bei. „Danke, Liv, dass du mich nach dem Tequilagate nicht vom Haken gelassen hast.“
„Gern geschehen.“ Sie lachte, küsste ihn auf die Wange und verwuschelte ihm die Haare.
„Ich bin auch froh, dass du ihn nicht rausgelassen hast.“ Matt hatte den Arm fest um Aidens Taille, was ihn von innen heraus wärmte.
„Das möchte ich wetten.“ Rhys warf ihm einen vielsagenden Blick zu. „Kein Wunder, dass du deinen Trainingsplan so gut im Griff hattest. Obwohl – es hieß zwar, dass es bei diesem Rennen vor allem um den Zusammenhalt im Team geht, aber ich glaube, ihr zwei seid da ein bisschen weiter gegangen, als es von den Organisatoren beabsichtigt war.“
Aiden drehte sich zu Matt um, und sie grinsten einander an.
„Ja“, räumte Aiden ein. „Ich glaube, das sind wir.“