DRITTES KAPITEL

DIE EPOCHE DER ASTROPOLITIK

»Am ersten Tag zeigten wir alle auf unsere Länder.
Am dritten und vierten Tag zeigten wir auf unsere Kontinente.
Vom fünften Tag an nahmen wir nur noch die eine Erde wahr.«

Sultan bin Salman bin Abdulaziz Al-SaudSultan bin Salman bin Abdulaziz Al-Saud, Astronaut

Das Space Shuttle Atlantis hebt am
16. November 2009 vom Kennedy Space CenterKennedy Space Center in Florida ab,
um zur Internationalen Raumstation ISSISS zu gelangen.

Viele von uns halten den Weltraum für etwas, das »weit da draußen« und »in der Zukunft« liegt. Er gehört aber schon lange zum Hier und Jetzt – die Grenze zum großen Jenseits ist längst zum Greifen nahe.

Beim Wettlauf zum MondMond ging es darum hinauszugelangen. Jetzt holen wir uns, was es da gibt. Und die Geschichte lehrt: Je mehr Länder sich an der Raumfahrt beteiligen, desto mehr Konkurrenz, aber auch Zusammenarbeit wird es geben. »Einflusssphä­ren«, ja sogar territoriale Ansprüche werden entstehen, wenn sich die Rivalitäten, die Bündnisse und Konflikte hier auf der Erde ­hinaus in den Weltraum ergießen. Sowohl militärische als auch ­zivile Akteure beäugen schon eifrig die Chancen, die sich zwischen den Umlaufbahnen der Satelliten und dem Mond und in den Räumen dahinter ergeben.

Die Epoche der Astropolitik hat begonnen.

Die großen geopolitischen Theoretiker des 19. und 20. Jahrhunderts wie Admiral Alfred Thayer MahanMahan, Alfred Thayer und Halford MackinderMackinder, Halford haben Orte, Entfernungen, Verkehrswege und Nachschub berechnet, um zu ermitteln, was ein Land leisten und welchen Einfluss es auf die internationalen Beziehungen nehmen kann. Aus ihrer Sicht schufen Meere, Flüsse, Täler und Berge die Bedingungen, unter denen wir Handel treiben und manchmal Krieg führen.

Die Astropolitik folgt den gleichen Prinzipien. Ebenso wie die Geopolitik beruht sie auf dem Raum. Der Weltraum ist ja nicht ohne Gliederung und Gestalt – es gibt Regionen voller Radioaktivität, die umschifft, und Ozeane von gewaltiger Ausdehnung, die überquert werden müssen, Schnellstraßen, auf denen die Schwerkraft eines Planeten das Raumschiff beschleunigt, strategische Korridore, in denen man militärische und kommerzielle Güter befördern kann, und Gegenden voller natürlicher Bodenschätze. All das zieht das Interesse der Großmächte auf sich, die bereits versuchen, einen Vorsprung zu erringen und dauerhaft abzusichern.

Gleichzeitig stellen sich wichtige Fragen. Welche Positionen im Weltraum bieten strategisch die größten Vorteile? Auf welchen Planeten findet man Wasser und Mineralien? Welche Dichte haben die Gashüllen? Gibt es einen Planeten, den man kolonisieren kann?

Um die Astropolitik zu verstehen, muss man die Geografie des Weltalls verstehen.

*

Die Geografie des Weltalls beginnt auf der Erde; denn als Erstes müssen wir raufkommen. Die Kosten und Mühen des Raumflugs sind geringer geworden seit der Zeit des Apollo-Programms (jedenfalls relativ). Aber wenn man – als Staat oder auch als Konzern – an der Raumfahrt teilnehmen will, braucht man immer noch eine Menge Geld, einen Raketenstartplatz oder zumindest einen brauchbaren Ort, der bereit ist, einem Gastfreundschaft zu gewähren.

Also beginnen wir auf der terra firma, ganz buchstäblich, an ­einem Platz, wo man Trägerraketen abschießen kann. Man kann solche Orte mit Häfen vergleichen, die man braucht, um Schiffe auf Reisen zu schicken. Die zweckmäßigsten Standorte zum Start in den Weltraum liegen dort, wo man die Fliehkraft der Erdumdrehung am besten nutzen kann, das heißt am Äquator. Denn dort dreht sich der Erdball mit 1669 Stundenkilometern am schnellsten, und damit kann man eine Menge Treibstoff beim Erreichen der Flughöhe einsparen. Aus diesem Grund starten die Amerikaner ihre Raketen im Kennedy Space CenterKennedy Space Center in FloridaFlorida, wo die Erde sich mit 1440 Stundenkilometern dreht. Die europäische Weltraumorganisation ESAESA startet ihre Raketen im Raumfahrtzentrum Kourou in Französisch-GuayanaFranzösisch-Guayana, das nur 5° nördlich des Äquators liegt. Die Russen starten nach wie vor in Baikonur im südlichen KasachstanKasachstan. Die Erde rotiert von Westen nach Osten, deshalb werden Weltraumraketen stets Richtung Osten gestartet, um von der Erdumdrehung zu profitieren. So spart man Treibstoff und Zeit. Wichtig ist auch, dass ausgebrannte Raketenstufen, die nicht mehr gebraucht werden, nicht auf bewohnte Gebiete he­rabfallen, deshalb liegen die Raumstationen oft an den Ostküs-
ten.

Idealerweise sollten raumfahrende Staaten auch groß genug sein, um die nötigen Ressourcen an ausgebildetem Personal und Technologie, seltenen Erden und Treibstoff im eigenen Land zur Verfügung zu haben, damit das Raumfahrtprogramm keine wesent­lichen Zulieferungen von außen braucht. Die Bevölkerung sollte das Projekt unterstützen und an Wissenschaft und technischen Fortschritt glauben. Ein ausgedehntes Territorium ist auch deshalb von Vorteil, weil man größere Teile des Himmels sieht und (freundliche und weniger freundliche) Satelliten oder Raumschiffe besser beobachten kann.

Alle bisher genannten Aspekte erklären, warum gegenwärtig die USAUSA, RusslandRussland und ChinaChina die dominierenden Mächte im Weltraum sind und eine beträchtliche militärische und zivile Präsenz dort entwickelt haben. Die Europäische UnionEuropäische Union wäre auch dazu in der Lage, wenn sie eine langfristige strategische Entscheidung in dieser Richtung trifft; und IndienIndien hat ebenfalls Potenzial.

Wenn wir den richtigen Ort gefunden haben, um abzuheben, zischen wir jetzt durch die Wolken und passieren rasch die maximale Reisehöhe für Passagierflugzeuge – etwa 12 000 Meter. Noch einmal 68 000 Meter und wir nähern uns der Grenze des Weltraums, den die NASANASA mit 80 Kilometern über dem Meeresspiegel definiert; alles darunter gehört noch zur Erde. Die Fédération Aéronautique Internationale (FAI)Fédération Aéronautique Internationale (FAI) in der SchweizSchweiz, die astronautische Rekorde bestätigt, sieht das allerdings anders. Bei ihr beginnt der Weltraum erst bei 100 Kilometern über dem Meeresspiegel. Hier befindet sich die sogenannte Kármán-Linie, an der sich ein Raumschiff aus der Erdanziehung zu lösen beginnt. Jetzt haben wir die cis-lunare Sphäre erreicht, die sich zwischen Erde und MondMond befindet, der uns in 385 000 Kilometern Entfernung umkreist. Der Begriff »cis-lunar« kommt aus dem Lateinischen und bedeutet »diesseits des Mondes«.

Im Bereich der Unteren Erdumlaufbahnen (Low Earth Orbit, LEO), zwischen 160 und 2000 Kilometern über dem Meeresspiegel, erhaschen wir vielleicht einen Blick auf die Internationale Raumstation (ISSISS), die meist auf 400 Kilometern Höhe kreist. Diese Gegend hat sich ziemlich verändert, seit Sputnik 1 hier oben erschien, schon wegen der Politik. 1993 schlossen die Raumfahrtbehörden der AmerikanerUSA, RussenRussland, EuropäerEuropa, JapanerJapan und KanadierKanada ein Abkommen, in dem sie vereinbarten, zur Überwindung politischer und kultureller Gegensätze eine gemeinsame Raumstation aufzubauen. 1998 schickten die Russen das erste Modul hoch, und zwei Jahre später konnten die ersten Bewohner einziehen. Seither haben sich einhundertfünfzig Amerikaner und über fünfzig Russen die Behausung und die Laborplätze mit Dutzenden Astronauten aus anderen Ländern geteilt, darunter elf Japanern, neun Kanadiern, fünf ItalienernItalien und jeweils vier FranzosenFrankreich und DeutschenDeutschland. Andere Länder, die sich an der wissenschaftlichen ­Arbeit beteiligten, waren BelgienBelgien, BrasilienBrasilien, DänemarkDänemark, GroßbritannienGro<FB02>britannien, IsraelIsrael, KasachstanKasachstan, MalaysiaMalaysia, die NiederlandeNiederlande, SüdafrikaSüdafrika, SüdkoreaSüdkorea, SpanienSpanien, SchwedenSchweden und die Vereinigten Arabischen EmirateVereinigte Arabische Emirate.

Einmal waren dreizehn Nationen gleichzeitig oben, das ist der bisherige Rekord. Die Kontrollzentren in MoskauMoskau und HoustonHouston sorgten dafür, dass die Männer und Frauen sicher hinauf und ­sicher wieder herunterkamen, meist in einer Sojus-Kapsel. Die ISSISS ist ein Symbol dafür, was man im Weltraum erreichen kann, wenn man zusammenarbeitet. Leider hat sie inzwischen das Ende ihrer Lebensdauer erreicht und wird 2031 wohl außer Dienst gestellt; es ist geplant, sie über einem abgelegenen Teil des PazifiksPazifik zum Absturz zu bringen, wo sie dann am Point Nemo bei den ­Fischen zur Ruhe kommt.

Aber vielleicht übersieht man die ISSISS auch im Vorbeiflug; denn im erdnahen Raum ist eine Menge los. Die Unteren Erdumlaufbahnen sind eine beliebte Gegend, hier arbeiten auch die meisten Satelliten. Ohne sie würden die internationalen Kommunikations­netze und Ortungssysteme nicht funktionieren. Wenn sie jemand zerstört, blockiert oder täuscht, finden Ihre Postzusteller und Lieferanten Sie nicht mehr, die Rettungsdienste irren hilflos herum, Schiffe kommen vom Kurs ab und eine industrialisierte Nation wie GroßbritannienGro<FB02>britannien kann jeden Tag eine Million Pfund verlieren. Ihre Bedeutung für die heutige Lebensweise kann gar nicht hoch genug geschätzt werden, und die moderne Kriegführung ist ohne sie überhaupt nicht zu denken.

Satelliten gibt es inzwischen in allen erdenklichen Formen und Größen, von der eines Zauberwürfels mit 1300 Gramm bis zu
der eines Arbeitspferdes mit einer Tonne Gewicht und mehr. Die meisten Modelle haben Solarmodule, um damit elektrische Energie zu gewinnen, aber auch Sonnenschilde, um die Geräte in ihrem Inneren vor der Hitze und Strahlung zu schützen. Alle brauchen ein Kommunikations- und Steuerungssystem, einen Computer, um verschiedene Messungen wie Höhen- und Positionsbestimmungen durchzuführen, und ein Antriebssystem für Kurskorrekturen, falls sie drohen, die vorgeschriebene Umlaufbahn zu verlassen.

Ihre Umlaufbahn erreichen sie mithilfe einer Trägerrakete, die senkrecht aufsteigt und die Atmosphäre so schnell wie möglich durchquert, um den Treibstoffverbrauch zu minimieren. Die meisten werden, wie gesagt, von Westen nach Osten gestartet und nutzen damit die Erdumdrehung. Eine kleinere Anzahl fliegt aber auch über die Pole, allerdings wird dabei mehr Treibstoff gebraucht, um sie auf ihre Umlaufbahnen zu bringen. Diese Satel­liten dienen der Wetterbeobachtung, der Kartografie und der ­militärischen Aufklärung. Jeder ihrer Umläufe dauert ungefähr neunzig Minuten. Der Satellit beobachtet den unter ihm rotierenden Globus in Segmenten wie eine riesige blass-blaue Apfelsine. Innerhalb von 24 Stunden kann dabei die gesamte Erdoberfläche erfasst werden.

Die Satelliten, die in der standardmäßigen West-Ost-Richtung fliegen, brauchen je nach Umlaufhöhe zwischen neunzig und einhundertzwanzig Minuten für eine Erdumkreisung. Sie verbringen immer nur kurze Zeit über einem Gebiet und arbeiten häufig in Gruppen oder Formationen, um ein größeres »Netzwerk« zu schaffen und ihren Einsatzbereich auf diese Weise komplett abzudecken. Dabei kommunizieren sie regelmäßig untereinander und mit den Bodenstationen. AmerikasUSA Global-Positioning-System (GPS) etwa ist derzeit auf mindestens vierundzwanzig gleich­mäßig über den Planeten verteilte Satelliten angewiesen, um das zu erreichen.

Die Unteren Umlaufbahnen sind auch der Bereich, der für bildgebende Satelliten genutzt wird. Die hier gemachten Bilder sind klarer, weil sich die Kameras näher an den Objekten befinden. Militärische Aufklärungssatelliten erfassen mittlerweile die kleinsten Details. Zivile Wettersatelliten haben vielleicht eine Auflösung von 1000 Metern, was bedeutet, dass man auf den Bildern nichts sehen kann, was kleiner als ein Kilometer ist. Für Temperaturmessungen in den Weltmeeren ist das völlig in Ordnung, aber wenn man einen Geheimagenten wie Jason Bourne erkennen will, wenn er ein Gebäude verlässt, ist das einfach nicht scharf genug. Alles mit einer Auflösung von mehr als 50 Metern gilt als »gering«. Moderne Militärsatelliten mit Hightech-Geräten erreichen dagegen eine Auflösung von 15 Zentimetern. Damit kann man sogar die Marke der Sonnenbrille erkennen, die der Geheimagent trägt. Aus Sicherheitsgründen ist der Verkauf solcher Spezial­geräte an Privatunternehmen verboten. Zu wissen, wann so ein Spionagesatellit am Himmel erscheint, ist natürlich sehr nützlich, wenn man nicht beobachtet werden will. Manche kann man mit bloßem Auge sehen, jedenfalls in der Morgen- und Abenddämmerung, bei anderen braucht man Insiderwissen, um sie zu erken­nen.

Strategisch betrachtet sind die Unteren Umlaufbahnen ein Engpass. Solche Engpässe sind uns von der Erde vertraut. Der –SuezkanalSuezkanal gehört genauso dazu wie die Straße von HormusStraße von Hormus; beides sind schmale Seewege, die leicht gesperrt werden können. Die Analogie passt nicht ganz, aber hilfreich ist sie trotzdem. Denn so wie man in der Lage sein muss, seine Raketenstartrampen zu schützen, wenn man ins All will, muss man auch die Kommu­nikationswege zu den Satelliten in Erdnähe sichern. Aber man muss ebenfalls dafür sorgen, dass man diese Sphäre passieren kann, wenn man aufs »offene Meer«, das heißt ins Weltall, hi­nauswill.

Wenn wir weiter nach oben wollen, dürfen wir nicht im Van-Allen-StrahlungsgürtelVan-Allen-Strahlungsgürtel verharren. Diese beiden riesigen, tausende Kilometer hohen Gebiete umschließen die Erde wie ein riesiger Donut. Sie sind von hochradioaktiven Teilchen bevölkert, die vom Magnetfeld der Erde angezogen werden. Die Radioaktivität ist nicht überall gleich hoch, aber in einigen Teilen so stark, dass sie die elektronischen Geräte der Raumschiffe zerstören und bei einem längeren Aufenthalt die chemischen Verbindungen in den Zellen des menschlichen Körpers auflösen kann.

2000 Kilometer über dem Meeresspiegel erreichen wir den Bereich der Mittleren Erdumlaufbahnen (Medium Earth Orbit, MEO), der bis zu 35 786 Kilometern hinaufreicht. Hier brauchen Satelliten zwölf Stunden für eine Umrundung der Erde. Viele von ihnen dienen der Ortung und Navigation auf der Erde und sind mit Atomuhren ausgestattet, die angeblich so genau gehen, dass sie in Millionen Jahren keine Sekunde verlieren. Die Satelliten schicken (mit Lichtgeschwindigkeit) Funksignale zur Erde, an Smartphones und Navis. Sie sorgen also dafür, dass die Autos wissen, wo sie sind und wie sie woanders hinkommen. Meistens ­jedenfalls.

Fahren wir weiter und höher hinauf, zum Hohen Erdorbit der Geosynchronen und Geostationären Umlaufbahnen (Geosynchronous Orbit, GSO, und Geostationary Earth Orbit, GEO), der bei 35 786 Kilometern oberhalb des Meeresspiegels beginnt. (Der Unterschied zwischen GSO und GEO besteht lediglich darin, dass ein geosynchroner Satellit die Erde in jedem Winkel umkreisen kann, während ein geostationärer Satellit stets dem Äquator folgt.)

Die Unteren Erdumlaufbahnen sind für Kommunikationssatelliten nicht gut geeignet, weil sich die künstlichen Himmelskörper dort relativ schnell über die Erdoberfläche bewegen und die Bodenstationen sie kaum verfolgen können, aber in den hohen, geostationären Umlaufbahnen bleiben sie ständig über derselben Gegend. Von der Erde aus erscheinen sie daher auch stationär, denn sie bewegen sich mit derselben Geschwindigkeit wie die Erde, und jeder einzelne Satellit kann bis zu 42 Prozent der Erdoberfläche im Auge behalten. Hier oben sind militärische Kommunikations- und Interceptsatelliten zu Hause, aber ebenso Fernseh-, Radio- und manche Wettersatelliten, die eine große Reichweite haben. Auch hier ist eine Menge los, aber nicht so viel wie auf den Unteren Umlaufbahnen. Wegen der Gefahr von Signalstörungen gibt es hier oben nur eine beschränkte Anzahl von »Slots« und Frequenzen, auf denen die Satelliten verkehren dürfen. Die Interna­tional Telecommunications Union der Vereinten NationenVereinte Nationen teilt diese Frequenzen und Positionen zu, man kann da also nicht einfach irgendwo anhalten und rumfunken.

Hier oben lassen die AmerikanerUSA ihre sechs dual-use Advanced-­Extremely-High-Frequency-Satelliten des AEHF-Systems kreisen, die mit den USAF-Militärflugzeugen und den Streitkräften der BritenGro<FB02>britannien, NiederländerNiederlande, AustralierAustralien und KanadierKanada sowie mit dem amerikanischen Frühwarnsystem fest verbunden sind. Auch das russische Frühwarnsystem YeSSS (Unified Satellite Communication System) mit den geostationären Gorisont-Satelliten ist hier stationiert, und man geht davon aus, dass auch ein Teil des chinesischen C31-Systems solche Aufgaben hat.

Noch weiter draußen liegt eine Art Satelliten-Friedhof. Wenn ein Satellit ans Ende seiner Dienstzeit kommt, wird er von eingebauten Steuerdüsen aus seiner Umlaufbahn auf diesen »Friedhof« gestoßen, noch weiter ins Weltall hinaus, wo er niemandem schaden kann.

Es ist also recht betriebsam über der Erde, und es ist absehbar, dass es noch viel betriebsamer wird. Mehr als achtzig Nationen haben die Grenze zum Weltraum bereits überschritten und Satelliten da oben. Elf Nationen mit Raumfahrtkapazitäten haben diese Satelliten hinaufbefördert. Die wichtigsten Akteure sind ChinaChina, die USAUSA und RusslandRussland. JapanJapan, IndienIndien, DeutschlandDeutschland und GroßbritannienGro<FB02>britannien sind in der zweiten Reihe. Aber auch TunesienTunesien, GhanaGhana, AngolaAngola, BolivienBolivien, PeruPeru, LaosLaos, der IrakIrak und Dutzende andere Länder, die man mit dergleichen nicht so ohne Weiteres in Verbindung bringen würde, beanspruchen einen Platz im Satellitenfeld des Planeten. Viele künstliche Himmelskörper gehören auch Unternehmen aus der Privatwirtschaft.

Nach Angaben der amerikanischen Union of Concerned Scientists trudeln jetzt schon über 8000 Satelliten da oben herum, von denen sechzig Prozent noch aktiv sind, und es werden bald noch viele weitere dazukommen. Es gibt genug Platz für ein paar hunderttausend, aber mit jedem neuen wächst die Gefahr von Zusammenstößen und ernsten Konflikten.

Noch viel weiter draußen als die Hohen Umlaufbahnen sind die Lagrange-PunkteLagrange-Punkte. Das sind regelrechte Parkplätze für Satelliten und Raumschiffe, die sich dort aufhalten, weil die Anziehungskräfte jeweils zweier Himmelskörper sie hier im Gleichgewicht halten, sodass sie keine oder nur minimale Antriebskräfte brauchen, um auf ihrer Umlaufbahn zu bleiben. In Zukunft könnte man dort wohl auch Rohstoffe lagern, die man auf Asteroiden gesammelt hat, oder Baumaterialien für eine Raumstation, ohne fürchten zu müssen, dass sie nicht mehr da sind, wenn man zurückkommt.

In jedem Zwei-Körper-System gibt es fünf solcher Lagrange-PunkteLagrange-Punkte. Das gilt zum Beispiel auch für die Sonne und den JupiterJupiter. Aber an dieser Stelle interessieren uns die Beziehungen zwischen Erde und Sonne und zwischen Erde und MondMond. Der Lagrange-Punkt L1Lagrange-PunkteL1 im System Erde-Sonne ist zwar 1 500 000 Kilometer von der Erde entfernt, aber für das Sonnen- und Heliosphären-Observatorium (SOHO) von ESAESA und NASANASA, das dort oben kreist und die Sonne seit 1996 aus sicherem Abstand im Auge behält, ist er der zuverlässige Mittelpunkt seiner Umlaufbahn. Es sind nur sehr wenige kleine Kurskorrekturen nötig, um das SOHO da oben zu halten. Das James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) traf im Januar 2022 auf seiner Umlaufbahn um den Lagrange-Punkt L2Lagrange-PunkteL2 ein, und weil es Sonne, Mond und Erde den Rücken zuwendet, kann es weit in die Tiefen des Weltalls hinausblicken.

Auch dieses, mehrere Tonnen schwere Gerät kann sich mit winzigen, sparsamen Korrekturen und wenig Treibstoff auf seiner Umlaufbahn halten, und das sollte in den nächsten zwanzig Jahren so bleiben.

Die Lagrange-Punkte L4Lagrange-PunkteL4 und L5Lagrange-PunkteL5 werden bisher nicht genutzt, und L3Lagrange-PunkteL3 ist nicht so interessant, weil er sich auf der anderen Seite der Sonne befindet. Lediglich Science-Fiction-Autoren, die dort eine »Gegen-Erde« erfunden haben, sind bisher von ihm begeistert. (Man vergleiche dazu den Film Doppelgänger von 1969, in dem ein verirrter Astronaut glaubt, zu Hause in England gelandet zu sein, bis er feststellt, dass die Leute in Spiegelschrift schreiben und – noch schlimmer – auf der rechten Seite der Straße fahren.)

Die Lagrange-Punkte L1Lagrange-PunkteL1 und L2Lagrange-PunkteL2 im Erde-MondMond-System könnten sich für Raumstationen anbieten, die als Basislager für den Zugang zum Weltall benutzt werden. Besonders L2Lagrange-PunkteL2 scheint dafür geeignet, denn er befindet sich auf der anderen Seite des Mondes und wird daher nicht durch irdischen Funkverkehr gestört. Die hier stationierten Wissenschaftler könnten also das Weltall und das Schicksal ihrer Raumsonden ohne »Störgeräusche« beobachten.

Die strategischen Vorteile der Lagrange-PunkteLagrange-Punkte stellen aber auch ein Problem dar: Der Versuch, sie zu »besetzen«, könnte zu einem gefährlichen Wettbewerb führen. Glücklicherweise sind sie sehr groß, etwa 800 000 Kilometer im Durchmesser. Vorläufig ist also noch reichlich Platz da, aber man spürt bereits, wie die Weltraummächte sich voller Misstrauen beobachten.

L3Lagrange-PunkteL3 ist auch in diesem System weniger nützlich, denn er befindet sich auf der mondabgewandten Seite der Erde. L4Lagrange-PunkteL4 und L5Lagrange-PunkteL5 hin­gegen werden als Dauerparkplätze für künftige Raumkolonien ins Auge gefasst, weil sie sich relativ nahe an der Erde befinden und im Gegensatz zu L1Lagrange-PunkteL1, L2Lagrange-PunkteL2 und L3Lagrange-PunkteL3 auch völlig stabil sind. Bereits 1975 wurde in AmerikaUSA eine Gesellschaft gegründet, deren Ziel es war, am L5Lagrange-PunkteL5 eine Kolonie nach den Ideen des damaligen Princeton-Professors Gerard Kitchen O’NeillO’Neill, Gerard Kitchen (19271992) zu errichten. Das klingt ein bisschen verrückt, aber die Gründer der L5Lagrange-PunkteL5-Society hatten durchaus Humor. »Es ist unser langfristiges Ziel und unsere feste Absicht«, erklärten sie, »die Gesellschaft spätestens bei einer Massenversammlung am Lagrange-Punkt 5 wieder aufzulösen.« 1986 schlossen sich die 10 000 Mitglieder der L5Lagrange-PunkteL5-Society dann stattdessen den 25 000 Mitgliedern des Space Studies Institute an, das Professor O’Neil 1977 gegründet hatte.

Die Endstation unserer kleinen Tour ist der MondMond, etwa 385 000 Kilometer oder 1,3 Lichtsekunden von unserem Planeten entfernt. Wenn man mit 100 Stundenkilometern fahren würde, brauchte man zwar nur eine Stunde von der Erde zum Weltraum, aber bis zum Mond müsste man noch fast sechs Monate weiterfahren. Die schnellste Reisezeit war bisher die der Raumsonde New Horizons. Sie verließ die Erdatmosphäre 2007 mit 16,26 Kilometern pro Sekunde und flog nach acht Stunden und 35 Minuten am Mond vorbei, aber die bemannten Flüge haben alle etwa drei Tage gebraucht.

Die Oberfläche und die Form des Mondes sind mittlerweile kartografiert. Es ist eine erstaunliche Landschaft mit hohen Bergen, Höhenzügen, Tälern, Ebenen und riesigen Höhlen. Die Oberfläche umfasst knapp 38 Millionen Quadratkilometer und ist somit etwas größer als AfrikaAfrika. Fast eine Milliarde Jahre lang schlugen Meteoriten auf dem MondMond ein und hinterließen große und kleine Krater, die wir zum Teil mit bloßem Auge von der Erde aus erkennen können. Außerdem sehen wir helle und dunkle Flecken: Hochgebirge und tieferliegende Becken, die von den Astronomen der Antike als »Meere« bezeichnet wurden. Tatsächlich aber ist es so, dass die Einschläge der Meteoriten oft auch vulkanische Aktivitäten auslösten, und der hohe Eisengehalt der Lavaströme lässt sie dunkler als ihre Umgebung erscheinen. Als Apollo 11 im »Meer der Ruhe« landete, wussten wir aber, dass es kein Sprung ins kühle Nass sein würde. In klaren Nächten sieht man das 800 Kilometer breite Becken – zumindest von der nördlichen Hemisphäre aus – gleich östlich von der Mondmitte. Der Rest der MondMondoberfläche wird terrae (»Land«) genannt und besteht im Wesentlichen aus Bergen, die bis zu 5000 Meter hoch sind.

Kürzliche Untersuchungen haben ergeben, dass es in einigen der größeren Krater oxydierte Metalle gibt. Man vermutet, dass sie bei den Meteoriteneinschlägen an die Oberfläche geschleudert wurden. Das könnte bedeuten, dass es unter der Oberfläche Metall­oxyde in hoher Konzentration gibt. Man geht davon aus, dass die Mondkruste Vorräte an Silizium, Titanoxid, seltenen Erden und Aluminium enthält. Die Menschheit scheint dazu bestimmt, sich genauer damit zu befassen, die Oberfläche des Mondes aufzureißen und sich diese Metalle zu holen, die für die verschiedensten lebensnotwendigen neuen Technologien gebraucht werden. Für viele Länder sind sie ein großer Anreiz, besonders für solche, die nicht länger von den ChinesenChina abhängig sein wollen, die heute ein Drittel der bekannten Reserven an seltenen Erden besitzen.

Es ist sogar denkbar, dass es genug Energie auf dem MondMond gibt, um menschliche Siedlungen dort zu ermöglichen und obendrein noch die Erde damit zu versorgen. Das Potenzial liegt beim Helium. Der Name dieses seltenen Edelgases ist von dem griechischen Wort helios abgeleitet, was »Sonne« bedeutet; denn da wurde es zuerst gefunden. Das Isotop Helium-4 macht 99 Prozent des auf der Erde gefundenen Heliums aus. Es ist richtig nützlich. Man kann beim Geburtstag Kinderballons damit aufblasen, ganz zu schweigen von Flugzeugreifen und Airbags. Es spielt auch eine Rolle bei der Kühlung von Kernspintomografen. Aber es ist kein Helium-3, und das ist ein Gas, das wir wirklich gut gebrauchen könnten.

Theoretisch kann Helium-3 benutzt werden, um einen Fusionsreaktor zu bauen – den Heiligen Gral der Energieerzeugung; denn die Kernfusion erzeugt mehr Energie als die Atomspaltung, ist aber sehr viel weniger radioaktiv. Nur 0,0001 Prozent des Heliums auf der Erde ist Helium-3, aber auf dem MondMond könnte es Millionen Tonnen davon geben. Das liegt daran, dass der Mond keine Atmosphäre besitzt, deshalb könnte seine Oberfläche seit Jahrmillionen von den Sonnenwinden damit getränkt worden sein.

Ouyang ZiyuanOuyang Ziyuan, einer der führenden Köpfe des chinesischen Mondprogramms, geht davon aus, dass die Kraft von Helium-3 den Energiebedarf der Menschheit für ungefähr 10 000 Jahre ­decken kann. Das klingt sehr zukunftsorientiert, könnte aber auch unsere gegenwärtige Energie- und Klimakrise lösen. Die Wissenschaft kann heute zwar noch nicht genau sagen, wie viel Helium-3 man brauchen würde, um so und so viel Energie zu erzeugen, aber Schätzungen gehen davon aus, dass eine Tonne Helium-3 etwa fünfzig Millionen Barrel Rohöl ersetzen könnte.

Wissenschaftler arbeiten seit vierzig Jahren an Methoden der Kernfusion, und es gibt auch schon grundlegende Ergebnisse und Prototypen von Reaktoren, aber ein echter Durchbruch wird wohl erst im nächsten Jahrzehnt zu erwarten sein. Das Gleiche gilt auch für den Mondbergbau und die dafür nötige Technologie, aber der Prozess ist in Gang gekommen.

Es wird sogar vermutet, dass es Wassereinlagerungen auf dem MondMond gibt. Etwa 2700 Kilometer südlich des Mondäquators liegt das Südpol-Aitken-Becken. Es hat einen Durchmesser von 2500 Kilometern und ist 13 Kilometer tief. In seinem Inneren gibt es hohe Berge, die wegen der Schräglage der Mondachse fast immer von der Sonne beschienen werden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie »Gipfel des Ewigen Lichts« genannt, aber inzwischen weiß man, dass auch die höchsten gelegentlich in der Dunkelheit liegen. In ihrer Nähe gibt es aber auch Krater, die so tief sind, dass die Sonnenstrahlen nie ihren Boden erreichen. Diese ständig im Schatten liegenden Abgründe sind die kältesten Punkte im Sonnensystem, die bisher bekannt sind. Dort wurden Temperaturen von –238° Celsius gemessen, was kälter ist als die Oberfläche des PlutoPluto. In diesen eisigen Tiefen gibt es wahrscheinlich gefrorenes Wasser, das aus Sauerstoff und Wasserstoff besteht; daraus wiederum kann man Raketentreibstoff herstellen.

Wenn man das Eis aus den Kratern geborgen hat, kann man elektrischen Strom durch das Wasser leiten und es durch Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff spalten. Natürlich ist das etwas komplizierter und aufwendiger, als es klingt, aber angesichts von Schätzungen, dass es zehn Milliarden Tonnen Eis an jedem der Mondpole geben könnte, wäre das vielleicht eine gute Idee. Eine Rakete vom MondMond aus zu starten, verlangt viel weniger Energie als ein Raketenstart von der Erdoberfläche, weil die Anziehungskraft des Mondes so viel geringer ist. Eine »Tankstelle« auf dem Mond wäre also nicht nur für die Rückreise zur Erde nützlich, sondern auch für den Start von Sonden und Raumschiffen, die weiter ins Weltall hinausfliegen sollen.

Wie geht es hinter dem MondMond weiter? Nun, es gibt keine Grenzen! Die einzige Grenze ist die Unendlichkeit. Aber für die ab­sehbare Zukunft werden bemannte Raumschiffe kaum Landkarten brauchen, die weiter als bis zum MarsMars reichen. Und auch dort wird kaum jemand vor 2030 hinkommen. Die Planeten in unserem Sonnensystem haben sich relativ nahe beieinander niedergelassen, und Sonden und Geräte können wir inzwischen zu allen hinschicken, aber ein Besuch ist noch lange nicht möglich. JupiterJupiter ist im Mittel 778 Millionen Kilometer entfernt; SaturnSaturn ist 1,4 Milliarden Kilometer weit weg, und bis zum Neptun sind es 4,4 Milliarden Kilometer. Der Mars dagegen erscheint nicht mehr ganz so unerreichbar. Die erste Sonde, die ihn bei einem Vorbeiflug passierte, war der Mariner 4 von der NASANASA im Jahr 1965. Danach umkreisten mehrere Sonden den MarsMars, und 1971 landete Mars 3 der SowjetunionSowjetunion auf dem Planeten, schickte aber nur 14 Sekunden lang ein paar unklare Signale und schaltete sich dann ab. Seit-
her hat man nichts mehr von ihm gehört. Fünf Jahre später traf Viking 1 von der NASA ein, landete auf dem westlichen Abhang der Chrysia Planitia (der »Goldenen Ebene«) und schickte die ersten Fotos der Marsoberfläche.

Inzwischen ist der MarsMars der wohl am besten erkundete und kartografierte Planet im Sonnensystem und der einzige, der von ferngesteuerten Fahrzeugen, den »Mars-Rovern«, untersucht wurde.

Die neuesten Raumfahrzeuge erreichen den MarsMars in ungefähr sieben Monaten, und ein bemannter Marsflug ist absehbar. Elon MuskMusk, Elon, der jetzige CEO von SpaceXSpaceX (offiziell: Space Exploration Technologies Group), hat erklärt, er wolle Menschen noch in diesem Jahrzehnt auf dem Mars landen lassen, und die Reise werde nicht mehr als achtzig Tage dauern. Technologische Fortschritte erfolgen inzwischen zwar schneller als je zuvor, aber dieser Zeitplan erscheint doch ein bisschen zu ehrgeizig.

Das Timing ist in jedem Falle entscheidend. Die durchschnittliche Entfernung zum MarsMars beträgt 225 Millionen Kilometer, aber die Entfernungen zwischen der Erde und den anderen Planeten verändern sich ständig im Zyklus der Umlaufbahnen. Selbst bei der größtmöglichen Annäherung sind es immer noch 54,6 Mil­lionen Kilometer zum Mars, die größte Entfernung liegt bei 400 Millionen Kilometern. Ein Raketenstart müsste so erfolgen, dass die Reise so kurz wie möglich ist. Weitergehende Pläne sehen vor, dass Raketen unterwegs wieder aufgetankt werden können und von einem Planeten zum anderen springen. Auf diese Weise könnte man bis zu den Außengrenzen unseres Sonnensystems ­gelangen. In den nächsten Jahrzehnten allerdings überlassen wir diese Dinge aber wohl besser noch Robotern.

Der MondMond dagegen befindet sich durchaus in unserer Reichweite, und die wichtigsten an der Raumfahrt beteiligten Nationen sind schon ganz begierig darauf, ihre Filialen dort zu eröffnen. Der Abbau und die Verarbeitung von Bodenschätzen auf dem Mond wird unglaublich schwierig sein; die Nutzung von Helium-3 ist vielleicht gar nicht möglich; Kosten und Zeitpläne werden immer wieder davonlaufen, aber wer kann schon tatenlos zusehen, wenn die Rivalen womöglich Erfolge erzielen? Oder einen solchen Vorsprung erlangen, dass man selbst aus dem Rennen ist, wenn aus Gedankenspielen konkrete Tatsachen werden? Helium und Wasser sind schließlich keine erneuerbaren Energien, man kann keine Millionen Jahre warten, bis die Sonnenwinde erneuert haben, was sich die Konkurrenten geholt und verheizt haben. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Ökonomisch sinnvoll ist das alles noch nicht, aber man fliegt ja nicht zum MondMond, um auf Anhieb dort Geld zu verdienen. Die Erforschung und Ausbeutung der Neuen Welt dauert jetzt schon 500 Jahre. Was da oben passiert, kann noch länger dauern.

Die Herausforderungen werden angenommen – aus den verschiedensten Gründen. Es geht ums Prestige, aber es gibt auch kommerzielle und strategische Gründe. Eine erfolgreiche Kolonisierung des Mondes würde einem Land (oder einem Bündnis von Ländern) ähnliche Vorteile verschaffen, wie sie früher die Seemächte hatten. Die dominierende Macht wäre in der Lage, die Ambitionen der anderen zu lähmen, indem sie Territorien besetzt und zu kontrollieren versucht. Ihre Beobachtungsstationen hätten freie Sicht auf den Bereich der geostationären Satelliten und der Unteren Erdumlaufbahnen. Die wegweisenden Pioniere würden Maßstäbe setzen. Und sie hätten obendrein den ersten Zugriff auf die Bodenschätze des Mondes und könnten einen Teil davon zu sich nach Hause holen.

Eine Weltraum-Supermacht könnte die Wege von der Erde ins Weltall und durch die Atmosphäre beherrschen und verhindern, dass andere Nationen an der Raumfahrt überhaupt teilnehmen. Wenn sie den MondMond beherrscht, könnte sie nicht nur dessen Bodenschätze für sich behalten, sondern auch dafür sorgen, dass sie die einzige Weltmacht bleibt, die ihn als Basis für die weitere Erkundung des Weltalls nutzen kann. Und wenn sie den Bereich der Unteren Erdumlaufbahnen beherrscht, hätte sie die Kontrolle über den Satellitengürtel und könnte von dort aus bestimmen, was in der Welt geschieht.

Einer der führenden Theoretiker der Astropolitik ist Everett
C. DolmanDolman, Everett C., Professor für Strategie am Air Command and Staff College der US Air Force in Montgomery, AlabamaAlabama, und Verfasser des wegweisenden Standardwerks Astropolitik: Classical Geopolitics in the Space Age (2001). Professor DolmanDolman, Everett C. formulierte ­einen der bekanntesten astrostrategischen Grundsätze: »Wer die Unteren Umlaufbahnen beherrscht, kontrolliert Terra, den erd­nahen Raum. Und wer Terra beherrscht, bestimmt das Schicksal der Menschheit.«

Der Wunsch, bestimmte Regionen des Weltraums zu beherrschen, wächst ständig. Die drei wichtigsten Weltmächte befinden sich in einem Rüstungswettlauf, um sicherzustellen, dass keine der anderen die Oberhand im Weltraum gewinnt. Und das wiederum führt dazu, dass sich auch andere Nationen fragen, welche militärischen Optionen sie haben: JapanJapan, FrankreichFrankreich und das Vereinigte KönigreichVereinigtes Königreich etwa haben längst ihre eigenen militärischen Weltraumkommandos geschaffen.

Dahinter steht eine altvertraute strategische Logik: Wenn ­jemand die Pfeile mit der größeren Reichweite hat (wie die Engländer bei Agincourt), dann muss man bessere Schilde entwickeln und an der eigenen Reichweite arbeiten. Auch früher hätten die Befehlshaber ihre Soldaten nicht ohne die Mittel, mit denen sie sich verteidigen oder den Gegner angreifen konnten, in die Schlacht geschickt. Heute sind Satelliten wichtige Mittel der Kriegführung und ein entscheidender Teil der Frühwarnsysteme, die anzeigen sollen, ob irgendwo Atomraketen gezündet werden. Ein Land, das seine Satelliten verliert, wird verwundbar; und wer keinen Zugang zu den Umlaufbahnen der Satelliten hat, fristet ein unsicheres Dasein. Jedes Land, dass sich zur Kriegführung oder Verteidigung auf Satelliten verlässt, wird dafür sorgen, dass es diese Satelliten verteidigen und nach Möglichkeit die Satelliten anderer Staaten ausschalten kann.

Die heutigen »Gesetze« über Aktivitäten im Weltraum sind bestenfalls Leitlinien. Technologische Entwicklungen und neue geopolitische Realitäten haben sie überholt. Die wachsende Zahl der militärischen und der zivilen Plattformen, die zur Erschließung von Bodenschätzen, der Energieerzeugung, der wissenschaftlichen Forschung oder auch dem Tourismus dienen, haben den Weltraum im 21. Jahrhundert zu einem Gebiet gemacht, das dringend durch zeitgemäße internationale Gesetze und Abkommen reguliert werden muss.

Denn die Vorstellung, dass der Weltraum ein globales Gemeingut ist, verschwindet jedes Jahr mehr. Die Wetteinsätze und Risiken sind gewaltig. Wir brauchen neue Regeln und ein besseres Verständnis des Bereichs, den sie ordnen sollen. Dafür gibt es acht Milliarden Gründe: Jeder Mensch auf der Erde hat einen Anspruch auf geordnete Verhältnisse im Weltraum und globale Zusammenarbeit bei kosmischen Fragen. Ohne sie werden wir über die Grenzen im Weltraum bald genauso streiten wie in der Vergangenheit über die irdischen Grenzen.