Flossies Tagebuch

Juli 1942

1.

Den ganzen Tag im Gemüsegarten gearbeitet. Sergeant Bullock füllt das Haus mit dem Qualm seiner widerlichen Stumpenzigarren wie eine Fabrik aus dem letzten Jahrhundert, bis Betty ihn überzeugt hat, dass er doch lieber in den Pub gehen soll damit.

2.

Sehr heiß. Zwiebeln ausgegraben. Mr Churchill hat in einer BBC -Sendung gesagt, dass wir »immer noch um unser Leben kämpfen«. Ich habe entschieden, noch mehr Zwiebeln auszugraben. Sergeant Bullock ist ganz begeistert vom Schiffswrack und wird sein Abendessen von jetzt an dort einnehmen. Eine Nation jubelt!

3.

Mr Brewer zurück aus London, mit einer Dose Pfirsichen. Gestern Nacht Luftangriff auf Weymouth. Musste an Maudie auf ihrem Dach denken und habe ein Gebet gesprochen. Betty meint, ich solle mir keine Sorgen um Maudie machen, denn Maudie habe mehr Leben als eine Katze. Ich habe heute das deutsche Wort für Sonnenschein gelernt.

5.

Krause mit dem Zauberer von Oz bekannt gemacht. Hab ihm erzählt, dass ich den Film schon fünfmal angeschaut habe. Wir haben uns selbst unterhalten, indem wir versucht haben, »Ich wünscht’, ich hätte ein Gehirn« zu singen. Krause war leicht gehandicapt, weil er den Text nicht verstand, aber dadurch kam er erst recht als Vogelscheuche rüber.

9.

Wunderschönes Schumann-Konzert im Radio. Hab hinterher versucht, es auf dem Klavier nachzuspielen. Die meisten meiner Lieblingskomponisten sind Deutsche. Als ich das zu Mr Brewer sagte, zog er in seiner typischen »Naaa ja«-Art die eine Augenbraue hoch.

11.

Habe das Grammofon aus Mutters Zimmer geholt, um unsere Schumann-Schallplatten in der Küche abzuspielen. D-Dur und G-Dur sind meine Lieblingstonarten. Die eine sehnsüchtig, die andere beruhigend. Betty meint, für sie klingt das alles gleich.

12.

Cary Grant hat wieder geheiratet. Ich habe eine Kerze angezündet und war für einen kurzen Moment traurig. Brief von der lieben Myrtle. Sie sagt, es gibt kein Obst mehr in London, nur Bananen aus Pappe in den Schaufenstern. Das muss man sich mal vorstellen! Sie hat vor, sich welche als Ohrringe zuzulegen.

13.

Sergeant Bullock, Mr Brewer und Betty sind in den Pub gegangen, also habe ich ein Bad in Mutters Wanne genommen. Habe das Grammofon mitgenommen. Und ein paar Rosen in einem Glas auf dem Fensterbrett arrangiert, die die Abendsonne perfekt eingefangen haben. Seltsam, so schöne Momente während eines Krieges zu haben. Früher war ich nie gern allein zu Hause, aber jetzt schon. Manchmal.

16.

Radieschen für Mr Churchill. Das deutsche Wort für Sommersprossen gelernt. Hans kennt jetzt die englischen Ausdrücke für Sommersprosse, Sonnenschein, Regenbogen und Vogelscheuche. Er kann »Es ist nirgends besser als daheim« sagen wie eine teutonische Judy Garland.

17.

Betty hat vorgeschlagen, dass wir ihrem Cousin, einem Gemüsehändler in Dorchester, doch ein bisschen Gemüse verkaufen könnten. Zuerst hatten wir keine Ahnung, wie wir es hinbringen könnten, aber der schlaue Hans wies uns darauf hin, dass ein alter Pferdekarren hinter den Ställen steht. Mr Brewer fischte eine tote Maus heraus und meinte: »Vielleicht gehst du ja doch auf den Ball, Aschenputtel.«

20.

Postkarte von Digby! So eine Freude, auch nur ein paar Worte von ihm zu hören. Ich habe geweint. Manchmal vergesse ich fast, wie sehr er mir fehlt. Ich weiß, es ist lächerlich, aber ich wünschte, er könnte Hans kennenlernen. Sie würden sich so gut verstehen.

24.

Hans hat heute versucht, mir einen deutschen Witz über Kohl zu erzählen. Er musste so lachen, dass er kaum sprechen konnte. Ich habe kein Wort verstanden, konnte aber nicht anders, ich musste einfach mitlachen. Es lässt den Tag gleich viel schneller vorübergehen, wenn man lachen kann. Die Stangenbohnen sind wunderbar gediehen.

25.

Betty hat mit ihrem Cousin gesprochen, und er will uns unser Gemüse abkaufen! Jetzt machen wir wirklich Geschäfte! Hans und ich haben den ganzen Tag mit dem Beladen des Karrens für unsere erste Lieferung verbracht. Unser Anstandswauwau-Soldat kommt auch mit. Ist ja nur nützlich, ein Paar Hände mehr zu haben.

26.

So, wir haben es bis Dorchester und wieder zurück geschafft. Ich hatte es mir anders vorgestellt. Ich habe mich schon so an Hans gewöhnt, dass ich ganz vergessen hatte, dass manche Leute nicht so gerne einen Deutschen sehen wollen. Er hat es viel besser aufgenommen als ich.

30.

Ich muss versuchen, regelmäßig Tagebuch zu führen. Mir war noch nie klar, wie man einen Tag in ein paar wenigen Zeilen zusammenfassen sollte. Wörter sind in den meisten Fällen so unzureichend.