SECHSTES KAPITEL
DIE USA: ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT
»Wenn man am Ziel angekommen ist,
soll man nicht umkehren.«
PlutarchPlutarch
Die Exploration Upper Stage
des Space Launch Systems (SLS) mit der Orion-Kapsel,
das Teil des NASANASA-Programms zur Rückkehr zum Mond
und zur Erforschung des Weltraums ist.
Been there, done that – und eine Million junge Menschen haben
ein T-Shirt der NASANASA gekauft. Also warum noch einmal zurück?
Es ist länger als ein halbes Jahrhundert her, dass zum letzten Mal ein Mensch auf dem MondMond war. Eugene ›Gene‹ CernanCernan, Eugene spazierte am 14. Dezember 1972 auf der steinigen Oberfläche herum und war damit die elfte Person, die das tat. Seitdem haben die Amerikaner sich immer wieder gefragt, ob sie noch mal zurückkehren sollen.
Bei dieser Debatte gibt es die verschiedensten Antworten. Da sind diejenigen, die sagen, die Weltraumerkundung ist einfach zu teuer, die Menschheit solle sich lieber um die Probleme hier auf der Erde kümmern. Andere sind der Ansicht, wir sollten direkt auf den MarsMars losgehen, es habe Priorität, dass wir dort hinkommen. Im Moment aber haben sich die durchgesetzt, die sagen, wir sollten aus einer Vielzahl von Gründen zum MondMond zurückkehren, unter anderem, weil er der beste Zwischenstopp auf der Reise zum Roten Planeten ist. Und wieder einmal besteht die Absicht, dieses Ziel bis zum Ende eines Jahrzehnts zu erreichen.
Bezeichnend ist, dass es eine solche Debatte in ChinaChina nicht gibt. Dort wird es für selbstverständlich gehalten, dass die Weltraumerkundung ein entscheidender Bestandteil der nationalen Entwicklung ist. Da gibt es eine klare Zielvorstellung, die sich zum Beispiel in der Erklärung von Xi JinpingXi Jinping niederschlägt, dass China alle anderen Nationen überholen und 2045 die führende Weltraummacht sein will.
Natürlich wird das Politbüro in PekingPeking nicht von solchen Irritationen wie Meinungsumfragen, Oppositionsparteien und demokratischer Kontrolle der Staatshaushalte behindert. Das chinesische Raumfahrtprogramm ist in dieser Hinsicht stabil. Das amerikanische Gegenstück ist es nicht ganz so.
Die Raumfahrt fasziniert immer noch breite Schichten der amerikanischen Bevölkerung, aber als politisches Thema spielt sie bei Wahlen kaum eine Rolle und kann bei der Haushaltsplanung schnell mal vernachlässigt werden. Sie muss immer mit politischen Launen und ökonomischem Gegenwind rechnen. Manchmal ist sie in Mode und wird als Inspiration dargestellt, zu anderen Zeiten wird sie als teures Problem gesehen, das einem nur Ärger macht.
Das ließ sich vor allem nach den Mondlandungen sehr gut beobachten. Die amerikanische Technologie hatte triumphiert, und das Rennen zum MondMond war gewonnen. Aber dann ließ das Interesse nach, und die Mittel versiegten. Wie der amerikanische Autor Tom WolfeWolfe, Tom es treffend sagte: Die Mondlandung endete als »kleiner Schritt für Neil ArmstrongArmstrong, Neil, als großer Sprung für die Menschheit und für die NASANASA als Tritt in den Hintern«.
Aus Präsident KennedysKennedy, John F. Rede von 1962, die das Versprechen enthielt, bis zum Ende des Jahrzehnts einen Menschen zum MondMond zu schicken, sprachen der Optimismus und Schwung der Amerikaner zu Anfang der Sechzigerjahre. Was die amerikanische Raumfahrt angeht, hat es danach nie mehr so viel Zuversicht und Verständnis für die geopolitische Bedeutung des Weltraums gegeben, obwohl die Regierung von Ronald ReaganReagan, Ronald dem immerhin nahekam. Kennedys Pathos war allerdings zeitgebunden, und diese Zeit war der Kalte Krieg.
Die bemannten Mondlandungen fanden alle während der Präsidentschaft von Richard NixonNixon, Richard statt (1969–1974), auch wenn er das Apollo-Projekt von seinen Vorgängern übernommen hatte. Die NASANASA hatte schon damals ehrgeizige Pläne entwickelt, bis 1980 eine Basis auf dem MondMond zu errichten und bis 1983 Astronauten zum MarsMars zu schicken, aber NixonNixon, Richard beschloss, sie zu stoppen und sich stattdessen auf das Space Shuttle zu konzentrieren, das dann 1981 in Dienst gestellt wurde. Er nannte die sieben Tage der Apollo-11-Mission »die größte Woche in der Geschichte der Welt seit ihrer Erschaffung«, aber schon wenige Monate nach diesem Triumph erklärte er seinen Beratern, dass er keine Notwendigkeit sehe, immer wieder zum Mond zurückzukehren. Er war sich der Kosten und Gefahren der Apollo-Missionen bewusst und ahnte auch, dass die Öffentlichkeit das Interesse daran nach der ersten Mondlandung sehr bald verlieren würde.
So kam es, dass im Dezember 1972 Harrison »Jack« SchmittSchmitt, Harrison und Gene Cernan den vorerst letzten bemannten Flug zum MondMond unternahmen. Als CernanCernan, Eugene die letzten Schritte zum Landemodul machte, kniete er sich hin und malte die Initialen seiner Tochter in den Staub – TDC. Dann hielt er eine kurze Rede: »Wir werden wiederkommen, in Frieden und voller Hoffnung für die gesamte Menschheit.« Die Klappe ging zu, die Luke war wieder geschlossen, seine Finger lagen schon auf dem Startknopf, und die bisher letzten Worte, die auf dem Mond gesprochen wurden, lauteten: »Okay, Jack, let’s get this mutha outta here!«
Es war ein eigenartiges Ende für ein Projekt, das man als größte wissenschaftliche und technische Leistung der Menschheit betrachten kann. Als das Landemodul beim Orbiter andockte, hielt die Mannschaft eine Pressekonferenz ab. Die US-Fernsehsender machten sich nicht mehr die Mühe, sie auszustrahlen.
Der MondMond war Geschichte, und zwar eine teure. Die NASANASA brauchte jetzt etwas weniger Kostspieliges als eine Einwegrakete und Wegwerfmodule. Sie brauchte eine Alternative, die man gegenüber dem Weißen Haus besser vertreten konnte. Das wiederverwendbare Space Shuttle sollte eine solche preiswerte Alternative für die Vereinigten StaatenUSA sein, um Leute und nützliche Dinge in niedrige Erdumlaufbahnen zu bringen. Letzteres hat die NASA geschafft, aber die finanziellen Kosten lagen am Ende weit höher, als die Voranschläge besagt hatten, und die Kosten an Menschenleben enthüllten fatale technische Fehler der Konstruktion.
Der erste Testflug auf eine Umlaufbahn wurde im April 1981 unternommen, und in den nächsten dreißig Jahren folgten 134 weitere Einsätze. Zu den vielen Erfolgen zählt das Andocken an die Raumstation MIR. Auch das Hubble-Teleskop brachte das Space Shuttle in Umlauf. Und die ISSISS wurde ebenfalls von Space Shuttles mitgebaut. Die Explosion der Challenger im Januar 1986 dagegen war eine Katastrophe für das Programm. In seiner Ansprache zollte Präsident ReaganReagan, Ronald der Mannschaft Tribut: »Die Zukunft gehört nicht den Ängstlichen, sondern den Mutigen. Die Challenger-Mannschaft hat uns in die Zukunft gezogen, und wir werden ihr weiter folgen.« Eine Untersuchung ergab, dass die NASANASA sich offenbar zu sehr darauf verlassen hatte, dass die Shuttle-Technik kleinere Fehler überstehen würde. Deshalb wurde das Programm drei Jahre lang unterbrochen. Erst dann, nach etlichen Verbesserungen an den Boostern, die den Start unterstützen, wurde es fortgesetzt.
An der militärischen Front setzte ReaganReagan, Ronald auf die »Star Wars« – die Strategic Defense Initiative. Sie sollte ein System zur Abwehr von Interkontinentalraketen mithilfe von Laser- und Röntgenstrahlen aufbauen, die im Weltraum und auf dem Boden stationiert werden sollten. Das wurde allerdings nie verwirklicht. Es gab technische Schwierigkeiten und heftigen politischen Widerstand vor dem Hintergrund, dass man keinen weiteren Rüstungswettlauf mit der SowjetunionSowjetunion provozieren wollte. Ein Teil der technologischen Entwicklungen fand aber Eingang in heutige Abwehrtechnologien.
Präsident George H.W. BushBush, George H.W. sen. (1989–1993) unterstützte den Plan einer MondMond- und einer MarsMarsbasis, konnte den Kongress aber nie dazu bringen, die nötigen Mittel dafür zu bewilligen. Sein Nachfolger, Bill ClintonClinton, Bill (1993–2001), war in einer Zeit wirtschaftlichen Wachstums Präsident. Der Bau der ISSISS fiel in seine zweite Amtszeit, aber vom Mond oder noch weitergehenden Plänen war kaum die Rede.
Das änderte sich, als George W. BushBush, George W. (2001–2009) Präsident wurde. Im Februar 2003 ereignete sich erneut eine Katastrophe. Beim Wiedereintritt in die Atmosphäre zerbrach die Raumfähre Columbia, und erneut starben alle sieben Astronauten an Bord. Seit dem Jungfernflug im Jahre 1981 war es damit bei jedem 67. Einsatz des Shuttles zu einer tödlichen Katastrophe gekommen. Die NASANASA hatte versprochen, jeden Monat ein Shuttle in Umlauf zu bringen, aber in Wirklichkeit hatte sie Mühe, alle drei Monate eins zu starten. Außerdem waren die Kosten so hoch, dass die kommerziellen Satellitenbetreiber nach Alternativen suchten, um ihre Geräte in Umlauf zu bringen. Im Jahr darauf schlug Bush vor, die ganze Shuttle-Flotte außer Dienst zu stellen und stattdessen an einer Rückkehr zum MondMond bis 2020 zu arbeiten.
Die NASANASA erhielt Mittel zur Entwicklung eines modernen bemannten Raumschiffs, einer Mondlandefähre und zweier neuer Raketentypen. Der damalige Direktor der NASA, Michael Griffin, beschrieb die Pläne als »Apollo auf Steroiden«. Doch es sollte nicht sein. Es gab Verzögerungen und Kostenüberschreitungen. Die NASA gab neun Milliarden Dollar in fünf Jahren aus. 2009 wurde dann Barack ObamaObama, Barack Präsident, und der gehörte zur »Been there, done that«-Fraktion. Eine seiner ersten Handlungen bestand darin, der NASA die Mittel für den MondMond zu streichen. Stattdessen, sagte er, solle AmerikaUSA sich auf ein anderes Ziel konzentrieren (die Asteroiden) und sich dann dem MarsMars zuwenden. Es passierte nicht viel, und dann kam Donald TrumpTrump, Donald.
Präsident ObamaObama, Barack hatte die Pläne von George BushBush, George W. gekippt, jetzt kippte TrumpTrump, Donald die Pläne Obamas: Asteroiden waren out; der MondMond kam wieder in Mode. Dabei ging es Trump nicht nur darum, Obamas Pläne vom Tisch zu wischen. Die Weltraumfahrt war billiger geworden, die Technik hatte sich weiterentwickelt, und man hielt es für denkbar, dass es Wasser und seltene Erden auf dem Mond gab. Außerdem sah es so aus, als ob ChinaChina den großen Sprung wagen würde.
Das Artemis-Programm, das TrumpTrump, Donald im Dezember 2017 mit der Space Policy Directive 1 in Gang setzte und im Mai 2019 öffentlich verkündete, zielt darauf ab, noch in diesem Jahrzehnt Männer und Frauen zum MondMond zu bringen und dort irgendwann nach 2030 auch eine Basis zu bauen, ehe es weiter zum MarsMars geht. Der amerikanische Steuerzahler soll 93 Milliarden Dollar dafür berappen.
Joe BidenBiden, Joe, der den Plan 2021 erbte und im Gegensatz zu vielen anderen Projekten seines Vorgängers übernahm, übergab ihn Vizepräsidentin Kamala HarrisHarris, Kamala mit der Bitte, sich darum zu kümmern. Das Projekt läuft immer noch und die Regierung steht auch zum geplanten Budget, aber es ist schon sehr bezeichnend, dass der Präsident selbst es weitgehend ignoriert und sich mehr auf die militärischen und kommerziellen Aspekte der US-Weltraumpolitik konzentriert.
Das entspricht auch ungefähr den Prioritäten der Öffentlichkeit. 1969 waren noch 53 Prozent der Amerikaner der Ansicht, dass die US-Weltraumpolitik ihr Geld wert ist, aber Mitte der Siebzigerjahre waren es nur noch 40 Prozent. In den Achtzigerjahren waren es dann wieder über 50 Prozent. Eine Untersuchung von Morning Consult im Jahr 2021 ermittelte, dass nur 24 Prozent der Befragten das NASANASA-Budget für zu hoch hielten. Dieselbe Umfrage untersuchte auch die Prioritäten der Teilnehmer. 63 Prozent waren der Ansicht, die Weltraumpolitik sollte dem Kampf gegen die Klimakatastrophe dienen, während 62 Prozent glaubten, die Überwachung von Asteroiden, die der Erde gefährlich werden könnten, sei ihre wichtigste Aufgabe. Nur ein Drittel der Befragten war der Ansicht, man solle vor allem Astronauten zum MondMond und zum MarsMars schicken.
Diese Zahlen zeigen Prioritäten, kein grundsätzliches Desinteresse an der Raumfahrt. In vielen Ländern geht man davon aus, dass die Raumfahrt eine Sache des Staates ist, aber die USAUSA sind ein Sonderfall. Amerikaner halten es durchaus für denkbar, dass Privatunternehmen ins Rennen gehen und womöglich noch besser in der Lage sind, die gewaltigen Herausforderungen zu meistern, die sich bei der Raumfahrt stellen. Die Ursache dieser Haltung ist klar. Im kommerziellen Bereich sind die Amerikaner führend. Ihre Unternehmen konkurrieren und investieren, was das Zeug hält, nachdem sie die Chancen und Risiken einer Suche nach Bodenschätzen auf anderen Himmelskörpern geprüft haben.
Außerdem hat sich bei Befragungen herausgestellt, dass die Amerikaner mehrheitlich glauben, dass ChinaChina eine »große Bedrohung« für die amerikanische Vorherrschaft im Weltraum ist, die sie unbedingt weiter sichern wollen. Aber wenn es um den Bau einer Mondbasis geht, erscheint es ihnen nicht so dringend, das Weltraumrennen zu gewinnen, wie damals im Kalten Krieg. Nur im militärischen Bereich sind die USAUSA fest entschlossen, jede Herausforderung von China oder RusslandRussland anzunehmen.
*
Im letzten Kapitel haben wir die Weltraumpolitik und Ziele der chinesischen Regierung betrachtet. Die der Vereinigten StaatenUSA sind auffallend ähnlich. Das ist sowohl gut als auch schlecht. Gut insofern, als beide Seiten jetzt von Zusammenarbeit reden. So heißt es im Space Priorities Framework 2022 der USAUSA, sie wollten »zeigen, wie Aktivitäten im Weltraum in verantwortlicher, friedlicher und nachhaltiger Weise erfolgen können«. Aber gleichzeitig steht da: »Die Vereinigten StaatenUSA werden ihre führende Rolle bei der globalen Steuerung der Weltraumaktivitäten verstärken.« Nein, werden sie nicht, wenn es nach ChinaChina und RusslandRussland geht.
In dem amerikanischen Dokument werden die beiden nicht einmal erwähnt, aber auf wen der folgende Absatz zielt, ist nicht schwer zu erkennen: »Die Militärdoktrinen konkurrierender Staaten beschreiben den Weltraum als entscheidend für eine moderne Kriegführung und betrachten den Aufbau von Anti-Weltraum-Kapazitäten als ein Mittel, um die militärische Effizienz der USAUSA zu verringern und künftige Kriege so zu gewinnen.« Um jeden Angreifer abzuschrecken, heißt es weiter, »werden die Vereinigten StaatenUSA den Übergang zu einer resilienteren Haltung bei der nationalen Sicherheit im Weltraum beschleunigen.«
Die Spannungen wachsen jetzt schon seit einiger Zeit. Kurz nachdem die ChinesenChina im Jahre 2007 einen ihrer eigenen Satelliten abgeschossen hatten, konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Amerikaner ihnen zeigen wollten, dass sie so etwas auch können. Es ist aber auch möglich, dass sie einen anderen Grund dafür hatten, warum sie einen ihrer streng geheimen Spionagesatelliten vom Himmel holten.
Am Abend des 20. Februar 2008 um 22 Uhr 26 jedenfalls stieg vom Lenkwaffenkreuzer USS Lake Erie eine Rakete auf und verschwand in der Dunkelheit. Vier Minuten später traf sie in einer Höhe von 247 Kilometern den Satelliten USAUSA-193. Dieser Satellit hatte sein Verfallsdatum bei weitem noch nicht überschritten, sondern war ein State-of-the-art-Gerät, vollgepackt mit der neuesten geheimen Spionageausrüstung. Allerdings hatten die Amerikaner kurz nach seinem Start ein Jahr zuvor die Kontrolle über den Satelliten verloren, der immerhin so groß wie ein Autobus war. Das Risiko, dass Trümmerteile zur Erde fallen könnten, war nicht sehr groß, aber es befanden sich noch an die 500 Kilogramm hochgiftiges Hydrazin in den Tanks (diese bestanden allerdings aus Titan, und das hat einen sehr hohen Schmelzpunkt). Die NASANASA informierte den Präsidenten, dass die Wahrscheinlichkeit von Todesopfern bei einem unkontrollierten Wiedereintritt in die Erdatmosphäre deutlich höher sein könnte als sonst. George BushBush, George W. genehmigte daraufhin die »Operation Burnt Frost« und damit den Abschuss des Satelliten.
Die Aufgabe für die US Navy bestand jetzt darin, ein Ziel zu treffen, das sich höher als jedes andere befand, das sie jemals anvisiert hatte, und sich obendrein noch viel schneller bewegte als alles, woran das Aegis-Combat-System zur Abwehr ballistischer Raketen der Lake Erie sich jemals versucht hatte. Und es war auch nicht bloß eine Übung. Die Amerikaner mussten unbekanntes Gebiet betreten. Sie zielten auf die Treibstofftanks des Satelli-
ten. Ein Streifschuss hätte womöglich nicht ausgereicht. Die Geschwindigkeit ihrer Rakete kurz vor dem Aufschlag betrug über 35 000 Stundenkilometer. Sie führte zu einer gewaltigen Detonation. Der Treibstoff explodierte in einem grellen Blitz. Trümmerteile wurden herumgeschleudert, wenn auch nicht im selben Maße wie ein Jahr zuvor beim Einsatz der chinesischen KKV.
PekingPeking und MoskauMoskau betrachteten Operation Burnt Frost als Fortsetzung von Amerikas Kalten-Kriegs-Aktivitäten im Weltraum. Vielleicht war die Aktion nicht als Eintritt in die heutige Ära der Antisatellitenwaffen gedacht, aber de facto war sie es eben doch. Die militärischen Kapazitäten der USAUSA in diesem Bereich haben sich seither alljährlich verbessert.
2019 gründete die Regierung dann die US Space ForceUS Space Force (USSF), die neueste Einheit der amerikanischen Streitkräfte neben der Army und Navy, den Marines, der Coastguard und Air Force. An ihrer Spitze steht ein Vier-Sterne-General, der auch den Joint Chiefs of Staff angehört. Die Space ForceUS Space Force ist für die GPS-Satelliten zuständig, die Raketenstarts feststellen können, und verfügt über Störsender, die den Funkverkehr gegnerischer Satelliten blockieren können. Außerdem verfolgt sie den Weltraumschrott.
Das Budget der Space ForceUS Space Force, etwa 26 Milliarden Dollar im Jahr, wird im selben Maße wachsen, wie sich die Erkenntnis durchsetzt, was für eine zentrale Rolle der Weltraum in der modernen Kriegführung spielt. Zurzeit ist die Space ForceUS Space Force mit nur 16 000 militärischen und zivilen Mitarbeitern, die auf Stützpunkte im ganzen Land und drei Hauptquartiere (im Pentagon, in Cheyenne Mountain in ColoradoColorado und der Air Force Base in Los AngelesLos Angeles) verteilt sind, noch die kleinste Teilstreitkraft der USAUSA. Als ziemlich junge Organisation hat sie keine ausgeprägte institutionelle Kultur, aber als Start-up kann sie eine Menge unkonventionelles Denken entwickeln. Für das Logo hätte man sich allerdings etwas Besseres überlegen sollen. Es ist so gnadenlos vom »Starfleet Command« aus der Serie Star Trek abgekupfert, dass George TakeiTakei, George (alias »Sulu«) sich zu der Bemerkung veranlasst sah: »Eigentlich müssten die uns eine Lizenzgebühr zahlen …« Das Motto (mit Alliteration) ist etwas besser gelungen: Semper supra (»Immer oben«).
Seit der Gründung der Space ForceUS Space Force gibt es Diskussionen über ihre Aufgaben. Kritiker sagen, mit ihr werde der Weltraum militarisiert, aber sie lassen dabei außer Acht, dass der Weltraum bereits in dem Augenblick militarisiert wurde, als die Menschheit die Atmosphäre zum ersten Mal durchstieß. Die Space Force wurde aus Personal rekrutiert, das zuvor dieselbe Arbeit schon bei der Air Force gemacht hatte. Und Spionagesatelliten haben sowohl die Sowjets als auch die Amerikaner bereits in den Jahren des Kalten Krieges eingesetzt. Das Mantra: »Der Weltraum ist eine Kampfzone« klingt vielleicht aggressiv, ist aber auch Tatsache.
Praktisch allerdings stellt sich die Frage, ob die Space ForceUS Space Force militärische Mittel bis in den tiefen Weltraum hineintragen und dort stationieren oder nur die traditionellen Streitkräfte durch Überwachung, Raketenwarnungen, Kommunikation, Positionsbestimmung und Navigation unterstützen soll. Im Moment scheint der letztgenannte Ansatz noch vorzuherrschen. Obwohl der Name »Space ForceUS Space Force« Visionen von amerikanischen Raumgleitern heraufbeschwört, die Laserstrahlen auf feindliche Bunker in Mondkratern abfeuern, sieht es gegenwärtig so aus, als ob die sehr viel größeren traditionellen Teilstreitkräfte weiterhin die etwaigen Gebietsstreitigkeiten austragen und deshalb auch die offensive Seite des Weltraumkriegs unter ihrer Aufsicht behalten müssen.
In militärischer Hinsicht sind die USAUSA der Volksrepublik ChinaChina klar überlegen – aktuell jedenfalls. 2021 allerdings warnte General David D. ThompsonThompson, David D.: »Die Tatsache, dass sie ihre Weltraumkapazitäten durchschnittlich doppelt so schnell bauen, in Dienst stellen und modernisieren wie wir, führt letztlich dazu, dass sie uns sehr bald schon übertreffen werden, wenn wir unsere Kapazitäten bei der Entwicklung und beim Bau nicht beschleunigen.« Als Zeitpunkt dafür nannte er 2030. General Thompsons Vorhersage kann natürlich eintreffen, aber China hat noch einen langen Weg vor sich, wenn seine Streitkräfte auch nur annähernd die Kapazitäten der US-Streitkräfte erreichen sollen. Chinas Budget für militärische Aktivitäten im Weltraum unterliegt der Geheimhaltung, ist aber mit ziemlicher Sicherheit deutlich geringer als das der USA. Anfang 2023 waren etwa 4900 aktive Satelliten im Weltraum; davon gehörten fast dreitausend den Amerikanern. Die ChinesenChina hatten nur etwa fünfhundert.
WashingtonWashington investiert viel Geld in Frühwarnsatelliten, deren Sensoren die Infrarotstrahlung erkennen, die beim Start von ballistischen und Hyperschallraketen entsteht. Diese Signaturen übermitteln sie verschlüsselt und in Echtzeit an die militärischen Kommandostellen am Boden. Sie sind Teil des »Tracking Layers« von Satelliten, den die USAUSA in den Unteren Erdumlaufbahnen aufbauen. Die Amerikaner hoffen, dass sie bis 2028 etwa hundert dieser Satelliten als Schutzschild gegen lenkbare Hochgeschwindigkeitswaffen in Stellung gebracht haben.
Auch für die Entwicklung von Laserwaffen, die im Weltraum positioniert werden können, wird eine Menge Geld ausgegeben. Die Navy hat schon seit 2014 ein Laserwaffensystem. 2022 wurden dessen neue, stark erweiterte Fähigkeiten erfolgreich demonstriert, als die Navy einen elektrischen Hochenergie-Laser benutzte, um eine extrem schnelle Cruise-Missile vom Himmel zu holen. Ein unsichtbarer Energiestrahl richtete sich auf die Rakete. Wenige Sekunden später begann die getroffene Stelle zu glühen, eine Rauchwolke quoll aus dem Triebwerk, dann trudelte sie herunter. Wenn so ein Lasersystem erst einmal steht, kostet der eigentliche »Schuss« nur ein bisschen Elektrizität für ein paar Dollar. Der Preis für eine einzige Lenkrakete dagegen kann bei zehn- oder gar hunderttausenden Dollar liegen. So viel bekannt ist, sind alle Laser bisher am Boden stationiert worden. Aber wenn eine Nation damit beginnt, ihre Satelliten mit Strahlwaffen auszurüsten, werden die anderen sicherlich folgen.
Ein Wachstumsbereich sind auch die gar nicht so geheimen wiederverwendbaren Raumgleiter. Die Space ForceUS Space Force ist jetzt zuständig für die unbemannte Boeing X-37B, die bei ihrem wohl sechsten Flug mehr als zwei Jahre im Weltraum verbracht hat. Was sie da oben macht, ist bisher, wie gesagt, noch streng geheim. Die blasse Mitteilung der Space ForceUS Space Force, dass es nur um »ein experimentelles Versuchsprogramm zur Entwicklung einer zuverlässigen, wiederverwendbaren, unbemannten Raumplattform« geht, widerspricht der russisch-chinesischen Anschuldigung jedenfalls nicht, dass es sich um eine Waffe handelt. Während der Operation erklärte der Direktor einer russischen Rüstungsfabrik, dass der Raumgleiter drei Atombomben an Bord habe, die aus dem Orbit auf MoskauMoskau geworfen werden sollen.
Da diese Behauptung sowohl physikalischen Gesetzen als auch der militärischen Taktik widerspricht, klingt sie ziemlich unwahrscheinlich und albern. Die Vermutung, dass der Raumgleiter der Spionage dient, ist hingegen weniger weit hergeholt, aber so ganz versteht man nicht, was er besser können soll als ein Satellit. Es ist durchaus möglich, dass die X-37B einen militärischen Zweck hat, aber dass man sie mit Kernwaffen belädt, ehe sie mit tausenden Litern Treibstoff losdüst, ist eher unwahrscheinlich. Ich weiß nicht, was sie kann. Aber ich hätte gern eine.
Was immer bei der Space ForceUS Space Force geplant ist – sie hat sich viel vorgenommen. Am 10. August 2020 wurden die Aufgaben in der Spacepower: Doctrine for Space Forces näher beschrieben. »Bisher«, heißt es da, »waren die Grenzen des Aufgabengebiets der erdnahe Raum bis etwa zu den geostationären Umlaufbahnen (22 236 Meilen). Da sich die neuen Operationen jetzt aber auf den cis-lunaren Bereich erweitert haben, wird sich auch das Aufgabengebiet der USSF auf 272 000 Meilen und darüber hinaus erweitern – und sich damit mehr als verzehnfachen.« Das »und darüber hinaus« hat keine Begrenzung mehr.
Die neue Doktrin besagt eindeutig, dass die bisherige Domäne der NASANASA jetzt auch dem Militär gehört. Das heißt: Wenn die Konkurrenz auftaucht, wird die Space ForceUS Space Force zur Stelle sein. Aber das Gebiet ist absolut riesig. Schon die Satelliten auf den Unteren Erdumlaufbahnen im Auge zu behalten, ist schwer genug. Doch die Weltraummächte werden jetzt auch wissen wollen, was die Konkurrenz zwischen dem Satellitenbereich und dem MondMond macht.
Beide Bereiche sind natürlich verknüpft. Wenn eine Nation die totale Kontrolle über die Unteren Erdumlaufbahnen erlangt, könnte sie theoretisch verhindern, das andere überhaupt in den cis-lunaren Raum reisen können. Und wegen der riesigen Entfernungen könnten auf der Erde basierte Radarstationen und Teleskope auch nicht den gesamten Verkehr überwachen, der da oben stattfinden würde. Vorläufig kontrollieren sie nur die Unteren Erdumlaufbahnen. Sie können auch nicht sehen, was hinter dem MondMond und am Lagrange-Punkt 2Lagrange-PunkteL2 stattfindet, von dem aus Chinas Satellit die Rückseite des Mondes dauerhaft im Auge behalten kann, auf der es ja seine Mondbasis bauen will.
Militärische Satelliten in solcher Höhe zu stationieren, hunderttausende Kilometer entfernt von der Erde, verschafft dem Ersten, der dort ist, einen deutlichen Vorteil. Zunächst mal dienen sie vielleicht nur der Überwachung, aber die Konkurrenten befürchten wahrscheinlich sehr bald, sie könnten bewaffnet sein und auf ihre Satelliten und Raumfahrzeuge »herunterfeuern«. Es hat ja keinen Sinn, auf dem MondMond eine Basis zu bauen, wenn man nicht dort hin- und auch wieder zurückfliegen kann, weil gegnerische Kräfte im Weg sind.
Die Space ForceUS Space Force ist jedenfalls ehrgeizig. Sie will ein System von »cis-lunaren Highway-Patrouillen« aufbauen, heißt es. Deren Akronym CHPS erinnert an eine etwas kitschige Fernsehserie aus den Siebzigerjahren, aber zum Glück für die Space ForceUS Space Force weiß das wahrscheinlich keiner mehr. Für ihre CHPS braucht sie vermutlich ein einsames Raumschiff, das »abseits der Massen« im Weltraum herumdüst und AmerikaUSA hinter dem MondMond verteidigt. Diese himmlische Verkehrsstreife hätte bestimmt viele wichtige Aufgaben. »Sie haben jede Menge kostbare Metalle an Bord? Wir begleiten Sie, Ma’am! Sie gefährden sich und andere mit Ihrem Flugverhalten? Halten Sie doch bitte mal an, Sir! Außer Kontrolle geratener Satellit in der falschen Richtung? Schalten Sie besser die Warnblinkanlage ein!«
Auf dem MondMond könnte die Highway-Patrol allerdings keine Polizeiwache einrichten, denn im Weltraumvertrag heißt es ausdrücklich: »Die Errichtung militärischer Stützpunkte, Anlagen und Befestigungen, das Erproben von Waffen jeglicher Art und die Durchführung militärischer Übungen auf Himmelskörpern sind verboten.« Andererseits darf man das auch nicht so eng sehen, denn schon die nächsten Sätze lauten: »Die Verwendung von Militärpersonal für die wissenschaftliche Forschung oder andere friedliche Zwecke ist nicht untersagt. Ebenso wenig ist die Benutzung jeglicher für die friedliche Erforschung des Mondes und anderer Himmelskörper notwendiger Ausrüstungen oder Anlagen untersagt.« Na also! Die netten NASANASA-Leute, die auf dem Mond ihre friedlichen Forschungen durchführen, brauchen doch etwas Schutz. Und angesichts der derzeitigen kritischen Situation in der … und im Bereich des … [an dieser Stelle bitte beliebige kritische Situationen einfügen, wie es sie zuverlässig jedes Jahr gibt] müssen wir leider …
Man kann wohl kaum darauf hoffen, dass die drei großen Weltraummächte keine aktuellen Machbarkeitsstudien zum Bau von militärischen Stützpunkten auf dem MondMond in ihren Panzerschränken bereitliegen haben. Schließlich haben die Sowjets und die Amerikaner schon im Kalten Krieg darüber nachgedacht, was da so möglich wäre. Ein inzwischen freigegebenes ehemals geheimes Dokument der Amerikaner schwärmte zum Beispiel von einem unterirdischen Stützpunkt auf dem Mond, wo ein Earth Bombardement System stationiert werden könnte. Etwas Derartiges scheint es in den Planungen der Großen Drei derzeit zwar nicht zu geben, aber wenn eine Nation damit anfängt, strategische Positionen auf dem MondMond zu besetzen, wo es potenziell Wasser, Helium, Titan und andere Schätze gibt, und den anderen Ländern sagt, sie sollen da wegbleiben, macht das eine militärische Konfrontation sehr wahrscheinlich. Genau definierte Vereinbarungen und vertrauensbildende Maßnahmen sind daher dringend erforderlich. Ohne sie wird das Ideal eines friedlichen Erdtrabanten für uns alle bald unter den Stiefeln einer neuen Generation von Astronauten, Kosmonauten und Taikonauten zu Mondstaub zertrampelt werden.
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Die NASANASA wird also künftig auf dem Weg zum MondMond unterstützt von der Space ForceUS Space Force. Die zivilen und militärischen Aktivitäten der Amerikaner im Weltraum sind jetzt ein Crossover, auch wenn beide Seiten sich bemühen, den größeren Teil ihrer Tätigkeiten getrennt zu halten. Aber wenn es um Astronauten geht, ist die Zahl der qualifizierten Kandidaten begrenzt. Traditionell kommen sie aus den Streitkräften und sind Männer. Aber das Team, das die NASA im Jahr 2020 für das Artemis-Projekt vorstellte, war ein Zeichen ihrer Bemühung um Diversität. Von den achtzehn Kandidaten, die für eine Rückkehr zum Mond nominiert worden sind, waren nur zehn aktive Soldaten, neun waren Frauen und vier waren People of Colour. Die erste Frau und die erste nichtweiße Person auf dem Mond sollen aus den USAUSA kommen.
Die Hautfarbe und das Geschlecht sind aber nicht der einzige Unterschied im Vergleich zu den ersten sechs Mondlandungen. Ein anderer sind die Computer. Als ArmstrongArmstrong, Neil den ersten und CernanCernan, Eugene den letzten Schritt auf dem MondMond machten, waren die Computer, die sie da hingebracht hatten, einige Millionen Mal schwächer als ein heutiges Smartphone. Aber der wichtigste Unterschied zu damals ist: Dieses Mal kommen wir, um zu bleiben.
Den größten Teil des Weges werden die Astronauten in der Orion-Kapsel in der Spitze des Space Launch Systems (SLS) zurücklegen, der stärksten Rakete, die je von der NASANASA gebaut wurde. Die SLS konkurriert mit dem Starship von SpaceXSpaceX, und obwohl die NASA ihr Riesenbaby nur ungern aufgeben wird, soll später das Starship eingesetzt werden, weil es so konstruiert ist, dass man es mehrfach benutzen kann, was die Kosten vermindert. Ein weiterer Bestandteil des Plans ist die Lunar-Gateway-Raumstation, die den MondMond umkreisen und als Andockstation für die Orion benutzt werden soll. Das Gateway ist ein Joint Venture von NASA und ESAESA sowie der kanadischen und der japanischen Raumfahrtorganisationen. Ihre Module werden Stück für Stück von schweren Falcon-Raketen von SpaceX in den Mondorbit gebracht werden. Auf dem Gateway können die Astronauten in das Human-Landing-System umsteigen, mit dem sie zur Mondoberfläche hinuntergelangen. Bei der Rückreise verläuft der Prozess umgekehrt.
Das Gateway ist der Schlüssel für das Projekt. Es wird auf einer stark elliptischen Bahn um den MondMond unterwegs sein. Das bedeutet, dass es dem Mond zeitweilig sehr nahekommen wird, was die Landung auf dessen Oberfläche erleichtert. Andererseits gibt es auf seiner Bahn aber auch erdnahe Punkte, was die Aufnahme von Fracht und Astronauten vom Mutterplaneten ermöglicht. Wenn das funktioniert, könnte man bei einer Landung auf dem MarsMars dieselbe Methode benutzen. Das Konzept besteht darin, die Abhängigkeit von der Erde zu verringern.
Am Gateway gibt es ein Modul, das als Habitation-and-Logistics-Outpost (HALO) bezeichnet wird. In diesem Modul können sich Astronauten zwischen ihren Besuchen auf der Mondoberfläche bis zu neunzig Tage lang erholen und wissenschaftliche Experimente durchführen. Der HALO wird auch als Relais für die Kommunikation zwischen Erde und MondMond dienen; außerdem werden die Mond-Rover von hier aus kontrolliert.
Eine der wichtigsten Aufgaben an Bord des HALO besteht aber darin, die Strahlung zu messen. Denn sobald die Astronauten das Magnetfeld der Erde verlassen, sind sie hochenergetisch geladenen Teilchen ausgesetzt, die ein hohes Krebsrisiko mit sich bringen und das zentrale Nervensystem schwer schädigen können. Die ISSISS kreist in einer niedrigen Umlaufbahn um die Erde, was die Strahlung erheblich vermindert. Das Gateway wird dagegen viel höherer Strahlung ausgesetzt sein. Die Bauweise soll die Besatzung abschirmen, aber trotzdem wird die Strahlung ständig gemessen, um die Wirkung von länger anhaltender Radioaktivität auf den menschlichen Körper zu kontrollieren.
Das Gateway sollte im Jahr 2030 fertiggestellt und hinreichend erprobt sein. Die ersten Astronauten könnten da bereits auf dem MondMond sein. Der Artemis-Zeitplan ist ein paarmal ins Rutschen gekommen, aber der Start der unbemannten Artemis-1-Mission im November 2022 mit der Schwerlast-SLS-Rakete war ein voller Erfolg. Die Orion-Kapsel wurde 64 000 Kilometer hinter den Mond geschossen und stellte damit einen neuen Rekord für Raumfahrzeuge auf, die Menschen befördern sollen. Der kleine Mondorbiter Capstone, der lediglich so groß wie eine handelsübliche Mikrowelle ist und herausfinden soll, wo das Gateway gebaut werden kann, erreichte seine elliptische Mondumlaufbahn bereits am 14. November 2022.
Der Landeplatz auf dem MondMond muss noch bestimmt werden, aber man erwartet, dass in der Nähe des Südpols gesucht wird. Das wäre insofern neu, als die Astronauten bisher weder am Nord- noch am Südpol gewesen sind. Die Planer suchen auch noch nach der besten Stelle für das Artemis-Basislager, das die Astronauten zunächst nur für ein paar Tage aufnehmen, dann aber zu einer richtigen Mondstation ausgebaut werden soll – mit Wohnquartieren, Strahlungsschutzschilden, Kommunikationssystemen, Energieversorgung, Fahrzeugen und einem befestigten Landeplatz.
Angesichts der langen Zeit, die der Einzelne dort zubringen muss, und der gewaltigen Temperaturschwankungen zwischen den im Schatten liegenden und den von der Sonne bestrahlten Gebieten, hat die NASANASA verschiedene private Firmen beauftragt, eine neue Generation von Raumanzügen, Rovern und Kameras zu entwickeln. Die ersten amerikanischen Raumanzüge waren aufgemotzte Pilotenanzüge der Air Force für Flüge in großen Höhen. Aber seither war jede Generation eine starke Verbesserung gegenüber der früheren, und die neueste Entwicklung ist noch mal eine Verbesserung gegenüber den Anzügen, die bei den Ausflügen aus der ISSISS benutzt wurden. Die NASA nennt sie Exploration Extravehicular Mobility Units oder xEMUs. »Artemis-Raumanzüge« wäre vielleicht nicht ganz so schwierig gewesen.
Auf den ersten Blick sehen sie fast so aus wie die Raumanzüge, die AldrinAldrin, Edwin und ArmstrongArmstrong, Neil getragen haben, aber die xEMUs sind nicht so beengend. Sie verschaffen den Astronauten erheblich mehr Beinfreiheit, und auch die Hüften und Arme können sie darin freier bewegen. Die Träger brauchen nicht mehr herumzuhüpfen wie Häschen, sondern können regelrecht laufen und sogar Gegenstände über den Helm heben. Frühere Anzüge füllten sich nach und nach mit dem Kohlendioxid, das die Träger ausatmeten, während die neuen Anzüge es in die Umgebung pumpen, wenn zu viel davon in der Atemluft ist. Die Verkleinerung der elektronischen Geräte hat es zudem erlaubt, verschiedene Sicherheitsvorkehrungen im Rucksack in doppelter Ausführung einzubauen. Fehlfunktionen werden mit optischen und akustischen Signalen gemeldet. Auch das Kommunikationssystem im Helm wurde vollständig überarbeitet. Es umfasst jetzt eine HD-Kamera und sprachgesteuerte Mikrofone, die eine High-Speed-Datenverbindung zum Kontrollzentrum herstellen. »NASANASA, bitte spiel mir Simon and Garfunkel, Homeward Bound.«
Die Anzüge schützen vor Strahlung und sind für Temperaturen von –150° Celsius bis +120° Celsius geeignet. In Notfällen bieten sie eine Überlebensgarantie von sechs Tagen. Die NASANASA nennt sie »personalisierte Raumschiffe«. Trotz all dieser technischen Tricks des 21. Jahrhunderts werden die furchtlosen Astronauten aber immer noch Windeln tragen.
Auch bei den neuen Mondfahrzeugen achtet man darauf, dass sie nicht leckschlagen. Wie die »MondMond-Buggies« des letzten Jahrhunderts sehen die Space Exploration Vehicles (SEVs) aber auch nicht mehr aus. Die neuen Modelle haben Druckkabinen, die es gleich zwei Astronauten erlauben, weite Strecken ohne ihre Raumanzüge zu fahren, mit einer Geschwindigkeit von zehn Kilometern pro Stunde, dann auszusteigen und ein bisschen spazieren zu gehen.
Das alles kostet natürlich. Aber verglichen mit den Ausgaben im Kalten Krieg ist es relativ billig. In den Sechzigerjahren machte das Budget der NASANASA vier Prozent des amerikanischen Staatshaushalts aus, heute liegt es so circa bei einem halben Prozent. Der Unterschied ist der, dass man damals dachte, die Sowjets beim Rennen zum MondMond zu schlagen sei jeden Preis wert. Außerdem sind die Kosten dadurch niedriger geworden, dass die NASA nicht mehr alles allein entwickelt, sondern auch die Dienste privater Firmen in Anspruch nimmt, was die Raketenstarts billiger macht.
Alle Stufen des Artemis-Programms, von der Trägerrakete bis zu den Rovern, finden unter Beteiligung von Privatfirmen statt. Manche sind zufrieden mit einer Rolle als Zulieferer, andere wollen auch ihre eigene Raumfahrt betreiben und damit Profit machen.
SpaceXSpaceX hat von der NASANASA den Auftrag erhalten, die Landefähre zu bauen, mit der die Astronauten sich vom Gateway zur Mondoberfläche hinunterbewegen können. Dieses Modul bringt jetzt schon amerikanische Astronauten zur ISSISS. 2010 wurde SpaceX zum ersten Privatunternehmen, das eigene Raumfahrzeuge startet, betreibt und zurückholt. Zwei Jahre später war es das erste Privatunternehmen, das bei der ISS andockte. 2020 brachte es Starlink auf den Markt, das Breitband-Satellitensystem, das wir im 4. Kapitel bereits erwähnt haben und das heute das größte der Welt ist. Im folgenden Jahr war es das erste Unternehmen, das nichtprofessionelle Astronauten hinauf in den Weltraum schoss. Wenn eine SpaceX-Rakete startet, kommt ihre erste Stufe in der Regel nach zehn Minuten wieder herunter, setzt auf dem Landeplatz auf und kann erneut verwendet werden. SpaceX hat Raketenstarts damit deutlich verbilligt und demonstriert, dass auch ein Start-up mit Schwergewichten wie Boeing durchaus konkurrieren kann.
Elon MuskMusk, Elon hat Pläne. Große, sehr große Pläne. Wie wir gesehen haben, gehört dazu auch eine bemannte Marslandung. Sehr bald. Warum will er dahin? Nach eigener Aussage ist es so: »Es gibt so viele Dinge, die die Menschen traurig und depressiv machen, wenn sie an die Zukunft denken, aber ich glaube, eine raumfahrende Zivilisation zu werden, lässt sie die Zukunft mit Freude betrachten.«
Viele sind anderer Ansicht. Der angesehene britische Astrophysiker Martin ReesRees, Martin zum Beispiel hat zwar grundsätzlich nichts dagegen, dass Raumfahrzeuge zum MarsMars fliegen, hält es aber auch nicht für besonders schlau. Musks Vorstellungen sind »eine gefährliche Illusion«, sagte er dem Guardian. »Den Klimawandel zu stoppen wäre ein Kinderspiel im Vergleich zu dem Versuch, den Mars in irgendeiner Weise bewohnbar zu machen.«
Jeff BezosBezos, Jeff, der frühere CEO von Amazon und Gründer von Blue Origin, hat ebenfalls andere Visionen als MuskMusk, Elon. Er will mehr in der Nähe bleiben. Planeten, meint er, seien keine guten Siedlungsräume für die wachsende Weltbevölkerung. Er möchte lieber gigantische überkuppelte Städte bauen, die um die Erde kreisen.
Aber zunächst einmal hat Blue Origin eine Mondlandefähre konstruiert, von der das Unternehmen hofft, dass die NASANASA sie einsetzen wird, wenn die Basisstation auf dem MondMond steht. Und schon jetzt fliegt Blue Origin mit seiner wiederverwendbaren, nach dem ersten Amerikaner im Weltraum benannten New-Shepard-Rakete fleißig Touristen ins Weltall. BezosBezos, Jeff ist auch selbst einmal mitgeflogen, ebenso wie William ShatnerShatner, William, alias Captain Kirk, der mit neunzig Jahren bislang der älteste Mensch ist, der so weit hinausflog. Bei der Rückkehr war er zu Tränen gerührt und nannte seine Reise »sein tiefstes Erlebnis«.
Die nach John GlennGlenn, John benannte massive New-Glenn-Rakete von Blue Origin soll 45 Tonnen Fracht in die Unteren Umlaufbahnen befördern – für zahlende Kunden. Aber BezosBezos, Jeff hat offensichtlich noch weitergehende Pläne. Er hat jedenfalls schon mal von einer »New-Armstrong«-Rakete gesprochen.
Richard BransonsBranson, Richard Virgin Galactic hat Blue Origin beim Weltraum-Rennen um ein paar Tage geschlagen, obwohl BezosBezos, Jeff das nicht gelten lässt. Bransons von einem Flugzeug aus gestartete Rakete brachte ihn auf eine Höhe von 83 Kilometern, also knapp über das, was die NASANASA für die Grenze der Erdatmosphäre hält. Die New Shepard dagegen flog 100 Kilometer hinauf bis über die Kármán-Linie, die von der Fédération Aéronautique Internationale als Weltraumgrenze akzeptiert wird. Man könnte sagen, dass beide recht haben – je nachdem, wo man die Grenze zieht.
Virgin Galactic zielt auf den sub-orbitalen Tourismus ab. Bei einem Preis von etwa 450 000 Dollar pro Fahrkarte ist der potenzielle Kundenkreis nicht sehr groß, aber reich. Wenn BransonBranson, Richard recht hat, gibt es genug Multimillionäre, um das Unternehmen profitabel zu machen und dann die Preise für den Massenmarkt zu senken. Das erscheint optimistisch, aber zwischen dem ersten Flug der Brüder WrightWright, OrvilleWright, Wilbur mit einem Motorflugzeug im Jahre 1903 und der ersten Passagierfluglinie in FloridaFlorida im Jahre 1914 lagen auch bloß elf Jahre, und dann waren es nur noch weitere vierzig Jahre, bis mehr Amerikaner im Flugzeug herumreisten, als mit dem Zug fuhren.
Es gibt noch einen weiteren Konkurrenten beim Weltraumtourismus. Sierra Space drängt mit seinem Dream-Chaser-Raumgleiter jetzt auch an die Startrampe. Er soll erst mal für die NASANASA als Frachter arbeiten, könnte Ihnen aber später auch einen Traumurlaub verschaffen – oder einen Albtraumurlaub, je nachdem, wie Sie veranlagt sind.
Diese Unternehmen beweisen, dass wir uns längst im Zeitalter kommerzieller Raumfahrt befinden. Sich in Raumfahrzeuge von Privatunternehmen zu setzen, ist ein Spurwechsel. Die Unternehmen wollen nicht mehr bloß mit Satelliten Profite machen, sondern auch mit Raumfahrttourismus, Transportdiensten, Bodenschätzen vom MondMond und von Asteroiden und mit dem 3-D-Druck im schwerelosen Raum.
2010 war Made in Space, Inc. (MIS) ein Start-up mit zwei Büroräumen in KalifornienKalifornien. Vier Jahre später wurde ein MIS-Zero-G-Drucker zur ISSISS geflogen. Der Astronaut Barry »Butch« WilmoreWilmore, Barry packte ihn aus und druckte das erste Teil, das je im Weltraum gedruckt wurde. Okay, es war nur ein Stück Verkleidung für den Drucker selbst, aber trotzdem war es eine Premiere. Ein paar Wochen später merkte Wilmore, dass er einen ganz spezifischen Ratschenschlüssel brauchte. Daraufhin tippte die Firma MIS unten in Kalifornien ein paar codierte Informationen in ihren Computer, schickte sie zur ISS, und WilmoreWilmore, Barry konnte den Schlüssel ausdrucken. Heute hat MIS einen Vertrag über 74 Millionen Dollar mit der NASANASA und soll für sie große Metallträger im Weltraum ausdrucken. Das ist offenbar viel billiger, als sie hochzufliegen.
MIS ist nur eine von fünftausend amerikanischen Weltraumfirmen. Sie sind oft innovativer als staatliche Instanzen und nehmen mehr Risiken auf sich. Den Privatunternehmen ist es gelungen, die Kosten für Weltraumfahrten dramatisch zu senken, was es der NASANASA erlaubt, sich höhergesteckte Ziele zu setzen.
Die NASANASA hat immer schon mit Privatunternehmen zusammengearbeitet, aber die Vielzahl der Start-ups hat dem eine neue Qualität gegeben. So hat die NASA jetzt auch Verträge mit Dienstleistern, die an ihrer Stelle Bodenproben vom MondMond sammeln. Die Gebühren sind minimal – eine Firma verlangte nur einen Dollar, um sich den Deal zu sichern. Aber die Verträge sind für beide Seiten profitabel. Die Unternehmen können schon mal üben, wie man Bodenschätze findet, und die NASA schafft ganz beiläufig Regeln und Geschäftsbedingungen, die sie früher oder später als verbindliche Gesetzesnormen darüber festschreiben will, wie man auf dem Mond arbeiten darf.
Am 11. Dezember 2022 schickte die japanische Firma ispace mit einer SpaceXSpaceX-Rakete eine unbemannte Landefähre los. Sie soll am Südpol des Mondes nach Wasser suchen. Die NASANASA hat ispace erlaubt, alles zu »besitzen«, was sie dort findet. Womit sich dann doch noch mal die Frage stellt: Wem gehört der MondMond eigentlich? JapanJapan, die Vereinigten Arabischen EmirateVereinigte Arabische Emirate und LuxemburgLuxemburg haben ihren Firmen durch Gesetze gestattet, solche Verträge zu unterschreiben, und die ObamaObama, Barack-Administration hat das 2015 ebenfalls gesetzlich verankert. Privatunternehmen haben zwar bisher noch keine Pläne für den Bau von eigenen Mondbasislagern vorgelegt, sie würden aber von den »souveränen« Mondstationen ihrer eigenen Länder bestimmt gern Gebrauch machen. Das gilt für die chinesischen und russischen Unternehmen sicher genauso wie für amerikanische.
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Die NASANASA arbeitet auch an einer Reihe kleiner Projekte wie der Fortbewegung mithilfe von »Solarsegeln« bei der Erkundung des tiefen Weltraums und Laser-Kommunikations-Systemen; aber der Schwerpunkt liegt doch eindeutig auf Artemis, dem Gateway und einer Mondbasis.
Womöglich wird sie längst gebaut sein, ehe die Diskussion, warum die USAUSA überhaupt auf den MondMond zurückkehren sollten, beendet ist. Denn so wie es aussieht, werden ChinaChina und die USA ihre Rivalität auch im Weltraum austragen. Wenn einer von beiden sich den Mond nicht unter den Nagel reißt, dann ist der Weg für den jeweils anderen frei, das zu tun. Und weder das Wasser auf dem Mond noch die seltenen Erden sind erneuerbare Ressourcen.
Es ist lange her, dass die Amerikaner zuletzt auf dem MondMond waren. Die sechs amerikanischen Flaggen, die sie dort aufgepflanzt haben, sind längst von der Sonne gebleicht. Der Lunar Reconnaissance Orbiter der NASANASA hat 2012 gesehen, dass fünf von ihnen noch standen. Die Fahne von Apollo 11 ist bereits umgefallen, als AldrinAldrin, Edwin und ArmstrongArmstrong, Neil damals in ihrer Mondfähre abhoben. Die Fahnen sind aus Nylon und werden sicher bald völlig zerbröseln. Wir sollten die Apollo-11-Fahne holen und ins Museum stellen. Und wenn wir schon dabei sind, können wir auch gleich den Fußabdruck von Neil ArmstrongArmstrong, Neil suchen und als ultimativen »Walk of Fame« zementieren. Das wäre doch ein guter Grund, um noch mal hinzufahren.
Hab’ ich eigentlich schon was über RusslandRussland gesagt?