Kaffee und Tee

Dezember 1942

Cristabel steigt langsam aus dem Schlaf an die Oberfläche, als wäre sie aus den tiefsten Tiefen gekommen. Es ähnelt dem Vergnügen, wenn man am Morgen nach einem langen Tag am Strand aufwacht, um sich langsam, aber sicher nach den Anstrengungen des Vortages in einem gut ausgeruhten Körper wiederzufinden. Sie streckt sich genüsslich, hebt die Arme und biegt ihren Rücken durch, dann hebt sie ihren Körper von der Matratze und dehnt sich auf ihrer ganzen Länge, wie eine Bogensehne, bis sie ihre Hände flach auf die Wand hinter ihrem Bett legen kann. Da fällt ihr ein, dass sie dieselbe Stellung auch während der Nacht eingenommen hat, und das Echo dieser Bewegung durchläuft sie wie ein Beben.

Sie schlägt die Augen auf. Es ist früher Morgen, immer noch dunkel, und der Regen prasselt weiter herunter, aber ein leises Glühen kommt von den verbliebenen Kohlen im Kamin, und auch durchs offene Fenster, wo Leon steht und sich rauchend aufs Fensterbrett stützt, dringt ein bisschen Licht. Er hat seine Hose angezogen. Sie kann die nackte Haut seines Rückens sehen, die Linie seiner Wirbelsäule. Seltsam, zu wissen, dass sie diese Haut berührt hat, gespürt hat, wie sich diese Schulterblätter unter ihren Händen bewegten. Sie hat keinen besonderen Wunsch nach Bewegung. Sie ist so satt wie ein Eroberer. Sie wackelt mit den Zehen.

Er blickt sie an, lächelt, dann dreht er sich wieder zum Fenster und sagt: »Ich hab solchen Hunger, wenn hier noch Pferde wären, würde ich eins schlachten und aufessen.«

»Hier sind noch Pferde, aber das wird nicht gehen«, sagt sie. »Doch wir haben jede Menge Eier.«

Er schnipst seine Zigarette aus dem Fenster, akkurat wie einen Dartpfeil, dann zieht er das Fenster zu und hebt sein Hemd und seine Stiefel auf. »Warum sind wir dann hier oben? Zieh dir was an, Cristabel Seagrave. Ich muss was essen.« Als er an ihr vorübergeht, beugt er sich hinunter und drückt seinen Mund auf ihren, ein dringender, rauer Kuss, bei dem seine Bartstoppeln auf ihrem Kinn kratzen, und auf einmal überkommt sie wieder alles, was sie getan haben und neu entdeckt haben. Sie streckt die Hände hoch, um sie ihm ins dicke Haar im Nacken zu schieben. Er betrachtet die Uhr auf dem Nachttisch und sagt mit offenem Mund in ihren offenen Mund, während sie ihren Atem teilen: »Wir haben eine halbe Stunde, bevor wir losfahren müssen.«

Zum Frühstück gibt es trockenes Brot, das sie im Auto essen, mit einer Thermoskanne schwarzem Kaffee, aus der sie abwechselnd trinken. Cristabel sitzt am Steuer, denn Leon behauptet, er sei zu schwach vor Hunger, um das Lenkrad bewegen zu können. Sobald er auf dem Beifahrersitz Platz genommen hat, setzt er sich so hin, dass er sie gut anschauen kann, und sagt: »Außerdem hab ich dir schon immer gern beim Autofahren zugeschaut.«

»Wie meinst du das?«, fragt sie und schlägt sich mit dem Schaltknüppel herum, während sie den Hügelkamm hinauffahren.

Sie stecken beide wieder in ihren Militäruniformen: Die von Cristabel ist von Betty gewaschen und gebügelt worden, die von Leon nicht. Das Auto ist Perrys robustes Militärgefährt, der khakifarbene Humber. Ihre Seesäcke und die Kiste mit Lebensmitteln und Wein für Perry stapeln sich auf dem Rücksitz.

»Als wir noch jünger waren, in dem Sommer, als Bill uns das Autofahren beigebracht hat«, sagt Leon, »da hab ich dich immer so gern beobachtet. Du bist immer so wütend geworden, wenn du einen Fehler gemacht hast.«

»Ich dachte, du hättest mich nur gerne ausgelacht.«

»Das auch«, sagt er und streift sich Krümel von seinem gestreiften Schal.

»Dieses alte Auto war ja auch unmöglich zu fahren. Schwer wie ein Panzer. Ich weiß gar nicht, wie wir da irgendwas lernen konnten.«

»Du solltest ja auch gar nichts lernen. Bill sollte eigentlich mir das Fahren beibringen.«

Cristabel lacht. »Ach, stimmt ja. Das hatte ich ganz vergessen. Ich hatte es arrangiert, und dann hab ich mir gedacht: Warte mal, warum darf er das jetzt lernen und ich nicht?«

»Armer Bill. Wochenlang musste er mit uns die Auffahrt rauf- und runterfahren.«

»Ich musste mich auf ein Kissen setzen, um überhaupt übers Lenkrad drüberschauen zu können.«

»Aber ich sag dir, wenn du als Kind lernst, so ein großes Auto zu fahren, dann sind Militärfahrzeuge keine Herausforderung mehr«, sagt Leon. Er hat sich zwei Zigaretten zwischen die Lippen geklemmt, um sie anzustecken, und reicht ihr dann die eine.

»Ich will’s hoffen«, erwidert sie und gibt Gas.

Nach einer Weile meint Cristabel: »Wo sind eigentlich deine ganzen Geschwister inzwischen? Und deine Mutter? Geht es ihnen gut? Hörst du noch mal was von ihnen?«

Er stößt einen zitternden Rauchring aus. »Ein Bruder ist tot. Einer wird vermisst. In Spanien. Zwei Schwestern leben noch, glaube ich. Bei meiner Mutter weiß ich’s nicht. Sie war in Gent, als die Deutschen einmarschiert sind.«

»Da machst du dir bestimmt viele Sorgen. Hast du noch mal was von deinem Vater gehört?«

»Ich entnehme den Zeitungen, dass er noch lebt und dass es ihm gut geht und dass er aus der Sicherheit in New York City gegen die Nazis kämpft.«

»Myrtle trifft ihn immer noch. Wenn du gerne Kontakt zu ihm aufnehmen würdest, könnte sie ihm eine Nachricht übermitteln.«

»Ich könnte ihm auch eine Nachricht zukommen lassen, wenn ich wollte.«

»Selbstverständlich«, sagt sie und fügt hinzu: »Tut mir leid für deine Brüder.«

»Mir auch«, antwortet er. Dann zieht er ein Stück Schweinefleischpastete aus der Tasche und verspeist es in den Pausen zwischen den Zügen an seiner Zigarette.

Es ist bedeckt und regnerisch. Die leeren Straßen sind voller Pfützen und Schlaglöcher. Ab und zu taucht ein verirrtes Schaf auf, schlammgetränkt und mit traurigem Blick. Fünf Tage vor Weihnachten ist das ganze Land kaum beleuchtet und undekoriert. Jede Kriegsweihnacht scheint ein Schatten der vorherigen zu sein: weniger zu essen, weniger zu trinken, mehr leere Stühle am Tisch.

Der Krieg mit allen seinen ganzen Entbehrungen wirkt unbarmherzig, doch für Cristabel liegt eine seltsame, mit Schuldgefühlen durchsetzte Faszination darin, denn erst durch diese Ausdünnung des Gewöhnlichen bekommt das Ungewöhnliche die Gelegenheit, sich bemerkbar zu machen. Wie ist es möglich, dass sie dieses trübe, vernichtete und pockennarbige England mehr liebt als seinen friedlichen, grünen Vorgänger? Weil sie ein Auto hindurchlenken kann, in einer Uniform; weil sie darin mit einem Mann schlafen kann, ohne ihn zu heiraten; weil sie dafür sterben könnte, wenn sie Perry überreden kann, es sie versuchen zu lassen.

»Sag mal«, beginnt sie, denn jetzt möchte sie über alles reden, »wo hast du eigentlich diese Dinger her – diese … wie hast du sie noch genannt? Pariser?«

»Ich hab meine von den Amerikanern bekommen. Sie haben die größeren, wenn du verstehst, was ich meine. Warum fragst du?«

»Für den Fall, dass ich noch mehr brauche.«

»War letzte Nacht das erste Mal für dich?«

»Warum fragst du?«

»Ich weiß es schon. Ich frag nur aus Höflichkeit.«

»Du bist nie höflich.« Sie schaut ihn an. »Ja, gut. Es war das erste Mal. Aber nach allem, was ich gehört hatte, dachte ich, dass das so eine Art Horrorshow werden würde. Mit blutigen Laken und was weiß ich noch alles. Aber so war es überhaupt nicht. Ich wünschte, das hätte mir schon vorher mal jemand gesagt. Hast du schon mit vielen Frauen geschlafen?«

»Nicht mit so vielen, wie ich gerne hätte«, erwidert Leon, und dann stößt er einen Fluch auf Russisch aus, als das Auto über ein Schlagloch fährt, wodurch sich die Asche seiner Zigarette über den ganzen Schoß verteilt.

»Das war ja ein toller Fluch«, sagt Cristabel. »So einen hab ich noch nie gehört. Was bedeutet das?«

»Das Leben fickt mich«, sagt er und streift sich die Asche von der Hose.

»Du fluchst auf Russisch und sprichst mit Katzen Russisch«, sagt sie. »Und jetzt weiß ich, dass du auch im Bett Russisch sprichst.«

»Katzen ziehen Russisch vor. Manche Frauen ziehen Französisch vor.«

»Mit wie vielen Frauen hast du schon geschlafen?«

»Ich habe nicht mitgezählt.«

»Ich würde mitzählen. Sind sie alle unterschiedlich?«

»Es ist zu früh am Tag für diese Art von Unterhaltung, Cristabel.«

»Genierst du dich?«

»Ich genier mich nicht. Ich hab vor allem Hunger, und ein bisschen müde bin ich auch.«

»Na gut. Dann erklär mir mal, inwiefern Frauen im Bett verschieden sind. Was mögen sie gern?«

»Ich zeig’s dir später«, erwidert Leon und wickelt sich den Schal um den Hals. »Ich werde jetzt schlafen. Weck mich in einer Stunde, dann übernehme ich das Fahren.«

»Ich hab mich gar nicht von Betty verabschiedet«, sagt Cristabel nach einer kurzen Pause.

Sie kommen am Nachmittag in London an und finden Perry unerwarteterweise im Café bei Fortnum & Mason, wo wohlhabende Frauen nach dem Einkauf im Kaufhaus ihren Tee trinken. Perry hält dort seine geschäftlichen Termine ab, erklärt Leon, denn er findet, dass Menschen weniger streitsüchtig sind, wenn ein Stück Kuchen vor ihnen steht. An einem Klavier in der Ecke des Raumes spielt ein älterer Mann im Smoking Weihnachtslieder. Papierdekoration hängt schlaff von den Wänden.

Als sie eintreffen, verlässt gerade ein wütend aussehender französischer General den Tisch. Leon und Perry tauschen einen Blick, und Leon folgt dem Mann nach draußen. Perry wendet sich an Cristabel und deutet auf eine dreistöckige Etagere mit Kuchen, als hätte er sie erwartet. »Bitte, bedien dich, meine Liebe.«

Cristabel nimmt ihre Mütze ab. »Wir wollten deine Besprechung nicht stören.«

»Sie war schon zu Ende«, sagt Perry. »Manchmal könnte man fast vergessen, dass die Franzosen und die Engländer auf derselben Seite kämpfen. Wir verbringen nämlich ganz schön viel Zeit damit, miteinander zu streiten.«

»Worüber?«

»Sie wollen mehr in unsere Arbeit einbezogen werden, aber diese Franzosen sind einfach so unüberlegt. Die spielen gerne mal beide Seiten gegen die Mitte aus. Es ist übersichtlicher, wenn wir unsere Aktivitäten getrennt organisieren«, sagt er und schüttelt eine Serviette aus. »Bitte, setz dich doch. Welchem Umstand verdanke ich diese Ehre?«

»Ich will mehr für unsere Kriegsanstrengungen tun«, erwidert Cristabel, als sie sich an den Tisch setzt. »Ich hab es satt, kleine Plastikplättchen auf Tischen herumzuschieben.«

»Was du machst, ist lebenswichtig. Tee? Ist noch eine ganze Menge in der Kanne. Mein französischer Freund war kein begeisterter Teetrinker.«

»Ich könnte aber mehr tun. Ich habe gehört, dass Frauen undercover in Frankreich eingesetzt werden könnten.«

»Wer um Himmels willen hat dir denn das erzählt?«, fragt er und zieht eine Augenbraue hoch, während er ihr Tee einschenkt. Dann fügt er hinzu: »Ich hoffe, du bildest dir nicht ein, dass du Digby dort finden könntest.«

»Nein, es sei denn, ich bekomme entsprechende Instruktionen.«

»Die würdest du nicht bekommen.«

»Muss er denn gefunden werden?«

»Kein guter Agent muss gefunden werden. Milch?«

»Ja.«

»Zucker?«

»Drei Stück bitte.«

Perry gibt behutsam drei Stück Würfelzucker mit einer silbernen Zange in ihren Tee, dann sagt er: »Cristabel, eines will ich mal offiziell festhalten: Wir setzen Frauen nicht im Kampf ein.«

»Andere Länder tun es. Hast du nicht die Berichte über diese sowjetische Scharfschützin in den Zeitungen gelesen? Sie hat über dreihundert Menschen erschossen. Sie haben sie sogar ins Weiße Haus eingeladen.«

»Ein tolles Propaganda-Kunststück«, sagt er und reicht ihr Untertasse und Tasse.

»Du glaubst es also nicht?«

»Ich könnte mir schon vorstellen, dass sie entsprechende Fähigkeiten hat, aber sie ist bedeutend nützlicher als Zeitungsstory – warum sonst sollte sie ins Weiße Haus kommen? Außerdem sind wir Engländer, keine Russen. Es würde einen Aufstand geben, wenn wir Ehefrauen und Mütter an die Front schicken würden.«

»Ich bin weder Ehefrau noch Mutter. Meinst du, ich könnte eine Chance haben?«

»Du bist ein kompetentes Mädchen. Sie würden natürlich deinen Hintergrund durchleuchten. Ich hoffe, sie würden dort nichts Beunruhigendes entdecken?«

»Nein.«

»Deine Stiefmutter hatte ein paar interessante Freunde, aber ich habe Kovalsky selbst überprüft, und er ist nur ein Revolutionär auf Dinnerpartys, mehr ist nicht dahinter.«

»Du hast Taras auch überprüft?«

»Lieber auf Nummer sicher gehen, oder?«, sagt er und schenkt sich selbst eine Tasse Tee ein. »Außerdem war es nützlich für mich zu wissen, aus welcher Art von Familie unser Chauffeur kommt.«

»Würdest du Leon abstoßen, wenn Taras in irgendetwas Zweifelhaftes verwickelt wäre? Das wäre wohl kaum fair.«

»Nicht unbedingt. Leon hat ein paar nützliche Eigenschaften. Spricht viele Sprachen. Hat keine Angst, sich mal die Hände schmutzig zu machen, und, was noch viel wichtiger ist, er hat keinen Ehrgeiz, mir meine Stellung wegzunehmen.« Perry schaut sie einen Augenblick an, dann sagt er: »Er scheint überhaupt keinen Ehrgeiz zu haben, außer dass er meine Sekretärinnen verführen will.«

Zu ihrer Überraschung fühlt Cristabel einen kurzen Stich von Eifersucht, ganz tief in ihrem Inneren, doch sie zieht die Augenbrauen auf eine – wie sie hofft – nonchalante Art hoch und sagt schmeichelnd: »Einer wie Leon könnte doch niemals deine Arbeit machen.«

Perry rührt seinen Tee um. »Wenn ich dich für gewisse vertrauliche Aufgaben empfehlen würde, Cristabel, dann würde ich vorschlagen, dass du weit weg von deinem Bruder stationiert wirst. Beide Seagraves zu verlieren, wäre wie … Wie heißt noch mal diese Zeile aus dem Stück von Oscar Wilde?«

»Einen Elternteil zu verlieren, mag noch als unglücklich durchgehen, beide zu verlieren wirkt wie Gedankenlosigkeit.«

»Ich wusste, du würdest die Stelle kennen«, bemerkt er lächelnd.

»Wäre es denn wahrscheinlich, dass wir beide verschwinden? Sei ehrlich.«

»Ich spekuliere nur ungern«, sagt Perry, »aber man hat mir zu verstehen gegeben, dass die Überlebenschancen für einen Agenten in Frankreich bei ungefähr fünfzig Prozent liegen. Einer von zweien.«

Um den Sachverhalt zu verdeutlichen, holt er eine Münze aus seiner Tasche und dreht sie auf dem Tisch. Sie rotiert so schnell, dass sie erst aussieht wie eine Kugel, und dann legt er schnell seine Hand darüber, bevor sie fällt.

Er sagt: »Cristabel, hast du eigentlich schon mal darüber nachgedacht, was du nach dem Krieg anfangen willst?«

»Gott sei Dank hat mir der Krieg die Notwendigkeit dieser Überlegungen abgenommen«, erwidert sie und dreht die Etagere, um das Kuchenangebot zu mustern.

»In vielerlei Hinsicht wird ein Krieg geführt, um festzulegen, was danach passiert«, sagt Perry. »Der General, mit dem ich gerade gesprochen habe, als ihr kamt, hat zum Beispiel sehr eigene Ansichten zur Zahl der Kommunisten, die sich der Résistance angeschlossen haben, seitdem Russland sich auf unsere Seite geschlagen hat. Er befürchtet, dass die Franzosen am Ende ihren Sieg diesen Kommunisten zu verdanken haben könnten, und dann wird Moskau sicher Frankreichs Zukunft mitbestimmen wollen.«

»Wenn die Kommunisten sich dem Kampf anschließen wollen, warum sollten wir sie dann davon abhalten?«

»Sie sind ziemlich direkt in ihren Methoden. Sie wollen andere für ihre Sache gewinnen – eine Art Rekrutierung, wenn man so will. Oder ein Zeichen von Unsicherheit.«

»Unsicherheit?«, echot Cristabel und nimmt sich ein Schokoladen-Éclair.

»Geheimagenten sollten keinen Beifall brauchen«, sagt Perry und reicht ihr eine Serviette. »Sie sollten wie Moskitos sein, also schmerzvolle Stiche zufügen, ohne gesehen zu werden.«

»Aber der Sieg ist doch wohl die Hauptsache, oder nicht? Ist doch sinnlos, wenn wir uns in politischen Erwägungen verstricken. Du liebe Güte, das schmeckt ja nach echter Sahne!«

»Ist es auch. Und du hast recht: Der Sieg muss unser Ziel bleiben. Aber noch bevor der Krieg angefangen hat, haben sich Männer überlegt, wie sie es anstellen könnten, an seinem Ende in einer möglichst vorteilhaften Position zu sein. Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet die überragende Cristabel Seagrave nicht auch über ihre Zukunft nachgedacht hat«, sagt er und stellt seine Tasse ab. »Wie es sein könnte, zu heiraten. Eine Familie zu gründen.«

Cristabel runzelt die Stirn. Sie hat diese Art von Befragung schon immer als langweilig empfunden, wie ein nerviges Ziehen an ihrem Ärmel, und jetzt, wo sie gerade darüber sprechen, wie man den Krieg gewinnt, kommt es ihr völlig irrelevant vor. »Ich habe keine Zeit, über so was nachzudenken.«

Sie schaut ihn an und sieht, wie ein seltsamer Ausdruck über sein Gesicht huscht, bevor er den Blick abwendet und sagt: »Ah, da ist Leon ja wieder. Ich hätte ihn nicht so bald zurückerwartet. Wie es aussieht, hat unser französischer Kollege doch keine Heimfahrt in sein Quartier gebraucht.«

Leon kommt an den Tisch und hält Cristabel die Hand hin. »Du solltest nicht den ganzen Kuchen aufessen. Du solltest ihn lieber mit mir teilen.«

»Ich hab uns fast den ganzen Weg gefahren«, antwortet sie.

»Eben«, sagt er. »Und ich brauche dieses Schokoladenteilchen, um mich davon zu erholen.«

»Wie kannst du es wagen?«, sagt sie und nimmt noch einen großen Bissen, bevor sie ihm den Rest in die Hand drückt.

»Wann musst du denn wieder zurück zu deinen Pflichten, Cristabel?«, fragt Perry, der die beiden beobachtet, während er die Münze mit dem Finger auf dem Tisch herumschiebt, wie ein Mann, der sich überlegt, worauf er beim Roulette setzen will.

»Heute Abend. Könnte Leon mich wohl zurückfahren?«

»Nein, ich glaube nicht«, sagt Perry. »Es ist schließlich nicht sein Wagen.«

Sie schaut Perry verwundert an, doch er meidet ihren Blick. Er sagt: »Ich sage dir jetzt, was ich tun werde, Cristabel. Ich werde ein Telefongespräch führen, für dich. Ich werde vorschlagen, dass man dich für irgendeine Agententätigkeit an der Front in Erwägung zieht. Danach überlasse ich dir die Entscheidung.« Er nimmt die Münze und drückt sie lächelnd einer vorübereilenden Kellnerin in die Hand.