„
N
ur, dass das gleich von Anfang an geklärt ist, ich werde nicht von hier weggehen, bis ich sturzbetrunken bin.“ Ich sah zu Mimi auf und warf ihr einen äußerst ernsthaften Blick zu. „Das ist mein Ernst.“
Mimi stellte eine Flasche Whiskey vor mich hin und nickte. „Verstanden. Dann mal Prost, Blondchen.“
Ich setzte mich schwerfällig auf meinen Barhocker und atmete einen tiefen Seufzer aus, bevor ich mir selbst ein paar doppelte Whiskeys einschenkte. Ich war direkt nach der Arbeit vom Salon zu Mimis Cabana marschiert und es war noch relativ früh, die Tanzfläche sowie die Bar waren bis auf ein paar Einheimische in einer hinteren Ecke noch leer. Mir gefiel es so, ich brauchte wohl etwas Abstand.
Das leichte Kribbeln und die Wärme des Whiskeys fing gerade an auf mich zu wirken, als Grace Lowe sich neben mir auf einen Hocker setzte. Schockiert starrte ich sie an und stöhnte beinahe auf, als sich eine verräterische Röte auf meinen Wangen ausbreitete. Ich hatte Sex mit ihrem Bruder. Es war mir peinlich, ihr gegenüberzustehen. „Hey, Grace.“
Sie grinste mich an. „Hey du selbst. Was gibt’s Neues?“
„Ich habe nur einen Drink nach einem langen Arbeitstag. Und was tust du hier?“
Ein noch größeres Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich hier vorbeiging, dich hier sitzen sah und entschied, dass unsere kleine Gruppe schon viel zu lange nicht mehr zusammen war? Und dass ich dann alle hierher eingeladen habe?“
Ich nahm einen weiteren großen Schluck von meinem Whiskey. „Alle? Wer sind alle?“
„Alle
.“ Sie wackelte mit ihren Augenbrauen. „So …“ Sie legte einen Arm über meine Schulter. „Wie geht es dir so?“
Ich verzog eine Miene. Ich wäre am liebsten abgehauen – wollte meinen langen Rock hochziehen und dann so schnell wie möglich hier raus rennen. Ich mochte Grace wirklich sehr. Ich mochte alle von Parkers neuen Freunden. Mittlerweile waren sie auch meine Freunde geworden. (Es war eine kleine Insel.) Ich war mir nur nicht sicher, dass ich jetzt in diesem Moment die ganze Gruppe aushalten oder überhaupt zivilisiert sein konnte. Alles in meinem Leben veränderte sich so schnell, dass ich einfach nur noch erschöpft, gestresst und mir schwindelig war. Und Gray … Ich musste ununterbrochen an Gray denken. Dabei erinnerte ich mich wieder und wieder daran, dass er nicht mein Gefährte war, aber wie konnte ich mich nicht in diesen Typen verlieben? Obwohl wir uns noch nicht so lange kannten war er seit unserem ersten Tag mein Fels gewesen. Und wenn man die emotionale Krise betrachtete, durch die er mir beigestanden hatte, dann war das eher beachtlich.
Egal, was meine Wölfin dachte, ich musste trotzdem mein Herz beschützen. Noch besaß ich meine volle Kraft nicht, dessen war ich mir bewusst. Ich war immer noch verletzlich, sowohl geistig als auch emotional, und ich hatte viel zu viel Zeit mit Gray verbracht. Früh am Morgen, in den Mittagspausen, Abende und ganze Nächte. Ich konnte mich einfach nicht von ihm fernhalten. Ich hatte es versucht – aber jedes Mal, wenn ich dachte, dass ich es könnte, tauchte er dann auf, als ob genauso wenig fernbleiben konnte. Es war die
reinste Folter für ein hoffnungsvolles Herz.
„Laila?“
Ich lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf die Bar zurück und zwang mich zu einem Lächeln. „Weißt du was, ich fühle mich mit einem Mal nicht mehr so gut. Ich hasse es, dich hier so einfach sitzen zu lassen, aber ich glaube, ich sollte nach Hause gehen.“
„Hey! Wohin glaubst du dich denn verdrücken zu können?!“ Parker kam herein, Stella wieder einmal vor ihren Bauch gebunden, und Maxim stampfte hinter ihr her, wobei er jedem einen fiesen Blick zuwarf, der den beiden Mädels auch nur einen Blick zuwarf. „Setz dich wieder hin und verbringe etwas Zeit mit deiner neuen Lieblingsmommy.“
„Ein Baby … in einer Bar?“ Ich schüttelte meinen Kopf. „Nur du, Parker.“
„Hey, ich bin noch nicht dazu bereit, mich von ihr zu trennen. Wo ich hingehe, geht auch sie hin.“
Ich setzte mich wieder auf meinen Stuhl, griff nach meinem Glas und stellte es auf den Kopf. Ich hatte mir wirklich nur etwas Ruhe gewünscht und wollte allein sein. Ich war wütend auf mich selbst, dass ich hierher zu Mimis gekommen war. Aber woher hätte ich auch wissen sollen, dass plötzlich all meine Freunde hier auftauchen würden?
„Warum das lange Gesicht?“ Parker legte ihre Hand auf meine Wange und runzelte ihre Stirn. „Was ist los, Süße?“
Ich schüttelte meinen Kopf. „Nichts. Nichts ist los. Wie geht es Stella?“
„Sie ist großartig. Sie will nur alle zwei Stunden rund um die Uhr gefüttert werden, Tag und Nacht. Ihr Daddy wird sich gleich um sie kümmern, dann kannst du mir erzählen, was zur Hölle mit dir los ist. Du siehst niedergeschlagen aus und das ist unakzeptabel. Wen soll ich für dich umbringen?“
Ich seufzte, als das Gewicht auf meinen Schultern noch etwas schwerer wurde. „Mir geht es gut, Parker.“
„Laila …“
„Bitte.“ Meine Stimme brach und ich stand auf. Ich zog mir ein paar Geldscheine aus meiner Tasche, warf sie auf den Bartresen und zog die Flasche zu mir an meine Seite. „Ich muss gehen. Es tut mir leid, dich hier und jetzt so sitzen lassen zu müssen, aber ich fühle mich nicht gut.“
Grace und Parker protestierten lautstark, aber ich schob mich von der Bar weg und ging, bevor mich irgendjemand zurückhalten konnte. Akzeptierte denn heutzutage niemand mehr den Wunsch einer Frau, sich mit eingezogenem Schwanz zurückziehen und ihre Wunden lecken zu wollen?
Ich rannte hinunter zum Strand und dann zu meinem Haus, aber da der öffentliche Strand auf der Ostseite der Insel derzeit leer war, landete ich schließlich mit meinem Hintern im Sand und starrte auf den Ozean. Ich schraubte die Flasche auf und nahm einen kräftigen Schluck, weil ich mich in diesem Moment ganz besonders selbst bemitleidete.
Alles schien so unfair. Warum konnte Gray nicht einfach mein Gefährte sein? Alles in mir fühlte sich zu Gray hingezogen. Es fühlte sich an, als ob er mir gehörte. Er sah mich auf eine Weise an, die mich zerschmelzen ließen. Und trotzdem … wusste ich, dass er nicht mein Gefährte war. Er hätte etwas dazu gesagt, wenn es so wäre.
Ich saß einfach da, trank und schmollte und schmollte und trank bis die Sonne unterging. Anscheinend war mir nicht aufgefallen, wie lang ich dort gesessen und wie viel ich getrunken hatte, denn als ich aufstand, um nach Hause zu gehen, fühlten sich meine Beine an wie Blei und das Laufen fiel mir extrem schwer. Jetzt, da der Alkohol meine Hemmungen weggeschwemmt hatte, blickte ich in beide Richtungen und entschied, dass ich allein war. Und dann verwandelte ich mich.
Ich hatte es immer öfter getan und war nun weitaus besser in der Verwandlung. Der gesamte Prozess verlief glatter. Ich hatte bisher noch nicht versucht, mich freiwillig zu verwandeln,
ohne Gray in der Nähe zu haben, aber genau das war Teil meines Problems. Es wurde Zeit mich von ihm zu lösen. Ich war viel zu sehr von ihm abhängig, behandelte ihn so, als wäre er mein Gefährte oder so etwas, und das war ganz einfach nicht gut.
Ich war eine erwachsene Frau. Und ein grimmiger Wolf. Ich musste endlich damit aufhören zu erwarten, dass Gray mir bei allem die Hand halten würde, und ich musste es bald tun, bevor sich das alles in eine unangenehme Situation entwickelte. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass Gray seine Gefährtin finden könnte. Ich konnte mir dieses Szenario nur allzu gut vorstellen – ich, die verzweifelte Exfreundin-mit-Vorzügen, die sich wie eine verrückte Klette an den Mann einer anderen Frau klammerte. Plötzlich traf mich bei dem Gedanken an Gray mit einer anderen Frau ein unglaublicher Schmerz wie ein Blitzschlag, was mir mein Argument nur einmal mehr bestätigte.
Ich verwandelte mich, bis ich auf vier Beinen stand, und sofort hob meine Wölfin ihren Kopf mit einem traurigen Heulen. Sie war genauso emotional, wie ich es war. Ich überließ ihr die Kontrolle, wo immer sie hin wollte, und sie rannte den Strand entlang – wobei ich ein weiteres Paar Schuhe zurückließ. Wir hatten ein ernsthaftes Problem, denn sie schien sich nicht im Geringesten um meine Dinge zu scheren. Kleid zerfetzt, Schuhe zurückgelassen.
Die Nachtluft flog an uns vorbei. Wasser spritzte hoch, als unsere Pfoten durch die heranrollenden Wellen sprinteten. Da war eine Freiheit in dieser Art von Existenz, die ich ohne Grays Hilfe niemals gekannt hätte. Gray – mein Leben begann und endete mit ihm. Das war eine ganze Menge für einen Mann, der nicht einmal mein Gefährte war.
Und einfach so rannte meine Wölfin schnurstracks zu Grays Haus. Ich hatte gelernt, wie ich unsere Körper kontrollieren konnte, wie ich die Kontrolle übernehmen und mich um sie
kümmern konnte. Also tat ich genau das. In dem Zustand, in dem ich mich befand, konnte ich nicht zu ihm gehen. Ich brauchte ihn zu sehr und wollte ihn umso mehr. Ich konnte es nicht ertragen ihn jetzt zu sehen und zu wissen, dass ich keinerlei Anspruch auf ihn hatte.
Ich musste etwas dagegen tun – irgendetwas, um diese Besessenheit mit ihm, die von mir Besitz ergriffen hatte, zu bewältigen. Ich musste mir selbst beweisen, dass ich mich nicht vollkommen in Gray verliebt hatte.
So dumm es sich auch anfühlte, ich zwang mich dazu, zurück zu meinem Haus zu rennen, mich frischzumachen, mir ein neues kurzes Kleid anzuziehen und dann wieder auszugehen. Wieder ging ich zurück zum Strand, dieses Mal zu Cap’n Jims, einer heruntergekommenen Bar mit Nightclub. Die Musik war viel zu laut für meine empfindlichen Wolfsohren, aber es half dabei, das endlose Winseln meiner Wölfin zu übertönen. Sie wollte das nicht tun, was ich vorhatte.
Nach ein paar weiteren Drinks von der Bar war ich auf der Tanzfläche, bewegte mich zu einem Song, den ich nie zuvor gehört hatte, wobei ich versuchte den anderen Tänzern auszuweichen, die mich anstießen. Als sich mir ein mit Testosteron bepackter Muskelprotz näherte, dessen Muskeln auf noch mehr Muskeln tanzten, versuchte ich mich zu einem Lächeln zu zwingen und mich daran zu erinnern, warum ich dort war.
Er rief mir irgendetwas zu, versuchte zu kommunizieren, doch ich konnte ihn über die dröhnende Musik nicht verstehen. Als er seine Hände auf meine Hüfte fallen ließ und mich an seine Brust zog, wurde mir fast schlecht. Sein Atem an meinem Ohr – Zigaretten, Gin und Knoblauch – war geradezu widerlich. Die Worte, mit denen er mich anschrie, gingen in der Übelkeit und dem Ekel unter, mit dem mich mein Körper geradezu anschrie von ihm wegzukommen.
Dann spürte ich, wie sich meine Zähne verlängerten und ich
keuchte auf. Meine Wölfin war stinksauer. Sie wollten sich nicht von irgendeinem dahergelaufenen Kerl begrapschen lassen. Sie wollte nur Gray. Mit einem Knurren machte ich mich von dem Griff des Typen los, klemmte fast sprichwörtlich meinen Schwanz ein und ging in Richtung Ausgang. Und mein hastig ausgedachter Plan zerfiel, bevor ich ihn überhaupt in die Tat umsetzen konnte.