ACHTES KAPITEL
MITREISENDE
»Passagiere gibt es nicht auf dem Raumschiff Erde,
wir gehören alle zur Mannschaft.«
Marshall McLuhanMcLuhan, Marshall, Philosoph
Beobachtungen aus dem Weltraum liefern hochdetaillierte Bilder der Wetterbedingungen auf der Erde, wie zum
Beispiel dieses Bild des Hurrikans Emilia über dem Pazifik im Jahr 1994.
Während ChinaChina, die USAUSA und RusslandRussland die Hauptakteure im Weltraum sind, gibt es noch viele andere, die ebenfalls auf die Bühne wollen. Neue Technologien verschaffen immer mehr Mitspielern leichteren Zugang, auch Entwicklungsländern. Wegen der hohen Kosten für die Infrastruktur können die meisten aber keine eigenen Trägerraketen starten. Das ist einer der Gründe für die Bildung der »Weltraumblöcke«, die zurzeit sichtbar werden.
Die EuropäerEuropa sind früh gestartet. Die Europäische Raumfahrtorganisation ESAESA mit Sitz in Paris wurde 1975 von zehn Nationen gegründet und hat heute zweiundzwanzig Mitglieder. Die Mehrzahl davon sind EUEuropäische Union-Staaten, die nach einer »immer engeren Bindung« streben, aber auch das Vereinigte KönigreichVereinigtes Königreich und die SchweizSchweiz sind Mitglieder, KanadaKanada ist assoziiert. Die ESA ist nicht die Weltraumbehörde der EU, aber die EUEuropäische Union trägt etwa ein Viertel zum Budget der ESA bei, die restlichen 75 Prozent sind Sache der einzelnen Mitgliedsländer. Im Bereich der kommerziellen Raumfahrtindustrie haben die Mitgliedstaaten der ESA mit dem Bau von Satelliten, Raketenstarts, Roboterarmen und Wohnmodulen einen Marktanteil von zwanzig Prozent erreicht, was angesichts der im Vergleich zu den USAUSA sehr geringen Investitionen eine beachtliche Leistung ist.
Generell hat die ESAESA als Organisation schon bemerkenswerte Erfolge erzielt, dazu gehören das globale Navigationssatellitensystem Galileo, das Copernicus-Erdbeobachtungsprogramm und die Beteiligung an der ISSISS. Für ein so ehrgeiziges Projekt wie den Bau einer Mondbasis genügt die Zusammenarbeit der EuropäerEuropa untereinander allerdings nicht, und sie brauchen die Kooperation mit einer größeren Weltraummacht – in diesem Fall sind das die USAUSA. Die ESA ist daher fest mit der NASANASA verbunden und beteiligt sich am geplanten Artemis-Mondprogramm.
Während die Russen den ersten Hund in den Weltraum geschossen haben, können die EuropäerEuropa immerhin das erste Schaf für sich beanspruchen. Zwar nur eins aus Plüsch, aber trotzdem ist Shaun das Schaf schon deshalb repräsentativ für den Planeten Erde, weil es in fast allen Weltsprachen ähnlich klingt: Es sagt »Mäh« auf Deutsch, »Baa« auf Englisch, »Bee« auf Französisch und »Mee« auf Japanisch. Und natürlich ist es schon in 180 Ländern gesehen worden. Das Spielzeugschaf war an Bord des Orion-Raumschiffs des Artemis-1-Projekts, das am 16. November 2022 im Kennedy-Raumfahrtzentrum gestartet wurde, den MondMond in 64 000 Kilometern Höhe umkreiste und dann wieder zur Erde zurückkehrte. Es war der erste integrierte Test der Orion und der schweren SLS-Trägerrakete der NASANASA. Die ESAESA, die das Servicemodul der Orion gebaut hatte, das für den Antrieb, die Wasser- und Sauerstoffversorgung, das Lebenserhaltende System und die Steuerung des Raumschiffs im Orbit zuständig war, hatte Shaun als vierten Passagier neben drei Strahlungsmesspuppen ausgewählt. David ParkerParker, David von der ESA erklärte: »Es ist vielleicht nur ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Schafheit.«
Je weiter das Projekt voranschreitet, desto härter wird der Wettbewerb zwischen den nichtamerikanischen Artemis-Unterzeichnern um die Plätze an Bord sein. Aber angesichts der hohen finanziellen und technischen Beiträge der EuropäerEuropa geht die ESAESA davon aus, dass sie »eine entsprechende Anzahl von Sitzen für ESA-Astronauten bei der Erforschung des Sonnensystems garantieren kann«. Welche das sein werden, sagte der Sprecher allerdings nicht. Denn der erste Europäer auf dem MondMond zu sein, wird eine große Sache, die pan-europäische Solidarität hat ihre Grenzen, und jedes Land wird Anspruch darauf erheben, dass einer von seinen Astronauten »den großen Sprung« macht.
Jenseits von Artemis gibt es noch einen weiteren ehrgeizigen Plan für 2029: Die ESAESA will einen »Comet Interceptor« bauen, der am Lagrange-Punkt 2Lagrange-PunkteL2 des Erde-Sonne-Systems (in der Nähe des James-Webb-Teleskops, also 1 500 000 Kilometer von der Erde entfernt) herumlungern und darauf warten soll, dass sich unserem Sonnensystem aus den Tiefen des Weltalls ein neuer Komet oder ein anderes interstellares Objekt nähert. Dann stürzt der Inceptor sich auf ihn und untersucht ihn. Ein Komet, der zum ersten Mal einen Sonnen-Orbit beginnt, wäre das Beste, weil er noch nicht von der Sonneneinstrahlung verändert wäre. Eine solche Untersuchung, erklärt Michael KüppersKüppers, Michael von der ESA, könnte uns helfen zu verstehen, »wie das Sonnensystem entstanden ist und sich im Lauf der Zeit entwickelt hat«.
Trotz ihres unbestreitbaren Fachwissens und ihrer Geräte von Weltniveau hinken die EuropäerEuropa in einem Bereich hinterher: bei der Weltraumsicherheit. Das erste Treffen der EUEuropäische Union-Verteidigungsminister zu diesem Thema fand erst 2022 statt. 2012 wäre schon ziemlich spät gewesen, aber 2022 war einfach fahrlässig. Die EUEuropäische Union ist schließlich genauso abhängig von weltraumbasierten Anlagen wie andere Wirtschaftsmächte, aber sie besitzt keine Mittel, um diese auch zu verteidigen. Man redet über die »Notwendigkeit, in Sicherheit im Weltraum arbeiten zu können«, aber ein Bemühen, ASATs, Laser- und Strahlenwaffen oder Störsender wirklich zu bauen, ist nicht zu erkennen. Die Europäische Kommission beschäftigt sich zwar mit der Verfolgung von Weltraumschrott und ultrasicheren, quanten-verschlüsselten Kommunikationsmitteln, sagt aber nicht, wie es die schützen will. Als die Franzosen 2018 einen russischen Satelliten entdeckten, der einem französisch-italienischen Militärsatelliten verdächtig nahekam, dachten sie daher auch nicht als Erstes: »Was tut die Kommission gegen so etwas?« Verteidigungsministerin Florence ParlyParly, Florence sagte stattdessen bloß: »Er kam sehr nahe heran. Zu nahe.« Sie beschuldigte MoskauMoskau unter anderem, die von den französischen und italienischen Streitkräften benutzte extreme Hochfrequenzkommunikation stören zu wollen, und teilte mit, FrankreichFrankreich habe »angemessene Maßnahmen« dagegen beschlossen, ging aber nicht ins Detail. Eine Space Force der EUEuropäische Union ist genauso unwahrscheinlich wie eine europäische Armee. Der Aufbau von Kapazitäten einzelner Mitgliedstaaten dagegen erscheint nicht undenkbar.
Drei EUEuropäische Union-Mitglieder haben jedenfalls schon eigene Raumkommandos geschaffen: FrankreichFrankreich, ItalienItalien und DeutschlandDeutschland. Frankreich ist die führende Weltraummacht in der EU, und alle drei Staaten nehmen an deren Weltraumprogramm teil, begnügen sich aber nicht mehr damit, auf die endlosen Presseerklärungen der Europäischen Kommission zu warten, die »eine Arbeitsgruppe zur Vorbereitung einer Gipfelkonferenz zum Thema Raumgleiter« ankündigen oder so ähnlich … Stattdessen haben die drei solche Fragen selbst in die Hand genommen.
Wie auch auf anderen Gebieten streben die EuropäerEuropa nach strategischer Autonomie. In den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts konnten sich die demokratischen Staaten auf dem europäischen Kontinent entweder auf die Amerikaner verlassen oder den Versuch unternehmen, ein gewisses Maß an eigenen Weltraumkapazitäten zu schaffen. Das gilt für die Einzelstaaten wie auch für die EUEuropäische Union als Ganzes.
Die ItalienerItalien waren als Erste oben. 1964 starteten sie mit eigenem Personal den selbst gebauten San Marco-1-Satelliten mithilfe einer amerikanischen Trägerrakete von der Wallops Flight Facility in VirginiaVirginia. Damit waren sie nach den Russen, Amerikanern, Kanadiern und Briten die fünfte Nation, die ein eigenes Gerät im Orbit hatte. ItalienItalien hat auch beim Aufbau der ISSISS eine wichtige Rolle gespielt und mehrere Astronauten hinaufgeschickt, darunter die Kampfpilotin Samantha CristoforettiCristoforetti, Samantha, die 2022 als erste Europäerin Kommandantin der ISS wurde. Der italienische Rüstungskonzern Leonardo hat mit der französischen Thales Group die Thales Alenia Space Gesellschaft gegründet, den größten Satellitenhersteller der EUEuropäische Union. Thales Alenia Space arbeitet jetzt mit der in LuxemburgLuxemburg ansässigen Space Cargo Unlimited daran, eine Flotte von im Weltraum stationierten Fabriken zu bauen, in denen unter den Bedingungen stark verminderter Schwerkraft biotechnologische, pharmazeutische und landwirtschaftliche Produkte und neue Materialien erzeugt werden sollen. Die erste davon, REV1, soll 2025 an den Start gehen. Um die Dynamik der italienischen Raumfahrtindustrie aufrechtzuerhalten, hat die italienische Regierung ein Förderprogramm für die Jahre 2021–2027 in Höhe von knapp fünf Milliarden Euro aufgelegt; davon sind neunzig Millionen für Start-ups vorgesehen.
Als Nächstes war FrankreichFrankreich oben. Es war das dritte Land, das seine eigenen Trägerraketen konstruierte, baute und startete. Präsident de Gaullede Gaulle, Charles hatte nach dem Zweiten Weltkrieg das Angebot abgelehnt, sich unter den Schutz des amerikanischen Atomwaffenarsenals zu begeben. Die Vorstellung, amerikanische Raketen auf französischem Boden zu stationieren, war ihm zuwider. Die französischen Atomwaffen wurden 1964 in Dienst gestellt, und als im folgenden Jahr in Algerien ein militärischer Kommunikationssatellit gestartet wurde, war klar, dass de Gaulles »Force de Frappe« eine ballistische Rakete besaß, die sowohl Atomwaffen als auch Satelliten befördern konnte. Es erstaunt nicht, dass der Satellit A-1 (Army-1) alsbald den halboffiziellen Namen »Asterix« trug. Das ist, falls Sie es nicht wissen sollten, jener wackere Gallier, dessen Dorf sich erfolgreich gegen die Herrschaft ausländischer Großmächte wehrt.
Das französische Streben nach Unabhängigkeit zeigte sich auch in den frühen Achtzigerjahren, als der libysche Oberst Gaddafial-Gaddafi, Muammar in den Tschad eingedrungen war und den nördlichen Teil des Landes besetzt hatte. 1983 verlangte WashingtonWashington, die Franzosen sollten dort eingreifen, und versorgte das französische Militär mit Satellitenaufnahmen. Die Franzosen waren misstrauisch. Sie hatten den Verdacht, dass einige der Aufnahmen gar nicht aktuell waren und nur benutzt wurden, um sie in den Krieg hineinzuziehen. Die Auffassungsunterschiede zwischen Paris und Washington führten dazu, dass sich die Franzosen lieber nicht auf die Ergebnisse der Amerikaner verlassen wollten. Damals mussten französische Jets allerdings zehnstündige Einsätze fliegen, um Bilder zu machen, welche die Amerikaner per Satellit in wenigen Sekunden beschaffen konnten. Deshalb startete FrankreichFrankreich 1986 SPOT1, einen kommerziellen Auflärungssatelliten, der Qualitätsfotos mit einer Genauigkeit von 20 Metern schickte. Er kam gerade rechtzeitig, um die ersten Bilder des Reaktorunfalls in TschernobylTschernobyl zu machen, die den Franzosen früher als seinen europäischen Nachbarn zeigten, was dort vor sich ging.
1995 folgte das gemeinsam mit SpanienSpanien und ItalienItalien entwickelte militärische Helios-Satellitensystem, das bei Schwarz-Weiß-Bildern bereits eine Auflösung von einem Meter erreichte. Das erwies sich insbesondere vor dem zweiten Golfkrieg im Jahre 2003 als nützlich, als FrankreichFrankreich aus seiner Satellitenaufklärung den Schluss zog, dass es ein Fehler wäre, an der Invasion des IrakIrak teilzunehmen.
Helios ist inzwischen durch das von Airbus (EADS) gebaute Pléiades-System ersetzt worden. Die Satelliten stehen auch zivilen Kunden zur Verfügung, aber sowohl das französische als auch das italienische Verteidigungsministerium haben einen täglichen Anteil der Bilder für sich reserviert. Das war insbesondere im Januar 2013 von Vorteil, als ein Vorstoß islamistischer Rebellen auf Bamako, die Hauptstadt von MaliMali, entdeckt und gestoppt werden konnte.
FrankreichFrankreich gehört alles in allem sowohl militärisch als auch kommerziell zu den größeren Weltraumnationen. 2020 veröffentlichte es ein Strategiepapier, in dem es heißt: »Frankreich beteiligt sich nicht an einem Rüstungswettlauf im Weltraum.« Das wurde dann allerdings stark relativiert, als von Nanosatelliten die Rede war, die in großen Schwärmen zum Schutz von größeren Satelliten herumfliegen sollen; von am Boden befindlichen Laserkanonen, die Gegner blenden können; und sogar von Maschinengewehren an Bord von Satelliten (was allerdings nicht sehr plausibel klingt). Auf den Bau von bodengestützten, direkt angreifenden Antisatellitenraketen will FrankreichFrankreich ausdrücklich verzichten, weil das den Weltraumschrott in den Unteren Umlaufbahnen vermehren würde. Das französische Weltraumkommando wurde schon 2019 in der Nähe von Toulouse stationiert, wo Thales und Airbus beheimatet sind. Sein Auftrag lautet, Frankreichs Satelliten zu schützen und Angriffe gegen die französischen Kapazitäten im Weltraum abzuwehren.
Unilateralismus hat allerdings seine Grenzen, insbesondere da wir uns abermals auf eine bipolare Welt zubewegen, die von den USAUSA und ChinaChina (mit dem Juniorpartner RusslandRussland) beherrscht wird. Frankreichs Politik der Alleingänge hat sich seit der Jahrtausendwende daher angepasst. So hat es sich gemeinsam mit DeutschlandDeutschland im Winter 2019/20 der Combined-Space-Operations-Initiative (CSpO) angeschlossen, die ursprünglich Teil der Five-Eyes-Allianz der Nachrichtendienste der USAUSA, des Vereinigten KönigreichsVereinigtes Königreich, AustraliensAustralien, NeuseelandsNeuseeland und KanadasKanada war. Außerdem wird die Zusammenarbeit mit der ESAESA im kommerziellen Bereich verstärkt.
Obwohl DeutschlandDeutschland das erste Land war, das eine Rakete ins Weltall schoss (die V2 Wernher von Brauns), bleibt seine heutige Rolle in der Weltraumindustrie fast unsichtbar. Es fliegt sozusagen unter dem Radar. Dabei ist Deutschlands Raumfahrtindustrie die zweitgrößte in EuropaEuropa und die Beitragszahlungen zur ESAESA sind die zweithöchsten (nach denen Frankreichs).
Das Europäische Satellitenkontrollzentrum der ESAESA (European Space Operations Centre, ESOCEuropean Space Operations Centre (ESOC)) sitzt in Darmstadt. Hier kümmert man sich auch um Weltraumschrott, das Weltraumwetter und Asteroiden. Das Columbus-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen betreut das Columbus-Labor der ESA auf der ISSISS. In Köln befindet sich das europäische Astronautenzentrum (EAC)Europäisches Astronautenzentrum (EAC), das die Astronauten der ESA trainiert. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat seinen Hauptsitz ebenfalls in Köln und darüber hinaus dreißig weitere Standorte. Es entwickelte unter anderem die hochauflösende Kamera der ESA-MarsMars-Express-Mission, die nach Spuren von Wasser und Leben auf dem Roten Planeten sucht. Zu den führenden Nationen gehört DeutschlandDeutschland bei der Fernerkundung der Erde und hat zwei State-of-the-art-Radarsatelliten entwickelt (TerraSAR-X und TanDEM-X), die hochakkurate, dreidimensionale Geländebilder des Planeten zur Erde schicken.
Seit April 2023 ist das »Weltraumkommando der BundeswehrWeltraumkommando der Bundeswehr« in UedemUedem (fast an der holländischen Grenze) der Ansprechpartner für alle deutschen Teilstreitkräfte in Weltraumfragen. Der Name ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Die Dienststelle übernimmt nicht wirklich das Kommando im Weltraum, sondern hat vor allem die Aufgabe, die Satelliten der Bundeswehr zu überwachen und vor Angriffen und Weltraumschrott zu schützen. Dafür wurde auch das bisherige Weltraumlagezentrum eingegliedert. Bei der Eröffnung 2021 hob die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-KarrenbauerKramp-Karrenbauer, Annegret hervor, wie abhängig DeutschlandDeutschland von Satelliten sei, »ohne die heutzutage gar nichts mehr geht«.
Das Vereinigte KönigreichVereinigtes Königreich, neben FrankreichFrankreich die andere große europäische Weltraummacht, ist auch nach dem Brexit noch Mitglied der ESAESA geblieben, und trägt nach wie vor neun Prozent zu deren Budget bei, besitzt aber nur noch den Status eines »Drittlandes«. Das heißt, dass es den Zugang zum Galileo-Satellitennavigationssystem und anderen Einrichtungen verloren hat, die Flugzeugen beim Landen und Schiffen beim Navigieren durch Meerengen helfen und Fahrzeuge bis auf wenige Meter verfolgen können. Als die britische Firma Inmarsat begann, einen möglichen Ersatz zu erproben, halfen die ESA und die europäische Raumfahrtagentur ihr dabei, Interferenzen zwischen beiden Systemen von vornherein zu vermeiden. Die britische Trennung von der EUEuropäische Union war bitter, aber in der Weltraum-Community herrschen auf beiden Seiten nach wie vor guter Wille und die Bereitschaft, eine neue Partnerschaft zu schmieden.
Die britische Weltraumgeschichte unterscheidet sich völlig von der französischen. Während der ersten Jahre des Kalten Krieges fehlte es GroßbritannienGro<FB02>britannien an den Mitteln, um eigene Trägerraketen und Satelliten zu bauen, und bis heute sind die Briten bei Satellitenbildern für das Militär von den Amerikanern abhängig. Im Gegenzug beherbergt Großbritannien verschiedene Einrichtungen der amerikanischen National Security Agency (NSA)National Security Agency (NSA). In den Sechzigerjahren gelang es immerhin, nach den USAUSA und der UdSSRSowjetunion als drittes Land ein abhörsicheres militärisches Satellitenkommunikationssystem aufzubauen.
Bei der Auflösung des British Empire waren überall auf der Welt britische Stützpunkte zurückgeblieben, die nicht mehr sicher und zeitnah kommunizieren konnten. Aber 1969 wurde der erste Skynet-Satellit mit einer amerikanischen Rakete von Cape KennedyCape Kennedy in den Geostationären Orbit über dem Indischen Ozean befördert. Andere folgten, und jetzt konnten militärische Bodenstationen von LondonLondon bis SingapurSingapur wieder ungestört plauschen, ohne dass jemand mithörte. GroßbritannienGro<FB02>britannien hatte zwar sein Empire eingebüßt, aber dafür gesorgt, dass es überall noch ein paar Bunker gab, die es benutzen konnte.
Die geostationären Satelliten waren so platziert, dass die meisten militärischen Stützpunkte und Geheimdienststellen abgedeckt waren. Es gab zwar ein paar Lücken, aber nicht an Stellen, an denen die Briten damit rechneten, eventuell kämpfen zu müssen. Allerdings hatte der Gegner dann die Frechheit, sich an einer Stelle zu melden, wo niemand mit ihm gerechnet hatte: im Südatlantik. 1982 besetzten die argentinischen Generäle die Falkland-Inseln, die Skynet nicht abdeckte. Als die Royal Navy dort aufkreuzte, um die Argentinier zum Rückzug zu überreden, war der abhörsichere Gedankenaustausch mit LondonLondon … ein bisschen schwierig. Aber wozu hat man Freunde? Die SAS-Kommandos wurden mit Funkgeräten der amerikanischen Delta Force ausgestattet und das amerikanische Defense Satellite Communications System (DSCS) sorgte dafür, dass ihre Meldungen quasi in Echtzeit nach London gelangten. Ohne die Hilfe der Amerikaner hätte der Falklandkrieg womöglich ein anderes Ende genommen. Jedenfalls genügte der Schrecken, um die britische Regierung zu weiteren Investitionen in das Skynet-System zu veranlassen. Auf diese Weise konnte das britische Militär bei den nachfolgenden Einsätzen auf dem BalkanBalkan, im IrakIrak und in AfghanistanAfghanistan ohne Hilfestellung anderer kommunizieren. Gegenwärtig baut Airbus das Skynet 6A für die Briten, das 2025 gestartet werden und angeblich auch gegen starke Laserstrahlen immun sein soll.
Das Skynet 6A wird dem UK Space CommandUK Space Command unterstellt sein, das 2021 geschaffen wurde und bei der Royal Air Force in High Wycombe stationiert ist. Seine Gründung als neuester Zweig der britischen Streitkräfte ging so geräuschlos vonstatten, dass sie außerhalb des Militärs kaum jemand zur Kenntnis nahm.
Trotzdem zeigt die Gründung des UK Space CommandUK Space Command, dass die politische und Sicherheitselite des Landes die Weltraumaspekte der internationalen Beziehungen und Kriegführung jetzt ernst nimmt, die sie (mit Ausnahme von Skynet) jahrzehntelang ignoriert hat. Die Regierung hat auch sogleich erklärt, das Vereinigte KönigreichVereinigtes Königreich habe die Absicht, ein »bedeutender Akteur« im Weltraum zu sein.
Das Space Command selbst sagt, seine Rolle bestünde darin, »die Interessen des Vereinigten Königreichs und seiner Verbündeten im Weltraum zu schützen und zu verteidigen und alle Verteidigungskapazitäten des Vereinigten Königreichs bei sich zusammenzuführen«. Es sagt jedoch nichts davon, dass es in die Offensive gehen und Anti-Satelliten-Kapazitäten aufbauen wolle oder dergleichen planen würde. Sein Kommandeur, Vize-Luftmarschall Paul GodfreyGodfrey, Paul, hat erklärt: »Letzten Endes kümmern wir uns zur Verteidigung um den Weltraum. Eines unserer Ziele besteht darin, unsere Anlagen zu schützen und zu verteidigen, im und mithilfe des Weltraums … Einen Flugzeugträger lässt man ja auch nicht ohne Begleitschutz herumschwimmen oder ohne zu wissen, was sich in der Umgebung abspielt.« Auch für die Satelliten-Kommunikation bei militärischen Operationen, insbesondere der Spezialeinheiten SAS und SBS, will das Space Command sorgen. Für die Einsatzkräfte ist ja wichtig zu wissen, ob die Gegenseite Überwachungskapazitäten über ihnen herumfliegen lässt und ob das Space CommandUK Space Command sie sehen und unterstützen kann. Manche modernen Satelliten sind schließlich schon in der Lage, auch in der Dunkelheit und durch Wolkenschichten hindurchzu» sehen«, die bislang meist für Schutz vor Entdeckung gesorgt haben. »Wenn wir den Brüdern und Schwestern in anderen Teilen der Streitkräfte sagen können, wann sie möglicherweise gefährdet sind, steigern wir damit zugleich ihre Schlagkraft«, so GodfreyGodfrey, Paul. »Angesichts der Tatsache, wie gut Satelliten heute arbeiten, wird ihnen schlechtes Wetter oder nächtliche Dunkelheit nicht viel nutzen, deshalb werden sie anders vorgehen müssen.«
Das Vereinigte KönigreichVereinigtes Königreich gehört wahrscheinlich zusammen mit FrankreichFrankreich zu den beiden einzigen ernst zu nehmenden europäischen Militärmächten, aber was den Weltraum angeht, liegt es weit zurück hinter ChinaChina, den USAUSA, RusslandRussland, JapanJapan, Frankreich, den Vereinigten Arabischen EmiratenVereinigte Arabische Emirate und anderen. Das britische Verteidigungsministerium befindet sich in einer Lernkurve, und nicht alle Abteilungen haben begriffen, dass Machtpolitik und Kriegsführung im 21. Jahrhundert unweigerlich mit dem Weltraum verknüpft sind. Eine auf Weltraumtechnik spezialisierte Quelle im Nachrichtendienst sagt: »Hinsichtlich der Technik sind wir vorn mit dabei, wir konzentrieren uns auf die erdnahen Umlaufbahnen, da geht das Geld hin. Aber insgesamt können wir mit den Big Boys nicht mithalten.«
Um die Lücke zu schließen, arbeitet BAE-Systems daran, einen Schwarm Multi-Sensor-Satelliten zu bauen, die auch bei Nacht und schlechtem Wetter hochaufgelöste Bilder der Erdoberfläche sowie Radar- und Radio-Informationen liefern, und 2024 auf eine Umlaufbahn zu bringen. Die Sensoren der Geräte können noch im Weltraum umprogrammiert und auf die jeweilige Aufgabe eingestellt werden. Die an Bord befindliche künstliche Intelligenz analysiert die Daten, ermittelt interessante Aktivitäten und schickt sie über sichere Kanäle an interessierte Kunden – von denen die meisten wohl beim Militär sitzen.
Am 9. Januar 2023 wurde in Newquay (Cornwall) außerdem ein neuer Spaceport eröffnet: Eine umgebaute 747 von Virgin Orbit trug eine Rakete in die Lüfte, die eine Reihe von kommerziellen Satelliten in eine Umlaufbahn bringen sollte. Das scheiterte allerdings, als die Rakete in 180 Kilometern Höhe einen Triebwerksschaden erlitt. Mit seiner langen Rollbahn ist der ehemalige Militär- und Regionalflughafen aber ungeachtet dieses Misserfolgs der ideale Ausgangspunkt für Weltraumraketen, die von Trägerflugzeugen aus starten. Und der erste auf europäischem Boden.
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Die ESAESA ist das erste Weltraum-Bündnis gewesen und bildet durch die Mitgliedschaft von GroßbritannienGro<FB02>britannien, FrankreichFrankreich, ItalienItalien und DeutschlandDeutschland einen wichtigen Machtblock. Das zweite Bündnis vergleichbarer Art war die Asia-Pacific Space Cooperation Organization (APSCO)Asia-Pacific Space Cooperation Organization (APSCO), die 2008 von ChinaChina, BangladeschBangladesch, dem IranIran, der MongoleiMongolei, PakistanPakistan, PeruPeru, ThailandThailand und der TürkeiTürkei gegründet wurde und ihren Sitz in PekingPeking hat. Die Organisation ist nach dem Vorbild der ESA ausgestaltet, mit einem ständigen Führungsgremium und Sekretariat. In einer Weltregion, die immer wieder von Erdbeben und anderen Naturkatastrophen heimgesucht und obendrein vom Klimawandel bedroht ist, macht es Sinn, bei der Entwicklung von Satelliten zusammenzuarbeiten und Informationen auszutauschen. Allerdings hat ChinaChina in diesem Bündnis das Sagen und verfolgt offensichtlich das Ziel, sein BeiDou-Navigationssystem in anderen Ländern zu verbreiten und dadurch die Vorherrschaft des amerikanischen GPS zu verringern.
Die chinesische Weltraummacht führt aber auch zur Entstehung von anderen Bündnissen in der indo-pazifischen Region. Die Spaltung zeigt sich in der Zusammensetzung des Asia-Pacific Regional Space Agency Forums (APRSAF)Asia-Pacific Regional Space Agency Forums (APRSAF), das aus einer japanischen Initiative entstand und im November 2022 schon zum 28. Mal zusammentraf. Es handelt sich um ein wissenschaftlich-technisches Gesprächsforum mit Teilnehmern aus über fünfzig Ländern und Institutionen aus aller Welt, in dem die Leute Vorträge hören und fachsimpeln wollen. Aber das Wort führen doch meist Länder wie JapanJapan und VietnamVietnam, die ChinaChina eher nicht so gewogen sind.
Ebenso wie die EUEuropäische Union ist JapanJapan eine »zivile Weltraummacht«, aber angesichts der steigenden Spannungen in der Region kann es der Versuchung immer weniger widerstehen, auch in Weltraumrüstung zu investieren. Seine tastenden Schritte in dieser Richtung sind allerdings stark von der militärischen Satellitenaufklärung der Amerikaner abhängig.
Auf der zivilen Ebene hat JapanJapan eine eindrucksvolle Weltraumgeschichte – und ein ehrgeiziges Mondprogramm. Außerdem gehört es zu den wenigen Ländern mit eigenen Raketenstartplätzen. Den ersten Satelliten schickte es schon 1970 in eine Umlaufbahn, und 1990 hatte es bereits mit einem unbemannten Satelliten den MondMond umrundet. Die staatliche, 2003 gegründete Japan Aerospace Exploration Agency (JAXA – Uchū Kōkū Kenkyū Kaihatsu Kikō) hat einen Smart Lander zur Erforschung des Mondes entwickelt, dessen Landezone bis auf 90 Meter genau vorausbestimmt werden kann. Als Unterzeichner der Artemis AccordsArtemis Accords wird Japan außerdem an der Gateway-Station mitarbeiten, die auf dem Mondorbit kreist, und hofft, 2028, 2029 oder 2030 einen japanischen Astronauten mit auf den Mond schicken zu dürfen.
Auch die japanischen Privatunternehmen engagieren sich immer stärker. Im Dezember 2022 trug eine SpaceXSpaceX-Rakete den Mondlander Hakuto-R M1 der in TokioTokio ansässigen Firma ispace in Richtung des Erdtrabanten. ispace will sich offenbar als Transportunternehmen empfehlen, das anderer Leute Gerätschaften auf den MondMond schafft, die dort nach Bodenschätzen suchen oder Versuche veranstalten wollen. Im Gepäck des M1-Mondlanders waren jedenfalls der Rashid-Mondrover der Vereinigten Arabischen EmirateVereinigte Arabische Emirate; eine Festkörperbatterie des japanischen Zündkerzenherstellers NGK (der gern wissen möchte, wie viel Kälte das Teil verträgt); ein Computer mit künstlicher Intelligenz der kanadischen Firma Mission Control Space Services; und mit künstlicher Intelligenz begabte Kameras der Firma Canadensys Aerospace, die unter anderem den Rover der Vereinigten Arabischen EmirateVereinigte Arabische Emirate in Aktion filmen sollen.
Die Anfänge der Firma ispace sind geradezu sportlich. Das Start-up wollte unbedingt den Preis gewinnen, den Google für das Team ausgeschrieben hatte, das bis Ende März 2018 den ersten privaten Rover auf den MondMond schafft, 500 Meter fahren lässt und Videoaufnahmen davon vorlegen kann. Es ging um schlanke 20 Millionen Dollar! Die Firma hieß damals noch »Team Hakuto« und konzentrierte sich ganz auf die Konstruktion des Rovers. Um den Boliden auf den Mond zu bringen, hätte Hakuto aber die Hilfe eines rivalisierenden Teams aus IndienIndien gebraucht. Man einigte sich darauf, dass die beiden Rover ein 500-Meter-Rennen veranstalten sollten, sobald sie die Mondoberfläche erreichten. Geben Sie es ruhig zu: Das hätten Sie auch sehen wollen! Bedauerlicherweise wurde aber keins der beiden Teams rechtzeitig fertig, und der Preis wurde nicht ausgezahlt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war JapanJapan lange Zeit eine ziemlich friedliche Nation. Aber seit einigen Jahren rüstet es stetig auf. Seine konventionellen Streitkräfte besitzen mittlerweile auch zahlreiche Offensivwaffen, nur im Weltraum hat Japan seine defensive Haltung noch beibehalten. Als eine der führenden Technologienationen mit einer starken industriellen Basis ist Japan aber von Kommunikationssatelliten sehr abhängig. Wenn sie ausgeschaltet oder beschädigt würden, wäre das für die japanische Wirtschaft ein Riesenproblem. Deshalb hat sich JapanJapan sehr bei der Entwicklung von Geräten und Methoden zur Beseitigung von Weltraumschrott engagiert. Das Aufspüren und Verfolgen von Trümmerteilen gehört unter anderem zu den Aufgaben des Space Operations Squadrons (SOS) innerhalb der japanischen Luftverteidigungsstreitkräfte. Es überwacht auch potenziell feindliche Satelliten, aber es ist unwahrscheinlich, dass TokioTokio dem Beispiel von ChinaChina, den USAUSA oder anderen folgen und offensive Weltraumwaffen entwickeln wird.
Dasselbe gilt auch für SüdkoreaSüdkorea, dessen technologische Brillanz aber sicher dazu führen wird, dass seine Bedeutung als Weltraumnation wachsen wird. Seine Ankunft als Mitspieler meldete Seoul, als es im Dezember 2022 seinen selbst entwickelten Mondorbiter Danuri auf eine Umlaufbahn einschwenken ließ. Er soll die chemische Zusammensetzung des Mondes und sein Magnetfeld erforschen. Das Korea Aerospace Research Institute (KARI) besitzt seit 2009 ein eigenes Raumfahrtzentrum (Naro Space Center) auf einer Insel im Süden des Landes, aber die Danuri wurde mit einer SpaceXSpaceX-Rakete von Cape CanaveralCape Canaveral zum MondMond befördert.
Auch NordkoreaNordkorea hat ein eigenes Raumfahrtzentrum, den Raketenstartplatz Sohae der National Aerospace Development Administration (NADA) am Gelben Meer. Zwischen 2012 und 2022 versuchte die NADA fünfmal, einen Satelliten ins All zu schießen, aber nur zwei von diesen Versuchen waren erfolgreich, und man weiß auch nicht wirklich, ob die beiden Satelliten ordnungsgemäß funktionieren. Ende Dezember 2022 berichtete Pjöngjang, man habe jetzt einen Satelliten in Umlauf gebracht, und veröffentlichte Bilder der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, um seine Behauptung zu untermauern. Das würde bedeuten, dass Nordkorea bei der Satellitenaufklärung nicht mehr vollständig von ChinaChina abhängig ist. Aber selbst wenn das zutrifft, dürfte der Umfang doch sehr beschränkt sein. Die Nachbarn und vor allem die USAUSA haben vielmehr den Verdacht, dass die Raketenstarts eher mit Versuchen zu tun haben, nukleare Sprengköpfe mit Interkontinentalraketen auf den Weg zu bringen. Was NordkoreaNordkorea im Weltraum vorhat, ist unbekannt, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass es Satelliten anderer Länder mit einem direkten Raketenangriff zerstören kann.
Ein weiterer großer Akteur im indo-pazifischen Raum ist IndienIndien, das bei zivilen Projekten eng mit JapanJapan und SüdkoreaSüdkorea zusammenarbeitet, dessen staatliches Raumfahrtprogramm aber vor allem darauf abzielt, nicht zu weit hinter den großen Rivalen ChinaChina zurückzufallen. Indiens Aufmerksamkeit richtet sich dabei vor allem auf den Indischen Ozean, wo China jetzt ständig mit seiner Marine präsent ist, und die Grenze im Himalaja, wo es in den letzten Jahrzehnten immer mal wieder zu bewaffneten Zusammenstößen gekommen ist.
Die indische Weltraummacht hat ein gewisses Momentum, wächst aber zu langsam, um das Land vor 2040 zu einer militärischen Großmacht im All zu machen. Neu-DelhiNeu-Delhi gründete 2019 die Defence Space Agency (DSA), die mit allen drei Teilstreitkräften zusammenarbeitet, verzichtete aber auf ein unabhängiges Raumkommando, wie die Chiefs of Staff es gefordert hatten. IndienIndien hat ein militärisches Satellitensystem und regionale kommerzielle Satellitennetze, aber zum Aufbau eines eigenen globalen Navigations- und Ortungssystems, das mit GPS, GLONASS oder BeiDou konkurrieren könnte, fehlen dem Land die finanziellen Mittel.
Im März 2019 erprobte IndienIndien dafür mit Erfolg eine ASAT und zerstörte einen eigenen Satelliten in einer Umlaufbahn auf 300 Kilometern Höhe (also deutlich unterhalb der ISSISS) mit einer Rakete. Der indische Premierminister Modi erklärte anschließend in einer Fernsehansprache, Indien sei jetzt die vierte Großmacht im Weltraum. Der chinesische Test im Jahre 2007 hatte Neu-DelhiNeu-Delhi gezeigt, wie Weltraumverteidigung in Zukunft wohl funktioniert und wie weit es selbst hinterherhinkte. Mehrere indische Regierungen hatten versucht, eine multilaterale Regelung für den Frieden im Weltraum herbeizuführen und die Militarisierung zu stoppen, aber 2019 war Neu-Delhi offenbar zu dem Schluss gekommen, dass es nicht länger zusehen durfte, wie ChinaChina und andere Mächte vorankamen. Es war eine schwere Entscheidung. Neu-Delhi hatte andere oft genug für die Militarisierung des Weltraums kritisiert. Für die Weltraumstrategen befindet es sich seither auf der Landkarte.
Auch mit JapanJapan, AustralienAustralien und den USAUSA, seinen Partnern beim »Quad«-Sicherheitsdialog, hat IndienIndien über Weltraumpolitik gesprochen. Das war ebenfalls ein großer Schritt für ein Land, das lange als Führer der blockfreien Staaten galt. Auch hier war eine regionale Rivalität der entscheidende Faktor: Neu-DelhiNeu-Delhi ist sich bewusst, dass vom chinesischen Weltraumwissen auch PakistanPakistan profitieren wird, Chinas Verbündeter und Indiens Nemesis.
Bei den zivilen Aktivitäten im Weltraum fühlt IndienIndien sich sehr viel wohler. Im Oktober 2008 entdeckte seine Chandrayaan-1-Mission (bestehend aus einem Orbiter und einem Impaktor), dass es möglicherweise Wasser auf dem MondMond gibt, insbesondere große Eiseinlagerungen an den beiden Polen. Das war einer der Auslöser für das derzeitige globale Interesse am Bau von Mondstationen. Indien kann sich zwar eine eigene Mondbasis oder Raumstation nicht leisten, ist dem Artemis-Projekt aber trotzdem noch nicht beigetreten.
Dafür wächst seine kommerzielle Raumfahrtindustrie. Das Weltraumzentrum Satish Dhawan (SDSC) etwa 90 Kilometer nördlich der Stadt ChennaiChennai am Golf von Bengalen, das von der ISRO (Indian Space Research Organisation) betrieben wird, untersteht dem Department of Space, das direkt an den Premierminister berichtet. Die Möglichkeit, hier Satelliten zu starten, wurde schon von Dutzenden anderer Staaten, darunter IndonesienIndonesien, MalaysiaMalaysia, der TürkeiTürkei und der SchweizSchweiz, LettlandLettland und MexikoMexiko genutzt.
AustralienAustralien ist einer von Indiens »Quad«-Partnern und denkt fast genauso viel über Chinas Militär nach wie sein nördlicher Nachbar. Im Gegensatz zu IndienIndien hat es aber bisher kaum etwas zur Weltraumabschreckung oder zum Schutz der paar Satelliten getan, die es besitzt. Es ist zwar ein riesiges Land, aber seine Weltraumkapazitäten sind bislang noch sehr gering. Das soll sich jetzt ändern, Australien möchte bis 2030 zumindest zu einer mittleren Weltraummacht aufsteigen, so wie es jetzt schon eine mittlere Land- und Seemacht ist.
Seine Lage in der südlichen Hemisphäre hat unterdessen einen Freund angelockt, der ein sicheres Plätzchen für seine Weltraum-Überwachungsstationen und das Erfassen von Weltraum-Informationen suchte: die USAUSA. In AustralienAustralien kann man Dutzende Stützpunkte in abgelegenen Gegenden verstecken, wo man sie prima absichern kann und der Funkverkehr kaum durch andere Sender gestört wird. Sie können Teile des Himmels im Auge behalten, die man auf der Nordhalbkugel nicht sehen kann, aber auch die Flugbahnen der chinesischen Raketenstarts und die geosynchronen Orbits chinesischer Satelliten verfolgen. Schon 1961 unterschrieb Australien einen Vertrag mit den USA, auf dessen Grundlage mehrere solcher Stationen in ganz Australien gebaut werden konnten. Einige wurden zum Beispiel genutzt, um die amerikanischen Mondlandungen zu verfolgen, auch die im Jahr 1969. Die bekannteste Station ist die Pine GapPine Gap Facility, von der man sagen könnte, dass sie mitten im Nirgendwo liegt, wenn nicht Alice Springs ganz in der Nähe wäre.
Pine GapPine Gap ist wahrscheinlich die wichtigste amerikanische Überwachungs- und Abhöranlage außerhalb der USAUSA und eins der stärksten Bindeglieder zwischen den beiden Ländern. AustralienAustralien steht unter dem Schutz des amerikanischen Atomschirms, und das verpflichtet das Land, einen Beitrag zu dessen Wirksamkeit zu leisten. Der Stützpunkt wurde 1970 eröffnet, erhielt aber erst 1988 den Namen Joint Defence Facility Pine Gap (JDFPG). Das Wort »Joint«, also »gemeinsam«, machte dabei eine leichte Veränderung bei der Verantwortung deutlich. Australische Militärs erhielten damals führende Posten beim Betrieb der Station, einschließlich den des Stellvertretenden Leiters der Anlage. Zum Mantra der Zusammenarbeit gehört es seitdem, dass alles in Pine Gap »mit voller Kenntnis und Zustimmung der australischen Regierung« geschieht.
Der damalige australische Verteidigungsminister Stephen SmithSmith, Stephen wiederholte dieses Prinzip 2013 in einer Rede vor dem Parlament in CanberraCanberra und ergänzte es mit dem Hinweis, dass die Zusammenarbeit sich auf die Bereiche »Cybertechnik, Satellitenkommunikation und Weltraum« ausgedehnt hätte. In Pine GapPine Gap gibt es inzwischen auch eine Relaisstation für Amerikas weltraumbasiertes Infrarotsystem SBIRS, das startende Interkontinentalraketen erkennt. Es gibt im Indo-PazifikPazifik heute mehr Länder mit Interkontinentalraketen und Kernwaffen als irgendwo sonst auf der Welt (ChinaChina, NordkoreaNordkorea, PakistanPakistan, IndienIndien und die USAUSA), sodass AustraliensAustralien Zugang zu diesem Frühwarnsystem ein lebensnotwendiges Element seiner Verteidigung ist.
Am 18. Januar 2022 gründete CanberraCanberra sein Defence Space Command (DSpC), das der Royal Australian Air Force unterstellt ist. Das war ein Zeichen dafür, dass die Regierung die Bedeutung dieses Bereichs der Geopolitik und Kriegführung anerkennt und dort ein gewisses Maß an Souveränität haben will. Das spiegelte sich auch in einem Dokument wider, das 2022 veröffentlicht wurde. Man müsse Kapazitäten entwickeln, hieß es da, die »im Falle einer Beschädigung wiederhergestellt und im Falle eines Angriffs verteidigt« werden könnten. Das bezog sich auf den Bau einer großen Anzahl kleiner Satelliten, die schnell ersetzt werden können, wenn sie auf ihren Umlaufbahnen zerstört werden. Wie viele davon militärische Satelliten sein sollen, ist unbekannt, aber man kann davon ausgehen, dass etliche sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Die Chefin des Space Command, Air Vice-Marshal Catherine RobertsRoberts, Catherine, ist der Ansicht, dass AustralienAustralien »weit zurückliegt« und seine »Kapazitäten rasch aufbauen muss, damit wir die Bedrohungen abwehren können«.
Die Notwendigkeit, ein Raumkommando zu gründen, wurde dadurch verstärkt, dass AustralienAustralien im September 2021 dem AUKUS-Pakt beitrat. AUKUS (Australien/UK/US) beschäftigt sich vor allem mit der Beschaffung von Atom-U-Booten für Australien, aber das Abkommen enthält auch Hinweise auf eine Zusammenarbeit im Weltraum. Die Amerikaner haben die Space ForceUS Space Force und die Briten das Space CommandUK Space Command, und deshalb musste in Windeseile auch ein australisches Defence Space Command gegründet werden.
Im kommerziellen Bereich hinkt AustralienAustralien ebenfalls noch etwas hinterher. Seine zivile Space Agency wurde erst im Juli 2018 gegründet. Sie ist relativ klein, aber sehr konzentriert, und hat den Ehrgeiz, die kommerzielle australische Weltraumindustrie bis 2030 mit bisher zehntausend Jobs und einem Umsatz von 3,9 Milliarden australischen Dollar auf dreißigtausend Jobs und einen Umsatz von 12 Milliarden zu steigern. Das ist ein kühnes Ziel, aber zumindest haben sie angefangen. Australiens Mangel an eigenen Satelliten bedeutet, dass es gegenwärtig für Wettervorhersagen oder die Warnung vor Naturkatastrophen auf andere Länder angewiesen ist. Es braucht Informationen von JapanJapan, ChinaChina, der ESAESA und den USAUSA. Ein Zehnjahresplan, um das zu beheben, wird wahrscheinlich dazu führen, dass bald eine Konstellation von australischen Wetter-, Kommunikations- und militärischen Satelliten im Orbit kreist.
Die Weltraumaktivitäten im indo-pazifischen Raum sind ein Spiegelbild der wirtschaftlichen und politischen Realitäten in der Region. ChinaChina hat versucht, die Führung zu übernehmen, und die APSCOAsia-Pacific Space Cooperation Organization (APSCO) ins Leben gerufen, um den japanischen Einfluss zurückzudrängen. Damit hat es einige Entwicklungsländer an sich gebunden und die Kosten besser verteilt. JapanJapan und IndienIndien haben im Gegenzug ihre militärischen Raumkapazitäten erhöht und die Beziehungen zu AustralienAustralien verstärkt. China ist der größte Player, hat aber nicht viele Freunde, übrigens auch nicht bei der APSCO, während alle anderen eins gemeinsam haben: die Sorge vor Chinas Übermacht.
Unter diesen Umständen ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass die Region sich in einer gemeinsamen Weltraumorganisation vereinigt. Bei der wissenschaftlichen und kommerziellen Zusammenarbeit gibt es zwar einigen Spielraum, aber im militärischen Bereich muss man damit rechnen, dass es in Zukunft wieder eine Blockbildung geben wird.
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Im Nahen Osten gibt es mehrere aufstrebende Weltraummächte, und über künftige Allianzen wird erst noch entschieden.
IsraelIsrael, eins der kleinsten Länder der Erde, hat schon in den Fünfzigerjahren mit der Weltraumforschung begonnen und im Januar 1983 die Weltraumagentur ISA gegründet, die dem Ministerium für Wissenschaft und Technologie untersteht. Sechs Jahre später hatte es seinen ersten Ofeq-Aufklärungssatelliten gestartet. Die Israelis wollten nie wieder so überrascht werden wie im Jom-Kippur-Krieg von 1973, als ägyptische und syrische Truppen sie angriffen.
Bei der Satellitentechnologie mussten die Israelis ganz von vorn anfangen, aber bei der Raketentechnologie besaßen sie gewisse Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit FrankreichFrankreich in den Sechzigerjahren. Die ballistischen Jericho-2-Raketen, die für die Beförderung von atomaren Sprengköpfen konzipiert waren, wurden zu der Trägerrakete Shavit weiterentwickelt. Heute besitzt –IsraelIsrael eine Konstellation von mehreren Aufklärungs- und Kommunikationssatelliten.
Die meisten Länder starten ihre Weltraumraketen in Richtung Osten, weil ihnen dabei die Erdumdrehung hilft, aber in IsraelIsrael ist das nicht so. Die Shavit startet in Richtung Westen, entgegen der Erdumdrehung. Damit wollen die Israelis vermeiden, dass die Raketen bewohnte Gebiete gefährden oder irrtümlich für einen Angriff auf die arabischen Staaten im Osten gehalten werden.
Die Shavit-Raketen fliegen stattdessen über das Mittelmeer in Richtung GibraltarGibraltar und AtlantikAtlantik. Dadurch verbrauchen sie mehr Treibstoff als andere, um aus der Atmosphäre herauszukommen, und die Nutzlast, die sie befördern können, verringert sich um dreißig Prozent. Das ist natürlich ein Nachteil, aber die Israelis haben sich bemüht, aus der Not eine Tugend zu machen. So wie die prekäre Sicherheitslage zur Entwicklung von Aufklärungssatelliten geführt hat, haben die Probleme mit der Richtung ihrer Raketenstarts bewirkt, dass es den Israelis heute gelingt, mit kleineren und leichteren Geräten genauso scharfe, hochauflösende Bilder und eine sichere Kommunikation zu gewährleisten wie andere mit sehr viel größeren Geräten. Je kleiner und leichter die Satelliten sind, desto mehr von ihnen kann eine Rakete befördern und desto kostengünstiger ist der Transport.
Derzeit arbeitet IsraelIsrael an Nanosatelliten, die im Formationsflug durchs All schwirren, und dem ULTRASAT-Raumteleskop, das 2025 in Umlauf gebracht werden soll. Das National Knowledge Center on Near Earth Objects an der Universität Tel Aviv erforscht kleinere Meteoriten, die ins Sonnensystem eingedrungen sind, und sucht nach Möglichkeiten, etwaige Bedrohungen auszuschalten, und das Cosmic Ray Center auf dem Mount Hermon beobachtet potenziell gefährliche Phänomene wie Sonnenstürme.
Auch in IsraelIsrael gibt es Bestrebungen, auf den MondMond zurückzukehren. Ja, tatsächlich zurückzukehren. Die privat finanzierte SpaceIL-Stiftung hatte 2019 den Beresheet-Lander zum Mond geschickt. Allerdings erlitt er beim Versuch einer weichen Landung im Mare Serenitatis eine Fehlfunktion und crashte in letzter Minute. Das Gerät liegt immer noch da, und in seinem Inneren befindet sich eine Miniaturausgabe der Tora, die mit dem Wort Beresheet beginnt. Das bedeutet: »Im Anfang …«
Es war nicht der einzige Anfang. Ein Jahr nach dem Crash unterzeichneten IsraelIsrael und die Vereinigten Arabischen EmirateVereinigte Arabische Emirate die Abraham Accords und normalisierten ihre Beziehungen. Beide gehören zu den führenden Raumfahrtnationen, und so war es nur logisch, dass sie im Oktober 2021 ankündigten, die Beresheet-2-Mission gemeinsam durchzuführen, wobei die SpaceIL-Stiftung federführend sein wird.
Gestartet werden soll im Jahr 2025. Ein Mutterschiff soll den MondMond umkreisen und zwei Lander aussetzen: den ersten auf der Vorder- und den zweiten auf der Rückseite des Erdtrabanten, wo bislang nur ChinaChina gelandet ist. Wenn der Plan gelingt, wäre es die erste Doppellandung. Außerdem wären die beiden Lander die kleinsten, die es bisher gab. Jeder wiegt nur 120 Kilogramm, und da ist der Treibstoff schon einkalkuliert. Das Mutterschiff kreist dann noch fünf Jahre weiter auf einer Erdumlaufbahn und schickt fleißig Daten nach Hause, unter anderem über den Klimawandel, das Wachstum der Wüsten und das Schwinden der Wasservorräte – Themen, die beide Länder in hohem Maße beschäftigen.
Eine Plakette am ersten Beresheet besagte: »Kleines Land, große Träume.« Dasselbe gilt auch für die ölreichen Vereinigten Arabischen EmirateVereinigte Arabische Emirate (VAE), die eins der ambitioniertesten Raumfahrtprogramme im Nahen Osten haben.
Die VAE, die aus sieben kleinen Emiraten am Persischen Golf bestehen, starteten ihren ersten Erdbeobachtungssatelliten (DubaiSat-1) im Juli 2009 in Baikonur, besitzen aber erst seit 2014 eine gemeinsame Raumfahrtbehörde, die UAESA in Abu Dhabi. Doch am 9. Februar 2021 trat deren Orbiter »Hope« in eine MarsMars-Umlaufbahn ein und machte die Vereinigten Arabischen EmirateVereinigte Arabische Emirate (nach den USAUSA, der SowjetunionSowjetunion, der ESAESA und IndienIndien) zum fünften Akteur, der den Roten Planeten erreicht hatte. In diesem Fall wurde ChinaChina lediglich Sechster, als Tianwen-1 (nur 24 Stunden danach) ihren Orbit erreichte.
Sarah Al-AmiriAl-Amiri, Sarah, die 1987 im IranIran geborene Leiterin der UAESA, gibt sich mit diesem Erfolg nicht zufrieden. Ihr Team arbeitet an einer Sonde, die nach einem Vorbeiflug an der VenusVenus 3,6 Milliarden Kilometer ins Weltall vordringen soll, um schließlich auf einem Asteroiden zu landen. Starten soll sie 2028, die abschließende Landung ist für 2033 geplant.
Das Raumfahrtprogramm der Vereinigten Arabischen EmirateVereinigte Arabische Emirate ist Teil der Bemühungen um einen Strukturwandel, der die einseitige Abhängigkeit von der Öl- und Gasindustrie aufheben und eine Entwicklung zum Hochtechnologiebereich einleiten soll. Die VAE können heute schon eigene Satelliten bauen und entwickeln eine eigene Satelliten-Konstellation, die sie Sirb nennen: »Vogelschwarm«.
Ebenso wie IsraelIsrael haben die Vereinigen Arabischen Emirate die Artemis AccordsArtemis Accords unterschrieben. Die verbieten die Zusammenarbeit mit anderen Partnern zwar nicht direkt, aber einige Leute runzeln mächtig die Stirn, weil die VAE auch ChinaChina an ihrer Entwicklung teilhaben lassen. So hat die chinesische Firma Huawei das gesamte 5G-Netz der VAEVereinigte Arabische Emirate bereitgestellt. Die Versicherung, dass Huawei keine Hintertüren eingebaut hat, die China Zugang zu geheimen Informationen verschaffen könnten, hat die Besorgnisse der westlichen Freunde allerdings nicht beseitigen können. So haben die USAUSA 2021 aus Sicherheitsgründen einen Deal gecancelt, wonach die VAE fünfzig Kampfflugzeuge vom Typ F-35 erhalten hätten. Die Flugzeuge hätten zwar die 5G-Technologie von Huawei nicht benutzt, aber nach Ansicht der Amerikaner hätte allein schon der Funkverkehr zwischen den Bodenstationen und Sendemasten womöglich zu viel darüber verraten, wie Amerikas Kampfflugzeug operiert.
Jetzt würden die VAE gern ihren Rashid-2-Rover bei der chinesischen Chang’e-7-Mondmission 2026 mitfliegen und womöglich in der Nähe der bemannten Artemis-3-Mission rumsausen lassen. Auch das gefällt nicht jedem, und es kann sein, dass sich die VAE beim Mondprogramm genauso zwischen ChinaChina und den USAUSA entscheiden müssen wie bei den F-35 und Huawei.
Neben IsraelIsrael ist der IranIran das einzige Land im Nahen Osten, das eigene Weltraumraketenstarts durchführen kann. Die Islamische Republik kündigte 1999 an, eigene Satelliten und Trägerraketen bauen zu wollen. Letzteres diente aber vor allem der Tarnung für den Bau von Langstreckenraketen zu militärischen Zwecken.
Die 2004 gegründete iranische Weltraumagentur ISA untersteht dem Ministerium für Kommunikation und Informationstechnologie, aber die Betriebe, die Trägerraketen für die Raumfahrt bauen, stellen auch Langstreckenraketen für das Verteidigungsministerium her. Die stärkste Streitmacht des Landes, die Islamischen Revolutionsgarden (IRGC), haben ein eigenes Raumfahrtprogramm und berichten nicht an den Staatspräsidenten, sondern an den Obersten Revolutionsführer. 2020 starteten sie ihren ersten militärischen Aufklärungssatelliten, der zweite folgte 2022.
Der IranIran ist also grundsätzlich in der Lage, eigene Raketen und Satelliten zu bauen, in Umlauf zu bringen und zu betreiben, allerdings nicht besonders gut. Die Raketen versagen häufig, und die Satelliten sind von schlechter Qualität, haben eine kurze Lebensdauer und sind auf die Unteren Umlaufbahnen beschränkt. Die iranischen Wissenschaftler und Techniker lernen dazu, und ihr Ehrgeiz ist groß. Das Versprechen, bis 2025 einen Mann in den Weltraum zu schießen, klingt trotzdem ein bisschen forciert. 2013 war das bereits für das Jahr 2018 angekündigt worden, und der damalige Präsident Mahmud AhmadinedschadAhmadinedschad, Mahmud hatte sich heldenhaft als Astronaut angeboten. Er wolle sein Leben für die iranische Weltraumfahrt geben, hatte er versprochen. Aber zu seinem Glück ging das Projekt nie an den Start. Und das für 2025 geplante Rendezvous mit dem Schicksal wird wohl auch erst 2032 stattfinden.
Als 2021 Präsident Ebrahim RaisiRaisi, Ebrahim ans Ruder kam, beklagten seine Sprecher den »bedauerlichen« Zustand des Weltraumprogramms und versprachen, daran etwas zu ändern. Der Chef der Raumfahrtagentur wurde gefeuert, und man verpflichtete sich, innerhalb der nächsten fünf Jahre einen Satelliten in einer geostationären Umlaufbahn zu positionieren. Der IranIran müsse die führende Weltraummacht im Nahen Osten werden, hieß es. Die Zahl der Satellitenstarts für die Unteren Umlaufbahnen wurde gesteigert, und in der Hafenstadt Tschabahar soll ein neuer Raketenstartplatz gebaut werden. Die Stadt liegt weit im Südosten des Landes, 25° vom Äquator entfernt, und die Trägerraketen könnten nach dem Start in Richtung Indischer Ozean fliegen.
Auch bei den Weltraumwaffen versucht der IranIran, den Vorsprung von potenziellen Gegnern wie IsraelIsrael und den USAUSA zu verringern. Theoretisch könnte er eine seiner ballistischen Mittelstreckenraketen zu einer Satellitenkillerin umbauen, aber er besitzt nicht die technischen Fähigkeiten, die nötig wären, um etwas zu treffen, das 300 Kilometer über der Erde fliegt und 7,8 Kilometer in der Sekunde schnell ist. Satelliten bloß zu stören, ist einfacher und billiger, und TeheranTeheran hat auch eine gewisse Erfahrung darin. Seit Jahren stört der Iran die persischsprachigen Radioprogramme, die ihm von allen Seiten ins Land geschickt werden, und da das eigene Kabelfernsehen streng zensiert wird, versuchen Millionen Iraner schon seit Jahrzehnten, sich mithilfe von Satellitensendern zu informieren, was bedeutet, dass sich die Regierung in einem ständigen Abwehrkampf gegen die Funksignale befindet, die von außerhalb kommen.
Der IranIran benutzt den Weltraum genauso wie andere Staaten für zivile und militärische Zwecke, hat die militärischen aber immer verborgen. Besonders wegen seiner (von TeheranTeheran stets geleugneten) Bemühungen, eine Atommacht zu werden, sind viele weiter fortgeschrittene Staaten über das iranische Weltraumprogramm sehr beunruhigt und versuchen, es zu unterbinden. Die technologisch weniger entwickelten Länder dagegen sehen das anders. Sie stimmen mit Teheran darin überein, dass der Weltraum nicht bloß dem exklusiven Club derer gehören darf, die zuerst oben waren, sondern für alle offen sein muss. Egal, ob sie wissenschaftlich, ökonomisch oder auch militärisch davon profitieren wollen.
Vor allem die afrikanischenAfrika Staaten würden dem nicht widersprechen. Viele von ihnen haben eigene Weltraumagenturen, darunter SüdafrikaSüdafrika, NigeriaNigeria, KeniaKenia, BotswanaBotswana und RuandaRuanda. Ernsthafte Pläne, kurzfristig an der Weltraumfahrt teilzunehmen, haben die wenigsten, aber sie vertreten die Ansicht, dass jedes die Weltraumaktivitäten betreffende Regelwerk nur global geschaffen werden kann. Die meisten haben im Weltraumrennen auch weder für die USAUSA noch für ChinaChina Partei ergriffen, sondern werden mit demjenigen zusammenarbeiten, der ihre eigenen Weltraumpläne am besten voranbringt. Nigerias ersten beiden Satelliten wurden zum Beispiel von China gestartet, trotzdem unterschrieben NigeriaNigeria und RuandaRuanda im Dezember 2022 als erste afrikanische Staaten die Artemis –AccordsArtemis Accords der Vereinigten StaatenUSA. Die meisten Satelliten für afrikanische Staaten hat übrigens RusslandRussland gestartet, gefolgt von FrankreichFrankreich, den USA, China und IndienIndien.
In ihrem Langzeitprogramm »Agenda 2063« hat die Afrikanische Union (AU)Afrikanische Union (AU) eine den ganzen Kontinent umfassende Weltraumstrategie als eine ihrer fünfzehn Kernaufgaben bezeichnet, um den Lebensstandard der rasant wachsenden Bevölkerung von 1,2 Milliarden zu steigern. Sie geht davon aus, dass AfrikaAfrika es sich nicht leisten kann, auf Dauer ein Netto-Importeur von Weltraumtechnologie zu bleiben, und unterstützt die rasch wachsende Zahl von Start-ups in diesem Bereich. Aber obwohl 2017 die Gründung einer Afrikanischen Weltraumagentur mit Sitz in ÄgyptenÄgypten beschlossen wurde, ging seitdem so gut wie gar nichts voran. Dafür machen einzelne afrikanische Staaten umso größere Fortschritte.
Trotz einer stolzen Anzahl an nationalen Weltraumorganisationen gibt es auf dem Kontinent keine Raketenstartplätze. Während der Apartheid war SüdafrikaSüdafrika eine Atommacht und auch in der Lage, von der Overberg Test Range des Rüstungsunternehmens Denel an der Küste östlich von KapstadtKapstadt Raketen zu starten. Dort wurden bis 1990 Versuche unter anderem mit der israelischen Jericho-2-Rakete und drei südafrikanischen Raketen unternommen, die sub-orbitale Bahnen von bis zu 300 Kilometern Höhe erreichten. Aber als im September 1989 Frederik de Klerkde Klerk, Frederik Präsident wurde und die Apartheid abzubauen begann, ordnete er auch die Einstellung des Atomwaffenprogramms an. 1991 trat SüdafrikaSüdafrika dem Atomwaffensperrvertrag bei, und die Raketenstarts in Overberg wurden beendet. Seither hat kein afrikanischer Staat mehr eigene Startplätze.
Das könnte sich demnächst aber ändern. Anfang 2023 unterzeichnete DschibutiDschibuti einen Vertrag mit der börsennotierten chinesischen Hong Kong Aerospace Technology Group (HKATG). Der Plan sieht vor, dass in dem kleinen Staat am Horn von AfrikaAfrika ein Weltraumstartplatz gebaut wird. Die Hauptstadt des Landes und Hafenstadt Dschibuti verpachtet zehn Quadratkilometer für 35 Jahre an den chinesischen Satellitenhersteller, danach geht die gesamte Infrastruktur an die Regierung von Dschibuti über. Für das Projekt sind eine Milliarde Dollar veranschlagt. Davon sollen Hafenanlagen und Straßen für den Transport der chinesischen Weltraumausrüstung, sieben Satellitenstartplätze und drei Rampen für Raketenversuche gebaut werden. Wenn das Projekt gelingt, hätte ChinaChina ein Kosmodrom in einem Winkel der Erde, der eine globale Schlüsselstellung in Afrika einnimmt: Dschibuti liegt dicht am Äquator (was Raketenstarts verbilligt), außerdem hat China (neben etlichen europäischen Staaten) dort bereits einen Marinestützpunkt. Die Lage an der Meerenge zwischen dem Indischen Ozean und dem Roten Meer ist von hohem strategischem Wert und würde auch ChinasChina Einfluss auf ÄthiopienÄthiopien und andere Länder in der Region erweitern. Der Prestigegewinn für DschibutiDschibuti wäre enorm, und die Investitionen in Hochtechnologie, die damit angestoßen werden, sind ebenfalls nicht zu unterschätzen. Am Ende der Vertragslaufzeit könnte Dschibuti eins der ersten afrikanischen Länder mit einem eigenen Kosmodrom sein.
Schon jetzt sind Satelliten ein Wachstumsmarkt für viele afrikanische Länder. Denn die meisten leben von der Landwirtschaft und sind daher durch den Klimawandel gefährdet. Seit 1998 der erste Satellit des Kontinents in seine Umlaufbahn eintrat, sind vierzig weitere aufgestiegen, und die Zahl der Starts wächst. Der erste war ÄgyptensÄgypten Nilesat 101, dessen Aufgabe darin bestand, fünf Millionen Haushalten Multimedia-Freuden zu bringen, aber heute dienen die Satelliten vor allem der Überwachung der Umwelt. Die Daten werden genutzt, um die Wälder und Seen, ihre Größe und ihre Probleme zu analysieren, und stellen ein Frühwarnsystem für die Behörden dar. Sie können auch die Nahrungsmittelproduktion verbessern. Die University of GhanaGhana zum Beispiel hat sich mit der Rainforest Alliance und anderen Gruppen verbündet, um mit dem SAT4Farming-Projekt zehntausenden Kakao-Farmern bei der Überwachung ihrer Plantagen und der Steigerung ihrer Ernten zu helfen.
SüdafrikaSüdafrika baut seine eigenen Satelliten und ließ sich 2022
von SpaceXSpaceX drei in KapstadtKapstadt gebaute Nanosatelliten in Umlauf schießen. Die drei kleinen Maschinen, von denen jede bloß 20 x 10 x 10 Zentimeter groß ist, gehören zu seiner Maritime-Domain-Awareness-Satellite-Konstellation, die sich mit der Überwachung der Schifffahrt an der südafrikanischen Küste beschäftigt. Südafrikas ausschließliche Wirtschaftszone (Exclusive Economic Zone, EEZ) erstreckt sich 200 Meilen ins Meer hinaus, und weil es so eine lange Küste hat, ist die EEZ größer als das Land selbst. Seine Nanosatelliten erlauben es Südafrika jetzt, die Vorgänge in seinen Küstengewässern weitaus genauer zu kontrollieren als früher.
Auch NigeriaNigeria hat eigene Satelliten. Sie haben unter anderem dazu beigetragen, den Vormarsch der islamistischen Terrorbanden von Boko Haram im Norden des Landes zu stoppen. Dass die Kontrolle aber nicht ausreicht, zeigt sich darin, dass immer wieder Massenentführungen von Schulmädchen stattfinden. Bei dem Überfall auf eine Schule im Jahr 2021 gab der Leiter der National Space Research and Development Agency zu, man habe die Bewegungen der Entführer nicht verfolgen können, weil der Satellit, der sie beobachten sollte, »sich nicht über der Stelle befunden hat, wo die Entführung stattfand«. Das Satellitennetz ist seither jedoch dichter geworden und unterstützt das nigerianische Militär auch bei der Entsendung von Truppen, die in verschiedenen anderen Ländern des Kontinents Frieden stiften sollen.
Ein anderer Schwerpunkt in AfrikaAfrika ist die Astronomie. Die sternklaren Nächte, die noch nicht so stark von Lichtverschmutzung betroffen sind wie auf der Nordhalbkugel, haben Investitionen von ausländischen Unternehmen und Universitäten angelockt. In ÄthiopienÄthiopien, ÄgyptenÄgypten, NigeriaNigeria, NamibiaNamibia, MauritiusMauritius und GhanaGhana gibt es zahlreiche astronomische Observatorien, und eine zunehmende Zahl von Hobby-Astronomen besucht diese Länder. Eine wachsende Tourismusindustrie macht sich das zunutze.
Die Lage SüdafrikasSüdafrika begünstigt sowohl die optische als auch die Radioastronomie. Es gibt große unbewohnte Gebiete, in denen eine natürliche Funkstille herrscht, wo es kaum Wolken gibt und der Blick auf die MilchstraßeMilchstra<FB02>e frei ist. Diese Aussicht erklärt auch, warum sich das größte Radioteleskop der Welt heute in der Halbwüstenlandschaft Karoo in der Provinz Nordkap befindet. Für 330 Millionen Dollar wurde von der südafrikanischen Regierung und zahlreichen ausländischen Institutionen im Lauf von zehn Jahren das MeerKAT-Teleskop errichtet. Es besteht aus vierundsechzig riesigen Antennenschüsseln, die jeweils 20 Meter hoch sind.
Seit seiner Eröffnung im Jahr 2018 hat MeerKAT einige faszinierende Entdeckungen gemacht, dazu gehörten zwei riesige, bisher in den Tiefen des Weltalls verborgene Galaxien, die zweiundzwanzigmal größer sind als die MilchstraßeMilchstra<FB02>e. In den nächsten Jahren soll MeerKAT erweitert und in das sogenannte Square Kilometre Array Observatory (SKAO) integriert werden, ein internationales Projekt von fast zweihundert miteinander verbundenen Parabolantennen und 131 000 kleineren Breitbandantennen in SüdafrikaSüdafrika und WestaustralienAustralien, das von mehr als einem Dutzend Ländern finanziert werden soll, darunter auch IndienIndien, ChinaChina, ItalienItalien, PortugalPortugal, die NiederlandeNiederlande, FrankreichFrankreich, DeutschlandDeutschland und das Vereinigte KönigreichVereinigtes Königreich. Wenn der Ausbau 2030 abgeschlossen wird, dürfte es das größte wissenschaftliche Bauwerk der Welt sein. Die vielen miteinander verbundenen Antennen verteilen sich auf zwei Kontinente und riesige Wüstengebiete, aber sie wirken alle zusammen und ihre Gesamtfläche beträgt einen Quadratkilometer – daher der Name dieses Projekts.
SKAO ist in der Lage, die Schichten von kosmischem Staub zu durchdringen, die optischen Teleskopen in vielen Bereichen die Sicht nehmen, und man erwartet sich eine revolutionäre Erweiterung unseres Wissens. Angeblich wäre SKAO sogar in der Lage, die Radarsignale eines Flughafens aufzufangen, der sich in Billionen Kilometern Entfernung auf einem anderen Planeten befindet – falls es dort Flughäfen gibt. SKAO ist ein weiteres Beispiel dafür, wie internationale Zusammenarbeit zum Nutzen aller funktionieren kann.
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Es gibt zahlreiche solcher Wünsche, Projekte und Pläne – überall auf der Welt. Die Realitäten der Machtpolitik stehen vielen davon im Weg.
Die in diesem Kapitel genannten Initiativen und auch die Pläne anderer Länder wie BrasilienBrasilien, der TürkeiTürkei oder IndonesienIndonesien können den Machtansprüchen der Großen Drei im Weltraum nicht viel entgegensetzen. Das gilt auch für die 2020 geschaffene Latin American and Caribbean Space Agency (ALCE)Latin American and Caribbean Space Agency (ALCE) mit ihren sieben Mitgliedern, die ebenso wie die Weltraumbehörde der Afrikanischen UnionAfrikanische Union (AU) auf Entwicklung angelegt ist. 2019 wurde auch eine Arab Space Cooperation GroupArab Space Cooperation Group gegründet, aber die Zusammenarbeit steckt noch in den Anfängen. Die elf Mitglieder treffen sich jährlich, aber vor allem auf Regierungsebene. Die Zusammenarbeit in solchen Gruppen parallel zum Aufbau einzelstaatlicher Satellitennetze ist für viele Länder durchaus sinnvoll. Aber der stagnierende Fortschritt der Weltraumagentur der Afrikanischen Union zeigt, dass solche Gemeinschaftsunternehmen auch lähmen können.
Abgesehen vielleicht von der ESAESA stehen sich zwei Blöcke gegenüber, die beide den Anspruch erheben, die Verhaltensregeln und internationalen Gesetze im Weltraum zu gestalten. Auf der einen Seite stehen die USAUSA mit den Artemis AccordsArtemis Accords, auf der anderen Seite ChinaChina und RusslandRussland mit ihren Weltraumvereinbarungen. Dabei neigt die ESA wohl eher den USA zu. Alle anderen Länder werden in zunehmendem Maße gezwungen, sich in jeder einzelnen Frage für eine Seite zu entscheiden, und dürfen dabei nie außer Acht lassen, was die jeweilige Entscheidung für ihr Verhältnis zum einen oder anderen Machtblock bedeutet. Je mehr der Weltraum an wirtschaftlicher und militärischer Bedeutung gewinnt, desto stärker wird der Druck, Position zu beziehen. Im Weltraum ebenso wie auf der Erde.