Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Schon damals, als ich in meinem Kinderzimmer vor mich hinträumte und mir vorstellte, berühmt zu werden, hatte ich gedacht, dass mit dem Ruhm die große Leichtigkeit einsetzt. Dass die Bestätigung, die ich dann erfahre, mich immer happy macht. Dass ich nur noch das mache, was ich liebe, und dass mich wirklich jeder mag. Dass ich frei bin und jeden Tag mit einem Lächeln beginne. Wenn ich erst mal auf den Titelseiten von Magazinen bin, dachte ich, wird das für mich die große Erleuchtung. Dann bin ich ein ganz anderer Mensch.
Natürlich war all dem nicht so. Ich musste immer noch, wie alle Menschen, aufs Klo – und Überraschung: Ich konnte weder fliegen noch zaubern … In meinem Kopf herrschten weder Erleuchtung noch Leichtigkeit, sondern es wütete hauptsächlich ein Gedankenwirrwarr. Auf der Bühne war ich der sichere Popstar mit coolen Moves und Posen. Aber wenn ich nicht im Rampenlicht stand, kein Fotoshooting hatte oder Autogramme gab, kam der echte Eloy wieder durch. Und für einen jungen Menschen ist es natürlich schwierig, in dieser Entwicklungs- und Findungsphase zwischen Jugend und Erwachsensein eine so große Verantwortung zu bekommen – nämlich bloß keinen Kratzer an der Fassade der Teenagerfantasie entstehen zu lassen. Immer perfekt sein zu müssen, bloß nicht zeigen zu dürfen, wer man wirklich ist.
Je erfolgreicher wir wurden, desto größer wurde auch der Erfolgsdruck, der auf uns CITA-Mitgliedern lastete. Es gab ein gigantisches Merchandising: Bettwäsche, T-Shirts, Caps, Füller, Tassen, Pappaufsteller, Etuis, Schulhefte, Poster … Einfach alles, mit unseren Gesichtern und unserem Schriftzug. Darüber hinaus waren wir inzwischen Teil einer gut geölten Maschine aus Management, Plattenfirma, Tourmanagement und Security-Team. Kurzum: Viele Menschen waren von uns abhängig. Und wir sollten natürlich immer mehr Hits in immer kürzerer Zeit produzieren.
Ab jetzt hatten wir keine Minute mehr Zeit für uns. „Hier ist Cees. Morgen werdet ihr nach dem Frühstück abgeholt, es geht nach Wien.“ Oder Genf. Oder Hamburg. Oder Köln. Oder Stockholm. Oder Bangkok. Solche Anrufe waren keine Seltenheit. „Ihr seid dann die nächsten drei Wochen weg.“ Wir mussten verfügbar sein, 24 Stunden am Tag. Ich wusste: Ich lebte meinen Traum. Wer war ich, mich zu beschweren? Ich war ja niemals dazu gezwungen worden, und jetzt lebte ich in diesem Luxus … Ich hatte Angst, vor mir selbst zuzugeben, dass da etwas nicht passte.
Versteh mich nicht falsch: Ruhm ist etwas Großartiges, Überwältigendes und ich wusste auch damals, dass wir sehr privilegiert waren. Ich schätze mich für immer dankbar, dass ich Teil von Caught in the Act sein durfte, dass ich durch die Welt reisen konnte, auf großen Bühnen stand und dass wir Millionen Fans mit unserer Musik erreichten. Aber als Teil der Gruppe war ich auch ein Stück weit fremdgesteuert und überfordert. Wenn man als so junger Mensch unvorbereitet da hineingeworfen wird – Träume und In-Haarbürsten-Singen bereiten einen nicht wirklich auf dieses Leben vor –, ist man natürlich überfordert und bekommt irgendwann Probleme, mit all dem Druck umzugehen.
Oft hatte ich das Gefühl, dass meine Grenzen überschritten wurden. Aber ich wusste ja nicht einmal selbst, wo genau ich sie setzen sollte, das hatte ich nie gelernt. Ich mache mir heute schon länger Gedanken über all die jungen Künstler*innen, die in Castingshows entdeckt werden. An alles wird gedacht, sie haben Trainer und Berater für alles Mögliche: fürs Singen, fürs Tanzen, fürs Styling und für das richtige Make-up. Aber mentale Begleitung gibt es eben nicht – wie sollen sie lernen, mit der plötzlichen Aufmerksamkeit und dem Berühmtsein umzugehen? Das bringt ihnen niemand bei! In meinen Augen wäre das eine sehr sinnvolle – und sinnstiftende – Erweiterung.
Aber damals war ich noch weit davon entfernt, mich psychologisch beraten zu lassen oder auch nur meine Grenzen im Blick zu haben. Und ich steckte bis zum Hals in Terminen und Verpflichtungen, sodass ich gar nicht dazu kam, einen klaren Gedanken zu fassen, der nicht mit der Band zu tun hatte.
Ein halbes Jahr nach dem großen Erfolg unseres ersten Albums Caught in the Act of Love von 1995, es hatte sogar in mehreren Ländern Gold erreicht, sollten wir bereits das zweite aufnehmen – wieder in London, wieder mit Steve Mac. Das ganze Prozedere ging uns viel zu schnell. Es passierte vieles zwischen Tür und Angel: Manchmal flogen wir sogar nur nach London, um eine Strophe zu singen. Uns wurden die Noten und Texte für die Lieder präsentiert, dann ging es direkt wieder weiter …
Das Leben in einer Boygroup ist schon komisch. Man hockt wirklich die ganze Zeit aufeinander – man sitzt im selben Boot und hat das Gefühl, dass einen niemand „von außen“ wirklich verstehen kann. In dieser Zeit freundeten Lee und ich uns immer mehr an. Wir merkten, dass wir dieselben Interessen hatten und ähnlich tickten. Dass wir einander verstanden. Wir gingen gern essen – und entwickelten so einen Faible für Pekingente im Pfannkuchen. Wir suchten auf Reisen immer ein chinesisches Restaurant.
Überhaupt das Reisen: Lee und ich machten irgendwann auch privat zusammen Urlaub. Aber wenn wir für CITA unterwegs waren, waren wir beide zu platt für Sightseeing, wie es Bastiaan immer machte. Ich bereue inzwischen sehr, dass ich mir früher nicht eigenhändig mehr angeschaut habe, wir waren ja auf der ganzen Welt unterwegs! Heute liebe ich nichts mehr, als City-Trips zu machen. Aber damals ging es einfach nicht, mein Kopf war voll, ich war oft total neben der Spur. Ich wollte abschalten und freute mich, dass es Lee ähnlich ging, dann war es nicht so langweilig. Wir machten zusammen Wellness, tauschten uns über Bücher aus, die wir lasen. Wir liebten zum Beispiel damals beide Take It Like a Man, die Autobiografie von Boy George. Ich weiß noch, wie wir ihn einmal später bei einem Event trafen und ganz aufgeregt ein Foto mit ihm haben wollten – er wollte das aber nicht, ich glaube, wir hatten ihn wohl in einem schlechten Moment erwischt …
Ich versuche immer, wenn es die Möglichkeit gibt, Fotos mit Fans zu machen. Es ist ein kleiner Aufwand, mit dem man jemandem eine so große Freude machen kann! Als ich Boy George Jahre später zusammen mit Stephen noch einmal begegnete, sagte er, er habe mich in der Zeitung gesehen, im wirklichen Leben würde ich aber doch ziemlich „rough” aussehen. Aha … Wahrscheinlich hatte ich ihn schon wieder in einem schlechten Moment erwischt … Ich habe in meinem Leben viele Promis getroffen und muss sagen, dass die größten Stars meistens am freundlichsten sind. So trafen wir mit CITA einmal die Bee Gees backstage bei einer großen Fernsehshow und sie waren super nett, interessiert und machten uns sogar ein Kompliment, als sie uns a cappella singen gehört hatten. Es gibt noch ein Bild von dem Treffen. Leider sind zwei der drei Brüder auf dem Bild mittlerweile gestorben.
So war es oft: Bastiaan schaute sich die Städte an, Benjamin trainierte im Gym und Lee und ich hingen irgendwo am Whirlpool im Hotel-Spa ab. Wir wurden sehr enge Freunde. Wahrscheinlich hätte unsere Freundschaft unter normalen Umständen nicht funktioniert, weil wir so unterschiedlich sind, ich meine, wenn wir uns nicht für die Boygroup hätten zusammenraufen müssen.
Damals war London der absolute place to be. Britpop war das Riesending, wir waren oft mit unserer Stylistin in London, um uns für Videos oder Auftritte auszustatten. Wenn wir ein kleines bisschen Zeit für uns hatten, liebte ich es, dort zu shoppen.
Einmal kam ich an einem Plattenladen vorbei. Ich ging hinein, um zu checken, was die Konkurrenz so machte – und sah im Regal der Hitparaden-CDs eine Single-CD mit fünf Jungs auf dem Cover. Sie hatten lila Jeanshemden an und entsprachen komplett dem Bild einer Boygroup: sehnsuchtsvoller Blick, aufgeknöpfte Hemden, Gelfrisuren. Take That waren das nicht, aber wer …? Ich las: Boyzone. Die Single hieß Love Me For a Reason, das war damals ihr erster großer Hit. Ich kannte die Band, die Jungs hatten etwa zeitgleich mit uns angefangen und kamen aus Irland. Ich hatte sie bis zu diesem Moment nie richtig wahrgenommen und wir waren uns auch noch nicht begegnet.
Mein Blick fiel auf den Jungen, der vorne in der Bildmitte war. Er schaute gleichzeitig sanft und forsch. Mit seinen stechend blauen Augen sah er aus wie ein Engel. Gleichzeitig lag in seinem Blick auch eine tiefe Traurigkeit. Es war Stephen Gately, was ich damals noch nicht wusste. Und auch nicht, dass er in meinem Leben noch eine große Rolle spielen würde. Ich wusste nur, dass ich ihn kennenlernen wollte. Ich war hin und weg. Heute würde ich sagen, dass ich auf den ersten Blick verknallt war. Und ich hatte ihn noch nicht mal in echt gesehen! So ging es vermutlich auch vielen Teenagermädchen mit den Starschnitten von CITA …
Durfte ich das? So für jemanden schwärmen? Ich war mit Carlo zusammen und schmachtete einen anderen Jungen an. Aber unsere Liebe hatte sich mehr und mehr verloren. Er und ich hatten zuvor eine Reise auf die Karibikinsel St. Martin gemacht. Ich war dort körperlich, aber nicht geistig anwesend gewesen. Ständig war ich an meinem Handy, schrieb mit Lee oder sprach mit Cees oder der Plattenfirma über anstehende Projekte. Natürlich spürte Carlo das. Das lag damals an mir und ich nehme das auf meine Kappe. Ich war einfach nicht mehr bei der Sache, was unsere Beziehung anging. Passend dazu war während unseres Urlaubs quasi die ganze Zeit über schlechtes Wetter: Es war total grau, regnete viel, zu allem Übel kündigte sich ein Hurrikan an. Auch zwischen uns hatte sich die Sonne längst hinter dichten grauen Wolken verzogen … Wenn ich heute ehrlich bin, spürte ich schon damals, dass unsere Beziehung in einer Sackgasse steckte. Uns fehlte das Fundament, weil wir so unterschiedliche Leben lebten und uns fast gar nicht mehr sahen, obwohl wir zusammenwohnten. Lange wollten Carlo und ich das nicht wahrhaben – und so hielten wir an der Beziehung, die wir jetzt über drei Jahre führten, fest.
Auch in anderen Bereichen meines Lebens zogen dunkle Wolken auf. Ich bekam den schlimmen Anruf, als ich wieder mal in England war. Ich dachte, es sei meine Mutter. Aber dann war mein Vater dran – er hatte mich noch nie angerufen. Wie seltsam, dachte ich noch. Er klang sehr traurig und erzählte mir dann, dass meine Mutter gerade bei einer Vorsorgeuntersuchung gewesen sei und ein Knoten in ihrer Brust gefunden worden sei, der höchstwahrscheinlich bösartig war. Ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, was er da gerade gesagt hatte. Dann hörte ich alles nur noch wie durch Watte. Ein paar Tage später hatten wir Gewissheit: Sie würde ins Krankenhaus müssen und sich vielleicht sogar die Brüste abnehmen lassen. Ich flog sofort zurück, um bei ihr zu sein. Die Reise kam mir vor, als würde sie bis ans Ende der Welt führen, so sehr dehnte sich die Zeit. Die schlimmsten Sachen stellte ich mir vor. Und ich fragte mich immer wieder, was passieren würde, falls die Ärzte den Krebs zu spät bei ihr entdeckt hatten. Sie selbst hatte immer extreme Angst gehabt, dass etwas Schlimmes passiert, dass wir oder sie selbst schwer krank werden würden – und jetzt sollte es wirklich passiert sein?
Ein Leben ohne meine Mutter konnte ich mir damals unter keinen Umständen vorstellen. Und ich kann es bis heute nicht: Sie sieht zwar aus wie 70, ist aber schon Anfang 80 und wenn ich daran denke, dass sie irgendwann nicht mehr bei mir ist, macht mich das einfach unfassbar traurig. Auch wenn ich mich wie jeder Mensch allmählich damit auseinandersetzen muss, dass sie nicht ewig leben wird, fühlt sich das einfach nur schrecklich an.
Doch meine Mutter war damals nicht die Einzige, auch meinem Vater ging es schon länger nicht gut. Er war in den letzten zwei Jahren immer vergesslicher geworden. Zu der Zeit fuhr er kaum noch selbst Auto, weil er Orientierungsprobleme bekam. Meine Mutter hatte uns erzählt, dass er einmal sogar falsch auf die Autobahn gefahren war – als Geisterfahrer! Sie hatte seitdem ständig Angst um ihn (und sich) gehabt.
Die Diagnose meiner Mutter war ein großer Schock für meinen Vater: Er wurde über Nacht schlagartig total verwirrt. So sehr, dass auch er ins Krankenhaus kam. Dort bekam er dann die Diagnose – Alzheimer. Wir nahmen an, dass seine fast lebenslange Alkoholsucht die Krankheit begünstigte. Absurderweise lagen meine Eltern dann für eine Weile zur gleichen Zeit im gleichen Krankenhaus, auf unterschiedlichen Stationen – aber Lu und ich erzählten meinem Vater nichts davon, aus Angst, ihn aufzuregen.
Als geheilt gilt man erst, wenn man fünf Jahre krebsfrei ist, doch wir waren einigermaßen erleichtert, dass meine Mutter sich relativ schnell erholte und wieder nach Hause durfte. Mein Vater dagegen baute mit seinen 73 Jahren immer mehr ab. Oft wusste er nicht mehr, wo er war, und ging manchmal nachts auf die Suche nach irgendetwas Bekanntem. Er musste deshalb sogar im Bett fixiert werden, weil er sich zuvor bei einem Sturz mehrere Rippen gebrochen hatte. Und weil er fortan auf Hilfe angewiesen war, kam er schließlich in ein Pflegeheim. Er wurde dann zwischendurch auch richtig umgänglich, fast süß – aber ich fand es schwierig, damit umzugehen, weil dieser Mann plötzlich so anders war als der Vater, den ich kannte. Wenn wir bei meinen Besuchen miteinander spazieren gingen, war er plötzlich wie ein kleiner Junge: Er lief völlig selbstzufrieden neben mir her, lachte und freute sich über meine Anwesenheit. Er hatte sogar ein Poster von Caught in the Act in seinem Zimmer hängen – vielleicht hatte er es von einer Pflegerin bekommen. Ich bin froh, dass Lu und meine Mutter ihn besuchten, wenn es möglich war. Ich war ja die meiste Zeit unterwegs. Und ich war damals noch nicht so weit, ihm zu verzeihen …
Zum Glück hatten wir dann bald ein paar Tage „bandfrei“: Caught in the Act machte Pause. Ich dachte, dass wir alle ein bisschen Auszeit gut gebrauchen könnten, und um uns allen etwas Gutes zu tun, lud ich meine Mutter, Lucienne und meine Tante Hennie in den Urlaub ein. Erst wollte meine Mutter nicht direkt Ja sagen, um meinen Vater jeden Tag besuchen zu können, aber als die Ärzte sagten, dass er bestimmt noch zehn Jahre leben würde, dachte auch sie, dass es vielleicht gut wäre. Auch hatten wir organisiert, dass Tante Sjaan ihn jeden Tag besuchen würde. Und so buchte ich eine siebentägige Reise nach Lanzarote.
Aber auch im Urlaub mussten wir immer erreichbar sein. Für den Fall, dass Cees anrufen würde, hatte ich mein Handy dabei. Und eines Morgens am Pool klingelte es dann auch. Es war Jos, der Mann einer Nichte von mir. Ich war überrascht, er hatte mich noch nie angerufen, warum jetzt, im Urlaub? „Es ist etwas Schlimmes passiert. Dein Vater ist gestorben.“ Mein Herz raste, dann herrschte Stille. Ich musste das erst einmal realisieren, aber fragte ihn dann – und ich zwang mich, ganz ruhig zu bleiben –, was passiert war.
Er war einfach so eingeschlafen, es hieß, dass er nachts einen Herzinfarkt bekommen hatte. Die Ärzte hatten keine Reanimation mehr durchgeführt. Ich atmete tief durch. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Und überall waren Menschen, die mich kannten und mich beobachteten. Es war unmöglich, ungestört zu sein: Überall waren deutsche Familien. Natürlich wollte ich nicht, dass sich so etwas Intimes zwischen so vielen Fremden abspielte. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, als ich die Frauen meiner Familie zusammenrief. Wir gingen aufs Zimmer und erst dort erzählte ich ihnen, was passiert war. Meine Mutter brach als Erste in Tränen aus, später umarmten wir uns alle und ich tröstete meine Mutter und Schwester. Aber ich … Ich weinte als Einziger nicht.
Weil alle nächsten Flüge ausgebucht waren, mussten wir noch ein, zwei Tage auf der Insel bleiben. In meiner Erinnerung saßen wir alle apathisch und überfordert von der Hitze unter einem überdimensionalen Sonnenschirm im Schatten und wollten nur noch nach Hause. Ich checkte die Verbindungen und versuchte auch, einen Helikopter oder einen Privatjet zu organisieren. Es war, als hätten wir gerade Schiffbruch erlitten – und der wohlverdiente Urlaub war zum Albtraum geworden.
Zurück in Holland fiel ich gleich in den Organisationsmodus. Zu Lebzeiten hatte mein Vater immer gesagt: „Wenn ich sterbe, hievt mich auf eine alte Schubkarre, ladet mich irgendwo ab und haltet es alles so klein und billig wie möglich.“ Die unspektakuläre Beerdigung passte dann auch zu meinem Vater: Teil seines letzten Wunsches war es, dass er ohne Grabstein begraben werden sollte. Und so gab es nur eine kleine, sehr schnörkellose Abschiedszeremonie in einer Kapelle am Friedhof. Freunde hatte er eigentlich nicht gehabt, deshalb waren wir nur ein paar Handvoll Familienmitglieder, auch Carlo und seine Mutter, meine Tanten und Halbbrüder waren da. Silently, eine unserer Balladen, bei der ich die Leadstimme hatte, wurde eingespielt. Durch die Lautsprecher klangen die Anfangszeilen: You haven’t looked my way at all, I never got the chance to say what’s been on my mind all day … Und dann passierte etwas Seltsames. Einer der Lautsprecher fing an zu knistern. Erst leise, dann immer lauter und schließlich ging er aus. Der Klang reichte zum Glück noch, aber mir lief ein Schauer über den Rücken. War das ein kleiner Wink aus dem Jenseits?
Es machte mich traurig, dass ich nicht weinen konnte auf der Beerdigung meines eigenen Vaters. Und bis heute kann ich das nicht. Ich hatte immer gedacht, dass wir uns irgendwann aussprechen und vielleicht sogar aussöhnen würden – oder dass ich ihn zumindest direkt fragen könnte, warum er immer so unbarmherzig war und nie einen Entzug machen wollte.
Nach der Beerdigung war ich völlig hilflos, die Gefühle nahmen überhand, ich war traurig und wütend zugleich und wollte irgendetwas tun, Hauptsache, mich ablenken. Wo andere vielleicht zu viel essen oder trinken, wenn sie von etwas überfordert sind oder mit etwas klarkommen müssen, war meine Art und Weise damals, einkaufen zu gehen. Ich hatte ja die Möglichkeit, viel Geld ausgeben zu können, weil ich es auch schnell verdiente. Wenn man so jung so viel Geld verdient, lernt man nie, eine normale Beziehung zu Finanzen aufzubauen. Es muss eine Übersprunghandlung gewesen sein: Bei einem Autohändler kaufte ich mir spontan einen nagelneuen silbernen Audi A4 mit dunklen Scheiben. Als hätte ich der Trauer davonfahren können, umklammerte ich das Lenkrad und raste ohne Ziel durch die Gegend.
Mir blieb nicht viel Zeit, über meinen Vater nachzudenken oder eine eigene Form der Trauer zu entwickeln. Mein Manager sagte schon kurz nach der Beerdigung: „So, weiter jetzt!“ Ein paar Tage nach der Beerdigung hatten wir gleich eine TV-Show für MTV in Köln – moderiert von Robbie Williams. Hier hatten wir unser erstes Aufeinandertreffen mit den Spice Girls: Geri Halliwell kniff Lee und mir sogar in den Hintern, als wir backstage auf unseren Auftritt warteten. An den Auftritt kann ich mich nicht mehr gut erinnern. Ich weiß nur, dass die Show live im Fernsehen übertragen wurde und ich erleichtert war, wenn endlich die Werbung kam, weil mir die ganze Zeit Tränen in den Augen brannten. Es war ja nur ein paar Tage nach der Beerdigung meines Vaters. Hatte ich Angst, meine Trauer dem Publikum zu zeigen oder mir selbst …?
Schon ein paar Wochen später sahen wir die Spice Girls wieder: Wir waren mal wieder in England, um mit unseren Stylistinnen Klamotten auszusuchen. Plötzlich bremste eine riesige Limousine neben uns – Geri sprang heraus, kam auf uns zugerannt, drückte uns kurz und rief völlig erfreut: „Hey, wir kennen uns doch noch aus Deutschland neulich!“ Die Girls waren in ein paar Wochen von Nobodys zu Megastars geworden. Ich mochte sie und ihre Musik sehr.
Auch unsere Achterbahn sauste weiter: Ich war 22 und wir machten jetzt vermehrt Promotouren in Asien und Australien. Ich hatte ja vor CITA nicht mal Europa verlassen und war total geflasht, dass die Mädchen in Thailand, Singapur, China oder auf den Philippinen genauso verrückt nach uns waren. Sie warteten zu Hunderten am Flughafen und hatten auch hier riesige Banner und Plakate, schrien unsere Namen und konnten jede Zeile mitsingen. Als wir in Singapur waren, hatte ich Geburtstag – und bei unserer Autogrammstunde in dem riesigen Plattenladen HMV waren Hunderte Mädchen, die von mehreren Stockwerken Happy Birthday für mich sangen. Das war einfach überwältigend.
Mittlerweile hatten Carlo und ich uns getrennt. Es war ganz unspektakulär: Als ich mal wieder nach einer längeren Promotour zu Hause in Amsterdam war, sagte er zu mir: „Du, ich glaube, wir sollten mal reden.“ Und endlich führten wir das längst überfällige Gespräch – darüber, dass wir uns auseinandergelebt hatten und den Zugang zum Leben des anderen verloren hatten. Ich glaube, das galt vor allem für mich, weil diese Zeit damals so irrsinnig war.
Nach der Trennung von Carlo kaufte ich mir meine erste eigene Wohnung in Amsterdam: Sie war im 19. Stock und die Aussicht war großartig, aber es war auch deshalb ein Vorteil, so weit oben zu wohnen, weil ständig 30 bis 40 Mädchen vor dem Haus herumhingen, teilweise auch im Treppenhaus. Auch Bastiaan, Lee und Benjamin wurden immer von einer Horde kreischender Mädels begrüßt, sobald sie nach Hause kamen oder abgeholt wurden. Die Fans schliefen im Treppenhaus, schrieben Botschaften auf die Hauswände, ein Mädchen ging sogar eine Beziehung mit einem Nachbarn ein, der ihr Zutritt ins Haus und in den Fahrstuhl verschaffte.
Die meisten Fans waren harmlos, aber es gab natürlich auch einige, die deutlich meine Grenzen überschritten. Eine Frau stand zum Beispiel tagelang mit ihrer Enkelin vor meiner Tür und behauptete, das Mädchen und ich seien seelenverwandt und sie wolle mich heiraten. Es saßen Menschen mit Videokameras vor dem Haus im Auto, ich hatte sogar im 19. Stock ein paar Fenster abgeklebt, weil ich Angst hatte, dass sie von gegenüber einsichtig waren.
Wie beim Tod meines Vaters hatte ich auch nach der Trennung von Carlo überhaupt keine Zeit, das Ganze zu verarbeiten, denn es ging rasant weiter mit Promoterminen, Auftritten und dem alltäglichen Wahnsinn, der mein Leben bestimmte. Inzwischen hatten wir längst Security, weil der Andrang der Fans überall zu groß wurde, wenn wir irgendwo auftauchten: Zwei Bodyguards waren ständig dabei, wenn wir als Band in der Öffentlichkeit waren. Nicht nur einmal mussten wir von ihnen aus irgendeiner hysterischen Menge quasi unterm Arm herausgetragen werden, weil wir andernfalls vielleicht zerquetscht oder zumindest über den Haufen gerannt worden wären. Ich selbst bin mit 1,92 auch nicht gerade klein – aber für unsere „Gorillas“ war das kein Problem, wenn es mal brenzlig wurde. Wir hatten gelernt: Zwischen Bewunderung und Fanatismus von Fans ist es ein schmaler Grat. Natürlich war es toll, überall von Menschenmengen mit Rufen und Kreischen begrüßt zu werden. Aber wenn Mädchen regelrecht ohnmächtig wurden, schrien und zitterten, war das sehr befremdlich.
Wir hatten einen Fahrer und einen riesigen Chrysler Van als Tourbus, ein edles Teil, in dem sogar vier große Fernseher waren. Hielten wir vor einer Konzerthalle oder einem Event, wurde er ruck, zuck belagert und regelrecht umzingelt – es wurde uns schnell zu viel, weil die Fans wie wahnsinnig mit Fäusten an die Scheiben schlugen, sodass wir gar nicht mehr wussten: Mögen oder hassen die uns jetzt? Ich hätte mich jedenfalls nicht getraut, mal kurz auszusteigen …
Wir bekamen auch säckeweise Fanpost und Geschenke geliefert. Ganz am Anfang, als es noch ein paar pro Woche waren, hatten wir sie noch selbst beantworten können, aber das wurde dann einfach zu viel. Ich fand es großartig, in Kontakt mit unseren Verehrerinnen zu sein. Aber dass „Fan“ von „fanatisch“ kommt, mussten wir auch erfahren: Manchmal waren sogar Briefe dabei, die offensichtlich mit Blut geschrieben worden waren, das war einfach nur krank – und beängstigend. Wie soll man da entspannt bleiben und keinen Verfolgungswahn oder Ausbruchfantasien bekommen, wenn man weiß, dass sich junge Mädchen sogar verletzen, um einem näherzukommen?
Uns war damals noch nicht bewusst, dass die Halbwertszeit einer Boygroup relativ klein ist: Die eine Band ist ganz oben und die nächste steht schon in den Startlöchern. Bei einer unserer Tourneen hatten wir zum Beispiel als Vorgruppe fünf Jungs aus den USA – die Backstreet Boys …
Und Boyband-Fans sind ja in der Regel sehr jung, so zwischen zwölf und dreizehn Jahren. Sie werden dann älter, wollen richtige Jungs kennenlernen, verlieben sich und interessieren sich für andere Dinge. Dann tritt natürlich der Boygroup-Junge als Projektionsfläche in den Hintergrund! Und sie lernen, dass die Männer im echten Leben leider nicht immer nur die richtigen Sachen sagen, wie wir in Interviews, und dass sie nicht immer nur nett lächeln, wie wir auf den Postern.
Die Fans machten es uns nicht immer leicht: Im Garten meines Elternhauses wurden ständig die Blumen aus den Beeten gerupft, weil sich unter den Fans herumgesprochen hatte, dass meine Mutter in Zoetermeer wohnte (teilweise wurden allerdings auch bei der falschen Familie de Jong Blumen ausgerissen …). Und es wurden immer wieder Herzchen und Sprüche wie „Eloy, I love you!!!“ mit Lippenstift auf mein Auto geschmiert. Mein Haus hatte eine Tiefgarage mit Fernbedienung, aber die Fans verschafften sich Zutritt, indem sie schnell hinter anderen Autos herrannten, die in die Tiefgarage fuhren, und sich dann versteckten.
Rings um mein Haus herum waren die Pflastersteine, Mauern und Poller mit Schriftzügen, Daten und Herzen vollgeschrieben, es gab ständig Telefonterror, oft wurde mein Briefkasten aufgebrochen oder sogar mein Müll durchwühlt. Die Nachbarn beschwerten sich natürlich deswegen, aber ich konnte es ja leider nicht ändern!
Ich war und bin immer dankbar für meine Fans, aber ich brauche auch mal Raum für mich und meine Privatsphäre. Einmal machte ich mit meiner Mutter, Lu und Lee eine Fernreise auf die Malediven, um dem ganzen Trubel zu entgehen: Wir saßen 18 Stunden im Flugzeug und dann noch mal drei Stunden auf einem Speedboot. Aber kaum hatte ich den ersten Fuß auf die Insel gesetzt, hörte ich auch schon die ersten „Eeelooooy!“- und „Leeeeee!“-Rufe. Auch hier wurden wir direkt erkannt …
Damals wie heute bleibe ich höflich, weil ich total dankbar bin für den Support. Aber heute kenne ich meine Grenzen viel besser. Mein Zuhause ist einfach ein No-Go. Früher fand ich es viel schwieriger, zu erkennen, wo meine Grenzen überhaupt sind. Vielleicht weil ich Angst hatte, dass man es mir übel nehmen könnte, wenn ich mich zurückziehe.
Mittlerweile sind auch die Fans von damals erwachsen geworden, einige haben Familien und verstehen, dass jeder Mensch ab und an Zeit für sich braucht. So wichtig ich meine Karriere auch finde, ich brauche heute die Balance zwischen Berufs- und Privatleben. Doch früher gab es eigentlich nur die Karriere, das Private trat völlig in den Hintergrund.
Auch ich kenne die Aufregung, die man als Fan spürt, weil ich früher selbst manchmal nach Autogrammen fragte. Aber es bleibt etwas Besonderes, wenn erwachsene Frauen sogar vor Aufregung weinen, wenn sie mich sehen. Ich frage dann immer: „Oh, sehe ich wirklich so schlimm aus …?“ Oder: „Bist du jetzt enttäuscht?“ Und dann ist das Eis meistens gebrochen und sie freuen sich und können den Moment genießen.
Es hätte ein Flug wie jeder andere werden können: Wir waren in London gewesen, um unser neuestes Video zu drehen, und mussten nach Deutschland fliegen, weil wir bei der Bravo Super Show auftreten durften. Mich traf fast der Schlag: Wer ging auch an Bord? Boyzone! Als ich Stephen, den Jungen, den ich vor einiger Zeit auf dem Plattencover gesehen hatte, beim Boarden sah, machte mein Herz einen Sprung. Er war überraschend klein, sogar einen ganzen Kopf kleiner als ich, aber das störte mich null. Er hatte eine wahnsinnig liebenswerte und sanfte Aura. Ich hätte schwören können, es machte bei uns beiden BOOM! Für mich war es Liebe auf den ersten Blick – beziehungsweise auf den zweiten, wenn man von meiner Schwärmerei für sein Bild mal absieht … Wir lächelten uns über ein paar Sitzreihen hinweg an, er war vor mir und drehte sich die ganze Zeit um.
Es gab nur zwei Probleme – und die hießen Inge und Gabriele. Inge war unsere Bravo-Reporterin, von der ich schon erzählt habe, und Gabriele war die Boyzone-Beauftragte der Bravo, sie saß bei den anderen Jungs. Ich bin mir sicher, dass Inge als rasende Reporterin sofort gecheckt hatte, warum ich die ganze Zeit abgelenkt war, ich schaute nur noch in eine Richtung und bekam gar nicht richtig mit, wenn sie mich ansprach …
Auf der After-Show-Party der Show war es dann so weit: Stephen und ich redeten das erste Mal miteinander, wir bekamen beide das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Wir suchten uns eine ruhige Ecke und redeten die ganze Zeit. Ohne es zu benennen, war klar, dass wir gleich waren, dass wir uns verstanden – und dass wir gleich tickten. Ronan Keating half uns damals, ungestört die Party zu verlassen, und brachte uns bis zu unserem Hotelzimmer. Wir fuhren zusammen im Fahrstuhl nach oben und er setzte uns quasi vor Stephens Tür ab. Stephen und ich quatschten wirklich die ganze Nacht durch. Okay, nach ein paar Stunden reden haben wir uns dann auch noch ziemlich leidenschaftlich geküsst …
Aber viel Zeit für ausgiebiges Kennenlernen hatten wir nicht. Es gab anschließend ein paar Dates, aber dann kamen immer wieder Termine dazwischen – für uns beide ging es gleich danach nach Asien. Aber nicht zusammen: Weil CITA und Boyzone zufällig dort von der gleichen Promotion-Agentur vertreten wurden, wurden die Reisen zeitlich parallel geplant. Wir flogen Boyzone quasi hinterher und machten in den verschiedenen Ländern unsere Promotouren immer nach ihnen – oder umgekehrt. Ich versuchte immer, aus dem Flugzeug anzurufen, was man damals noch mit Angabe der Kreditkartennummer machen konnte, aber es funktionierte nie und so erreichten wir uns nicht – Stephen erzählte mir später, dass auch er es immer vergeblich versucht hatte.
Wir kamen öfters in einen Van, in dem noch die Promogeschenke von den Boyzone-Jungs lagen. Es war wie eine Verfolgungsjagd – denn natürlich hoffte ich immer, Stephen einzuholen. Wir telefonierten ein paar Mal, ich rief einmal aus einer Telefonzelle in Singapur an, aber sahen uns nicht. Die nächsten Monate war ich nie mit ihm am selben Ort – es war bei unserer Taktung unmöglich, mal eben nach Irland oder England zu fliegen. Und ich wollte natürlich mit aller Macht vermeiden, dass Cees davon Wind bekam. Doch Stephen blieb nach dem Treffen in meinem Kopf, auch wenn es vorerst nie für ein weiteres Date reichte …