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ctober lehnte sich zu meinem Stuhl rüber und warf einen Blick auf Georgina Beans Hinterkopf. Ihre Augen weiteten sich und ihr Mund, der mit einem pechschwarzen Lippenstift bemalt war, fiel auf. „Ohhh …“
Glücklicherweise war Georgina gerade tief in einem Magazin versunken, das Angelina Jolie und Brad Pitt mit einem Blitz dazwischen auf der Titelseite zeigte. Sie las darüber, wie all ihre vielen Kinder – die hätten eine ganze Fußballmannschaft gründen können – mit deren Scheidung zurechtkamen und sie hatte nicht die geringste Ahnung , was ich soeben mit ihrem Hinterkopf getan hatte.
Ich legte vorsichtig meine Schere zur Seite und trat einen Schritt zurück, versuchte ihren Kopf aus einem anderen Winkel anzusehen. „Ohhh.“
Jammie bemerkte uns beide, wie wir dort mit unseren Händen vor dem Mund dastanden und Georgina Beans Hinterkopf anstarrten, und sie kam sofort mit einem besorgten Gesichtsausdruck herüber. Als sie sah, dass ein ganzes Büschel an Haare am Hinterkopf fehlte, verschluckte sie sich fast an ihrem Pfefferminz-Bonbon und Kitty musste ihr für ganze zwanzig Sekunden lang ein paar Mal kräftig auf den Rücken klopfen.
Schließlich hob Georgina ihren Kopf und bemerkte, dass wir sie allesamt anstarrten. „Was ist?“
Tränen ließen mein Sichtfeld verschwimmen, aber ich kämpfte wie eine Verrückte dagegen an. Ich hatte in letzter Zeit genug geheult. Ich hatte Scheiße gebaut. Jetzt konnte ich nichts anderes tun als die Verantwortung dafür zu übernehmen. „Oh, Georgina. Meine Schere ist ausgerutscht. Das tut mir so leid. Ich habe einen Teil von deinem Haar viel kürzer geschnitten, als ich es beabsichtigt hatte.“
Georgina schloss sanft das Magazin und überkreuzte ihre Beine. „Von wie kurz sprechen wir hier?“
Jammie trat vor. „Es ist ziemlich kurz, Liebes. Aber das ist nichts, was wir nicht in Ordnung bringen können.“
Georgina traf meinen Blick im Spiegel und ich hätte schwören können, dass ich kleine Dampfwolken aus ihren Ohren schießen sah. „Ich habe dir gesagt, dass ich mein Haar für den Sunkissed Key Schönheitswettbewerb länger wachsen lasse.“
Hatte sie das? Ich konnte mich nicht daran erinnern, ob sie das getan hatte oder nicht. Mein Gehirn funktionierte in letzter Zeit nicht mit voller Kapazität. Ich hatte heute Morgen sogar vergessen, den Motor abzuschalten, bevor ich aus dem Auto gestiegen und in den Salon gekommen war. October hatte es bemerkt, dass der Wagen auf dem Parkplatz noch immer lief.
„Du hast das absichtlich getan, nicht wahr?!“ Georgina war eine kleine, kurvige Frau und normalerweise lieb wie Mutter Theresa, aber allem Anschein nach – wenn es sich um den Sunkissed Key Schönheitswettbewerb handelte – wurde diese Frau mörderisch. In der nächsten Sekunde war Georgina schon aus ihrem Stuhl hoch und auf mich zugesprungen. Ihre Arme streckten sich nach mir aus, oder besser nach meinem Hals, während Jammie und October versuchten sie zurückzuhalten. „Du glaubst, dass du mich im Schönheitswettbewerb schlagen kannst?! Nur weil ich jetzt eine halbe Glatze an meinem
Hinterkopf habe? Glaubst du das? Da liegst du falsch!“
Bevor ich überhaupt nachdenken oder voll und ganz begreifen konnte, was ich tat, schoss meine Faust hervor und schlug Georgina Bean mitten auf die Nase.
Dann standen wir alle still, total perplex.
Georgina war wahrscheinlich am meisten schockiert. Sie blinzelte ein paar Mal und zog dann einen scharfen Atemzug ein. „Oh Mann, ich glaube, das brauchte ich mal.“
Als sie sich wieder auf den Stuhl sinken ließ, ging ich um sie herum, stellte mich vor ihr hin und runzelte meine Stirn. „Das tut mir leid. Es tut mir so leid, dass ich dein Haar ruiniert habe und … und … und es tut mir so leid, dass ich dir auf die Nase gehauen habe.“
„Männerprobleme?“ Als ich nickte, seufzte sie schwer. „Ich auch. Mein Ehemann hat mich vor sechs Monaten für Madeline Butts verlassen, die Schlampe, die unten bei der Post arbeitet. Darum nehme ich an diesem Schönheitswettbewerb teil. Ich dachte, ich zeige ihm, was er verloren hat. Ich habe mir immer wieder sein Gesicht vorgestellt, wenn er herausfinden würde, dass er Mrs Sunkissed Key in den Wind geschossen hat … Dumm, nicht wahr?“
Ich konnte eine Frau, der ich soeben ins Gesicht geschlagen hatte, nun nicht dumm nennen. „Nein, nein. Überhaupt nicht.“
„Ich esse kaum noch. Hungere, damit ich dieses Kleid passe, das ich mir genauso gut gleich in der richtigen Größe hätte kaufen können, und ich bin so hungrig. Ich habe hier durch dieses Magazin geblättert und ernsthaft darüber nachgedacht, wie viele Kalorien es wohl hätte, wenn ich einfach hineinbeißen und es essen würde.“
Jammie eilte ins Hinterzimmer, während ich vorsichtig das Magazin aus Georginas Faust zog. Als Jammie wieder zurückkam, drückte sie Georgina einen Schokoladenkeks in die Hand. „Hier, Liebes. Iss!“
Während sie ihren Keks aß und dann vier weitere, beurteilte
ich den Schaden an ihrem Haar. „Ich kriege das schon wieder hin. Ich kann dir einen Undercut geben, den Nacken leicht ausrasieren und dann das Haar oben in einer lockeren Welle darüber fallen lassen. Das ist voll im Trend, modern und frech, und es wird mit deiner Gesichtsform super aussehen, Georgina.“
Sie überlegte es sich. „Noch einen Keks und einen Rabatt von zehn Prozent und du hast einen Deal.“
Ich hätte sie umarmen können. „Das ist gratis. Deine nächsten fünf Besuche sind gratis. Es tut mir so leid.“
Sie winkte mit ihrer Hand in der Luft herum. „In der Geschichte der Welt haben Frauen die verrücktesten Dinge wegen Männer getan.“ Sie aß einen weiteren Keks und seufzte. „Ich werde nicht an diesem Schönheitswettbewerb teilnehmen. Mir gefällt es nicht mal, Kleider zu tragen. Außerdem ist mein Ehemann ein verdammter Idiot.“
Jammie und Kitty stimmten ihr aus vollem Herzen zu. October räusperte sich und stieß mich mit ihrem Ellenbogen an. „Aufgepasst.“
Ich blickte über meine Schulter und erstarrte, wobei meine Schere erneut über Georginas Kopf schwebte. Jammie nahm sie mir aus der Hand.
Meine Nase wusste es, bevor meine Augen es sahen. Die Kombination von Leder, Koriander, Holzrauch und Limette konnten nur von einer Person kommen. Aber dieses Mal wurde es vom Duft von Rosen übertroffen. Gray steckte seinen Kopf um den riesigen Blumenstrauß herum und zwinkerte mir zu. „Du brauchst gar nicht so überrascht zu gucken. Dachtest du wirklich, dass ich so leicht aufgeben würde?“
Georgina hatte sich im Stuhl umgedreht, um zu sehen was los war, und meine Ohren hörten deutlich das Geräusch von einem Keks, der auf dem Boden landete.
Ich versuchte an Worte zu denken … ein paar clevere Worte … irgendwelche Worte, aber mein Gehirn war total blank. Ich
starrte Gray einfach nur an, hörte meinen Wolf heulen und wie sie darum bettelte, ihn als ihren Partner zu beanspruchen. Mein Herz schlug in einem wilden Stakkato gegen meinen Brustkorb, meine Brustwarzen wurden hart und mein Slip wurde feucht. Es war eine verräterische Reaktion meines Körpers für einen Mann, von dem ich mir geschworen hatte, mich von ihm fernzuhalten.
„So. Heute Abend findet die Lektion bei mir Zuhause statt. Und ich werde ein Nein nicht akzeptieren. Ich weiß, wo du wohnst, wo deine Freunde wohnen und ich habe das Wort ‚Geheimagent‘ in meinem Lebenslauf.“ Er reichte mir die Blumen und streichelte mit einem Fingerknöchel über meine Wange und dann über meine Unterlippe. „Du kannst versuchen dich vor mir zu verstecken, wenn du das willst, Liebling. Aber ich werde
dich finden.“
Er ging ohne ein weiteres Wort und ich sah ihm hinterher, mit offenem Mund, bis er aus meinem Blickfeld verschwunden war, während sich mein Magen mit jedem seiner Schritte zusammenzog. Alles in meinem Körper drängten mich ihm hinterherzurennen. Mein Wolf bettelte darum, ihm nachzujagen.
„Heilige Scheiße.“ October sank auf ihren Stuhl und fächelte sich selbst zu. „Mein Höschen ist soeben in Flammen aufgegangen. Fakt ist, die sind zu Asche zerfallen. Asche.“
Jammie stach sich versehentlich selbst mit meiner Schere und verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. „Es ist gefährlich diesen Mann in der Nähe zu haben. Der lässt jede Frau zu einem nutzlosen Dummchen zusammenschrumpfen.“
„Oh mein Gott, ich bin gern ein Dummchen. Ich wäre den ganzen Tag ein Dummchen“, sagte October verträumt.
Kitty kicherte und widmete sich dann wieder ihrem Kunden zu. „Warum stehst du da noch rum, Laila? Mädel, du solltest die Dinge mit deinem Kerl wirklich in Ordnung bringen.“
„Sie braucht Sex.“ Margie kam aus dem hinteren Zimmer
und lachte. „Man sollte nie die heilende Kraft eines guten Orgasmus unterschätzen. Warum glaubt ihr wohl, warum ich so gut in meinem Job bin?“
Jammie schnaubte. „Tue bloß nicht so, als ob sich irgendjemand in den letzten drei Jahrzehnten deiner ausgetrockneten alten Pflaume genähert hat. Wahrscheinlich hast du genug Staubflocken angesammelt und könntest Octobers Mom sein.“
„Oh, das würde ich nicht sagen. Ich habe den alten Joe Hill den einen Morgen aus ihrem Haus kommen sehen“, sagte Kitty dann einfach, bevor sie nach Hinten verschwand.
„So ein Miststück!“ Margie rannte ihr hinterher und dann ertönte so viel Krawall, dass Jammie ebenfalls nach hinten stürmte, um das Chaos aufzulösen – während sie immer noch mit meiner Schere in ihrer Hand herumwedelte.
October, die immer noch an Gray dachte, seufzte. „War er wirklich ein Geheimagent? Das macht ihn nur noch schärfer.“
Ich knurrte, bevor es mir bewusst wurde und schlug meine Hand vor meinen Mund. Meine Wölfin zeigte sich mehr und mehr und manchmal war es eher peinlich in unmöglichen Situationen. Meine Arbeitskollegin wie ein Hund anzuknurren war jedenfalls unangebracht. „Sorry. Ich hole nur schnell meine Schere und werde mich dann wieder um dich kümmern, Georgina.“
„Meinetwegen brauchst du dich nicht zu beeilen. Ich versuche mir gerade diese ganze Szene in mein Gehirn einzuschnitzen. Das wird für immer ganz oben in meiner privaten Pornosammlung bleiben.“
October und ich riefen beide gleichzeitig: „Georgina!“