XXVIII.
Für Jazmin
Denis befand sich auf der Steuerbordseite im vorderen Drittel des Schiffs bei Navigationstriebwerk Nummer sechs. Oder Nummer vier seiner Reparaturmission. Diese Einheit wurde zwingend benötigt. R2
und elf weitere Drohnen arbeiteten daran, das Triebwerk wieder online zu bringen. D2
hatte bereits weiter vorne im Schiff, bei Nummer fünf ihres Rettungsplans, mit der Demontage begonnen. Dieses Triebwerk wollte Denis als Reserve in der Hinterhand wissen.
Obwohl sie nur die Hitzesensoren austauschen mussten, dauerte es einige Zeit, einen passenden Zugang für die Drohnen zu schaffen und danach alles wieder an der richtigen Stelle zu montieren. Ein schlanker Mensch wie Tarek Abbas wäre ohne Umbau an die Sensoren gekommen. Die tonnenförmigen Drohnen waren allerdings nicht in der Lage, den Bauch einzuziehen.
R2
schwebte zufrieden piepend an ihm vorbei, er hatte die Rolle eines Vorarbeiters übernommen. Denis wunderte sich nicht mehr darüber, obwohl auch dieses Verhalten nicht seiner ursprünglichen Programmierung entsprach. Die Drohne musste sich die Fähigkeiten über viele Jahre hinweg sukzessive angeeignet haben. Wenn Denis diesen Bockmist überleben würde, könnte er sich die Journale der Drohnen-KI
näher ansehen. Er vermutete, dort einige interessante Dinge
zu finden. Sieben Jahre, dachte er, das war eine lächerliche Lüge.
Denis hatte Jazmins Ratschlag befolgt und sich einen Pullover angezogen. In dieser Zone waren es nicht mehr als fünf Grad Celsius, und die Temperaturen fielen weiter. In den Gängen des Raumschiffs gab es zum Glück genügend verbliebenen Sauerstoff, um zwei Menschen und eine Handvoll Tiere mehrere Tage lang zu versorgen.
»Boah … ist das schnell!«
, hörte er Mutter rufen, während sie den nächsten Gleiter in die virtuelle Botanik setzte. Denis hätte den kleinen Flitzer sogar betrunken besser geflogen. Die KI
zeigte eine erstaunliche und zugleich erschreckende Lernresistenz. Der gute Wille war vorhanden. Leider kam sie damit allein nicht weiter. Mutter wirkte Lichtjahre davon entfernt, die Kontrolle über die von Espinoza verschlüsselten Kernsysteme zu übernehmen.
»Jazmin! Nicht aufgeben! Wir machen weiter!« Denis spürte, wie sich seine motivierenden Worte abnutzten. Die kindliche Mutter erwies sich als Reinfall.
»Ich starte ein neues Szenario. Ich nehme eines für Kinder aus dem Schulprogram«
, erklärte Jazmin, die keinen Hehl aus ihrer Frustration machte. Denis sah Mutters drei Projektionen auf der Brücke und Jazmin über sein teiltransparentes Head-up-Display auf der Nase. Das Schiff glich einem U-Boot, das manövrierunfähig in der Schwärze eines Meeresgrabens versank. Man konnte die Gefahr nicht sehen und wusste dennoch, dass man früher oder später durch die Wassermassen zerquetscht werden würde. Im Ergebnis würde die Gravitation mit ihnen nichts anderes tun: sie umbringen.
»Ich bin bei dir …«
»Ich weiß.«
»Hast du Angst?«
»Ja.«
»Ich auch.« Nur ein Idiot hätte in ihrer Lage keine Furcht verspürt. Sie wehrten sich gegen ein Schicksal, dem sie nicht mehr entrinnen konnten. Das Schwarze Loch war eine Nummer zu groß für sie. Nichts, was Menschen zu erschaffen in der Lage waren, konnte dagegen bestehen. Gravitation war die elementare Urkraft im Universum. Ohne sie wären massebehaftete Atome nur vagabundierende Einzelgänger. Erst die Gravitation führte sie zusammen und ließ Sterne und Planeten entstehen. Erst auf dieser Basis war organisches Leben und alles andere in der Schöpfung möglich.
»Was macht R
2
?«
»Er hilft mir.«
»Vielleicht ist er eine Sie.«
»Vielleicht …« Über das Geschlecht einer Drohne nachzudenken, weil man ihr Verhalten vermenschlichte, zeigte, in welcher Lage sie sich befanden. Galgenhumor war die letzte Option, seinem Ende mit Fassung entgegenzutreten.
»Kommst du wieder zu mir?«
»Ich beeile mich!« Denis wollte seinen letzten Atemzug nicht allein auf einem der kühlen Gänge erleben. Mit Jazmin zusammen würde sein Tod vielleicht erträglich sein. Die Mission der USS
London
würde heute scheitern.
Denis hatte das Overlay von der Brücke aus seinem Blickfeld geschoben. Jazmin kümmerte sich um Mutter. Auf dem Lehrplan der virtuellen Schule stand Sozialkunde: Der Lehrer sprach über Verantwortung und vom richtigen Verhalten in der Gruppe. Eine Lektion, die durchaus Sinn machte.
Er ließ sich stattdessen die Perspektiven von vier Drohnen anzeigen, die sich dem auszutauschenden Hitzesensor
näherten. Bei diesem Triebwerk zeigten sich zusätzliche Beschädigungen am Stickstoff-Kühlsystem. Das war nicht gut, konnte aber behoben werden. Die Drohnen hatten bereits die beschädigten Sektoren freigelegt und mit der Demontage begonnen. Die Ersatzteile waren in den 3
-D-Druckern hergestellt worden und wurden gerade von zwei Drohnen angeliefert. Das Kühlsystem kostete sie über eine Stunde. Zeit, die sie nicht hatten. Allerdings kam Jazmin noch langsamer voran.
»R2
, was machst du da?«, fragte Denis. Die Drohne schraubte weitere Verkleidungselemente ab und schickte ihm eine Textmeldung, dass sie das gesamte Kühlsystem kontrollieren müssten.
»Nein … das ist Blödsinn!« Denis kannte die Protokolle. R2
hielt sich an die Regeln. Es gab allerdings einen schnelleren Weg. Nach dem Austausch der beschädigten Kühlleitungen würden sie den Rest mittels eines Drucktests überprüfen. Sie hatten keine Zeit, das gesamte Triebwerk zu zerlegen. Das Ding war über dreißig Meter hoch, zylinderförmig und fünfzehn Meter breit.
R2
piepte störrisch und wedelte wild mit dem Verkleidungselement herum.
»Schraub es wieder dran.« Denis vergrößerte R2
s Sichtfeld. Er wollte nur einen kurzen Blick darauf werfen.
Die Drohne beruhigte sich.
»Halt!« Was war das denn?
R2
stoppte.
Denis glaubte, sich verguckt zu haben. An den Kühlleitungen unter dem demontierten Verkleidungselement gab es keine Mängel zu erkennen. Auch ansonsten sah er keine weiteren Beschädigungen. Aber das war nicht der Punkt. Dort lief eine Hochenergieleitung entlang, die da nicht
hingehörte. An dieser Stelle stellte das zum Glück kein Problem für die Betriebssicherheit des Navigationstriebwerks dar. Trotzdem gehörte die Leitung da nicht hin.
»R2
… was ist das für eine Zuführung?« Denis glaubte zwar nicht, sich vertan zu haben, startete aber dennoch eine Analyse. Er markierte das von der Drohne identifizierte Kabel und aktivierte eine Hilfsfunktion. Damit sollte ihm das zentrale Wartungssystem Auskunft erteilen können. Niemand kannte wirklich jede Schraube auf dem Schiff.
Unbekannte Energieleitung. Keine Bedrohung. Kein Eingriff notwendig
, flatterte als animierter Schriftzug an seinen Augen vorbei. Wie bitte, es sollte ein Kabel auf dem Schiff geben, dessen Funktion nicht bekannt war? Das konnte er sich nicht vorstellen. Wenn man nicht wusste, wozu es da war, wie sollte man dann sein Gefahrenpotential einschätzen? In seinen Augen widersprach sich das.
»Wir machen einen Spannungstest!« Denis wollte wissen, wo das Kabel hinführte. Er konnte sich nur schwer vorstellen, dass Arbeiter es dort beim Bau vergessen hatten. Dafür waren die Sicherheitskontrollen zu streng gewesen. Die hatten bei der Fertigung jede Unterlegscheibe mehrfach durch verschiedene Teams überprüfen lassen. Sobald ein Prüfbericht von einem anderen abgewichen wäre, hätte es eine weitere Untersuchung gegeben.
R2
meldete 380
Volt. Das Kabel stand unter Spannung. Das hatte sicherlich niemand dort vergessen.
»Spannung modulieren und Quelle und Ziel der Zuführung bestimmen«, ordnete Denis an. R2
speiste darauf hin eine Signatur in den Energiefluss ein, der in anderen Zonen identifiziert werden konnte. Die Quelle war schnell gefunden. Die Energie kam aus der Antimaterie-Unit des Navigationstriebwerks. Diese Unit befand sich gut abgeschirmt unter
ihnen. Das Kabel diente also dazu, ein weiteres System mit Energie zu versorgen.
»Wohin geht der Strom?« Denis wollte nicht glauben, dass es keinen bekannten Abnehmer gab. Sollte er jetzt das gesamte Kabel freilegen lassen? Das wäre eine Aufgabe, deren Umfang er nicht abschätzen konnte.
»R2
… das geht nicht!« Ein unbekanntes Stromkabel war eine Sache, aber ein unbekanntes Subsystem, das damit gespeist wurde, noch eine ganz andere. »Ich möchte wissen, was an dem Kabel dranhängt!« Die Positionierung war ähnlich geschickt gewählt wie bei den Kältebetten an den Wassertanks. Normalerweise wäre das niemandem aufgefallen. Ohne die ungeplante Reparatur an der Stickstoffkühlung hätte er es auch nicht bemerkt.
Denis brauchte einen Röntgenblick. Den hatte er nicht. Aber er wusste sich dennoch zu helfen. »Temperatur modellieren … wir messen die Wärmeentwicklung.«
R2
bestätigte die Order und variierte die Strommenge. Das erzeugte Wärme, und diese minimal unterschiedlichen Temperaturspitzen konnte man durch Wärmekameras messen. Auf der USS
London
gab es Tausende Wärmequellen. Jede Energie- oder Datenleitung war durch ihren Widerstand gewissermaßen auch eine schwache Heizung. Durch die von der Drohne eingestreuten Aussetzer entstand eine Signatur, und die ließ sich identifizieren.
»Ich aktiviere den Filter in meinem Overlay.« Denis sah sich um und suchte nach dem richtigen Temperaturmuster. Er wurde schnell fündig. Die Stromleitung führte zu einem unbekannten Steuerungssystem in einer Zwischendecke. An dieser Stelle sollte sich überhaupt nichts befinden. Aber er überprüfte auch diesen Fund. Das Ergebnis überraschte ihn nicht. Die Wartungsdatenbank kannte es nicht. Das
war ein Fremdsystem mit unbekannter Funktion. Er hatte keinen blassen Schimmer, wozu es da war und wie es unbemerkt die Sicherheitskontrollen bei der Fertigung hatte überstehen können.
»Jazmin?« Das musste er ihr erzählen. Die Drohnen waren schon dabei, das Navigationstriebwerk wieder zusammenzubauen. Er musste nicht eingreifen.
»Ich verzweifle!«
»Ähm … was ist passiert?«
»Mutter ist von dem virtuellen Lehrer wegen unflätiger Ausdrücke aus der Klasse verwiesen worden!«
, erklärte sie entrüstet.
»Oh.«
»Jetzt sag nicht wieder, ich soll das Szenario neu starten!«
»Okay …«
»Das ist nicht okay! Ich muss dir doch nicht erklären, um was es hier geht, oder?«
»Nein, das ist mir durchaus bewusst.« In diesem Moment brachte ihn eine Erschütterung aus der Balance.
»Wie läuft es bei Nummer vier?«
»Gut … wir testen gerade.« Denis startete, während er sprach, die Testprotokolle. R2
hatte ihm dazu grünes Licht gegeben. »Aber darum geht es nicht.«
»Neue Probleme?«
»Das weiß ich noch nicht.« Weder ein zusätzliches Kabel noch ein unbekanntes Subsystem stellten zwingend ein Problem dar. Nur konnte sehr schnell eines daraus entstehen.
»Was hast du gefunden?«
»Unter einem Abdeckelement fand ich ein Energiekabel, was da gemäß unseren Plänen nicht hingehört.«
»Und?«
»Es führt zu einem nichtdokumentierten Subsystem in
Zone 56
, Sektor 3
b. Schau dir die Pläne an, da ist eine leere Zwischendecke, da sollte nichts sein.«
»Und was ist da?«
Denis übertrug seine Wärmebilder. An dieser Stelle war es nicht möglich, innerhalb kurzer Zeit das unbekannte Subsystem genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie hätten dafür mehrere Bodenelemente aufschrauben müssen. Da die Zwischendecke leer sein sollte, gab es auch keine Revisionsöffnung. »Siehst du es?«
»In Ordnung, da ist ein zwei Meter großer, nichtdokumentierter Kasten … der was tut?«
»Das weiß ich nicht. Aktuell ist das Subsystem ohne Funktion. Das könnte so bleiben … muss aber nicht.« Denis mochte keine Apparaturen an Bord, von denen er nichts wusste.
»Soll ich Mutter fragen?«
»Weiß sie es?«
»Nein, vermutlich nicht. Ich kann das Subsystem auch nicht ansprechen … was aber nicht viel bedeuten muss. Ist das Ding deiner Meinung nach gefährlich?«
»Wir können uns keine Fehler erlauben!«
»Denis … den haben wir schon gemacht. Wir können uns bald nichts mehr erlauben. Ich probiere etwas aus … Es gibt im Netzwerk
512000
Millionen logische Ports. Ich sende allen via Broadcast ein Ping, werte die Antworten aus und ziehe alle in der Datenbank bekannten Subsysteme ab.«
»Gute Idee.«
»Das geht schnell … Unser Netzwerk ist zu
99
,
5
Prozent intakt. Ich habe die defekten Systeme gefiltert. Es bleiben
32
Systeme übrig, von denen sich eines in Zone
56
3
b befindet. Warte … es gibt ein Muster. Das sind alles Standorte der Navigationstriebwerke. Bei jedem Triebwerk gibt es eines dieser nichtregistrierten Subsysteme.«
»Gibst du mir die IP
-Adressen?«
»Kommen …«
»Danke.« Jetzt hatte er eine Option, das System anzusprechen. Er erhielt allerdings keine Auskunft. Den Ping konnte das unbekannte Subsystem nicht verhindern, alles andere schon. Die Kiste war da, verfügte über Strom und machte keinen Mucks. »Die Dinger reagieren nicht auf an sie gerichtete Befehle.« Denis sah auf seinem anderen Auge, dass die Tests für Nummer vier erfolgreich abgeschlossen waren. »Jazmin, du kannst Nummer vier übernehmen.«
»Danke … führe Neustart aus.«
R2
stand jetzt vor Denis, piepte und wartete auf die Order, zu Nummer fünf weiterzuziehen. Die Arbeiten waren erledigt. Denis zögerte, sollte er das unbekannte Kabel unterbrechen? Das könnte er mit jedem dieser 32
blinden Passagiere tun. Ohne Strom wäre keines davon mehr in der Lage, Blödsinn anzustellen. Er hörte ein langgezogenes Knarren und Quietschen, keine schönen Geräusche. Sie stammten von dem gequälten Chassis der USS
London
, das im Anflug auf das Schwarze Loch immer höheren Kräften ausgesetzt war.
»Jazmin, was machen wir mit den unbekannten Systemen?« Er wusste es nicht. Ein Teil von ihm wollte nichts an Bord haben, was er nicht kannte, ein anderer nichts abschalten, nur weil er es nicht verstand.
»Deine Einschätzung?«
»Ich bin unsicher …«
»Du bist mein Techniker!«
»Du mein Colonel … Hey, ich habe keine Ahnung.«
»Gibt es im Moment irgendeine erkennbare Aktivität?«
»Nichts … Die Dinger tun absolut nichts.«
»Wir haben keine Zeit, wir lassen sie am Netz. Ich sehe
keinen Grund, warum wir sie abschalten sollten … Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.«
»Einverstanden … R2
! Wir gehen!« Denis gab seiner Truppe die Order, zum letzten der benötigten Navigationstriebwerke weiterzuziehen. Ihm gefiel es nicht, ein unbekanntes Subsystem zurückzulassen, aber was sollte er tun? Ihre größte Sorge war Mutter, die ihnen keine Hilfe war, Espinozas Verschlüsselung zu knacken. Ohne Navigation, Triebwerkssteuerung und lebenserhaltene Systeme sah es verdammt düster aus. Er fror, die Temperatur war kurz davor, unter den Gefrierpunkt zu fallen. Mit den zunehmenden Vibrationen der Bodengitter hätte man inzwischen Milch aufschäumen können.
Denis war am nächsten Einsatzort angekommen. D2
, die Drohne, die hier das Kommando führte, begrüßte ihn fröhlich. Sie piepte. Davon würde er vermutlich in der nächsten Nacht träumen. Er schmunzelte, es wäre schön, dann noch träumen zu können. Die fallenden Temperaturen würden sich in den nächsten sechs Stunden bei minus 180
Grad Celsius einpendeln. Da würde es auch nicht mehr genügen, mit warmen Socken ins Bett zu gehen.
D2
und die Drohnen hatten gute Arbeit geleistet. Sie waren bereits fertig und hatten den Hitzesensor gewechselt. Er durfte es überprüfen. Das sah gut aus. Sie hatten alles richtig gemacht. Denis zeigte mit dem Daumen nach oben, und die Drohnen begannen, die abgelösten Teilsysteme des Navigationstriebwerks wieder anzumontieren. Eine weitere Erschütterung ging durch das Schiff, Denis schwankte. Er kontrollierte, was das war, musste aber auf die Analyse warten. Die enorme Gravitation des Schwarzen Lochs zeigte langsam Zähne.
»Jazmin!«
»Ja.«
»Ich bin bei Nummer fünf. Wir sind gleich fertig.«
»Das mit Mutter können wir vergessen …«
»Ich weiß.« Was er nicht wusste, war, wie er die dämliche Verschlüsselung umgehen sollte. Es gab keinen anderen Weg, um sie zu hacken. »Ich komme wieder zu dir.«
»Darauf freue ich mich …«
»Ich auch.«
Denis trennte die Verbindung und startete den Test der Hitzesensoren. Die Routine simulierte den Betrieb des Triebwerks unter Volllast. Dabei kontrollierte der Computer Reaktionszeiten und eingestellte Schwellwerte. Erst wenn alles stimmte, waren sie fertig.
ERROR
schob sich in roten Buchstaben leuchtend in sein Blickfeld. So ein verdammter Mist! »Abschalten! Sofort abschalten!« Ein ähnliches Problem hatte bereits mehrere Techniker das Leben gekostet. Espinoza hatte Tarek gezwungen, auf den Test zu verzichten.
ERROR
.
Die Buchstabenreihe flog erneut an ihm vorbei. Denis hatte es bereits beim ersten Mal verstanden. Er öffnete das Testprotokoll und sah ein Schwingungsdämpfer-Array, das für die Fehlermeldung sorgte. Na super, wenn das auch im Sack war, würde die Reparatur mindestens drei Stunden dauern.
»D2
, entlaste mit vier Drohnen die Schwingungsdämpfer H7
!« Das musste schnell gehen. Vielleicht war die Einheit noch zu retten. Er würde es probieren.
ERROR
.
Jetzt fing der frisch eingebaute Hitzesensor an zu überhitzen. Das war das Letzte, was dieses Bauteil tun sollte. Sie mussten es aus der Halterung ziehen. Die Drohnen hatten bereits zwei sehr schwere Teilsysteme wieder auf ihre
Sockel gesetzt. Die kleinen fetten Tonnen würden nicht mehr an den Sensor herankommen. Er allerdings schon. Denis drückte sich in die schmale Öffnung. Er schrie. Für einen Moment hatte er seine Verletzung vergessen. Nur noch zehn Zentimeter. Er machte sich lang. Das war scheißeng. Er atmete aus und drückte sich weiter in die Öffnung herein. Das würde er schaffen. R2
und D2
piepten hysterisch. Eines der Teilsysteme war noch nicht an allen Punkten festgeschraubt. Die Vibrationen ließen es langsam auf Denis zuwandern. Der Hydraulikzylinder wog mindestens eine Tonne. Das war nicht gut. Gar nicht gut. Nur noch zwei Zentimeter. Er konnte kaum noch atmen. Der Schmerz in seinem Rücken wurde unerträglich. Gleich hätte er den Hitzesensor in der Hand. Er konnte bereits riechen, dass er heiß war. Das System drohte zu verschmoren, wenn er es nicht ziehen würde. Das durfte nicht passieren.
»Scheiße!« Das war zu eng. Denis hatte keine Ahnung, wie Tarek das geschafft hatte. Er spürte, wie ihm eine warme Flüssigkeit den Rücken herunterlief. Was war das? An dieser Stelle gab es im Moment keine warmen Betriebsflüssigkeiten. Nein, es gab sie doch. Er funktionierte mit dem Zeug. Das war Blut. Sein Blut, das an ihm herunterlief. Er musste sich seine Wunde aufgerissen haben. Verdammt, das hätte nicht passieren dürfen!
Zudem bewegte sich der Hydraulikzylinder auf seinen Kopf zu. R2
schwebte über ihm und hielt mit vollem Schub dagegen. Zwei weitere Drohnen halfen. Der ersten ging nach nur wenigen Sekunden die Energie aus. Der zweiten erging es nicht besser. Die Drohnen waren nicht voll, sie arbeiteten schon die ganze Zeit. R2
musste den Zylinder allein halten. Weitere Drohnen waren im Anflug. Aber sie waren nicht schnell genug. R2
s Schubeinheit setzte kurz aus. Der
Zylinder kippte. R2
wich nicht zurück und wurde von dem schweren Bauteil zerdrückt. Damit rettete die Drohne sein Leben. Denis sah, wie die Dioden verloschen.
»Verdammt!« Er hatte den Hitzesensor immer noch nicht zu packen bekommen. Das reichte nicht. Er mobilisierte alle Kräfte, um die Steckeinheit zu erreichen. An seinem Rücken hörte er etwas reißen. Das war bestimmt der Pullover. Er packte den Hitzesensor, zog ihn heraus, schrie und ließ ihn umgehend los. Aber das Ding fiel nicht runter. Es klebte glühend heiß an seinen Fingern. Er schrie und riss den Arm zurück. Erst dann gelang es ihm, das Teil mit der anderen Hand zu lösen und auf den Boden fallen zu lassen. Die Drohnen zogen den Hydraulikzylinder weg und setzten ihn am Boden ab. Sie begannen, auch das sperrige Teilsystem hinter ihm zu lösen. Für R2
kam jede Hilfe zu spät. Die Drohne war bei der Rettungsaktion völlig zerstört worden.
Denis war einen Moment unaufmerksam gewesen. Ständig flatterten neue Textmeldungen in sein Sichtfeld. D2
schwebte über ihm und piepte hektisch. Was war passiert? Seine Beine wurden kälter. Er war immer noch in dem Spalt eingeklemmt. Sein Atem kondensierte. War er kurz eingeschlafen? Er versuchte, sich zu bewegen. Das ging nicht. Weder vor noch zurück. Ihm fehlte sogar die Kraft, seinen linken Arm zu heben. Den Hitzesensor hatte er nicht fallen gelassen.
D2
piepte freudig. Hinter Denis wurde das Teilsystem, das ihn einklemmte, heruntergehoben. Der Druck auf seiner Brust nahm ab. Er war wieder frei. Die Drohnen hatten ihn aus der Klemme geholt. Denis wollte auf seine linke Hand sehen, er konnte sie nicht bewegen. Der Schmerz der Verbrennung war nicht mehr zu spüren.
Denis wollte nach Jazmin rufen, bemerkte aber, dass ihm
sogar dafür die Kraft fehlte. Es war, als ob jemand bei ihm den Stecker gezogen hätte. Seine Glieder wurden immer schwerer. Die Drohnen hoben ihn an und legten ihn auf eine Krankentrage. Er sah zur Seite. Warum war D2
voller Blut? Das machte keinen Sinn. Klar, die Drohnen verhielten sich menschlicher als zuvor, aber deswegen bluteten sie doch nicht.
Jazmin, er stellte sich vor, bei ihr zu sein. Alles flog an ihm vorbei. Die Drohnen brachten ihn woandershin. Er hatte keine Ahnung, wohin und warum. Ihm ging es doch gut. Er würde sich nur kurz ausruhen und dann die Arbeiten an dem Navigationstriebwerk abschließen. Ein einfacher Job, es hatte so gut wie keine Probleme gegeben. Nanu, wo kam denn Jazmin auf einmal her? Sie lief neben ihm. Sie sagte auch etwas. Nein, ihrem Gesicht nach schrie sie sogar. Sie sah besorgt aus. Seltsam, er konnte sie dennoch nicht verstehen. Da war so ein komisches Rauschen in seinen Ohren, das immer lauter wurde. Jemand tauchte seinen Kopf in gleißend helles Licht.
»Denis?«, fragte Jazmin.
»Ja.«
»Wir haben es geschafft.« Sie lag in seinen Armen.
»Ich weiß.«
»Wir müssen keine Angst mehr haben.« Sie strich mit ihrer Hand über seine Brust. Er hatte nicht viel an, sie noch weniger. Ihre warme Haut zu spüren fühlte sich wunderbar an.
»Nein, das müssen wir nicht.«
»Lass uns heute den ganzen Tag im Bett bleiben!«
»Gerne.« Wie konnte er dazu schon nein sagen?
»Ich liebe das …« Sie spielte mit seinen Haaren auf der Brust.
»Ich liebe dich.«
»Wirklich?«
»Ja.« Mit Haut und Haaren.
Sie küsste ihn innig. »Ich liebe dich auch …«
»Den ganzen Tag?«, fragte er genießerisch und drehte sie auf den Rücken. Sie roch wunderbar.
»Wir können noch die Nacht dranhängen.«
»Das können wir …« Denis erinnerte sich nur an wenige Momente in seinem Leben, in denen er sich so glücklich gefühlt hatte. Mit diesen Gedanken hätte er augenblicklich sterben können. Er würde sich nicht beschweren.