D an C

18. September 1942

Liebe Crista,

so, hier bin ich. In einem Ausbildungslager, versteckt auf einem großen Anwesen tief im Wald. Perry und Leon haben mich auf dem Weg nach London hier abgesetzt.

Bevor Perry davonfuhr, sagte er: »Falls du mich wiedersiehst, darfst du nie erwähnen, dass du mich hier gesehen hast. Dieser Ort existiert überhaupt nicht. Colonel Drake arbeitet fürs Kriegsministerium. Mehr weißt du nicht!« Dann war er auch schon verschwunden. Oberon, König der Schatten, verschwand im Wald mit einem Kofferraum voller Eier von Betty.

Du wirst bemerkt haben, dass er gesagt hat: »falls du mich wiedersiehst«, und nicht: »wenn du mich wiedersiehst«. Er achtet sehr auf Korrektheit, oder? Früher hätte er damit meine Gefühle verletzt, aber jetzt fühlt sich das so nah an der Wahrheit an, wie es nur geht. Ich bin an einem Ort, der nicht existiert, und bald existiere ich selbst vielleicht auch nicht mehr – und wenn ich aufhöre zu existieren, wird dann irgendjemand wissen, wie oder warum oder wo? Ich könnte eine von diesen armen flüchtigen Seelen werden, die man so schön als »im Einsatz vermisst« bezeichnet.

Man könnte sich vorstellen, dass ich mich umso finsterer fühlen müsste, je gefährlicher die Dinge werden, doch ich finde Gefallen an diesem Doppelleben. Eine Erleichterung geradezu. Ich schätze, es spielt mir in die Karten, dass ich schon immer in der einen oder anderen Form geschauspielert habe.

Manchen Männern fällt es schwer, das Ganze ernst zu nehmen. Gestern Abend haben sich die Ausbilder als Nazis verkleidet und haben uns befragt, und es war ziemlich lächerlich, aber ist nicht alles lächerlich, wenn man es nur aus ausreichender Entfernung betrachtet? Die Tatsache, dass wir mit falschen Namen nach Frankreich geschickt werden und mit Funkgeräten, die aussehen wie Keksdosen, ist lächerlich. Die Tatsache, dass wir Krieg führen, ist lächerlich!

Einer der beliebtesten Ausbilder hier, Rufus Hendricks, war vor dem Krieg Schauspieler. Er sagt, wenn das alles vorbei ist, dann wird er mich mal ein paar anständigen Agenturen vorstellen. Er unterrichtet uns im Verkleiden. Wie ein paar Nachbesserungen an den Haaren und ein Humpeln einem erlauben, als eine Person in ein Café hineinzugehen und als jemand anders wieder herauszukommen.

Er selbst ist immer tipptopp gepflegt: adretter Scheitel, adretter Schnurrbart, adrette Fingernägel. Behutsame Hände. Er klopft mit einer Zigarette auf den Tisch, wenn er irgendetwas besonders hervorheben möchte.

Heute hat er uns erzählt, dass unsere Coverstory das Leben ist, das wir nach außen hin führen werden, um unsere wahren Absichten zu verbergen. Er sagte: »Wenn Sie vernommen werden, bleiben Sie bei Ihrer Coverstory. Versuchen Sie nicht, schlau zu sein. Versuchen Sie nicht, schnell zu sein. Geben Sie ihnen nie das Gefühl, dass das Ganze ein geistiges Kräftemessen ist. Warum auch? Sie sind ein langweiliger, aufrichtiger Bürger.«

Nächste Woche werden wir in nahe gelegene Städte geschickt, um genau das zu üben: langweilige, aufrichtige Bürger zu sein, die zufällig eine geheime Mission ausführen müssen, bevor die Uhr zwölf geschlagen hat – ein Szenario, das darauf angelegt ist, zu testen, was wir in unserer Ausbildung gelernt haben.

Ich habe ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken, wieder die Welt da draußen zu betreten. Das erinnert mich nämlich an ihre Existenz. Ich fange an, über Vater und Flossie und Dich nachzudenken. Ich habe es bis jetzt vermieden, an Dich zu denken, denn jedes Mal, wenn ich es tue, höre ich, wie Du mir sagst, dass ich das hier lieber nicht zu Papier bringen sollte.

Ah, da bist Du ja wieder. Ich höre jetzt auf.

Dein (sowohl hier seiender, aber auch wieder gar nicht existierender)

Digby