Kapitel 16
C‘est la vie
oder besser gesagt: Leck mich!
Wayland
Mentale Notiz:
Vampire stinken immer noch - französischer Akzent ebenso!
D
er rötliche Schein der Leuchtreklame tauchte das Dach, auf dem Wayland hockte, in ein diffuses Zwielicht. Dampf von der Suppenküche im untersten Geschoss des Hochhauses kroch träge aus dem Lüftungsschacht neben ihm hervor und verflüchtigte sich in der frischen Nachtluft. Musik von der naheliegenden Partymeile und vereinzelte Freudenschreie Betrunkener hallten zu ihm auf seinen Wachposten.
Eine Woche war vergangen seit dem Fast-Kuss im Riesenrad und seine Gedanken drifteten immer wieder zu jenem Moment. Es wurde Zeit, dass die Verbrecher von Chicago erneut zuschlugen, die Langeweile und das Rumsitzen taten Waylands Gefühlswelt definitiv nicht gut. Außerdem hatte er zu hart gearbeitet, um sich von einem Beinahe-Kuss ablenken zu lassen. Immerhin waren sie hier nicht in einem der menschlichen Filme, in dem der Held mit seiner neuentdeckten Liebe alles über den Haufen warf, während die Welt in Flammen aufging.
Er hasste romantische Filme, Riesenräder und die Tatsache, dass er
grinsen musste, wenn er an Grayson dachte.
Verdammter Mist! Fokus, Bishop!
Zu allem Überfluss hatte sein Partner die Professionalität für sich entdeckt
–
jedenfalls in seinem Rahmen. Pflichtbewusst trainierte er im Nimbin, konnte mittlerweile immer öfter Geister kontaktieren und ließ sogar in sieben von zehn Fällen seine Gestalt zwischen der irdischen und der Zwischenebene wandern. So stresste er Wayland deutlich seltener bei der Arbeit, was die Konsequenz hatte, dass Wayland viel zu oft an die Nacht im Riesenrad dachte.
Im Privatleben nervte Grayson wie üblich, aber selbst das begann Wayland zu gefallen. Er war definitiv am Arsch. Der Tiger hingegen war die letzten Tage äußerst zufrieden gewesen. Schon fast selbstgefällig, das Biest.
Was ihn zusätzlich verunsicherte, war die Frage, ob es sich um echte Empfindungen handelte oder die ersten zarten Gefühle nur aufgrund der Markierung erblühten. Aber gehörten seine Instinkte nicht zu ihm, selbst wenn er immer versuchte, sich dagegen zu wehren? Fest stand, dass er nicht vorhatte, sich zu verlieben, und er dafür sorgen würde, die Gefühle aufgrund der Markierung zu übergehen.
Richtig, weil Gefühle genau so funktionieren
…
Idiot!
Sein Partner hingegen ließ sich seit der Nacht im Riesenrad nichts anmerken und noch weniger nach dem Dumbo-Vorfall. Die Tatsache, dass Grayson abends meist als Geist in der MIA sein Unwesen trieb, führte zu einer Situation, die Wayland einen neuen Spitznamen eingebracht hatte. Seit Grayson in der Zwischenebene durch Wände gehen konnte, hielt er nicht mehr viel von Türen, Anklopfen oder Privatsphäre allgemein.
Vor zwei Tagen platzte Grayson mal wieder in Waylands Wohnung, nur dass dieser unter der Dusche stand und seinen animalischen Gelüsten allein nachging. Im Gegensatz zu Menschen verstand das Tier nicht, wieso man nicht mehrmals am Tag den Trieben nachgeben sollte. Während Wayland duschte und der Tiger die Kontrolle hatte, hörte er ein lautes Husten in seinem Badezimmer. Nachdem er die Augen öffnete, stand dort sein Partner mit feuerrotem Kopf und offenem Mund.
»Ich … Oh … Wow … Ich sollte gehen. Du bist offensichtlich beschäftigt.« Ohne zu warten, eilte er durch die Wand zurück auf den Flur. Von da an betrat Grayson Waylands Wohnung nur rückwärts und schrie: »Klopf, klopf, pack den Rüssel weg, Dumbo!« Obwohl er sich im Job deutlich verantwortungsbewusster benahm, blieb er privat weiterhin der kindliche junge Mann, der sich nie zu schade war, einen Scherz in den unpassendsten Situationen unterzubringen. Und wenn Wayland ehrlich zu sich war, gefiel ihm das – dieses losgelöste, manchmal alberne Verhalten.
»Hey Dumbo, träumst du von mir?«, durchbrach Graysons Stimme, die
in seiner Kette ertönte, seine Gedanken. Das Team war für diesen Einsatz komplett auf Kommunikation über die Kette gewechselt. Mit einem dämlichen Grinsen winkte Grayson vom gegenüberliegenden Dach. Neben sich hörte Wayland Adalain genervt schnaufen.
So viel zu der Tatsache, dass er professioneller geworden ist.
»Ja, ob ich Salz entlang der Wände streue, in der Hoffnung, Casper, den trotteligen Hausgeist, fernzuhalten.«
Während Grayson und Maple lachten, boxte Adalain gegen Waylands Schulter und schüttelte den Kopf. In der Gasse, gut zwanzig Meter in der Tiefe, lehnte Ash an seinem Motorrad. Sein Blick wanderte zu ihnen nach oben und Wayland konnte schwören, er sah ein wissendes Grinsen. Er musste definitiv aufpassen, bevor diese ganze Sache aus dem Ruder lief.
»Er sollte eigentlich schon hier sein«, sagte Ash, während zwei junge Vampirinnen an ihm vorbei tänzelten und ihn unverhohlen musterten. Kichernd verließen sie die Gasse, sodass nur Ash und sein Motorrad in dem rötlichen Schein zu sehen waren. Auch wenn Ash nicht Waylands Typ war, konnte er durchaus verstehen, dass dessen Muskelmasse und das kantige Gesicht in Kombination mit der Biker-Optik, die er sein eigen nannte, durchaus einige Fans fand. Selbst nach Jahren der Freundschaft schmunzelte er, wie unterschiedlich die Bühnenpersona Fran von dem Agenten Ash waren.
Waylands Blick wanderte durch die Gasse. Bis auf ein schlecht besuchtes Kino für Erwachsene waren keine der Läden geöffnet. Drei riesige Müllcontainer und zwei angekettete Tische, die zu einem geschlossenen Restaurant gehörten, standen direkt neben dem Werwolf in der Stille der Nacht. Nur von Ashs Undercoveragent gab es keine Spur. Zwar waren es nur fünf Minuten, aber dennoch breitete sich Unruhe aus.
»Das gefällt mir nicht.« Gereizt spielte Wayland an der Kette herum. Ash stimmte knurrend zu. Pünktlichkeit war eine der obersten Regeln für den Undercovereinsatz, bevor die Leitung ein Rettungsteam entsandte. In solch gefährlichen Missionen konnten selbst wenige Minuten über Leben und Tod bei einer Evakuierung des Agentens entscheidend sein.
»Hey, es sind nur fünf Minuten. Das ist nichts. Ich bin froh, wenn ich es unter fünfzehn Minuten Verspätung schaffe«, sagte Grayson. Er hockte mit Maple hinter der roten Leuchtreklame auf dem gegenüberliegenden Dach.
»Deswegen bist du auch kein Undercoveragent«, murmelte Wayland.
»Nicht korrekt, ich sehe zu gut aus, um undercover zu gehen.«
»Wenn du nicht gleich die Klappe hältst, dann bist du eine gutaussehende Leiche«, antwortete Adalain und richtete ihr Scharfschützengewehr exakt auf ihn.
Grayson winkte fröhlich zu ihr herüber und sagte mit einem Kichern: »Du hast gesagt, ich bin gutaussehend.«
Wie schafft er es, immer nur das zu hören, was er will?
»Wayland, ich erschieße ihn jetzt, wir können den Auftrag problemlos zu viert erledigen. Bitte um Bestätigung zur Eliminierung.«
Ein lange Pause entstand, in der Wayland schmunzelte, aber nichts sagte.
»Genehmigung nicht erteilt!«, erklang Graysons Stimme. »Ich bin ebenso dein Teamleiter. Nicht erteilt, hast du verstanden?«
Ein Poltern durchbrach die Stille der Gasse und Wayland sah, wie Ashs Körper sich straffte. Adalain bewegte ihr Gewehr in Richtung des Geräusches und schaute durch den Sucher. Auch Wayland kniff die Augen zusammen. Als Tigerwandler war seine Sehschärfe überragend und selbst das Zwielicht sorgte nicht für Probleme. Dennoch fand er keine Unauffälligkeit.
»Nichts«, bestätigte Adalain.
»Vermutlich ein Tier«, sagte Ash und lehnte sich erneut gegen das Motorrad.
»Er ist bald zehn Minuten zu spät, ich kontaktiere das Hauptquartier.« Wayland fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Ash, kann dein Agent aufgeflogen sein, nachdem du ihn kontaktiert hast?«
»Ich war vorsichtig, glaub mir.« Energisch trat Ash einen Stein vor sich, der mit einem lauten Scheppern gegen einen der Container flog. Ein leises Knurren verließ seine Kehle, gefolgt von einem Seufzen. »Informier das Hauptquartier, Extraktion von Agent X16G durch mich bestätigt. Er muss aufgeflogen sein.« Die Stimme des Werwolfs zitterte kaum wahrnehmbar. Ash nahm den Schutz seiner Agenten äußerst ernst. Sie waren wie eine Familie für ihn und bisher hatte er keinen verloren. Immerhin bildete Ash die absolute Elite aus. Aber selbst den Besten passierten Fehler.
Gerade als Wayland die Kette berührte, um das Bergungsteam zu benachrichtigen, polterte es erneut. Sein Blick fuhr nach unten und ein blutender Mann kam in die Gasse gehumpelt.
»Brauche Bestätigung der Zielperson. Ist das unser Agent?« Adalain hatte das Gewehr auf ihn gerichtet.
»Bestätige.« Ash eilte zu seinem Agenten und legte ihm einen Arm um die Schulter, um ihn zu stützen.
»Ihr müsst hier weg«, kam dessen Stimme schwach durch die Kette. »Hinterhalt.«
Aus den Augenwinkeln sah Wayland zwei Rauchschwaden auf dem gegenüberliegenden Dach. »Maple, Vampire!«
Ein scharfer Schmerz durchfuhr plötzlich seinen Rücken und er stolperte vorwärts. Ruckartig fuhr er herum. Vor ihm lauerte ein schwarzer Panther und im Schatten des Dachs konnte er einen Jaguar ausmachen. Wieso hatte er sie nicht gewittert? Der Geruch der beiden ließ ihn innehalten. Sie rochen nicht wie Wandler, sondern wie... Definitiv war da
eine Note von Mensch. Aber wie war das möglich?
Das Heulen von Ashs Verwandlung aus der Gasse riss ihn aus seiner Erstarrung. Mit einem schneidenden Schmerz stießen die Krallen aus seiner Hand hervor und zwei Reißzähne durchbrachen seinen Kiefer. Für eine vollständige Wandlung war keine Zeit. Auch Adalain hatte ihre Giftzähne hervorkommen lassen und vier Spinnenbeine ragten aus ihrem Rücken.
Ein schriller Schrei aus der Luft, ließ Wayland nach oben schauen. Im letzten Moment riss er die Arme vor das Gesicht und die Krallen des auf ihn niederstürzenden Adlers durchfuhren sein Fleisch. Mit einer schnellen Bewegung zertrümmerte er den Kopf des Vogels, der leblos auf den Boden fiel. Bevor Wayland erneut reagieren konnte, prallte der Panther gegen ihn. Wild fauchend versuchte dieser, seine Fangzähne in Waylands Kehle zu graben. Die Augen des Tiers leuchteten unheimlich in dem roten Licht der Leuchtreklame.
Mühsam kämpfte Wayland um die Kontrolle. Normalerweise wäre ein Panther kein Problem für ihn gewesen, aber für gewöhnlich wurde er nicht überrumpelt und konnte sich vollständig wandeln. Seine Klaue fuhr in die Seite des Gegners und die Raubkatze brüllte auf. Neben sich sah er, wie Adalain den Jaguar abwehrte und blitzschnell um diesen herum tänzelte.
Der Panther gab nicht auf, versuchte erneut, Waylands Kehle zu erreichen, während er die Krallen in dessen Brust vergrub. Scharf rissen sie das Fleisch an der Stelle auf. Schmerz pulsierte von der Wunde durch Waylands Körper. Hitze betäubte sein Denken, legte sich wie ein Schleier der Wut über seine Gedanken. Der innere Tiger brüllte und tobte. Wollte freigelassen werden. Aber dafür fehlte die Zeit. Sie würden das zu zweit in der Mischform machen müssen. Mit aller Kraft warf er die Raubkatze gegen die Wand des Treppenhauses, die bröckelte, als das Tier mit einem dumpfen Geräusch auf sie krachte. Dennoch landete der Panther auf allen vieren. Die Augen des Gegners funkelten. Ließen ihr Ziel nicht aus dem Blick. Bereit erneut anzugreifen und dieses Mal zu töten. Der Panther schüttelte den Kopf und setzte zum Sprung an. Wayland wich zur Seite aus, packte das Tier im Nacken und bohrte die Krallen tief in dessen Fleisch. Warmes Blut lief zäh seinen Arm entlang und vermischte sich mit dem eigenen.
Der Gegner schrie auf, warf den Kopf herum und biss wild um sich. Speichel flog Wayland ins Gesicht. Hastig holte er Luft und ließ weitere Tigerzähne durch seinen Kiefer schießen. Ohne länger zu zögern, versenkte er sie im Schädel des Angreifers. Der Geschmack von Eisen explodierte in Waylands Mund. Trieb ihm die Übelkeit in die Kehle, während der Tiger euphorisch brüllte. Dies war kein Kampf, um Gefangene zu machen, hier ging es darum, heil aus der Situation hervorzugehen.
Mit einem kraftlosen Wimmern erschlaffte der Körper des Panthers in
Waylands Griff. Achtlos warf er die Leiche hinab in die Gasse. Sein Blick fuhr zu Adalain, die auf dem Jaguar saß. Ihre Fangarme hatten sich in dessen Seiten gebohrt und die Giftzähne steckten im Hals der Wildkatze.
Drei erledigt. Wayland schaute hinüber zum anderen Dach, auf dem Maple in dichtem Rauch eingehüllt mit dem Wesen kämpfte, das einem Vampir ähnelte. Auch hier konnte Wayland den Geruch nicht ausmachen. Der zweite Vampir lag reglos am Boden. Dunkle Energie schoss von der jungen Hexe in Richtung des aufrecht stehenden Vampirs, der immer wieder auswich. Als dieser sich auf Maple stürzte, hob sie vom Dach ab und schwebte etwa zwei Meter in der Höhe. Ihre Augen waren durchtränkt von purer Finsternis, mit denen sie auf ihren Angreifer schaute. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, das Wayland einmal mehr verdeutlichte, wie gefährlich seine Kollegin trotz ihres fröhlichen Gemüts doch war.
Ein Tropfen Blut schwebte aus dem Nacken ihrer Gegner zu ihr, und Wayland verstand das Grinsen. Sie hatte ihn getroffen und er blutete. Damit war sein Schicksal besiegelt. Nur ein paar Wimpernschläge später quollen die Augen des Vampirs aus den Höhlen hervor und zerplatzten. Blut spritzte Maple ins Gesicht und sie ließ langsam ihre Zunge darüber fahren, während der Gegner tot zusammenbrach.
Da durchfuhr es Wayland wie ein Blitz – Grayson! Wo war sein Partner? Mit dem lauten Pochen seines Herzens im Ohr flog Waylands Blick über das Dach. Erleichtert erblickte er Grayson, der an der Dachkante hockte und in die Gasse starrte. Die Augen aufgerissen, sein Körper zitternd. Wayland folgte seinem Blick. Unten hatte Ash drei Angreifer erledigt, nur um in dem nächsten Augenblick von einem vierten, einem gräulichen Werwolf, niedergeschlagen zu werden. Die Fellfarbe gehörte zu keinem Rudel in Chicago.
Wer waren diese Typen?
Bewusstlos sackte Ash zusammen und riss Wayland aus seiner Verwirrung. Eine Welle der Angst schoss durch ihn hindurch und er konzentrierte sich auf sein Gehör. Ashs Herz schlug weiterhin. Panik ging in Wut über, als er sah, dass der Gegner sich dem am Boden kauernden Undercoveragenten näherte. Ohne länger zu überlegen, gab sich Wayland seinem animalischen Trieb hin und ließ den Tiger endlich frei. Knochen brachen und der ziehende Schmerz der Muskeln verebbte, als seine Pfoten den Boden des Dachs berührten.
Mit flinken Bewegungen sprang er von Balkon zu Balkon, um hinab in die Gasse zu kommen. Auf halbem Weg hörte er Graysons Stimme und hielt abrupt inne.
»Scheiß drauf!«
Wayland schaute nach oben und sah, wie sein Partner von dem Dach sprang. Gut zwanzig Meter in die Tiefe. Ein Brüllen verließ Waylands Kehle
und er riss die Augen auf. Das war Selbstmord. Kurz vor dem Aufprall wechselte Graysons Körper in die Zwischenebene und glitt geschmeidig zu Boden.
Als Wayland neben Ash auf allen vieren landete, schnüffelte er kurz an ihm. Keine schweren Verletzungen. Ein tiefes Heulen erklang hinter ihm und er fuhr herum. Der Werwolf stürzte sich in diesem Augenblick auf den Undercoveragenten und Wayland war sich sofort bewusst: Er würde ihn nicht retten können.
Aus aufgerissenen Augen beobachtete er, dass Graysons Hand sich mit einem Mal um den Arm des schwer verletzten Mannes schloss und er ihn für einen kurzen Augenblick zu sich in die Zwischenebene zog. Genau rechtzeitig. Der Werwolf flog durch sie hindurch und rammte unsanft mit dem Kopf gegen das Mauerwerk des Hochhauses. Benommen ging er zu Boden, als sich Grayson und der Agent wieder materialisierten. Doch Erleichterung wollte sich nicht in Wayland ausbreiten. Graysons Augen strahlten eisig. Fast bösartig. Sie waren auf den Werwolf gerichtete. Ebenso sein Arm, den er wie in Trance ausstreckte. Der Körper des Angreifers begann zu glühen. Ein blaues Licht umspielte ihn und die Muskeln zuckten. Feiner Nebel löste sich aus dem Körper und glitt zu Grayson hinüber.
Wayland hatte es vor wenigen Tagen im Nimbin gesehen. Gertrude hatte seinem Partner erlaubt, etwas von ihrer Seele zu trinken und ihm dabei erklärt, wie er das Verlangen stoppen konnte. Normalerweise benebelte das Trinken seine Sinne, sodass ein Abbruch höchste Konzentration und Selbstbeherrschung erforderte. Zwei Attribute, die nicht oben in der Liste von Graysons Stärken standen.
Wayland eilte zu ihm. Einen Angreifer lebend in die Finger zu bekommen, könnte einige der Fragen beantworten. Er hockte sich neben seinen Partner und miaute leise. Keine Reaktion. Die Augen weiterhin glasig und voller Kälte auf den Werwolf gerichtet, trank Grayson die Seele. Wayland stellte sich auf die Hinterbeine und legte die Vorderpfoten auf Graysons Schultern. Er schmiegte die Stirn an die seines Partners und schnurrte kehlig. Die Kälte wich aus Graysons Augen und er blinzelte verwirrt. Nachdem sich sein Blick vollständig geklärt hatte, lächelte er Wayland an. »Danke.« Graysons Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Wärme durchflutete Waylands Körper. Weiteres Schnurren entfuhr seiner Kehle und er leckte seinem Partner durch das Gesicht.
»Doch nicht vor all den Leuten, Dumbo«, sagte Grayson mit einem Lachen. Der Tiger freute sich und verfiel in den Spieltrieb. Er sprang Grayson in die Arme und beide krachten zu Boden. Dann wälzte er sich auf seinem Partner herum, leckte ihm mehrfach durch das Gesicht und maunzte fröhlich. Zu guter Letzt rieb er sich an ihm. Mit dem Hintern. In Graysons Gesicht.
O bitte nicht! Das wird er mir ewig vorhalten!
Das Blitzen in Graysons Augen bestätigte die Vermutung und das breite Grinsen verriet, dass er es genießen würde. Maple landete neben ihnen, dicht gefolgt von einer kleinen orangefarbenen Spinne, dich sich in eine nackte Adalain wandelte.
»Das hat Spaß gemacht. Wieso machen wir so was nicht öfter?«, fragte Maple mit einem Glucksen. Grayson starrte sie nur mit offenem Mund an.
Selbst Adalain schaute zu ihr, blinzelte zweimal und hockte sich zu Wayland. »Manchmal macht sie sogar mir Angst.«
Maples Kichern bestätigte die Aussage nur und Wayland stimmte der Spinnenwandlerin mit einem Maunzen zu.
»Wir sollten zurück ins Hauptquartier«, murmelte Ash, der zu ihnen hinüber hinkte. Erleichterung durchfuhr Wayland und er nickte mit dem Kopf.
Unmittelbar nachdem sie im Hauptquartier angekommen waren, teilte Director Bishop Wayland mit, dass der Undercoveragent in den Krankenflügel gebracht wurde. Seine Lage war besorgniserregend. Eine unbekannte Magie fraß sich mit schwarzen Schlieren unter seiner Haut entlang und die Heiler konnten ihn in einen magischen Schlaf legen. Das hieß, sie mussten nicht nur um ein Mitglied der MIA bangen, sondern hatten zudem keinen Zugriff auf sein Wissen. Grayson gab sich die Schuld, da Gertrude vermutete, es könnte sich um Nachwirkungen der Zwischenebene handeln. Mehr vermochte sie leider nicht zu sagen, da diese Kraft ihr völlig unbekannt war. Keines von Graysons früheren Ichs hatte bisher ein anderes Wesen mit in die Zwischenebene nehmen können und Grayson selbst erinnerte sich an nichts mehr, was nach seinem Sprung vom Dach bis zum Erwachen aus der Trance passiert war.
Ebenso besorgniserregend war die Tatsache, dass sowohl Irie, als auch Gertrude anmerkten, dass Grayson deutlich mehr Kräfte in kürzerer Zeit besaß als jedes seiner vorherigen Ichs. Etwas an ihm war anders – wich von dem üblichen Zyklus ab.
Als wären diese Informationen nicht genug, teilte Director Bishop Wayland mit, dass der neue Vampir des Teams aus New Orleans angereist war. Die Nacht sollte also noch ätzender werden.
Dachte er bis vor Kurzem, der Grayson vor drei Wochen wäre die größte Bestrafung seines Lebens gewesen, wurde er eines Besseren belehrt. Das
neue Feindbild hatte einen Namen, einen äußerst bescheuerten zudem. Benoît.
Nachdem Wayland zehn Minuten zum Durchatmen auf dem Dach der MIA gewesen war, betrat er die Kommandozentrale seines Teams. Mit zusammengekniffenen Augen musterte Wayland die Teammitglieder, die sich hier versammelt hatte. Grayson und Benoît lachten herzlich über etwas
–
sehr zum Unmut des inneren Tigers, der lauthals brüllte und die Klauen in Waylands Geist vergrub. Wüsste er es nicht besser und wäre Grayson nicht so eine Nervensäge, würde Wayland fast glauben, dass dieses Gefühl Eifersucht wäre.
Sein Blick wanderte zu Maple, die den Möchtegern-Franzosen anhimmelte und zu Ash, dem man eindeutig ansah, dass seine Gedanken nicht jugendfrei waren. Selbst Adalain hatte tatsächlich ein Lächeln auf den Lippen, während ihre Augen auf dem Neuzugang aus New Orleans hafteten, wie eine Fliege im Netz einer Spinne.
»Was für ein Arschloch«, murmelte Wayland vor sich hin und warf die Personalakte des Vampirs auf den Schreibtisch.
»Bon Dieu, was schaust du so verstimmt, Cher?«
Nicht einmal Mon Cher? Nur Cher?
Bisher fand Wayland den französischen Cajun-Akzent und die Abkürzung durchaus sexy, aber in diesem Moment überdachte er seine Theorie. Natürlich musste Benoît überdurchschnittlich gut aussehen, wieso auch nicht? Das Team erregte ja nicht ohnehin schon genug Aufmerksamkeit. Seine dunkelbraune Haut, die strahlend hellen, fast weißen Augen und die vollen Lippen, waren es, die Waylands Team mit Sicherheit so faszinierten. Wäre Benoît kein Vampir, könnte Wayland es auch verstehen. Doch er vertraute den Blutsaugern einfach nicht. Das gute Aussehen wurde durch protzige Kleidung abgerundet. Benoît trug einen maßgeschneiderten Anzug in Mitternachtsblau mit goldenen Verzierungen, der vermutlich Waylands Jahresgehalt kostete und, um es aufzubrechen, diverse Ohrringe und Piercings in Nase und Mund. Ebenfalls in Gold natürlich. Er sah aus, als wäre er das Covermodel eines verdammten Modemagazins.
»Salut, ich bin Benoît.« Der dunkelhäutige Vampir streckte ihm mit einem breiten Lächeln die Hand entgegen. Wayland fragte sich flüchtig, wie er wohl mit einer Zahnlücke aussehen würde und versuchte, seine geballte Faust zu entspannen.
»Steht in deiner Akte, Moreau.«
»So förmlich, Agent Bishop? Oder ist das diese testosterongeladene Version, die man aus Filmen kennt, in denen die harten Jungs sich nur mit Nachnamen ansprechen? Mon dieu, wie aufregend! Chicago ist so … Wie auch du … Erfrischend gewöhnlich.«
Ein verächtliches Schnaufen entfuhr Waylands Kehle. »Wir sind
schließlich bei der Arbeit und wurden vor weniger als einer Stunde überfallen.«
Und du bist ein Vampir. Von dem Grayson mehr als offensichtlich nicht seine Augen nehmen kann. Ich gebe dir gleich Testosteron. Ganz normale Reaktion – nicht eifersüchtig. Nein, kein Stück.
Benoîts Augenbrauen zogen sich zusammen und die silbrig weißen Pupillen schienen Wayland zu durchleuchten. Wenige Augenblicke später lächelte das neue Teammitglied schief.
»Ich warne dich, wehe du liest meine Gedanken«, knurrte Wayland.
»Das muss ich gar nicht. Deine Gedanken sind so laut, die kann ich beim besten Willen nicht überhören, Cher.«
»Oberste Regel. Die Gedanken der Teammitglieder sind tabu. Außerdem ist es ohnehin gegen das Gesetz, ohne Zustimmung die Gedanken von Schattenwesen zu lesen.« Wayland schaute mit zusammengekniffenen Augen zu dem Vampir. »Verstanden, Moreau?«
Benoît hielt dem Blick stand und das Lächeln auf seinen Lippen wurde zu einem arroganten Grinsen. »Oui! Und ich kann dich beruhigen, Agent Bishop. Ich habe kein sexuelles Interesse an Agent Huff, auch wenn ich glaube, dass er es abenteuerlicher mag, als deine Phantasien unter der Dusche es sich ausmalen.«
Okay, das reicht!
Grayson verschluckte sich und hustete laut. Ein tiefes Knurren entfuhr Waylands Kehle und die Krallen schnellten aus den Händen hervor. Mit polternden Schritten kam Ash an seine Seite und schloss die kräftigen Pranken um Waylands Handgelenk.
»Ich glaube das reicht.« Er drehte sich zu Benoît. »Von euch beiden, verstanden?«
Mit einem Lächeln nickte der Vampir langsam mit dem Kopf, ohne dass die Arroganz seine Lippen verließ.
Wieso machst du nicht gleich einen Knicks, du Arschloch?
Daraufhin machte Benoît in der Tat einen Knicks, schaute Wayland in die Augen und zwinkerte. Hitze schoss ihm vom Rücken über den Nacken bis auf die Kopfhaut. Aber anstatt sich auf diesen Bastard eines Vampires zu stürzten, raufte er sich die Haare, drehte sich herum und schritt zur Tür des Teamraums.
»Director Bishop sagt, du bist Verhörspezialist, Moreau? Dann zeig mal, was du kannst.«
»Zu deinen Diensten, Agent Bishop.« Lächelnd trat Benoît näher und wischte mit zwei Fingern etwas von Waylands Hoodie. »Besser. Sah nicht schön aus.« Ohne ihn weiter zu beachten, ging der Vampir leise pfeifend den Gang zum Aufzug entlang. Wie gern Wayland ihm die Gurgel zudrücken wollte, damit aus dem Pfeifen ein Röcheln wurde.
»Na, na, Agent Bishop. Vorher solltest du mich zum Essen einladen. Danach können wir gemeinsam Spaß haben. Hätte ja nicht gedacht, dass du auf die härtere Gangart stehst.« Das dunkle Lachen hallte über den Gang und Wayland atmete mehrfach tief ein und aus. »Begleitet ihr mich, oder ist so ein Verhör zu viel für eure Chicagoer Nerven?«
Mit pulsierender Halsschlagader fuhr Wayland herum und richtete sich an sein Team.
»Wenn ihr wollt, könnt ihr aus dem Nebenraum beim Verhör zuschauen. Ich befürchte nur, dass es nicht sonderlich zivilisiert sein wird. Also falls jemand nicht mit möchte, ist das vollkommen verständlich.«
Er bemühte sich, ein Lächeln aufzusetzen. Immerhin konnte das restliche Team nichts für die Wut in seinem Inneren.
»Ich bin immer zivilisiert. Schließlich entstamme ich den Moreau. Wir haben das Wort Stil erfunden, Cher«, rief Benoît fröhlich vom Gang her.
Ich würde lieber zwei Graysons im Team haben, als einen Benoît. Will Mom mich quälen?
Kurze Zeit später stand Wayland mit seinem Team hinter einer Wand, die sie von dem Verhörraum trennte. Magische Zeichnungen, die rot pulsierten, waren an ihr angebracht, damit sie von dieser Seite hindurchschauen konnten. Auf einem Stuhl, festgebunden mit einem magisch verstärkten Nylonseil, saß der Werwolf aus der Gasse. Weiterhin in seiner Wolfsform.
»Wieso wandelt er sich nicht zurück?«, dachte Wayland laut.
»Das habe ich mich auch schon gefragt.« Ash trat neben ihn und stütze seine kräftigen Arme gegen die Wand. »Keiner von ihnen roch nach Werwolf. Außerdem kenne ich das Rudel nicht.«
»Die Wandler rochen ebenso nicht nach Wandlern.«
»Das Gleiche gilt für die Vampire«, sagte Maple und tippte etwas auf einem Tablet ein. »Bisher noch keinerlei Spuren zu dem Mal oder anderen merkwürdigen Schattenwesen. Es ist, als würden sie nicht existieren.«
»Dann hoffen wir, dass Moreaus Fähigkeiten so groß sind wie sein Ego«, sagte Wayland mit einem Schnaufen. Die Tatsache, dass sie auf den arrogante Vampir angewiesen waren, nervte ihn.
»Nicht nur mein Ego ist groß, Agent Bishop«, antwortete Benoît mit einem Zwinkern beim Betreten des Verhörraums.
Konnte der Bastard durch Wände hören? Ich muss mir später seine Akte
genauer anschauen.
»Darf ich mich vorstellen, mon ami?« Mit einem freundlichen Lächeln setzte er sich dem Gefangenen gegenüber. »Ich bin Benoît Moreau und ich habe ein paar Fragen an dich.«
»Ich bin nicht dein Freund.« Die Stimme des Werwolfs glich einem Knurren.
»Mon Dieu, was für eine männliche Stimme. Aber so unhöflich.« Das Lächeln auf Benoîts Gesicht wurde breiter. Die Augen eisig. »In weniger als zehn Minuten wirst du die Aussage noch einmal überdenken und dir wünschen, wir wären Freunde.« Er stand auf, richtete seinen Anzug und schaute zu dem Gefangenen hinab. »Fangen wir mit einer einfachen Frage an. Wie heißt du?«
»Fick dich!«
»Was für ein ungewöhnlicher Name. Du warst kein Wunschkind, mag ich denken. Der Nachname ist dann Hart? Oder ist Fick der Vorname und Dich der Nachname?«
Grayson kicherte. Als er den Blick von Wayland bemerkte, hustete er übertrieben und grinste unschuldig.
»Nun denn Fick, für wen arbeitest du?« Erneut hustete Grayson neben ihm. Selbst Wayland musste sich ein schwaches Grinsen verkneifen, weil Benoît mit ernster Miene so tat, als wäre Fick ein durchaus gewöhnlicher Name.
»Deine Mutter!«
»Mon Dieu, wir sollten ein paar Regeln aufstellen. Erste Regel: Keine Lügen. Meine Mutter besitzt Hunde, die gepflegter sind als du. Zweite Regel: Wortwahl. Immerhin sind wir hier nicht auf der Straße. Selbst wenn du ein wenig nach Abfall riechst. Und die dritte Regel: Ich wiederhole mich ab jetzt nicht mehr. Also, letzte Chance: Für wen arbeitest du?« Weiterhin verzog Benoît keine Miene.
»Du kannst mich mal!«
Benoît lachte freundlich. »Vielen Dank für dieses Angebot, aber ich befürchte, dass ich mir dabei Parasiten oder andere Geschlechtskrankheiten hole.«
Der Werwolf schaute Benoît mit einer Mischung aus Wut und Unglauben an. »Was bist du denn für ein Vogel?«
»Da du nicht bereit bist zu kooperieren, möchte ich dich gern mit etwas überzeugen.« Ohne den Blick von dem Werwolf abzuwenden, holte Benoît eine Voodoopuppe aus einer Tasche hervor. Mit einer flinken Bewegung kratzte er den Gefangenen, entnahm der kleinen Wunde einen Tropfen Blut und riss ihm ein Haar aus. Sekunden später legte sich Schwärze über Benoîts Augen, während er fremd klingende Worte murmelte. Das Haar sowie das Blut senkten sich ins Innere, verschmolzen mit der Voodoopuppe
und sie nahm die Form des Werwolfs an.
»Et voilà.« Er knickte den Arm der Puppe und mit einem
markerschütternden Heulen brach derselbe des Werwolfs.
»Sterbliche Körper sind faszinierend. So zerbrechlich.« Mit einem Lächeln knickte er den anderen Arm und beide Beine. »Möchtest du mir nun etwas mitteilen, nachdem ich dich ein wenig motiviert habe?«
Der Werwolf schrie vor Schmerzen, spuckte Benoît aber nur ins Gesicht. Ein flüchtiger Schatten huschte über die Züge des Vampirs. Zorn, so heiß wie die Sonne, erstrahlte für den Hauch eines Moments.
Einen Wimpernschlag später nahm er das Einstecktuch aus seinem Jackett und wischte über sein Gesicht. Lächelnd strich er dem Werwolf durchs Fell. Dieser schüttelte sich fluchend.
»Sei ein braves Hündchen.« Er kraulte ihn im Nacken. »Nun denn, genug des Vorspiels.« Benoît holte ein Etui aus der Innentasche des Jacketts. Daraus entnahm er winzige Nadeln. »Was ist euer Ziel und wer steckt dahinter?« Bevor der Werwolf antworten konnte, führte Benoît die Nadeln unter die Fingernägel der Puppe. Kleine Bluttropfen bildeten sich zwischen Fingernagel und dem Fleisch des Werwolfs. Er schrie vor Schmerzen auf. Tränen rannen seine Wangen hinab und er warf sich gegen die Fesseln. »Je länger du dich weigerst zu antworten, umso heißer werden die Nadeln, Cher. Ich empfehle, du sagst mir, was ich wissen möchte. Weit stärkere Wesen sind schon wahnsinnig geworden bei dieser Methode der Überzeugung, glaub mir.«
»Ich kann nicht!« Die Stimme des Werwolfs war rau und kurz vor dem Brechen. »Sie wird mich töten!«
»Und was glaubst du, werde ich mit dir tun, wenn ich keine Antworten bekomme? Wieso denken Gefangene immer, dass ihr Auftraggeber sie tötet, aber ich nicht?«
Die Worte waren nicht gänzlich verklungen, da bildeten sich kaum wahrnehmbar Flammen an der Stirn des Werwolfs.
»Oh nein, das tust du nicht!«, entfuhr es Benoît und er riss die Augen auf. Panisch drehte er sich zur Wand. »Maple, blockier jegliche Magie im Raum! Sofort!«
Verwirrt lugte sie von ihrem Tablet auf, in das sie vertieft war.
»Merde! Maple! Mach schon!«
Nach wie vor sichtlich konfus eilte sie zur Wand, schloss die Augen und summte Worte der Macht. Dünne Rauchfäden, die lila und schwarz flimmerten, flossen aus ihrer Hand in die Wand hinein. Während die Magie aus ihr quoll, bildete sich an ihrem Arm eine kleine Brandnarbe. Schwach schimmerte sie und der Geruch von verbrannter Haut stieg Wayland in die Nase. Grayson starrte ängstlich auf die Stelle an Maples Arm.
»Wenn sie ohne Reagenzien zaubert, fordert Hexenmagie ihren Zoll und
nimmt ihren Körper als Tribut. Daher die Wunden«, erklärte Wayland leise an seinen Partner gerichtet. Dieser nickte nur schweigend.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie ein oranges Licht den Verhörraum erhellte. Kleine Flammen züngelten aus der Stirn des Werwolfs und schossen im Kreis. Nach nur wenigen Augenblicken leuchtete das Mal des Apfels mit der Schlange auf und der Verdächtige stand in Flammen. Benoît sprang zurück und innerhalb kürzester Zeit verbrannte der Gefangene zu Staub. Wayland starrte fassungslos auf den Haufen, der übrig geblieben war.
Unmittelbar später wurde die Tür zum Zimmer aufgerissen. Benoît polterte hinein. Sein Gesicht bestand nur aus Knochen, die Augen glühten und eine schlangenartige Zunge zuckte zwischen spitzen Zähnen hervor. »Was hast du elende Hexe an
sofort
nicht verstanden? Seid ihr alle Anfänger?« Er trat bedrohlich auf sie zu. Wut pulsierte aus seinen Augen, während Maple ihn entgeistert anstarrte.
Hinter Wayland löste sich Grayson und stellte sich vor die junge Hexe. »Mach mal halblang und leg dir wieder Make-up auf.« Er bewegte zwei Finger an Benoîts Wange und sagte dann: »Sieht nicht schön aus.«
Wayland war zwischen Fassungslosigkeit und Belustigung hin- und hergerissen. Jedes Mal aufs Neue erstaunte ihn Graysons Mut, sich in bedrohlichen Situationen vor Leute zu stellen, die er mochte. Außerdem geschah es Benoît recht, dass Grayson ihm denselben Spruch um die Ohren schlug, mit dem der Vampir vor einigen Minuten Wayland beleidigt hatte.
Ein kehliges Lachen entfuhr Benoît. Muskeln und Fasern wuchsen am Mund des Vampirs und verteilten sich über sein Gesicht. Schlängelten sich durcheinander, verwoben sich und bedeckten die blanken Knochen. Haut legte sich Schicht für Schicht darüber. Haare sprossen, wuchsen und formten sich. Nach wenigen Augenblicken war das makellose Gesicht von Benoît zurück und er lächelte Maple zu.
»Es tut mir leid, meine Schönste.« Er nahm ihre Hand und küsste sie. »Manchmal geht meine Natur mit mir durch. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen?« Maple lächelte und nickte ihm zu.
Was zur Hölle? Wieso lächelt sie? Sie sollte ihn kratzen und von innen explodieren lassen.
»Das Verhör würde ich nicht als Erfolg verbuchen, Moreau!« Mit vor der Brust verschränkten Armen baute sich Wayland vor Benoît auf.
»Und wie kommst du darauf, mon ami?«
»Keine Ahnung, vielleicht weil der Befragte explodiert ist?«
»Das war in der Tat unerfreulich.«
»Unerfreulich?« Wayland riss die Augen auf und sein Mund stand offen. »Ein Kaugummi unterm Schuh ist unerfreulich. Ein Regenschauer ohne Schirm ist unerfreulich. Graysons Gesang im Auto ist unerfreulich.«
»Hey, das ist nicht fair!« Sein Partner schob die Unterlippe vor und kratzte sich am Hinterkopf.
»Aber ein explodierter Gefangener ist nicht unerfreulich, das ist eine Katastrophe.«
»Ist er immer so dramatisch?«, fragte Benoît und lächelte Grayson an.
»Nein. Normalerweise ist das mein Job.«
»Wir haben mehr erfahren als ich dachte, dass wir es würden«, sagte Benoît an Wayland gewandt.
»Was? Wir haben gar nichts erfahren! Wir wissen immer noch nicht, wer der Mörder ist! Nicht die winzigste Spur haben wir.« Er bemerkte, wie ihm sein Blut heiß durch die Adern pochte. Es fraß an seinem Inneren. Die einzige Spur, die sie hatten, lag in Form eines Haufens Asche im Nebenraum. Das war ein absolutes Disaster.
»Du hörst nicht zu und schaust nicht hin, Cher. Er sagte,
sie
würde ihn töten. Und dass wir es mit einer Gruppierung und nicht nur einem verrückten Serienmörder zu tun haben, sollte dir wohl mittlerweile ebenso klar sein.«
Wayland nickte grimmig. Mochte sein, dass Benoît damit durchaus recht hatte, dennoch brachte dieses Wissen ihnen rein gar nichts. Sein Blick traf den des Vampirs und das Lächeln auf dessen Lippen zeigte, dass er mal wieder Waylands Gedanken las. »Was?«, bellte er das neue Teammitglied an. »Spuck es aus!«
»Andromedus Clarice.«