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A ischa schaute aus dem Fenster in der vergeblichen Hoffnung, die Totenstadt zu Gesicht zu bekommen. Sie waren auf der Straße, die nördlich daran vorbeiführte, aber der Wind wirbelte so viel Sand auf, dass sie jenseits der Palmen zwischen dem Asphalt und dem Gestrüpp am Rand der Straße kaum etwas erkennen konnte. Latimah hatte stark bremsen müssen, und als Aischa einen Blick auf den Tacho warf, sah sie, dass sie weniger als dreißig Meilen pro Stunde fuhren — auf einer Straße, die für die doppelte Geschwindigkeit ausgelegt war.

»In Riad war es nie so schlimm«, sagte Latimah. »Sieh dir das an! Ich kann vielleicht fünfzehn Meter weit sehen!«

»Es hat doch keine Eile. Wir haben reichlich Zeit.«

»Du bist ein Glückspilz.«

»Warum?«

»Weil du jemanden wie mich hast, die dafür sorgt, dass dein Zeitplan flexibel genug ist, um sich darüber nicht aufzuregen.«

Aischa lächelte, aber sie antwortete nicht. Sie wusste, dass es stimmte: Sie war ein Glückspilz. Sie hatte sich beinahe sofort in Latimah verliebt, als die ältere Frau angefangen hatte, bei der Stiftung zu arbeiten. Sie wussten beide, dass es in Saudi-Arabien unmöglich war, zusammenzuleben, wo die schwul-lesbische Community keinerlei Rechte besaß und homosexuelle Akte unter anderem mit chemischer Kastration, Auspeitschungen, lebenslanger Haft und Tod bestraft wurden. Aischa hatte ihre sexuelle Orientierung immer für sich behalten, aber Latimah war nicht so verschlossen. Sie hatte mehr als einmal den Unwillen der mutawa , der Religionspolizei, erregt, und sie hatte schon vor ihrer Begegnung mit Aischa beschlossen, dass ihr Leben außerhalb des Königreichs lag. Beide waren zu dem Schluss gekommen, dass sie ihre Beziehung der Vorsehung verdankten. Die Stiftung plante, die Geistlichkeit bloßzustellen, was bedeutete, dass sie in Riad nicht arbeiten konnte, und Aischa und Latimah konnten ihre Beziehung nur in einem liberalen Staat offen führen. Sie hatten sich für den Libanon entschieden. Dort ging es zwar nicht so liberal zu wie in Europa, aber viel entspannter als in Saudi-Arabien, und gleichzeitig lag das Land immer noch nah genug für ihre Arbeit.

Latimah deutete aus dem Fenster in die Richtung, in der man normalerweise einen spektakulären Blick auf die Totenstadt gehabt hätte. »Wir kommen ein andermal zurück und sehen uns die Pyramiden an«, versprach sie.

Aischa merkte, dass das Telefon in ihrer Tasche summte. »Da ruft mich jemand an.«

»Wer?«

»Das weiß ich nicht.« Sie holte das Telefon heraus und blickte auf das Display. »Ich kenne die Nummer nicht.«

»Lass es klingeln.«

Aischa ignorierte den Rat, nahm den Anruf an und schaltete den Lautsprecher ein.

»Miss al-Jabir?«

»Ja. Wer ist da?«

»Mein Name ist Ambrose. Ich arbeite für den MI6 — den britischen Geheimdienst.«

Sie wechselte einen beunruhigten Blick mit Latimah. »Ich weiß, was der MI6 ist. Was wollen Sie?«

»Wir glauben, Sie sind in Gefahr.«

Sie lachte. »Ich bin immer in Gefahr.«

»Nicht allgemein.« Der Mann blieb beharrlich. »Konkret. Jetzt. In diesem Moment

»Wer, sagten Sie, sind Sie?«

Der Mann klang ungeduldig. »Ich heiße Ambrose, aber mein Name tut nichts zur Sache. Sie müssen mir zuhören, und zwar sehr aufmerksam. Die wissen, dass Sie ins InterContinental fahren. Wir glauben, sie werden Sie unterwegs überfallen, bevor Sie dort ankommen. Sie müssen wenden, die Hauptstraßen verlassen und aus der Stadt verschwinden.«

Latimah warf einen Blick in den Rückspiegel, aber in der Luft war so viel Sand, dass sie nichts sehen konnte. Sie schüttelte den Kopf.

»Miss al-Jabir«, sagte der Mann, »bitte. Sie müssen sofort umkehren.«

Aischa spürte, dass sie wütend wurde. »Nein«, antwortete sie. »Das werde ich nicht tun. Ich habe keine Ahnung, wer Sie sind oder wie Sie auf die Idee kommen, ich würde Ihnen vertrauen. Ich bin seit Monaten auf der Flucht vor denen, und wenn Sie glauben, eine vage Drohung wird mich daran hindern, zu tun, weshalb ich hier bin, dann —«

»Aischa

Sie drehte noch gerade rechtzeitig den Kopf, um den Wagen zu sehen, der aus einer Nebenstraße links von ihnen auf sie zukam. Er fuhr ohne Licht, und der Motor heulte hochtourig und so laut, dass man ihn durch den peitschenden Wind hören konnte. Latimah riss das Steuer herum und wollte ausweichen, aber es war hoffnungslos; der Wagen fuhr zu schnell und hatte sie überrascht. Mit einem donnernden Krachen rammte er die Fahrertür. Das Heck schleuderte kurz zur Seite, bevor die Reifen wieder Bodenhaftung hatten. Dann überschlug sich der Mercedes und landete auf dem Dach. Aischa klammerte sich an die Sitzkante, als der Wagen einmal, zweimal und dann ein drittes Mal rotierte, von der Straße flog und endlich zwischen den Bäumen liegen blieb.

Aischa war benommen und spürte einen Druck an der Schulter, den sie sich nicht erklären konnte, bis sie die Augen öffnete und sah, dass sie kopfüber im Sicherheitsgurt hing. Sie schaute hinunter auf das Wagendach und sah dicke Blutstropfen hinunterfallen und in den beigen Bezugsstoff sickern. Sie hörte ein Stöhnen und drehte mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf. Latimah saß nicht mehr auf ihrem Sitz. Aischa zwinkerte das Blut aus ihren Augen und sah sich um. Ihre Partnerin lag ausgestreckt auf dem hinteren Teil des Wagendachs.

»Latimah!«

»Alles okay«, stöhnte sie.

Aischa fummelte am Gurtschloss herum, aber bevor sie es öffnen konnte, sah sie zwei Paar Beine vor den zersplitterten Seitenfenstern. Zwei Männer mit gesenkten Pistolen in den Händen kamen auf das Wrack zu, das sie aus dem Mercedes gemacht hatten.