Kapitel 18
In den Schatten 3
Z
wielicht herrschte in dem verfallenen Tunnel. Gesteinsbrocken sowie Unrat türmten sich bis zur schmutzverkrusteten Decke. Jordan näherte sich dem Licht, das durch einen Rundbogen aus einem quadratischen Raum in den Tunnel schien. Zwei Stimmen stritten lautstark in seinem Kopf. Er versuchte angestrengt, diese zu ignorieren.
Als sie den Raum betraten, saßen bereits vier Schattenwesen auf den Thronen der Sieben. Superbia, der Anführer des Kollektivs schaute mit wutverzerrten Augen in seine Richtung.
»Setzt euch!«, herrschte er sie an. »Und wandelt euch gefälligst zurück!« Speichel flog bei jedem Wort aus seinem Mund.
Schmerz durchflutete jede von Jordans Zellen. Moleküle zerbarsten,
schwirrten als schwarzer Rauch umher, formten drei Körper, setzten sich erneut zusammen, bildeten Gliedmaßen, Nervenenden und das eigene Bewusstsein. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, obwohl nur wenige Sekunden vergingen. Der Schmerz war alles einnehmend, streckte diese Sekunden zu einer kaum erträglichen Lethargie des Grauens. Und plötzlich, unverhofft, endete es. Keuchend schaute Jordan an sich hinab. Sein Körper war wieder da, ebenso seine Gedanken. Allein. Nicht mehr kollektiv mit den anderen beiden verbunden.
»Setzen!«, zischte Avaritia, als hätte Superbia es nicht ohnehin schon befohlen.
Er wusste, was nun kommen würde, aber das war ihm egal. Die anderen sechs waren Idioten. Hielten sich für etwas Besseres. Bedachte er ihren politischen oder sozialen Stand, dann stimmte es sogar. Er war einfach nur ein Cop, wohingegen sie Politiker, Geschäftsleute und Vorstandsvorsitzende waren. Nichtsdestotrotz hatten sie ihn gebraucht. Seine Gedanken blieben an dem Wort
hatten
hängen und ein Grummeln entfuhr seiner Kehle.
»Was fällt euch ein, ohne Erlaubnis zu verschmelzen und dann zudem Jagd auf den Schlüssel zu machen?«
»Er hat uns nachspioniert und wird zunehmend eine Gefahr«, presste Jordan hervor.
Guala sah ihn aus Augen mit tiefen Tränensäcken an. Der Bauch quoll über den eng gestrafften Gürtel und seine fleischigen Finger spielten mit einem Dolch. Er drehte ihn dreimal bedächtig und schaute dann mit zusammengepressten Augen zu Superbia.
»Ich habe dich gewarnt. Er wird zur Gefahr!«
»Der Schlüssel darf nicht
–
«
»Nicht der Schlüssel. Ich meine den Köter Ira«, unterbrach Guala den Anführer und zeigte bei diesen Worten auf Jordan.
»Wage es noch einmal, mich Köter zu nennen!« Jordan sprang von seinem Stuhl auf. Der Puls hämmerte durch die Adern und sein Kiefer malmte.
»Dann was?« Guala lachte abfällig. Das Grinsen in seinem fülligen Gesicht wirkte wie eine Grimasse. Bevor Jordan etwas antworten konnte, traf ihn der Dolch in die Schulter, durchstieß Muskeln und Sehnen. Ein heißer Schmerz breitete sich in ihm aus. Normale Schmerzen war Jordan aus seinem Beruf gewohnt, aber er spürte das Gift in der Wunde pulsieren. Es fraß sich den Weg aus dem durchstoßenen Fleisch in die Blutbahn. Langsam, wie eine Raubkatze auf der Jagd, näherte es sich seinem Gehirn. Dort explodierte es in einer dunklen Wolke des Grauens. Bilder flammten vor seinem geistigen Auge auf.
Wayland. Blutend am Boden. Wayland. Verschwitzt und stöhnend in Ekstase unter seinem Körper im Bett. Wayland. Am Frühstückstisch.
Wayland. Ihn küssend. Wayland. Mit einem blauen Auge und gebrochenen Rippen. Jordan selbst. Die Macht und Kontrolle, die er spürte, wenn er Wayland demütigte und dominierte. Grayson. Wie er mit Wayland schlief und Jordan sein Eigentum wegnahm. Wut, so pur und rein, dass sie alles im Inneren zerfraß, explodierte in seinem Kopf.
Durch einen Schleier des Schmerzes sah Jordan Superbia blitzschnell zu sich eilen. Eine kräftige Hand legte sich um seine Kehle und hob ihn ohne Mühe in die Höhe. »Du hast das große Ganze aus Eifersucht gefährdet?« Das Gift offenbarte Jordans Gedanken und Ängste. Verdammt.
»Wayland ist mein«, presste Jordan hervor. Er versuchte Luft zu holen, das Gift aus seinem Gehirn zu drängen.
»Du törichter Abschaum!« Mit wutverzerrtem Gesicht warf Superbia Jordan gegen eine Säule. »Der Schlüssel darf nicht sterben, bevor wir bereit sind. Es gibt nur diese eine Chance, die Sieben in uns aufzunehmen!« Das Oberhaupt des Kollektivs schaute abschätzig zu Jordan hinab. »Hast«
–
ein Tritt traf ihn in die Seite, mit einem leisen Knacken brach die oberste Rippe – »du«
–
der nächste Tritt brach ihm eine weitere Rippe
–
»mich«
–
schmerzend traf der Fuß von Superbia Jordans Nase, die laut knackend nachgab
–
»verstanden?«
Widerwillig nickte er. Vorerst würde Grayson leben. Aber der Tag, an dem er ihn vor Waylands Augen töten würde und sein Eigentum wieder sein war, lag nicht in allzu großer Ferne.