Kapitel 19
Einsteigen, die Fahrt in den Wahnsinn beginnt
Wayland
Mentale Notiz:
Ich war so blind, mein ganzes Leben lang.
D
ie Hitze pulsierte durch die Jeans und hinterließ leichte Verbrennungen an Waylands Bein. Nicht nur hatte ihn die Uhr darauf aufmerksam gemacht, dass etwas ganz und gar nicht stimmte, auch der Tiger war außer sich.
Schwer atmend erreichte er die Eingangshalle der MIA. Weiterhin brüllte und tobte das innere Tier und die Uhr glich einem heißen Stück Kohle. Wayland führte seine Hand zu der Stelle, an die ihn die Uhr leitete. Fast einer Hitzespiegelung gleich sah er dort die Umrisse von Grayson. Die Luft vibrierte und zischte, unmittelbar nachdem seine Hand die Erscheinung berührte.
Einen Wimpernschlag später kauerte Grayson auf dem Boden. Sein Gesicht war bleich, die Augen blutunterlaufen und sein Arm … Was war das an seinem Arm? Dunkle Rauchschwaden verließen durch einen Schnitt den Körper. Vermutete Wayland, dass er auch Blut sehen müsste, so war dort keins. Lediglich der Rauch quoll unaufhörlich aus seinem Partner hervor
–
fast so, als würde das Leben aus ihm entschwinden.
»Hey Dumbo«, flüsterte Grayson kraftlos und brach in sich zusammen.
Seine Augen verdrehten sich und die Lider flatterten, als hätte er einen allergischen Schock. Dann schlossen sie sich und Graysons Körper wurde ruhig. Obwohl Wayland den schwachen Herzschlag weiterhin hörte, drängte die Zeit.
»Maple!« Waylands Stimme überschlug sich. Panik breitete sich aus. »Hey Casper, mach die Augen auf.« Er sank neben Grayson in die Knie und zog ihn in seine Arme. »Komm schon! Bitte!«
Maple stürzte in die Eingangshalle, gefolgt von Adalain und Director Bishop. Alle starrten fassungslos zu Wayland und Grayson auf dem weißen Marmorboden. Der Ausdruck in ihren Gesichtern unterschied sich kaum von den großen Statuen, die den Weg zu den Aufzügen säumten.
»Tut doch etwas!« Waylands Brüllen durchschnitt die Stille, in die die sonst so lebhafte Eingangshalle versunken war. Er rüttelte an Grayson. »Mach die Augen auf! Wehe du gibst auf!« Instinktiv wusste Wayland, dass dieser Tod keine Wiederkehr bedeutete. Und das würde er nicht zulassen. Er konnte es nicht zulassen. So sehr er es verleugnete und verdrängte, er wusste, dass es ihn zerstören würde.
»Oma, wir brauchen eine Tür. Grayson«, sagte Maple mit kratziger Stimme, während sie die Kommunikationskette fest umklammert hielt. Kurze Stille. »Nein, schwarzer Rauch aus einer Wunde.« Eine Träne lief Maples Wange hinab. »Ja, ein Schnitt. Nein, er verschließt sich nicht.« Danach begann sie furchtbar zu schluchzen. Was auch immer Gertrude gesagt hatte, es versetzte Maple in absolutes Grauen. Ihre Augen wirkten leblos, ihre Lippen zitterten und Tränen strömten ihre Wangen hinab.
Bevor Wayland fragen konnte, was Gertrude erzählt hatte, manifestierte und öffnete sich die Tür zum Nimbin. Dick schoss hervor und landete auf Grayson Brust, die sich nur flach hob und senkte. Sein bester Freund schenkte Wayland nur einen flüchtigen Blick. Die Sorge darin ließ ihn erzittern. Dick entkorkte eine kleine Phiole und träufelte Grayson die grüne Flüssigkeit in den Mund. Unmittelbar zogen sich dünne Linien durch dessen Haut. Es knackte und knarzte, als seine Haut von gräulichem Stein überzogen wurde. Es dauerte nur wenige Sekunden, fühlte sich aber wie eine Ewigkeit an, bis sein Körper komplett versteinert war.
»Was hast du getan?« Mit wutverzerrtem Gesicht packte Wayland seinen besten Freund am Hals und drückte zu. Ein Quieken entwich Dick, als Wayland eine Berührung an seiner Schulter spürte.
»Das Blut eines Gorgonen. Er hat auf meinen Befehl gehandelt«, sagte Gertrude mit liebevoller Stimme. Erschrocken darüber, wie rabiat er Dick gedrückt hatte, öffnete Wayland die Hand. Mit den Augen versuchte er, sich zu entschuldigen, da die Worte nicht über seine Lippen kommen wollten. Sein bester Freund schüttelte sich und schaute danach voller Mitleid zu ihm. Ein flüchtiges Nicken reichte, damit er wusste, dass sie im
Reinen waren.
»Was bedeutet das alles?« Es kostete Wayland unsäglich viel Kraft, diese Worte zu flüstern. Seine eigene Stimme klang angeschlagen und schwach.
»Nur Mademoiselle Moreau vermag diese Wunde zu schließen. Ihr müsst nach New Orleans. Grayson hätte die Reise nicht überlebt.«
»Und deswegen habt ihr ihn in eine Statue verwandelt?« Die in ihm kochende Wut und das Brüllen des Tigers gaben Waylands Stimme erneut Kraft.
»Er lebt darunter. Der Fluch eines Gorgonen kann aufgehoben werden. Der Tod durch den Dolch jedoch nicht.« Gertrude beugte sich zu Wayland hinunter und nahm sein Gesicht in ihre faltigen Hände. »Es war der einzige Weg, glaub mir. Er wird leben, aber es war knapp. Viel zu knapp.«
»Was war das für eine Wunde?«
»Ihr findet die Antworten in New Orleans. Es ist nicht meine Aufgabe, die Geschichte zu erzählen.«
Wayland atmete tief ein. So sehr er diskutieren wollte, erinnerte er sich an Graysons Worte. Es lohnte nicht zu fragen, wenn er wusste, er bekäme ohnehin keine Antwort. Mit geschlossenen Augen ließ er die angehaltene Luft entweichen. Der innere Tiger lief rastlos hin und her, die Sorge weiterhin deutlich spürbar.
»Wo ist Benoît? Wieso hat er ihn nicht beschützt?« Wayland sprang auf die Beine und suchte mit zusammengekniffenen Augen die Eingangshalle ab.
»Er ist in New Orleans und erwartet euch«, antwortete Irie Bishop.
»Der Blutsauger hat Grayson zurückgelassen?« Wut pulsierte durch Waylands Körper. Ihm war egal, dass Benoît zu seinem Team gehörte, dafür würde er sterben.
»Hat er nicht«, sagte seine Mutter, trat neben ihn und nahm ihn in den Arm. Diese Geste, vor all seinen Kollegen, überraschte Wayland und er ließ den Kopf kraftlos auf ihre Schulter sinken. »Er hat versucht, ihm einen Vorsprung zu verschaffen. Anderenfalls wäre er vermutlich nicht lebendig hier angekommen.« Sie holte tief Luft und seufzte. »Ich weiß, du kannst ihn nicht leiden, aber wenn es ein Wesen gibt, das Grayson treu ist, dann ist es Benoît.«
Warum gerade dieses Arschloch?
»Weil sie seit Hunderten von Jahren Freunde sind.«
»Liest du jetzt auch meine Gedanken?«, murmelte Wayland in die Schulter seiner Mutter.
»Nicht nötig, du denkst zu laut.«
»Das sagte Moreau auch schon. Toller Agent bin ich, wenn jeder erraten kann, was ich denke.«
»Nur insofern es um Grayson geht, mein Liebling. Du weißt, dass alles
gut wird, oder? Mademoiselle Moreau wird Grayson heilen. Wird es vielleicht Zeit, dass ihr über eure Gefühle redet?«
Ohne ein Wort nickte Wayland und war froh, dass er dieses Gespräch mit seinem Partner überhaupt noch würde führen können.
Unmittelbar nach Ash schritt Wayland durch die Tür, die Dick geöffnet hatte, und betrat New Orleans. Er hatte schon viel von dieser Stadt gehört, doch nie die Zeit gefunden, sie zu besuchen. Die Arbeit war stets oberste Priorität gewesen und auf Urlaub hatte er freiwillig verzichtet. Vor ihnen schwebte Grayson horizontal zum Boden im Schneckentempo seines Weges. Gertrude hatte einen Schwebezauber gewirkt, sodass niemand ihn tragen musste. Rocky flatterte neben ihm her und stupste ihn gelegentlich an, um den steinernen Grayson so zu lenken.
Maple und Adalain blieben in Chicago, um von dort aus weitere Nachforschungen zu den Kindern Evas zu betreiben, von denen Benoît Irie berichtet hatte. Sie hatten zwar keine Spur, aber immerhin einen Namen, nach dem sich Adalain auf der Straße umhören konnte, während Maple das Internet durchsuchte. Nun war es lediglich eine Frage der Zeit, bis sich die ersten Informationen finden lassen würden. Jedenfalls hoffte Wayland das.
»Das Haus der Moreaus steht hier im französischen Viertel am Jackson Square.« Ash lächelte Wayland zu. »Er wird schon wieder, weißt du?«
Wayland nickte, da er nicht wusste, was er darauf antworten sollte. Sowohl seine Mutter, als auch Gertrude hatten es ihm zugesichert, dennoch schmerzte es, Grayson als steinerne Statue zu sehen. »Sie bewohnen die alte St. Louise Kathedrale, habe ich gehört.«
»Das stimmt, direkt am Mississippi. Der Ausblick in den frühen Abendstunden auf die alten Flussdampfer, mit einem guten Bourbon in der Hand ist einmalig.« Ash nickte zu einem Straßenschild, auf dem Bourbon Street stand und lächelte. Wayland versuchte, zurückzulächeln, denn er wusste die Bemühung seines Freundes, ihn abzulenken zu schätzen. So gern er zu den Moreaus eilen wollte, war der Schwebezauber äußerst behäbig und zwang sie zum Schlendern.
»Du warst schon öfter hier?«
»New Orleans ist beinah mein zweites Zuhause, wenn ich denn überhaupt eins habe, bei all meinen Auslandseinsätzen. Da entlang.« Ash zeigte nach rechts, in die Richtung, in der die Orlean Street die Bourbon Street kreuzte. Fand man in der Bourbon Street eine Vielzahl von Bars, Clubs und
Jazzlokalen, hatten sich kleine Modegeschäfte, Restaurants, Cafés und Läden für Voodoo-Utensilien in der Orlean Street niedergelassen. »Du erinnerst dich, dass mein Vater im Rat sitzt? Mademoiselle Moreau ist ebenso Ratsmitglied, und wir sind oft zu ihren Festlichkeiten geladen«, setzte Ash fort.
»Ja, Mom hält große Stücke auf deinen Dad.«
»Kein Wunder, die beiden und Mademoiselle Moreau sind die Hauptverantwortlichen für den Pakt. Ohne sie würde das regellose Gemetzel vermutlich immer noch toben. Oder die Menschheit längst ausgerottet sein.«
»Kann man den Moreaus vertrauen?«, fragte Wayland ohne seinen Blick von den Häusern zu nehmen. In dieser Straße, wie scheinbar im Großteil des Französischen Viertels, waren die Gebäude im Stil zwei- und dreistöckiger kreolischer Stadthäuser erbaut. Zierliche, mit Ornamenten verzierte Terrassen, die ununterbrochen ringförmig um die farbenfrohen Backsteinfassaden führten, fand man in all den Stockwerken. Holzschilder und eine Vielzahl von Blumenkästen, gefüllt mit Pflanzen in den unterschiedlichsten Farben, gaben diesem Teil der Stadt ein Flair der spanischen und französischen Kolonialzeit. Fast, als hätte man Amerika verlassen.
Aus einem der Cafés drang schmissige Jazzmusik, begleitet von dem Geruch frischer Speisen. Gebratene Garnelen, Jambalaya und Gumbo mischten sich zu einem faszinierenden Potpourri, das Waylands Magen knurren ließ. Obwohl die kreolische Küche New Orleans‘ in ganz Amerika bekannt war, hatten ihm die Ereignisse den Appetit verdorben.
»Im Gegensatz zu Benoît ist Zola, Mademoiselle Moreau, eine ungemein freundliche, diplomatische und durchaus gerechte Frau. Sympathisch noch dazu.«
Diese Worte waren für Wayland nicht mit einer Vampirin zu vereinbaren, aber er traute Ashs Urteil bedingungslos. Ebenso dem seiner Mutter. Und schlimmer als Benoît konnte ohnehin kein Wesen sein.
»Warte mal«, sagte Ash und stoppte Wayland, indem er seine Hand auf dessen Schulter legte. Er schaute zu einem Stand für gewürztes Blut. Ein Straßenmusiker spielte schwungvoll ein Saxophon für ein paar verweilende Passanten. Menschen, wie auch Schattenwesen. »Du trinkst immer noch kein Blut, oder?«, fragte Ash nach einem kurzen Augenblick.
Im Gegensatz zu Werwölfen und Vampiren brauchten Wandler kein Blut, obwohl einige es dennoch gerne tranken. Bei manchen verlangte das Tier danach, jedoch brauchten sie es nicht zum Überleben.
»Nein, ist mir zu bitter. Im Gegensatz zu euch brauchen wir es ja nicht und ich konnte mich nie dafür begeistern.«
»Das Menschenblut in New Orleans ist einmalig. Nicht wie das der
BlooTex-Blutbank in Chicago. Hier spenden alle Menschen freiwillig und das schmeckt man.«
»Freiwillig?«
»New Orleans wird dich überraschen. Hier gibt es keine Fünf-Prozent-Regel und ebenso keinen Pakt. Jegliche kriminelle Handlungen an Schattenwesen und Menschen werden gleich geahndet. Darüber hinaus gibt es nur eine gemischte Polizei und keine nach Rassen aufgeteilte.«
»Habe ich im Fernsehen des Öfteren gehört und hielt es nur für Propaganda. Und das funktioniert?«
»Ja, aber nur weil es sowohl für Menschen als auch Schattenwesen äußerst strenge Einbürgerungsgesetze gibt. Nur wer wirklich Frieden und Einklang möchte, hat eine Chance in Betracht gezogen zu werden.«
»Und wer entscheidet das?«
»Mademoiselle Moreau und mein Vater, sie regieren die Stadt als Pilotprojekt, um dem Rat zu zeigen, dass Frieden und Gerechtigkeit keine Illusion sind.«
In fließendem Französisch bestellte Ash einen Becher Blut zum Mitnehmen und eine Portion extra scharfe Shrimps. Er nahm einen großen Schluck und bot Wayland an zu probieren. Mit einer Grimasse schüttelte dieser den Kopf. Blut war einfach nicht seins und das würde sich wohl nie ändern.
»Ist das die Kathedrale?« Am Ende der Orlean Street erspähte Wayland ein großes, weißes Gebäude. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nicht mit einem so imposanten Gebäude gerechnet.
»Ja«, antwortete Ash mit einem Lachen. »Du bist davon ausgegangen, dass es mehr einer gewöhnlichen Kirche entspricht, oder?«
»Schon … Wenn auch das Wort Kathedrale mir ja etwas über die Größe hätte sagen sollen. Dennoch rechnete ich mit einem kleineren Bauwerk. Obwohl … Sollte es mich bei Vampiren noch wundern?« Natürlich hatte das eingebildete Pack das protzigste Gebäude in New Orleans bezogen.
»Die Moreau sind anders. Na ja, Benoît eher nicht, aber der Clan schon.«
Wayland nickte grimmig und schlenderte neben Ash die Straße entlang. Grayson schwebte weiterhin träge durch die Luft, als wäre er nicht fast gestorben. Vermutlich würde er sogar einen dummen Witz machen, wenn er sprechen könnte. Leise lachte Wayland und rollte mit den Augen.
»Was ist los?« Fragend schaute Ash von seinen scharfen Shrimps auf.
»Dachte nur gerade daran, dass Grayson vermutlich irgendeinen kindischen Witz über seine Situation machen würde.«
»Gute Einschätzung der Lage.« Ash stopfte zwei weitere Shrimps in den Mund und schmatzte.
»Wieso markiert mein Tiger jemanden, der so unreif ist?«
Wayland schlug die Hand vor seinen Mund.
Wo kommt das denn auf einmal her?
»Fragst du dich eher, wieso er so kindisch ist oder wieso du dich gerade verliebst?« Wachsam musterten Ashs Augen Wayland.
»Verlieben? Bekommen dir die Shrimps nicht?« Innerlich grummelte Wayland. Warum hatte er das Thema überhaupt angesprochen?
»Mal darüber nachgedacht, dass er so kindisch ist, weil er sozial ziemlich inkompetent ist?«, setzte Ash an.
Der Tiger gab ein lautes Knurren zum Besten und unterbrach den Werwolf.
»Lass mich ausreden, Way. Er kann nichts dafür. Eure Geburtstagsgeschenke brachten ihn dermaßen aus der Fassung, weil er nicht weiß, wie er mit Freunden oder Familie umgehen soll. Wundert es dich ernsthaft, dass er dann nicht mit Autorität klar kommt, wenn er immer einsam war? Oder zickig bis kindisch reagiert, falls man ihm etwas verbietet?«
»Nein, aber
–
«
»Ich kenne ihn erst wenige Tage, doch selbst ich habe schon gesehen, wie erwachsen er sich verhalten kann. Manchmal. Äußerst selten
–
zugegeben.« Beide lachten. »Viel wichtiger ist jedoch, dass dieser Mann kein Kind ist und das Herz am richtigen Fleck hat. Gib ihm Zeit. Und gib dir Zeit zu verstehen, dass es schon längst um dich geschehen ist.« Freundschaftlich stupste Ash Wayland mit der Tüte Shrimps an und hielt sie ihm danach mit fragendem Blick hin. Mit einem Kopfschütteln verneinte Wayland das Angebot und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Nachdem er einmal tief eingeatmet hatte, blickte er zu Ash.
»Vermutlich hast du recht«, sagte er dann mit einem Seufzen.
»Nein, ganz sicher habe ich recht. Mit allem.« Ash grinste und zwinkerte. »Wir sind übrigens da. Bereit?«
»Nein.«
»Na dann los«, sagte Ash mit einem Lachen und stieß die riesige Flügeltür zur Kathedrale auf.
Mittlerweile warteten sie seit einer halbe Stunde und Waylands Geduldsfaden war mehrfach gerissen. Hatte er damit gerechnet, dass Grayson direkt bei der Ankunft geholfen würde, so hatte er sich geirrt.
»Bist du dir sicher, dass sie hier leben?«, fragte Wayland und schaute in die leere Halle vor sich. Keinerlei Möbel, verfallener Boden und Putz, der
von Decken, wie auch Wänden bröckelte.
»Vermutlich suchen sie Jude«, antworte Ash gelassen.
»Wen?«
»Lange Geschichte.«
»Offensichtlich haben wir Zeit, also schieß los!«
Genau in diesem Moment waberte die Luft um sie herum auf und der Raum veränderte sich. Sah es zuvor aus, wie eine verlassene Kirche, erstrahlte in diesem Augenblick die volle Opulenz einer reichen Familie. Goldene, mit Amethysten besetzte, Kronleuchter schwebten magisch unter der Decke und warfen ihr warmes Licht auf die Marmorwände sowie den Boden, gefertigt aus Onyx. Purpurne Teppiche mit Goldbestickungen lagen unter mit aufwändigen Schnitzereien verzierten Möbeln, die mehrere Jahrhunderte alt sein mussten. Auf den Stoffbannern, die die Wände säumten, prangte ein goldenes M und verscheuchte jeden Zweifel, wer hier wohnte. Spätestens Benoîts dämliches Grinsen, der unter genau jenem Banner stand, machte es sehr deutlich.
»Ich hasse Vampire«, murmelte Wayland, was ihm ein Lachen von Ash einbrachte. Benoît hingegen schnaufte nur abfällig und musterte die beiden Besucher. Sein Blick glitt zu Grayson und Wayland hätte schwören können, dass er Sorge in den Gesichtszügen sah.
»Wie gut, dass ich keiner bin«, sagte ein junger Mann, der aus Benoîts Schatten trat. Schwarze Haare, ein Drei-Tage-Bart und stechend gelbe Augen. Er trug eine grüne Kutte und ein verwegenes Grinsen im Gesicht. Hellgrüne Muster wanderten über seine bronzefarbene Haut, pulsierten und vibrierten. Es gab keinen Zweifel, dass es sich hier um einen Beschwörer des spanischen Festlands handelte
–
außer dass es eben doch einen großen Zweifel daran gab. Wayland musterte ihn unverhohlen. Der junge Mann besaß nur zwei Augen, wohingegen alle Beschwörer insgesamt vier ihr Eigen nannten. Ebenso hatte er Haare. Sowohl Deckhaar, als auch einen Drei-Tage-Bart, während alle Schattenwesen der Beschwörer-Klassifizierung komplett haarlos waren.
»Ich heiße Jude«, sagte er mit dem für Lousianna typischen Akzent in der warmen Stimme und strecke Wayland die Hand entgegen. Dieser starrte ihn weiterhin verwundert an. »Ist es mein Akzent, der dich so verwirrt? Muss ich Hola sagen und Flamenco zur Begrüßung tanzen? Beides könnte ich, falls du dich dann wohler fühlst«, fügte Jude hinzu. Waylands Augen weiteten sich, aber er brachte kein Wort hervor. »Auch nicht? Vielleicht mein gutes Aussehen? Die Tatsache, dass ich mit Vampiren lebe? Oder ist da einfach kein Licht in deinem hübschen Köpfchen?« Er zwinkerte Wayland zu, dessen Mund mittlerweile weit offen stand. »Oh, ich hab’s. Es müssen meine Augen sein. Du bist der Erste, dem das auffällt.«
»Ist das dein Ernst?« Wayland reichte ihm endlich die Hand und
schüttelte sie.
»Nein, natürlich nicht. Ich verarsche dich nur, Kumpel«, antworte Jude mit einem Augenrollen und lachte lauthals.
Oh Scheiße! Grayson wird ihn vergöttern. Die beiden zusammen in einem Raum? Wir sind verloren!
»Halb Hexer, halb Beschwörer. Die Seite meiner Mutter überwiegt, deswegen auch nur zwei Augen
–
vorne. Die anderen beiden sind am Hinterkopf.«
Wayland musste erneut erstaunt geschaut haben, denn Jude klopfte ihm lachend auf die Schulter und sagte: »Nur 'n Witz. Keine vier Augen, dafür beherrsche ich aber tatsächlich beide Magierichtungen. So richtig Bad-Ass-Style.«
Ja, wir sind verloren.
»Weswegen es übrigens auch so lange dauerte, dass ihr unser Heim sehen konntet«, unterbrach Benoît mit einem genervten Blick zu Jude dessen Redeschwall. »Unser junger Freund hier hatte vergessen, dass ihr kommt, und hielt ein Schläfchen.«
Jude hob die Arme entschuldigend in die Höhe, legte den Kopf schief und setzte an, etwas zu sagen.
»Spar es dir, Jude«, ermahnte ihn Benoît. »Keiner will wissen, was du davor getrieben hast. Denk das nicht mal in meiner Nähe. Die Bilder verfolgen mich nun wieder Tage.«
»Dann wühl nicht in meinem Kopf rum. Vielleicht denke ich das nächste Mal ja dabei an dich, Cheeeeeeer.« Während Jude dem Vampir zuzwinkerte, sah Wayland die Halsschlagader von Benoît mächtig pulsieren. Interessant, offensichtlich war der junge Beschwörer Benoîts persönlicher Grayson. Der finstere Blick des Vampirs traf Wayland und er unterdrückte das Grinsen.
»Jude hat mit seiner Gabe die Wände unseres Heims magiefiziert, so dass starke Schutzzauber Besucher nicht die Wahrheit sehen lassen. Leider muss er neue Gäste erst in den Zauber einweben, damit sie die wahre Sicht bekommen.«
Benoît wendete sich erneut zu Jude. »Und dafür hätte der Herr wach sein müssen.«
»Benoît, genug«, erklang eine Stimme hinter Wayland. Er drehte sich zu ihr herum. Eine hochgewachsene Frau Anfang zwanzig betrat den Raum. Ihr Körper war eingehüllt in ein hauchdünnes purpurfarbenes Kleid, das bei jeder ihrer Bewegungen mitschwang. Um ihren Hals hingen eine Vielzahl von Ketten und ihr Haar war unter einem grazil gebundenen Tuch versteckt. Wie auch bei Benoît saßen ihre silbrigen, fast weißen Augen in einem dunkelbraunen Gesicht, das die Gäste freundlich musterte. Der kunstvoll gefertigte Spazierstock mit einem Totenkopf als Knauf, der in
Anbetracht der jungen Erscheinung nur Zierde sein konnte, hinterließ bei jedem Schritt ein dumpfes Geräusch auf dem schwarzen Onyxboden. »Es ist zwar keine Eile geboten, aber es ist dennoch unhöflich, Monsieur Huff länger, als nötig in seiner misslichen Lage zu belassen.«
Wayland schaute zu Grayson hinüber und Erleichterung breitete sich in ihm aus. Jetzt, wo er die Worte gehört hatte, fiel eine Last von ihm ab.
»Zola«, sagte Ash und strahlte die Hausherrin an, während Wayland zum wiederholten Mal der Mund offen stand.
Zola? Das ist Mademoiselle Moreau?
Ein leises Lachen erklang neben ihm, wo Benoît belustigt zwischen seiner Mutter und Wayland hin und her schaute.
»Mein Junge, es ist zu lange her.« Mademoiselle Moreau küsste Ash auf die Wangen und nahm sein Gesicht in ihre Hände. »Europa ist dir gut bekommen. Dein Teint sieht gesund aus. Und ich hörte, die Tour war ein wahrhaftiger Erfolg. Ebenso deine Verhandlungen mit der europäischen MIA.« Sie drehte sich zu Wayland und streckte ihm die Hand entgegen. »Bonjour, Monsieur Bishop. Ich bin Mademoiselle Moreau.«
Küsse ich die Hand oder schüttle ich sie? Wie verhält man sich bei einer Frau, die weit über zweitausend Jahre alt ist?
»Schütteln ist in Ordnung, Cher. Ich fühle mich jung im Herzen.« Sie lächelte ihn freundlich an. »Entschuldigen Sie, es ist sonst nicht meine Art, ungefragt die Gedanken zu lesen, doch ich muss gestehen, Sie denken ungewöhnlich laut.«
Wieso sagt mir das jeder?
»Schon, ähm … Okay. Aber Wayland und du, bitte.«
»Sehr wohl, dann bestehe ich darauf, dass du mich Zola nennst. Es ist mir eine Freude, den Sohn von Irie kennenzulernen. Eine faszinierende und inspirierende Frau, ihre Maman.«
»Danke«, erwiderte Wayland und schaute zu Grayson. Zola folgte seinem Blick.
»Dafür muss ich nicht einmal deine Gedanken lesen. Wir kümmern uns um deinen Vertrauten.« Die Art, wie sie das Wort Vertrauter sagte, ließ Waylands Wangen heiß werden.
»Bei den Loa, der Kater ist schüchtern«, platze Jude in das Gespräch und schlug sich lachend auf den Bauch.
Na toll, zwei von der Sorte.
Benoît schaute zu Wayland und nickte genervt, bevor er Jude am Kragen packte und ihn in einen Nebenraum verfrachtete. Nicht, ohne auf dem Weg weitere Sticheleien über sich ergehen lassen zu müssen. Unweigerlich fragte sich Wayland, ob Grayson und er von außen betrachtet ebenso wirkten.
»Rocky, bring Monsieur Huff bitte zu Jude, ich geselle mich gleich zu
euch.«
Der Gargoyle bellte zustimmend und verließ mit Grayson den Raum. Als Wayland ansetzte ihm zu folgen, spürte er die Hand Zolas an seinem Arm. Es war eine federleichte Berührung und dennoch vermochte er es nicht, sich davon zu lösen.
»Das Ritual wird bis zu drei Tagen dauern und wir brauchen dafür vollste Konzentration. Jede Störung könnte fatale Auswirkungen haben, Cher.« Ihre Stimme war sanft und streichelte wie eine Feder über sein Gemüt. Hätte er bei jeder anderen Person diskutiert, dass er Grayson nicht aus den Augen lassen würde, empfand er keinen Drang, ihr zu widersprechen.
Die Aura der Moreau.
»Nein, mon Amie. Deine Gefühle für ihn. Meine Aura habe ich gedämpft, so dass sie euch nicht beeinflusst. Es ist die Liebe für ihn, die dich so entscheiden lässt. Jene Liebe, die du selbst noch nicht akzeptierst.«
Wayland schluckte schwer und schaute zu Boden.
»Sei nicht so hart zu dir, Cher. Deine Seele ist gebrochen. Zwei Teile leben in dir, während andere Wandler eins sind.«
Wayland fühlte sich nackt. Das Wesen vor ihm war so viel mehr als nur eine junge Frau. Jahrtausende der Weisheit sprachen aus jeder Silbe. Er verstand, wieso Ash sie mochte. Tatsächlich war sie der erste Vampir, den Wayland unmittelbar respektierte, anstatt ihn zu verachten.
»Deine menschliche Seite findet es abwegig, sich auf den ersten Blick zu verlieben. Aber so funktioniert eure animalische Seite nun einmal. Gib dir Zeit, diese Tatsache zu akzeptieren. Nur sei dir darüber bewusst: Ob du willst oder nicht, er wird der einzige Mann in deinem Leben sein.« Sie legte ihre Hand an seine Wange und Wärme breitete sich darunter aus. »Ich wünschte, ich könnte deine Seele heilen, aber selbst die Macht der Loa ist dazu nicht im Stande.«
Sie ging an ihm vorbei und der Gehstock untermalte jeden ihrer Schritte. Schwer atmend stand Wayland da und versuchte, seinen Puls unter Kontrolle zu bringen. Seine Seele würde also nie wieder heilen. Er hatte es befürchtet, aber die Gewissheit war dennoch wie ein Schlag ins Gesicht.
Bevor Zola den Raum verließ, dachte Wayland sie sagen zu hören: »Du irrst dich. Er setzt deine Seele schon seit Wochen Stück für Stück zusammen, Cher. Lass es nur geschehen.«
Die nächsten Stunden empfand Wayland wie in Watte verpackt. Nachdem Zola mit Jude zur Heilung Graysons angesetzt hatte, kam Benoît zurück und versiegelte die Tür zu dem Raum. Ash hatte sich entschuldigt, da er seinen Vater besuchen wollte und somit blieb Wayland mit dem Vampir allein.
Rechnete er mit einem unangenehmen Schweigen, so war das, was passierte, umso verstörender, denn Benoît teilte ihm mit, dass Wayland
ihm nach Nevada folgen müsste, um etwas zu erfahren. Bevor eine Diskussion darüber entbrennen konnte, legte der Vampir eine Hand an Waylands Kopf und Bilder durchfluteten ihn. Grauenhafte Bilder. Szenen, die ihm die Übelkeit in den Magen trieben. Er schmeckte Blut, spürte Hass, hörte Schreie. Alles stand in Flammen. Ein Krieg tobte und alles fiel ihm zu Opfer. Wayland konnte nicht ausmachen, ob es eine Vision der Zukunft oder eine Erinnerung an die Vergangenheit war. Was er aber wusste war, dass dieses Grauen ihnen wieder bevorstand, wenn sie nicht verhindern konnten, dass die Schemen befreit wurden.
So schnell die Bilder gekommen waren, verschwammen sie auch wieder. Mit ihnen die Erinnerungen an das Gesehene. Wie ein Fussel in der Luft schwebten sie in Waylands Unterbewusstsein umher, aber jedes Mal, wenn er sie zu greifen versuchte, entschwanden sie seinem Griff. Er wusste, dass er Benoît folgen musste und die Erkenntnis über die unerwartete Macht des Vampirs legte sich wie ein dunkler Schatten über seine Gedanken. Also brachen sie auf.
Ein Tag war vergangen, seit sie nach Süd-Nevada aufgebrochen waren. Vor wenigen Minuten stand Wayland noch in einem hochmodernen Labor der MagiTech auf dem Gelände, das die Menschen nur als Area 51 kannten. Viel wusste er nicht über diese Einrichtung, da seine Sicherheitsfreigabe zu gering war. Nicht jedoch die von Benoît. In der Area 51 wurden im Auftrag des Schwarzen Hauses neuartige, magische Waffentechnologien entwickelt, alte Artefakt aufbewahrt und soweit Wayland wusste, befanden sich hier ebenso die Gefängnisse zur Untersuchung mythischer Kreaturen und gefährlicher Straftäter der Schattenwesen.
Wayland schaute zu Benoît, der neben ihm in dem Fahrstuhl stand. Ein Eingabefeld war mit einem Retinascanner versehen, aber der Vampir ignorierte diesen. Er legte seine Hand gegen eine Stelle der Wand und eine kleine Nadel schnellte hervor. Nachdem sie ihn gestochen hatte, verteilte sich das Blut rasend schnell in dünnen Linien über das Metall. Wayland stand weiterhin neben sich, ohne zu begreifen, was hier eigentlich vorging. Der erste Schock war während der Reise zwar gewichen, wurde aber durch das Betreten der Area 51 erneut erweckt. In seiner Trance spürte er, wie Benoît seine Hand nahm und zu der Nadel führte. Auch sein Blut verbreitete sich in dünnen Linien an der Wand.
»Moreau, Benoît«, sagte eine blecherne Frauenstimme aus dem
Lautsprecher und der Aufzug schoss in die Tiefe. »Wächter des Wissens. Zutritt zur Kammer der Sieben gewährt. Bishop, Wayland
–
geboren als Tignerow. Hüter. Zutritt zur Kammer der Sieben gewährt.«
Um Wayland drehte sich alles. Seinen Geburtsnamen hatte er schon ewig nicht gehört
–
viel mehr noch, diesen Teil seiner Familie hatte er seit Jahren nicht gesehen. Und wieso hatte er eine Freigabe für die Kammer? Und was bedeutete Hüter?
»Du musst es selbst herausfinden«, durchbrach Benoît seine Gedanken. Schweiß lief seine Stirn hinab. »Je dichter wir der Kammer kommen, umso mehr Schmerzen werde ich erleiden. Der Zauber wird mir nur unter großen Schmerzen erlauben, dich an manchem teilhaben zu lassen. Eine Silbe zu viel und meine Existenz endet.« Mit jedem Wort schien es Benoît schwerer zu fallen diese auszusprechen. »Jedenfalls bis du das Erbe antrittst.«
»Erbe?« Wayland schaute mit großen Augen zu seinem neuen Teammitglied.
»Du wirst verstehen, Geduld.«
Nach ein paar weiteren Augenblicken blieb der Aufzug sanft stehen. Die Türen öffneten sich. Warme Luft schlug Wayland entgegen. Die Kammer aus Stein schien zu pulsieren. Stalagmiten und Stalaktiten wuchsen hervor. Er trat in die Höhle und der Geschmack von Alter legte sich auf seine Zunge. Er wusste instinktiv, dass diese Kammer tausende Jahre alt sein musste.
Zu seiner linken Seite sah er sieben schwarze Särge. Ein jeder von ihnen drei Meter lang. Sein Blick glitt nach rechts und er erstarrte.
So sehr Wayland auch versuchte, die Augen von den sieben monströsen Statuen abzuwenden, es gelang ihm nicht. Alle hatten sie Flügel mit Dornen an den Außenkanten. Eine sah furchteinflößender aus als die andere. Hörner, spitze Zähne und verengte Augen saßen in den Gesichtern. Eines der Wesen besaß sogar Tentakeln. Ihre Körpergröße überschritt die von Wayland beinahe um die Hälfte.
»Was sind das?«, presste er hervor.
»Denk nach. Dich hierher zu bringen und nun verweilen zu lassen, tötet mich langsam. Wir müssen gleich gehen, sonst sterbe ich.« Schweiß lief mittlerweile in Bahnen Benoîts Gesicht hinab. »Nichts hier drin kann ich aussprechen oder bestätigen, bevor du es nicht selbstständig erkennst.«
Seitdem sie die Höhle betreten hatten, schienen die Schmerzen des Vampirs sich um ein Vielfaches verstärkt zu haben. Seinen Worten fehlte die übliche Arroganz. Dennoch erstaunte es Wayland, dass Benoît überhaupt in der Lage war, gegen diesen mysteriösen Zauber, der auf Grayson lag, anzukämpfen.
»Dämonen? Aber das sind nur Legenden.« Wayland glaubte selbst kaum,
was er gerade ausgesprochen hatte.
»Das sagten die Menschen über uns vor 25 Jahren auch noch.« Benoît wischte sich über die Stirn und stützte sich danach an einem der schwarzen Särge ab.
»Was ist in den Särgen?« Bevor seine Worte gänzlich verklungen war, grunzte Wayland genervt. Wieso stellte er die ganzen Fragen? Benoît konnte ohnehin keine davon beantworten.
Fokus, Bishop, Fokus!
Benoît gab ihm nur einen schmerzverzerrten Blick, der Antwort genug war. Sich an die Särge zu lehnen war alles, was Benoît ihm als Hinweis geben konnte. Die Größe der Särge war deckungsgleich mit denen der steinernen Statuen. Lagen darin die Dämonen?
Wayland trat näher und las die Inschrift auf einer eingelassenen Tafel. Jedenfalls versuchte er es.
Die Buchstaben tanzten vor seinem Auge, sortierten sich neu. Ein Kreischen durchfuhr seinen Geist. Töne, nicht von dieser Welt. Schmerz und Hass pulsierte durch ihn, während Kälte sich um sein Herz legte. Ein Baum tauchte vor seinem Auge auf. Eine Schlange. Die Dämonen. Eine Frau mit steinerner Haut. Weitere Gestalten, die ihn aus ihren gleißend weißen Augen anstarrten. Ein Wesen mit flammenden Schwingen. Und dann wurden die Worte auf der Tafel glasklar. Eine Stimme hallte durch seinen Kopf.
»Ein Hüter verloren, ein neuer erkoren.
Ein Dolch geschmiedet aus Knochen,
öffnet die Tore zum Unterjochen.
Zur Rettung der Welt schläft des Herrschers Macht,
stets vergessend auf seiner ewigen Wacht.
Ein Hüter verloren, ein neuer erkoren.
Sein Name soll nun Wayland sein,
er diene bis nur bleibt sein Gebein.
Im Dienste des Retters und zum Wohle der Welt,
bevor durch Rückkehr der Sieben alles zerfällt.«
Benommen und keuchend taumelte Wayland zurück. Was war da gerade geschehen?
Er hatte Gesichter seiner Vorfahren gesehen. Viele Generation und dann die seiner Eltern. Alle hatten einen Dolch bewacht. Jenen, der Grayson fast das Leben gekostet hätte und nun im Besitz des Kollektivs war.
Sein Blick fiel erneut auf die Tafel und er konnte einen Namen lesen. Ihm wurde schwindelig und der Boden schien sich zu bewegen. Er schaute zu der Tafel eines anderen Sarges. Auch hier tanzten die Buchstaben nicht
mehr und er konnte einen weiteren Name deutlich erkennen. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, während Panik seinen Puls ereilte. Er wusste, welche Namen er auf den fünf anderen Särgen sehen würde und Galle fand ihren Weg in seine Kehle. Das konnte nur eine Halluzination sein.
»Unmöglich, das sind doch nur Geschichten«, hauchte er und übergab sich. Er wusste nun, wer die Schemen waren, und es würde die Welt für immer verändern, wenn sie durch den Dolch befreit werden würden: Die sieben Todsünden.