SCHIEFERTAFEL

Das erste Stück, das sie restaurierte, war eine alte Tafel aus Schiefer, eingefasst von einem Holzrahmen. Der Rahmen war wurmstichig, und an der einen Seite hatte jemand ein Loch ins Holz gebohrt, damit man die Tafel an einen Nagel hängen konnte. Durch die Bohrung hatte der Rahmen einen Riss bekommen, der sich vom Nagelloch ein paar Zentimeter durchs Holz zog. Sie mischte Kitt und Schleifstaub und widmete sich zuerst den Wurmlöchern. Dann wandte sie sich dem Riss zu und füllte ihn. Aufmerksam betrachtete sie den Rahmen im Licht. Vom Riss war kaum mehr etwas zu sehen. Sie hatte dem Rahmen seine Geschichte genommen. Am Ende kratzte sie das Füllmaterial wieder heraus. Es war ehrlicher. Und stabil war der Rahmen trotzdem.

Juni 2019

Wenn Aimée beim Arbeiten summte, waren das selten ganze Melodien, sondern einzelne Töne, die tief aus ihrem Inneren kamen. Sie fuhr über die Sitzfläche des Windsor-Stuhls. An einer Seite hatte sich der Lack schollenförmig aufgestellt, der Stuhl musste früher einmal, in den Fünfzigerjahren, an einer Heizung gestanden haben. Die letzten siebzig Jahre war er auf einem kalten, trockenen Dachboden vergessen worden. Aimée lächelte. Was Len wohl dazu sagen würde, wenn sie ihm erzählte, dass der Stuhl an einer Heizung gestanden hatte zu einer Zeit, in der Warmwasserheizungen der reinste Luxus gewesen waren. Sie liebten beide solche Geschichten.

Summend nahm sie einen Lappen und entstaubte die dünnen Holzstäbe der Rückenlehne. Dorothy Cade, eine alte Dame, hatte den Stuhl gestern vorbeigebracht. Sie hatte ihr erzählt, dass er das einzige Möbelstück gewesen war, das im Zweiten Weltkrieg nach einer Bombennacht vom Haus ihrer Großeltern übrig geblieben war. Sie selbst hatte den Stuhl ein paar Tage später im Straßengraben gefunden.

»Mittagspause.« Erin stand in der Tür und schwenkte eine Plastiktüte.

Aimée erkannte den himmelblauen Aufdruck des Fish-’n’-Chips-Shops unten am Hafen. Balancing Eel. Ihr Magen knurrte. Wenn sie arbeitete, merkte sie oft gar nicht, dass sie Hunger hatte. Sie rückte den Stuhl an die Wand. Später würde sie die Sitzfläche abschmirgeln, nur gerade eben so viel wie notwendig. Alte Möbelstücke sollten nicht wie neu aussehen.

»Ich setz mich schon mal nach draußen.« Das Glöckchen bimmelte, und Erin verließ den Laden. Kurz erschien ihr schwarzer Haarschopf vor dem Fenster.

Aimée legte den Lappen zu den anderen, band sich die Schürze ab und hängte sie über die Hobelbank. Kurz vergewisserte sie sich, dass alles da war, wo es hingehörte, die Pinsel im Einweckglas, die Hammer am Haken, Schraubzwingen in der Halterung, Leime und Lacke im Regal. Alles hatte seinen Platz. Aimée drehte sich einmal um die eigene Achse. Manchmal konnte sie es kaum glauben, dass sie diesen Laden gefunden hatte, oder er sie, wer wusste das schon so genau.

Im Hinausgehen fiel ihr Blick in den Spiegel des Waschtischs, für den Erin das schillernde Kleid auf seinem Ständer ein Stück zur Seite geschoben hatte. Ihre Wangen waren gerötet, die Locken hingen ihr wirr ums Gesicht, ihre Augen blitzten.

»Aimée Thaler, du hast mehr Glück als Verstand.«

Sie trat hinaus und drückte die Ladentür hinter sich zu. Automatisch griff sie nach dem Schlüssel in ihrer Tasche. Sie konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, nicht abzuschließen, wenn niemand im Laden war. Aber Arthur und Erin vertrauten den Menschen hier in St. Ives.

Möwen flogen kreischend durch die Gassen, als spielten sie in der Luft fangen. Aimée sog den Duft des Frühsommertags tief ein. Es roch nach Blumen und Meer.

Erin saß bereits auf einer der Bänke an dem kleinen Platz. Der Norway Square war eher ein Steingarten, der von einem niedrigen Mäuerchen eingefasst war. In Erins Rücken lagen die Porthmeor Studios. Aimée und Len hatten schon häufiger in die Fenster der Ateliers hineingespäht, um einen Blick auf die Künstler und Fischer mit ihren Netzen zu erhaschen, die dort Seite an Seite arbeiteten. Erin saß da unter einem knallblauen Himmel und sattgrünen Palmen. Der Anblick kam ihr ziemlich verrückt vor.

Erin reichte ihr eine der hellen Verpackungen, als Aimée sich neben sie setzte. Erst neulich hatte Erin eine dieser Balancing-Eel-Schachteln auseinandergerupft und die Stücke zu einem Aal gebügelt. Er balancierte jetzt auf einem der Vorsprünge im Laden.

»Dank dir.« Der Geruch von frittiertem Bierteig und Essig stieg ihr in die Nase. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr diese Mischung jemals das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen würde. Mit einer kleinen Holzgabel trennte sie ein Stück von dem Riesenfisch ab und schob es sich in den Mund. Der Kabeljau war so zart, dass er auf ihrer Zunge schmolz.

Vom Hafen drangen leise Stimmen und Motorengeräusche zu ihnen herauf. Jetzt im Juni waren schon viele Touristen im Ort und genossen die Sonne und das Meer.

Erin verscheuchte eine Möwe von der Rückenlehne der Bank. »Ian kommt am Wochenende«, sagte sie unvermittelt.

»Okay.« Aimée ließ die Gabel sinken. Erins Ex, Ellies Vater, war seit Silvester nur noch sehr selten in St. Ives aufgetaucht.

Erin schob sich eine Pommes in den Mund. Sie kaute sehr lange. »Ich weiß, ich sollte mich nicht freuen. Aber was soll ich machen?«

»Wird er bei euch wohnen?«

Erin nickte. Ihr zart gebräuntes Gesicht bekam einen weichen Ausdruck. Sie würde es Ian am Wochenende so schön wie möglich machen, um ihm zu zeigen, was er noch immer haben konnte: seine Familie. Dabei war Erin sonst gar nicht so anbiedernd. Aimée piekste ein weiteres Stück Fisch auf. Ihr wurde ganz anders, wenn sie daran dachte, wie sie selbst sich für Per passend gemacht hatte, wesentlich länger als nur für ein Wochenende.

Erin legte einen Arm auf die Mauer. Gänseblümchen lugten zwischen den Steinen hervor. Mit ihren kräftigen braunen Stängeln sprossen sie aus jeder Ritze im Ort. »Was ist eigentlich mit Daniel?«

Aimée sah sie von der Seite an. Erin kaute, als wäre dieser brachiale Themenwechsel völlig normal. Die Möwe schlich sich über das Mäuerchen wieder an.

»Was soll mit ihm sein?«

Erin zerteilte ihren Fisch, der unter dem Teig noch immer dampfte. »Na ja, ich hab mich gefragt, ob da was ist zwischen euch?«

»Nein.« Aimée merkte, dass sie eine Spur zu laut wurde. Sie senkte die Stimme. »Wirklich nicht.«

»Und früher?«

»Früher sind wir mal zusammen gewesen. Aber das ist lange her.«

»Und warum seid ihr nicht mehr zusammen?« Erin winkte einem dunkelhaarigen Mann zu, der aus den Porthmeor Studios kam. Er trug eine große Mappe unter dem Arm.

»Weil …« Etwas knallte ihr hart ans Bein. Abrupt duckte Aimée sich zur Seite. Auf ihrem Schoß schlug die Möwe wild mit den Flügeln. Im nächsten Moment flog sie mit dem Fisch im Schnabel davon. »What the …« Aimée starrte in ihre Schachtel, in der nur noch ein paar zerdrückte Pommes lagen.

Der Mann war zu ihnen gekommen. »Darf ich?« Er klaubte eine Fritte von ihrem Knie.

Die Möwe war mit ihrer Beute in Richtung Hafen davongeflogen, sie war nur noch ein schwarzer Punkt am Himmel. Unglaublich!

»Wir haben den Vögeln ihre natürliche Nahrung genommen. Überfischung und so. Was sollen sie tun?« Der Mann grinste sie an. »Jack.«

»Von wegen Überfischung! Faule, gierige Diebe sind das.« Erin stieß mit der Gabel in die Luft. »Flugratten!«

»Aimée.« Sie erwiderte Jacks Händedruck.

»Du arbeitest bei Arthur, richtig?« Er lehnte die Mappe an die Mauer.

Sie nickte. »Und was machst du?« Noch während sie fragte, kapierte sie es. Die Mappe – übergroß, schwarz und mit Stoffbändern zusammengebunden.

»Jack Forbes? Der Maler?« Erin hielt ihr ihre Schachtel hin.

»Tut mir leid.«

»Die Tate hat ihn ausgestellt.«

Aimée nahm sich ein Stück von dem Fisch.

»Hey, genug.« Jack hatte auffallend blaue Augen unter den dunklen Brauen. »Ich muss das hier kurz wegbringen«, er tippte auf die Mappe, »dann hol ich mir auch was vom Balancing Eel. Soll ich dir noch mal was mitbringen?«

»Danke. Ich glaube, die Möwe hat mich gerettet. Nach so einem ganzen Fisch hätte ich nicht mehr arbeiten können.«

Jacks Züge hatten etwas Jungenhaftes, in seinem Kinn war ein kleines Grübchen. Ein leises Kribbeln zog sich über ihre Arme, sie spielte an ihrer Schachtel herum.

»Komm doch mal vorbei auf einen Tee.« Er nickte in Richtung Porthmeor Studios. »Atelier 3.«

»Das musst du dir wirklich mal ansehen.« Erin zwinkerte ihr zu. »Der Raum ist wundervoll. Eine riesige Fensterfront. Man sitzt quasi direkt am Strand.«

Jack klemmte sich seine Mappe wieder unter den Arm. »Hat mich sehr gefreut, Aimée. Bis bald, ihr beiden.« Er lächelte ihr noch einmal zu, dann verschwand er hinter der nächsten Häuserecke.

Aimée klappte die Schachtel zu und stellte sie neben sich. »Ist der immer so nett?«

»Zu mir nicht.« Erin grinste.

Aimée legte den Kopf in den Nacken und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen.

»Jack ist aus Birmingham«, sagte Erin. »Er kam vor ein paar Jahren als Stipendiat nach St. Ives, als Artist in Residence. Eigentlich wollte er nur für ein paar Monate bleiben.«

Cloud sprang von irgendwoher auf ihren Schoß. Aimée streichelte ihr weiches, sonnenwarmes Fell und lauschte dem Wind in den Palmen. In Momenten wie diesem kam ihr ihr Leben nicht ein Stück unperfekt oder provisorisch vor. Dann spielte es keine Rolle, dass sie auf fünfeinhalb Quadratmetern hauste, wie früher, neben ihrer trinkenden Mutter. In Momenten wie diesem war alles gut so, wie es war. Die Bienen summten, und als sie das Rumpeln eines Wagens hörte, öffnete sie die Augen. Arthur saß auf dem Fahrersitz seines Transporters.

Erin beugte sich zu ihr. »Nur weil uns die Möwe dazwischengekommen ist, hab ich meine Frage nicht vergessen.« Pfeifend stand sie auf und warf die beiden Schachteln in einen Müllkorb.

Arthur rangierte den Transporter, sodass er mit dem Heck vor dem Außeneingang des Lagers stand. Mit langsamen, vorsichtigen Bewegungen stieg er aus. Erin ging zu ihm und drückte seinen Arm.

»Hey, du warst erfolgreich.« Sie öffnete die Klappe des Transporters, kletterte im flatternden Hemd auf die Ladefläche und inspizierte die Möbel.

Aimée ging langsam zu den beiden hinüber. Sie sahen sich wirklich sehr ähnlich. Es war nicht nur die schmale, lange Nase, da lag auch ein bestimmter Ausdruck in ihren braunen Augen, eine Neugierde auf die Welt, wie Kinder sie hatten.

Arthur trat ebenfalls an die Ladefläche heran. »Man weiß ja nie, was einen erwartet. Aber diese Frau hatte Schätze im Keller. Ich glaube, sie wusste selbst nichts davon. Und sie wollte nichts dafür haben. Glaubt man das?«

Erin sprang auf den Boden und umarmte Arthur. »Dir hat jemand beim Einladen geholfen, oder?«

»Jaja, der Sohn war da.«

Aimée stieg neben Erin auf die Ladefläche. Sie sichtete die Neuzugänge: ein Tischchen mit einer Platte aus blau-weißen Fliesen mit Segelschiff-Motiven, zwei Sheraton-Stühle aus glänzendem Seidenholz, ein Mahagonitisch mit geschwungenen Beinen, wahrscheinlich ein Hepplewhite, mit jeder Menge Kratzern auf der Platte. Sie konnte es kaum erwarten, mit ihrer Arbeit loszulegen.

An der Rückwand, hinter einem Nähmaschinentisch, stand ein feingliedriger Stuhl, der mit altrosa Rauten bemalt war. An einigen Stellen war die Farbe so ausgeblichen, dass man sie kaum erkennen konnte. Aimée hätte nicht sagen können, aus welchem Holz der Stuhl war und auch nicht, ob er wertvoll war oder nicht. Aber in seiner luftigen Leichtigkeit war er wunderschön. Augenblicklich sah sie ihn in einem gemütlichen Zimmer vor sich, auf einem Dielenboden, eingetaucht in warmes Licht. Sie seufzte. Auf dem Stuhl stand eine helle, große Schmuckschatulle.

»Wundervolle Stücke, Arthur.« Aimée reichte ihm die Schatulle hinunter. Sie war schwer.

Er klappte den Deckel auf und zog eine Kette aus grünlichen Steinen heraus. »Kennst du dich mit so was aus?« Seine Frage klang schroff. Aimée hatte immer das Gefühl, dass er sich nur widerwillig mit ihr unterhielt. Dabei hätte es so schön sein können, sie beide, Seite an Seite im Laden. Sie könnten bei der Arbeit plaudern und sich gegenseitig Tipps geben.

»Leider nein.«

Von irgendwoher zog ein intensiver Patchouliduft zu ihr hoch.

»Aber ich kenn mich aus«, sagte eine Frauenstimme.

Im nächsten Moment kam Marilou von der Vorderseite des Transporters zu ihnen an die Ladefläche. Die Haare hatte sie sich zu einem hohen Dutt gebunden, um die Stirn trug sie ein paillettenbesticktes Stoffband. »Darf ich?« Sie nahm Arthur die Schatulle ab.

Aimée schloss die Augen. Marilou musste sich in jeden Raum drängen, den Aimée für sich erschlossen hatte. Erst einen Fuß, dann ein Bein, und am Ende war es nicht nur ihr Körper, der diesen Raum in Beschlag nahm. Sie konnte nur schwer etwas gegen den Widerwillen tun, der in ihr hochkam. Im Lager hörte sie Erin rumoren. Ihr wurde klar, dass Marilou und Arthur sich gerade zum ersten Mal begegneten. Marilou war zwar hin und wieder im Laden aufgetaucht, aber immer genau dann, wenn Arthur nicht da gewesen war. Ergeben öffnete Aimée die Augen.

»Arthur, darf ich vorstellen, das ist Marilou, meine Mutter. Marilou, das ist Arthur, Erins Vater.« Sie versuchte, ihrer Stimme einen unbeschwerten Klang zu geben.

Arthur schenkte Marilou ein Lächeln. »Sehr erfreut.«

Marilou nahm nacheinander zwei lange grüne Ohrringe, ein grünes Armband, ein Collier und mehrere Ringe aus der Schatulle, hielt sie gegen die Sonne und wiegte sie in der Hand. Das alles tat sie so vorsichtig, wie Aimée es ihr nie zugetraut hätte.

»Jemand muss den Schmuck von einer Reise mitgebracht haben. Aus Afrika. Das ist alles aus grünem Käferpanzer gefertigt.« Die Pailletten auf Marilous Stirnband funkelten. »Für fünfhundertfünfzig, sechshundert Pfund würde ich es auf einem Antiquitätenmarkt sicher loskriegen.« Behutsam legte sie den Schmuck zurück.

»Klingt gut.« Arthur strich sich die Haare über der Stirn glatt. »Wann fahren wir auf so einen Markt?«

Marilou lachte.

Erin kam aus dem Lager. »Oh, hallo Marilou.«

Die beiden umarmten einander.

Aimée wünschte sich, dass sie Marilou so unbefangen wie Erin begegnen könnte. Sie stellte sich vor, wen sie dann vor sich sähe: eine interessant gekleidete Frau Mitte fünfzig mit einem Lachen, das gut zu dem blauen Himmel über ihr passte. Mehr nicht.

»Packen wir es an.« Arthur stützte sich auf die Ladefläche, um sich hochzuhieven. Dabei zitterte er am ganzen Körper. Doch er biss die Zähne zusammen und drückte sich weiter hoch. Oben machte er sich ohne Umschweife an dem Tischchen mit den blau-weißen Fliesen zu schaffen. Er wollte es hochheben, doch als er nach ihm griff, entfuhr ihm ein Schrei. Er versuchte, die Finger zu spreizen.

Erin und Aimée wechselten einen Blick. Arthur musste sofort von der Ladefläche runter. Aber sie durften ihm auf keinen Fall das Gefühl vermitteln, gescheitert zu sein.

»Arthur?« Marilous Stimme klang hell und fröhlich. »Ich dachte, Sie würden mir auf diesem Sonnenplatz da vorne Gesellschaft leisten.«

Langsam drehte Arthur sich um. Aimée erkannte das Misstrauen in seinem Blick. Sie sah weg. Neben ihr begutachtete Erin mit übertriebenem Interesse den Schmuck in der Schatulle.

»Kommen Sie schon. Geben Sie mir die Ehre.« Marilou hielt ihm den Arm hin.

Arthur ließ sich von Marilou vom Transporter helfen und zu der Bank führen, auf der Erin und Aimée vorhin gesessen hatten.

Erin kletterte auf die Ladefläche. »Deine Mutter hat’s echt raus.« Sie reichte Aimée das Fliesentischchen herunter.

Es stimmte, Marilou hatte die Situation gerettet.

Zusammen luden sie die Möbel aus und brachten sie ins Lager.

Als sie wieder draußen waren, steckten Arthur und Marilou auf der Bank die Köpfe zusammen. Spaziergänger würden vielleicht kurz innehalten und einen Blick auf das ungleiche Paar werfen. Auf den älteren Herrn mit den welligen weißen Haaren, im abgewetzten braunen Anzug, dessen Jackett ein bisschen zu locker um seine schmalen Schultern saß. Und auf die Frau mit dem glänzenden Stirnband, mindestens fünfzehn Jahre jünger als er, extravagant in ihrem bodenlangen weißen Kleid: Trompetenärmel, bunte Stickereien auf Ausschnitt und Taille, Pailletten am Saum.

»Den Stuhl kriegst du alleine raus, oder?« Erin knöpfte sich das Hemd über dem weißen Shirt auf. »Dann geh ich nämlich mal wieder an die Arbeit.«

»Klar. Bis gleich.«

Erin verschwand im Laden, während Aimée ein letztes Mal auf die Ladefläche stieg. Als sie den Stuhl vorne an den Rand stellte, sah sie, dass Marilou aufstand und Arthur beide Hände schüttelte. Sie wandte sich um und winkte Aimée zu. Die grünen Ohrringe schwangen bis zu ihrem Schlüsselbein hinunter, als sie an den Porthmeor Studios vorbeilief.

»Tolle Frau«, murmelte Arthur, als er näher kam. Er nickte Aimée zu. »Bei der nächsten Haushaltsauflösung muss sie dabei sein. Meistens nehme ich den Schmuck nämlich gar nicht erst mit. Ich kann ja eh nichts damit anfangen. Aber mit Marilou …« Er ließ den Satz in der Luft stehen. Dann sah er Aimée an, so überrascht und interessiert, als hätte er sie bislang immer nur von Weitem gesehen. »Und du bist also ihre Tochter.«

Sie nickte.

»Oh, und ihr habt ja schon alles ausgeladen!« Arthur blickte über die leere Ladefläche.

»Fast.«

Das altrosa Rautenmuster des Stuhls erinnerte sie an eine flatternde Wimpelkette auf einem Sommerfest. Versonnen strich Aimée über die schlanke Lehne.

»Der gefällt dir.« Arthur nahm den Stuhl entgegen.

»Ja, sehr.«

»Dann gehört er dir.«

»Aber …« Arthur schenkte ihr etwas? Ihr? Auch wenn sie es ungern zugab, das hatte sie wohl Marilou zu verdanken. Aimée dachte an den Holzboden, auf dem der Stuhl hätte stehen müssen, an das warme Licht im Raum. Sie seufzte. Was sollte sie im Bulli mit diesem Stuhl? »Ganz lieben Dank, aber wir haben leider keinen Platz dafür.«

»Na, was nicht ist, kann ja noch werden. Wir stellen ihn erst einmal unter. Und irgendwann dann nimmst du ihn mit.«