Middlesex, am 20. Januar 1940
Liebster Digs, wo auch immer Du gerade sein magst,
ich hatte eigentlich vor, in diesem Brief meine bisherigen Ideen für die Inszenierung des Sturms zusammenzufassen, aber ich muss gestehen, dass es mir schwerfällt, ohne Dich Theaterpläne zu schmieden. Ich muss auch gestehen, dass es mir immer unwahrscheinlicher vorkommt, diesen Sommer ein Stück auf Chilcombe aufzuführen. Flossie sagt, dass die Umgebung des Häuschens umgegraben wird, damit man dort Gemüse anpflanzen kann. Im Walknochen-Theater sollen Kartoffeln angebaut werden. Vielleicht werden sie beliebter sein als meine letzten Produktionen. Aber wir sollten jetzt schon Pläne machen für die Zeit nach dem Krieg. Natürlich wird es eine Siegesvorstellung.
Es ist UNGLAUBLICH frustrierend, nicht mit Dir reden zu können. Ich habe das Gefühl, als würde ich immer wieder Tennisbälle übers Netz spielen, die keiner zurückspielt. Trotzdem, hier ein Vorschlag: Wäre es nicht eine tolle Idee, wenn das Publikum des Sturms auf einem Schiff ankommt?
Ach, dieses ausgedehnte Schweigen, dieses tock, tock, tock, mit dem der nicht zurückgespielte Ball in eine staubige Ecke weiterhüpft.
Es gibt jetzt viel Schweigen in meinem Leben: Ich werde gerade zur »Einsatzplanerin« ausgebildet, also lebe ich in Kellerräumen voll Zigarettenrauch, in dem schroffe Befehle das einzige Geräusch sind. Man bringt uns bei, wie man Funksignale auf einen großen, runden Planungstisch überträgt, auf dem kleine Metallstückchen, die Flugzeuge darstellen sollen, von uns WAAF s mit langen Stöcken herumgeschoben werden. So ähnlich, wie ich früher die Figuren in unserem Papptheater bewegt habe, nur mit wesentlich weniger Dialog.
Bis jetzt haben wir nur Übungen gemacht, aber wenn Hitler die Kurve kriegen und seine Bomber hier rüberschicken sollte, machen wir es in Wirklichkeit. Die Stunden ziehen sich endlos in die Länge. Manchmal, wenn ich aus unserem Erdloch rauskomme, hab ich keine Ahnung, ob draußen Tag oder Nacht ist.
Langsam, aber sicher gewinne ich den Eindruck, dass militärische Ausbildung vor allem eine Methode ist, die Leute vom Reden abzuhalten. Als ich Perry gegenüber so etwas verlauten ließ – er und Leon haben mich zum Lunch ausgeführt –, antwortete er: »Mein liebes Mädchen, du musst dir das wie eine Strategie vorstellen. Schweigen gibt uns mehr Zeit, über unseren nächsten Schachzug nachzudenken.« Er hat mir gesagt, ich solle mir den geduldigen Angler zum Vorbild nehmen, der lernt, den Fluss an sich vorbeifließen zu lassen.
Ich erwiderte, dass Menschenleben verloren gehen könnten, wenn wir unsere Zeit damit verbrächten, auf Flüsse zu starren. Doch Perry meinte, im Krieg würden immer Leben verloren gehen, und er fügte hinzu: »Es ist nur eine Frage der Zahlen.«
Du kannst Dir sicher vorstellen, wie mich das geärgert hat. Leon ebenfalls. Doch Perry lächelte nur und meinte, Ärger sei nur dann nützlich, wenn man ihn strategisch einsetze. Er erklärte Leon, dass ein nicht ausgebildeter Hund am Ende doch nur erschossen werde, und dann forderte er ihn auf, mit dem Zähnefletschen aufzuhören und mich ins Café Royal mitzunehmen.
Ich überlegte schon, ob Leon beleidigt sein würde, aber er lachte einfach nur auf seine schwarzbärtig-piratenhafte Art. Manchmal könnte ich ganz vergessen, dass er der Sohn von Taras ist, aber er hat genau dieselbe vulkanische Wesensart. Man weiß nie, wie er reagieren wird.
Wir gingen für einige Stunden ins Café Royal, und Leon war ganz unterhaltsam, wenn auch auf ziemlich vulgäre Art. Er erzählte mir von seinen ausgelassenen Abenteuern in der Handelsmarine und davon, wie Perry ihm nützliche Dinge beibrachte, zum Beispiel wie man Leute mit Klavierdraht erwürgen kann. Er wollte es mir vorführen, musste dann aber eilig weg, nachdem er eine Nachricht von Perry bekommen hatte. Er würde einen wundervollen Mercutio abgeben, meinst Du nicht auch?
Ach, zum Kuckuck, Digby. Es ist SO seltsam, nicht mit Dir reden zu können. Perry hat gesagt, es könnte sein, dass ich Dich monatelang, jahrelang nicht mehr sehen werde. Eine unbegreifliche Vorstellung. Ich halte das nicht aus. Aber ich muss.
Schreib mir, schreib mir, komm zurück, komm zurück. Nein, hör gar nicht auf mich. Bleib und kämpfe und sei so tapfer, wie Du kannst. Ich verlass mich darauf, dass Du das tust.
Ich werd’s auch tun.
Deine Crista