KAPITEL 9

JE HÖHER DER BERG, DESTO TIEFER DAS TAL

Es war 2002. Und ich war völlig am Ende. Alles, wirklich alles hatten Stephen und ich zusammen gemacht. Und jetzt war er weg. Wir hatten uns ja nicht getrennt, weil es keine Liebe mehr zwischen uns gab. Es war eine bewusste Entscheidung gewesen – und doch schrie mein Herz laut nach ihm.

Ich hatte keine Beziehung mehr, ich hatte keine Karriere mehr, mein Popstarmärchen war auserzählt. Es fühlte sich an, als wäre alles vorbei, und ich wusste nicht, wohin mit mir. Der Boden unter meinen Füßen war weggebrochen. Ich wurde immer trauriger und kraftloser, regelrecht depressiv. Das Einzige, was mir eine minimale Grundstruktur gab und mich ablenkte, waren Joey und Woody. Durch die Hunde war ich gezwungen, wenigstens dreimal am Tag für kurze Zeit an die frische Luft zu gehen, sonst hätte ich mich komplett einkaserniert.

Doch auch hier, im Naturschutzgebiet hinter meinem Haus, trafen mich die Erinnerungen an Stephen wie ein dumpfer Schlag. Wie wir stundenlang spazieren gegangen oder mit meinem Boot übers Wasser geschippert waren. Das hatten wir beide so geliebt! Wir rauchten Joints, hörten Bob Marley mit dem Ghettoblaster, machten Picknick mitten auf dem See und schauten den Sonnenuntergang an …

Meine ersten Erfahrungen mit Marihuana und Haschisch hatte ich damals mit meinem Jugendfreund Dirk gemacht, mit Stephen zog ich ab und zu einen durch. Aber nach unserer Trennung fing ich an, jeden Tag Gras zu rauchen. Erst waren es täglich ein, zwei Joints, doch schnell wurden es sehr viele mehr. Weil ich nachts wach lag und oft schon morgens nach dem Aufwachen weinen musste, half mir das Zeug, mich zu betäuben und einigermaßen klarzukommen.

Ich musste damals oft an das Mantra von Florence Scovel Shinn denken, das Stephen mir Jahre zuvor aus dem Buch, das er mir geschenkt hatte, vorgelesen hatte. Er hatte es sich jeden Tag gesagt, auch ich versuchte es nun: „Dein Wille geschehe heute. Heute ist der Tag der Vollendung. Ich danke für diesen vollkommenen Tag. Wunder wird sich an Wunder reihen. Und Wunder werden nie aufhören.“

Wenn man solche Herzschmerzen hat, wie und für was kann man da dankbar sein? Und an Wunder glauben? Es war hart, doch ich versuchte es immer und immer wieder. Ich schaute zum Himmel hoch, sooft es ging. Und ich versuchte, irgendwo in mir einen Funken Dankbarkeit aufzuspüren. Gleichzeitig hoffte ich, dass es mir einfach irgendwann besser gehen würde. Ich war mir sicher, dass Stephen, zumindest indirekt, bei mir war und mir mit seinem Mantra half.

Schon während unserer ersten Trennungsphase hatte ich angefangen, einmal die Woche zur Therapie zu gehen. Jetzt, wo es nach dem zweiten Anlauf endgültig aus mit uns war, erhöhte ich auf zwei Sitzungen pro Woche. War die Trennung wirklich die richtige Entscheidung gewesen? Hätte ich mich anders verhalten können? Diese Fragen bohrten in mir. Meine Psychologin gab mir Werkzeuge an die Hand, die mir halfen, mich nicht so fertigzumachen und die Ursache nicht nur bei mir zu suchen. Sie sagte, dass keiner von uns schuld an der Trennung gewesen sei. Allmählich konnte ich mich öffnen und nicht nur über mich sprechen, sondern auch ein bisschen verstehen, dass Stephen und ich uns in dieser Phase unseres Lebens niemals hätten helfen oder unsere Liebe retten können.

Auch meine Mutter war über die Trennung am Boden zerstört. Obwohl sie seit dem Tag der Taufe wusste, wie schwierig unsere Beziehung gewesen war, hatte sie immer gehofft, dass es irgendwann besser mit uns wird. Sie hatte es uns so sehr gewünscht. Neben ihr, Lucienne und engen Freunden, die mir zur Seite standen, war es komischerweise Carlo, der für mich zum Fels in der Brandung wurde. Er war mal mehr, mal weniger in meinem Leben gewesen. Jetzt, wo es mir dreckig ging, war es mehr. Er wohnte nicht weit von mir in Landsmeer. Es war schön, dass wir noch verbunden waren. Vielleicht dachte er, dass es eine Möglichkeit gäbe, dass wir noch einmal zusammenkommen. Ich dachte auch darüber nach, aber mein Herz war noch viel zu besetzt und verletzt.

Als ich das Jahr mit Ach und Krach, vielen Tränen und viel zu vielen Joints herumbekommen hatte und es mir ganz langsam besser ging, bekam ich einen Anruf von einer englischen Zeitung. Stephens und meine Trennung nach vier Jahren Beziehung hatten wir nicht mit einem öffentlichen Statement verkündet, in der Presse war es dementsprechend nur klein gelaufen. Aber jetzt sollte ich ein Statement abgeben: Ob die Gerüchte stimmten? Ich hatte von nichts gewusst und sagte natürlich nichts. Stephen hatte geheiratet.

EINE SCHWIERIGE GESCHICHTE

Für mich war es an der Zeit, wieder zu arbeiten. Und 2003 bekam ich zum Glück einen Vorschuss-Deal von einer holländischen Plattenfirma. Er ermöglichte mir, an weiteren Songs zu arbeiten. Im nächsten Jahr brachte ich die Single Angel in Disguise raus. Carlo führte beim Videodreh Regie. Wir filmten es am Strand von Zandvoort. Das Video war schwarz-weiß, was zu der Ballade passte – aber im Nachhinein würde ich sagen, dass wir es vom Style her weniger boygroupmäßig hätten aufziehen sollen. In Holland wurde Angel in Disguise ein kleiner Hit und kam in die Charts. Zwar nur für eine Woche, aber das reichte, um damit erfolgreicher zu werden, als es mir mit CITA je in Holland gelungen war.

Die logische Konsequenz war: wieso nicht den deutschen Markt damit entern? Meine alte Plattenfirma sagte zu – ich hätte vielleicht kritischer oder nachtragender sein sollen, sie hatten mich ja nach dem CITA-Ende schon einmal in die Pfanne gehauen. Aber gutgläubig, wie ich war, dachte ich, dass es diesmal schon klappen würde. Pustekuchen. Sie dachten überhaupt nicht an eine Veröffentlichung der Single, sondern packten das Lied wenig werbewirksam mit auf Sampler, die sie herausbrachten. Der Song wurde quasi verramscht. Nach einem Jahr war mein Deal mit der holländischen Plattenfirma durch, ohne dass ich weiteren Erfolg gehabt hätte.

Ein nächster Versuch war Boom Boom, dafür hatte ich 3500 Euro aus meiner Tasche investiert. Der Song war total catchy und erinnert ein bisschen an eine Partyhymne von Ricky Martin. Ich dachte: Der ist es! Vielleicht wäre das Lied auch wirklich meine Chance für ein Comeback gewesen, doch dann bekam ich eines Abends eine Nachricht über den MSN Messenger. Ein Fan informierte mich darüber, dass er das Lied im Radio gehört hätte – allerdings gesungen von einer Frau! Ich war zwar mit Boom Boom aufgetreten, auch im ZDF Fernsehgarten, doch bevor ich einen offiziellen Single-Release machen konnte, war mir jemand zuvorgekommen. Die genauen Umstände kannte ich nicht, doch ich war, einmal mehr, maßlos enttäuscht von diesem Business.

Dennoch fand ich damals einen neuen Manager. Mike Ungefehr war menschlich so ziemlich das Gegenteil von Cees, ein ganz feiner und empathischer Mensch. Er hatte das Album Over the Hump von der Kelly Family produziert und vernetzte mich mit Thomas Anders und einem gewissen Christian Geller, der mir später noch einmal über den Weg laufen sollte. Ich sang ein Cover von Kim Wildes If I Can’t Have You, mit Thomas als Produzent und Christian als Co-Produzent.

Mike, der leider inzwischen verstorben ist, hatte sehr viele Pläne mit mir – dazu gehörte auch meine erste Autobiografie, die ich in Zusammenarbeit mit einer Co-Autorin schrieb. Wir trafen uns dazu nur ein paar Mal, in einem Hotel. Ich weiß noch, dass ich ein paar Wochen nach dem letzten Treffen in der Küche meines Hauses den braunen Umschlag mit dem Manuskript darin aufriss – und sehr vorfreudig und auch ein bisschen nervös anfing zu lesen. Doch schon die ersten Seiten meiner Geschichte machten mich völlig fertig. Es war wahnsinnig konfrontierend, plötzlich all die Dinge über meinen Vater noch einmal zu lesen. Klar, ich hatte der Autorin ja auch davon erzählt und ich hatte all das selbst erlebt, aber es dann schwarz auf weiß zu lesen – und zu wissen, dass das jetzt theoretisch alle lesen könnten – war zu viel für mich. Mein Hals schnürte sich zu, ich bekam kaum Luft und hatte das Gefühl, mir bricht die Decke über dem Kopf zusammen.

Ich glaube, dass das meine erste Panikattacke war. Die Attacken kamen in dieser Zeit öfter. Von jetzt auf gleich hämmerte mein Herz schneller und schneller, ich bekam Schweißausbrüche und hatte das Gefühl, mein Körper würde zu einem rasenden Zug, der aus der nächsten Kurve geschleudert wird. Nachts war es oft so schlimm, dass ich Angst hatte, an meiner eigenen Zunge zu ersticken. Einmal klingelte ich sogar bei meinen Nachbarn um Hilfe.

Heute weiß ich, dass ich damals noch lange nicht wieder bereit war, im Showbusiness weiterzumachen – oder die Geschichte meines Lebens zu erzählen. Sie war noch nicht komplett, ich hatte noch nicht genug Abstand zu vielen traumatischen Erlebnissen. Zum Glück konnte ich mich kurzfristig aus dem Buchvertrag zurückziehen. Das Honorar, das ich nun natürlich zurückzahlen musste, wäre mehr als willkommen gewesen, weil ich leider keinen Goldesel in meinem Garten stehen hatte. Mein Lebensstandard war immer noch recht hoch und für die Raten und die Instandhaltung meines Hauses gingen monatlich fast 4000 Gulden drauf, dazu fuhr ich ein teures Auto – ich hatte nie gelernt, auf mein Geld zu achten. Da ich sehr jung sehr reich geworden war, hatte ich das auch nie gemusst.

Zwar hatte ich schon vor längerer Zeit Geld angelegt, aber das meiste davon war auf einen langen Zeitraum eingefroren und so konnte ich für die nächsten Jahre nicht darüber verfügen. Einen anderen Teil hatte ich in Aktien investiert, aber durch die Finanzkrise waren sie auf dem Tiefpunkt, als ich die meisten von ihnen wieder verkaufen musste, um überhaupt Geld zu haben. Vielleicht wären sie nach einiger Zeit wieder im Wert gestiegen, aber ich hatte keine Wahl, wenn ich nicht pleitegehen wollte. Um das Geld aus den Aktien rauszuholen, machte ich empfindliche Verluste.

Damals kam eins zum anderen. Ich hatte mehrere Serviceuntersuchungen für meinen Audi TT verpasst, kurz darauf blieb er mit Motorschaden auf der Autobahn liegen – der Wagen war irreparabel kaputt und kaum noch einen Cent wert. Weil mein Haus auf einer Landzunge lag, war ich verpflichtet, die Schutzmaßnahmen für das Ufer vor dem Wasser zu zahlen, das waren auf einen Schlag fast 30 000 Euro. Tja, wenn man ein großes Haus hat, hat man auch große Probleme … Das Wasser stand mir wirklich bis zum Hals!

Mein Selbstbewusstsein war damals ohnehin schon enorm angekratzt, durch das Ende meiner Karriere und das Aus mit Stephen. Wegen Geld hatte ich mir lange Zeit keine Sorgen gemacht. Die eigenartige Beziehung, die mein Vater zu Geld hatte, hatte das auch nicht gerade positiv beeinflusst. Ich weiß noch, wie er sich zu Lebzeiten, da hatte es gerade mit CITA angefangen, gern diesen einen Scherz erlaubte: „Und, wann kaufst du mir einen Mercedes?“ Ich lächelte das immer nur weg. Bis ich eines Tages wusste, dass ich ihm jetzt wirklich einen kaufen könnte, und ihm entgegnete: „Okay, du kriegst einen. Welche Farbe willst du?“ Er wollte natürlich kein Auto von mir, aber da war so ein Funkeln in seinen Augen, das ein bisschen nach Stolz ausgesehen hatte …

Ich hatte bis dato immer gedacht, dass ich nur im Showgeschäft arbeiten könnte. Auch weil ich nie studiert oder eine Ausbildung gemacht hatte. Vielleicht hätte ich wieder Tanzunterricht geben können, aber ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, wie und wo ich da anfangen sollte. Ich hatte auch seit Ewigkeiten keine Standardtänze mehr gemacht und Choreografen für Shows oder Konzerte gab es wie Sand am Meer. Irgendwann klagte ich Carlo mein Leid. „Es ist Zeit für einen Job, Eloy“, sagte er. „Du bist kreativ und ich habe dir schon mal gesagt, dass du jederzeit wieder im Bereich TV-Produktion arbeiten könntest.“

Ich wusste, dass er im Grunde genommen recht hatte. Also gut. „Weißt du noch, früher bei Telekids? Das war doch super, du hast damals echt einen tollen Job gemacht.“ Er hatte viele Kontakte und bot an, mir zu helfen. Ich hatte Angst, dass es mit meinem Leben als Künstler dann ein für alle Mal vorbei wäre, wenn ich mich jetzt für einen Bereich entschied, der nichts mit Musik oder Rampenlicht zu tun hatte. Aber eine andere Wahl hatte ich ehrlich gesagt auch nicht.

Ich fing dann als Produktionsassistent bei Carlos damaliger Abendshow Mc Carlo an. Kein schlechter Job, aber ich war nun auf der untersten Stufe der Karriereleiter und verdiente im Monat das, was ich früher bei Caught in the Act in ein paar Stunden bekommen hatte. Das Geld reichte hinten und vorne nicht, um meine Lebenskosten zu bezahlen. Spätestens jetzt fing ich gezwungenermaßen an, mit meinem Geld achtsamer umzugehen. Doch wurde mir immer klarer: Ich würde schweren Herzens mein Haus verkaufen müssen.

GOODBYE TRAUMHAUS, HELLO HOTEL MAMA

Meine Mutter, Lucienne und meine Freundinnen Linda und Nancy halfen mir, Kartons zu packen. Ich hatte es wirklich getan: Ich hatte mein Haus verkauft und die Entscheidung gefällt, wieder bei meiner Mutter einzuziehen, zumindest eine Zeit lang. Ich mietete für meine ganzen Sachen zwei riesige Schiffscontainer und reduzierte mich aufs Nötigste. Ich bin unfassbar froh, dass ich damals so viel Unterstützung von meinen Freunden, Lu und meiner Mutter hatte. Doch die allerletzte Nacht wollte ich noch einmal allein sein – in meinem Haus, in dem ich so viel Glück, aber auch so viel Trauriges erlebt hatte. Auch wenn ich sehr down war und mir ständig die Tränen kamen – als ich die Zimmer und den Garten noch einmal durchschritt, konnte ich mich von meinem Märchenschloss und meinem alten Leben verabschieden.

Meine Mutter holte mich am nächsten Tag mit dem Auto ab und wir fuhren zu ihr nach Hause. Und hier war ich dann: der Mann, der alles gehabt hatte, der mit dem Privatjet um die Welt geflogen war und Millionen Fans glücklich gemacht hatte – und der jetzt wieder in sein altes Kinderzimmer in Zoetermeer gezogen war.

Das Gute war, dass sie und ich uns nie stritten oder auch nur auf die Nerven gingen. Im Haus war auch Platz genug. Doch die neuen Lebensumstände machten mich auch träge, da ich mich um nichts zu kümmern brauchte und keinen Eigenantrieb hatte. Wenn ich nicht arbeitete, chillte ich in meinem alten Kinderzimmer oder im Garten stundenlang vor mich hin und rauchte noch immer bis zu zehn Joints pro Tag. Sie gaben mir Ruhe im Kopf, sie waren mein Aus-Knopf. Ich lag aber nicht die ganze Zeit Bob Marley hörend in der Ecke, völlig stoned und mit roten Karnickelaugen. Nein, ich konnte einigermaßen gut funktionieren. Dachte ich …

Ein paar Monate später wechselte ich als Redakteur zu Endemols Big Brother – einer Show, die mir später noch einmal helfen würde … Ich war für die Challenges der Teilnehmer zuständig und saß dazu in einem Studio vor 40 Monitoren und überwachte die Gespräche. Wenn irgendwo etwas Spannendes passierte, vor allem natürlich, wenn es in den Gesprächen um Flirts und amouröse Verstrickungen ging, informierte ich die Regie, dass sie dorthin schalten sollte. Es machte mir großen Spaß, die Szenen zu verantworten und mitzuentscheiden, was die Zuschauer letztlich daheim vor ihren Bildschirmen zu sehen bekamen. Und dass ich mich in einem ganz anderen Bereich behaupten konnte.

Einmal hatte ich morgens vor der Arbeit gekifft – und verursachte dann einen Autounfall an einer Tankstelle. Zum Glück gab es nur einen kleineren Sachschaden, aber ich demolierte eine Zapfsäule und den Chrysler Voyager meiner Mutter. Ich hatte mehr Glück als Verstand: Meinen Führerschein behielt ich. Aber immerhin war mir danach selbst klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Und dass ich schon längst süchtig war. Weil ich das als Wink mit dem Zaunpfahl sah, jetzt bitte schön endlich wieder richtig klar im Kopf zu werden, entschied ich mich zu einer ambulanten Entziehungskur, die über mehrere Wochen dauern sollte. Als ich nicht mehr rauchte, war schon bald die Watte um meinen Kopf weg, die mich doch so gut gepolstert hatte gegen den Schmerz.

Ich habe in dieser schwierigen Zeit neben der Gesprächstherapie auch Antidepressiva genommen, um besser mit allem umgehen zu können. Ich habe kein Problem, darüber zu reden, denn ich finde es einfach unvorstellbar, dass psychische Krisen und Erkrankungen immer noch so tabuisiert werden und die öffentliche Auseinandersetzung damit immer noch viel zu klein ist. Warum ist das so? Ich finde, es ist eine Stärke, sich Hilfe zu suchen, keine Schwäche. Es gibt so viele Menschen, die durch schwierige Phasen gehen, aber sich nicht trauen, sich Hilfe zu suchen – „Was sollen denn die Nachbarn denken?“ Meiner Meinung nach muss sich das dringend ändern. Ich kann nur jedem empfehlen, sich psychologische Beratung zu suchen, wenn er oder sie die braucht.

Meine Gefühle gegenüber Psychopharmaka waren verständlicherweise nicht gut. Ich kann aber für mich sagen, dass Medizin mir, neben der Therapie, dabei geholfen hat, meine Depression zu lindern und das mit meinen Panikattacken in den Griff zu bekommen. Aber nur, weil ich auch eine gute ärztliche Begleitung hatte.

Einige Zeit später kontaktierte mich ein Headhunter. Er rekrutierte Mitarbeiter für das kleine und hochkarätige Kreativteam von John de Mol, der inzwischen die TV-Produktionsfirma Talpa gegründet hatte. Das war nicht nur eine große Ehre für mich – sondern auch ein Boost für mein Selbstbewusstsein: Ich wusste spätestens jetzt, dass ich mich sehr wohl in anderen Berufsfeldern behaupten konnte – und dass ich auch jenseits der Bühne kreativ sein konnte. Langsam lernte ich, stolz auf mich selbst zu werden und schnell auf der Erfolgsleiter nach oben zu klettern, ohne selbst das Produkt zu sein.

EIN NEUANFANG KOMMT SELTEN ALLEIN

Aber mein Leben bestand natürlich nicht nur aus Arbeit. Nachdem mein Liebesleben die ersten Jahre nach Stephen komplett eingeschlafen war, ging ich nun wieder aus. Ich war Anfang 30 und wollte auch nicht mein ganzes Leben verpassen … Es war tatsächlich Carlo, mit dem ich anfing, wieder auszugehen. Lange nach der Trennung war ich fest davon überzeugt, nie wieder Liebe zu finden. Aber die Sehnsucht nach Nähe wurde bald stärker, es fiel mir immer schwerer, allein zu sein. Und damals dachte ich auch noch, dass man nur komplett ist, wenn man jemanden an seiner Seite hat. Das Problem war, dass ich auch jetzt, so viele Jahre nach meinen ersten Erkundungstouren in die schwule Szene, nicht an flüchtigen Bekanntschaften interessiert war. Sie waren das nötige Übel, um einen kleinen Vorgeschmack, eine Idee von der Liebe zu bekommen, die ich im Sinn hatte. In diesen Jahren holte ich einiges nach, ich probierte mich aus, es gab One-Night-Stands, Affären und auch Beziehungsversuche. Ich hatte wieder Dates, lernte zu flirten, und auch wenn ich gegenüber flüchtigen Bekanntschaften sehr ambivalente Gefühle hatte und immer mehr wollte, war es besser, als völlig allein zu sein. Hier und da hatte ich Schmetterlinge im Bauch, redete mir ein, dass ich verliebt war, wenn mir ein hübscher junger Mann über den Weg lief. Doch spätestens nach ein paar Wochen war es vorbei.

Ich suchte Bestätigung und war immer genervt, wenn ein Typ am nächsten Morgen nicht gemeinsam frühstücken oder sich weiter einlassen wollte. Ich wollte meinen Kummer über Stephen, den ich immer noch vermisste, vergessen. Heute sage ich immer, dass ich erst in meinen Dreißigern meine „schwule Pubertät“ nachgeholt habe – und eine Pubertät hat ja eben mit Unsicherheiten, Ängsten, Zweifeln und spontanem Triebabbau zu tun. Zwei, drei Jahre lang ging ich viel aus. Aber irgendwann verlor ich dabei vollends die Hoffnung, meine große Liebe zu finden, und hatte immer weniger Lust auf Partys in der Szene.

Es war mein guter Freund Raymond, der mich überzeugte, ihn auf eine große Party kurz vor Silvester 2007 zu begleiten, ich besuchte ihn das Wochenende in Rotterdam. Schon draußen beim Einlass fiel mir ein Typ in der Schlange auf. Er war groß, attraktiv, hatte schöne Locken und er wirkte sehr fröhlich, wie er da in der Reihe mit seinen Freundinnen und Freunden herumalberte. Er sah eher nach Yuppie aus, also vom Typ her ganz anders als ich. Normalerweise habe ich kein Problem, auf Leute zuzugehen, aber als ich ihn gesehen hatte, brauchte ich einen extra Gin Tonic, na ja oder auch zwei, um den ersten Schritt zu machen. Ich ging dann auf ihn zu und stellte mich vor. „Freut mich, Eloy, ich bin Ibo“, sagte er und lächelte total süß. Nach kurzem Smalltalk fragte er mich, was ich so machte, und ich sagte: „Ich war einer der Jungs von Caught in the Act.“ Darauf er: „Caught im was??“ Normalerweise war CITA immer ein guter erster Schritt gewesen, da es Gesprächsstoff produzierte. Bei Ibo nicht: Er hatte keine Ahnung, wer ich war. Normalerweise hätte ich mich nun unter dem nächsten Barhocker verkrochen – weil mir kein anderer Satz eingefallen war. Aber Gin Tonic sei Dank blieb ich stehen und wir quatschten sehr nett miteinander. Ibo war gerade noch mit seinem Kumpel Bas im Thailandurlaub gewesen, er war gejetlagt und hatte überhaupt keine Lust gehabt, auszugehen. Er war 32, zwei Jahre jünger als ich. Und wie ich später erfuhr, hatte er wie ich auch nicht mehr daran geglaubt, in der Szene einen Freund zu finden.

Dann wollte ich ihn auf einen Drink einladen und steuerte die Bar an. Durch den Alkohol hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren, es dauerte sicher fast eine halbe Stunde, bis ich zurückkam. Er war verschwunden. Zum Glück war er aber noch nicht nach Hause gegangen: Als ich Ibo kurz darauf wiedersah, erklärte ich ihm die Verspätung – er hatte sich seinerseits gefragt, ob ich mich verabschiedet hatte, weil er mich beziehungsweise Caught in the Act nicht gekannt hatte. Wir tanzten dann zusammen – und als der DJ Don‘t Stop the Music von Rihanna spielte, küssten wir uns. Bevor er sich verabschiedete, gab mir Ibo seine Nummer. „Geht also doch noch“, meinte Raymond nur und grinste.

Aber so weit, dass was „ging“, waren Ibo und ich natürlich nicht. Die ersten beiden Dateversuche sagte ich ab. Beim ersten war ich erkältet und beim zweiten … tja, ich weiß es nicht mehr. Hatte ich vielleicht kalte Füße bekommen? Doch beim dritten Mal klappte es – mit einem Blumenstrauß klingelte ich an der Tür. Erst sprang mir ein braungrauer Jagdhund entgegen. „Fido!“, rief Ibo. Er hatte ihn in Belgien vor der Tötung gerettet – und mit einem Hund kann man bei mir auch fast nicht verlieren. Ibo war etwas überfordert von den Blumen und warf sie hinter sich auf den Tisch. Er hatte noch nie welche bekommen, und schon gar nicht beim ersten Date. Damals lebte er mit Kim und Bart, einer guten Freundin und einem guten Freund, in einer WG in seiner Wohnung zusammen. Kim war damals genau die CITA-Zielgruppe gewesen und sie hatte Ibo inzwischen alles über mich erzählt und ihm Bilder und Videos gezeigt. Für ihn war diese Welt sehr schräg, das Gen für Interesse an Celebritys und Showbusiness war bei ihm wirklich nicht vorhanden. Sollte er also wirklich an mir und meiner Persönlichkeit interessiert sein …? Wir gingen dann ins Kino und schauten Alles is liefde, das holländische Remake von Tatsächlich … Liebe! Danach gingen wir ins Zussen, auf Deutsch „Schwestern“, eine Cocktailbar, wo „zufällig“ auch noch seine Freundin Petra vorbeikam, die sich kurz zu uns setzte. Ibo bekam wohl von allen dreien, Petra, Kim und Bart, „Daumen hoch“, was mich anging.

Nach diesem Abend war auch ich Feuer und Flamme. Ibo ruhte in sich und sprühte gleichzeitig vor positiver Energie. Sein Lachen war ansteckend, und sein „zachtes G“ fand ich total süß – so nennen wir es hier, wenn jemand aus Brabant im Süden Hollands kommt und das G „zart“ und nicht so krächzig spricht, wie es sonst üblich ist. Und mir gefiel auch, dass Ibo ein Mann mit Ambitionen ist. Er hatte BWL und Psychologie studiert und arbeitete bei einem riesigen Unternehmen in der HR-Abteilung. Im Gegensatz zu mir hatte er eine sehr heile Kindheit gehabt.

Nach einer unserer ersten gemeinsamen Nächte fuhr Ibo morgens zu seiner Oma. „Bleib gern liegen, wir sehen uns später.“ Er gab mir einen Kuss, ich drehte mich noch mal um. Von Anfang an fühlte ich mich sehr geborgen, nicht nur in seiner Gegenwart, auch in seiner Wohnung. Kurz darauf hörte ich, wie das Schloss ging und dann Stimmen – zwei Männer waren hereingekommen. Ich lauschte und bald war klar, dass einer der beiden Ibos Vater sein musste. Ich lag oben in Boxershorts im Bett – und meine Hose unten überm Sofa … Shit! Das erste Treffen hatte ich mir in einem etwas anderen Rahmen vorgestellt … Sie werkelten unten an irgendwas herum. Ibo hatte vergessen, dass sein Vater mit einem Freund vorbeikommen und das Waschbecken reparieren wollte. Ich hockte mich draußen auf den Balkon und hoffte, dass es schnell gehen würde. Gut, dass kein Winter war … Aber irgendwann wurde es dann doch zu frisch. Ich ging wieder rein, hustete laut, ging nach unten, griff meine Hose, zog sie an und sagte laut und so freundlich es ging: „Guten Morgen!“ Und verschwand. Es war mir hochnotpeinlich …

Bald lernten sein Vater und ich uns dann „richtig“ kennen und es war sofort klar: Ibo hat sehr tolle Eltern, ich liebe seine Mutter Henny und seinen Vater Con sehr. Sie sind immer für uns da und zogen vor sechs Jahren sogar von Druten nach Utrecht. Anfangs konnte ich gar nicht damit umgehen, es fiel mir allgemein immer schwer, eine entspannte oder freundschaftliche Beziehung zu älteren Männern aufzubauen, weil ich in Gedanken schnell bei meinem Vater und befangen war. Als Carlos Papa mir einmal freundschaftlich über den Kopf streichelte, zuckte ich total zusammen. Doch ich habe Con längst ins Herz geschlossen – er behandelt mich wie seinen eigenen Sohn.

Als es mir finanziell besser ging, war es wieder an der Zeit, auf eigenen Füßen zu stehen, und so suchte ich mir eine Wohnung in Utrecht, um in der Nähe von Ibo zu sein. Er unterstützte mich darin – sagte er zumindest. Doch er hatte dann an wirklich jeder Wohnung, die ich mir anschaute, etwas auszusetzen, ob er bei der Besichtigung dabei war oder nicht: „Nee, die ist viel zu laut, daneben ist ein Klub“, „Also die würde ich auf keinen Fall nehmen, die hat ja gar kein Tageslicht“, „Puh, ganz schlechtes Feng-Shui hier. Ich fühle es.“ Um es kurz zu machen: Es war die reinste Rom-Com! Ich ahnte bald, weshalb Ibo alle meine Versuche sabotierte: „Hör mal“, sagte er eines Tages, „wir kennen uns zwar erst ein paar Monate, aber was spricht denn dagegen, zusammenzuziehen?“ Und seitdem leben wir zusammen. Ich zog damals bei ihm – und Fido – ein. Und nach sieben Monaten kauften wir uns zusammen eine größere Wohnung.

NO MORE DRAMA

Mein Leben mit Ibo war wundervoll. Es war auch ein Märchen, aber ohne Extreme. Es war einfach gut. Doch gerade, weil Ibo so in sich ruhte und sich seiner sehr bewusst war, prallten wir am Anfang mit unseren verschiedenen Vergangenheiten manchmal heftig aufeinander. Beziehungsweise ich auf seine, um ehrlich zu sein: Bei einer Meinungsverschiedenheit hatte ich immer den Impuls, einen heftigen Streit vom Zaun zu brechen oder wegzulaufen. „Ich gehe wieder zu meiner Mutter!“, schrie ich. „Es ist vorbei!“ Wie man als Paar vernünftig miteinander redet, ohne gleich zu denken, dass die Welt untergeht, hatte ich irgendwie noch nicht gelernt.

Mein Dramasystem bekam von Ibo aber niemals Belohnung. „Warum willst du weglaufen?“, fragte er, wenn ich nach ein paar Stunden, in denen ich meist mit dem Auto herumgefahren war oder wirklich meine Mutter besucht hatte, zurückkam. „Ich liebe dich doch.“ Er entzog so dem Drama nach und nach den Nährboden. Schließlich konnte ich verstehen, dass es ohne Streit viel besser läuft, und ließ mich mehr und mehr auf ihn ein, ohne so heftig zu reagieren oder zu denken, es geht jetzt um Leben und Tod. Wir streiten uns heute fast nie. Diskussionen gibt es, klar. Aber sie verlaufen immer konstruktiv. Wir schlafen auch niemals ein, ohne uns zu vertragen und gegenseitig zu sagen, dass wir uns lieben. Und wir reden über wirklich alles. Klingt schon wie ein Märchen, oder? Aber es ist wirklich so. Ich habe ganz viel von Ibo gelernt. Ich war am Anfang zu hart mit dem Grenzensetzen. Wo ich eher der emotionale Typ bin, ist er der vernünftige, wir haben gelernt, uns in der Mitte zu treffen: Ich weiß inzwischen, dass nicht jede Entscheidung ein dramatischer Prozess sein muss und er wiederum, dass man Entscheidungen auch mit dem Bauch und nicht nur mit dem Kopf treffen kann.

Ich bin der Meinung, dass Menschen sich ändern können, wenn sie es wirklich wollen. „So bin ich eben“ ist keine Ausrede, finde ich. Und ich wollte mich ändern, weil ich Ibo liebte und mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen konnte. Manchmal frage ich mich, was gewesen wäre, wenn wir uns in einer anderen Phase kennengelernt hätten, ich arbeitete damals ja als Formatentwickler bei Talpa, ich war kein Boygroup-Star mehr. Wenn ich noch mittendrin in diesem Wirbel gesteckt hätte, wäre es schwer geworden, denke ich. Aber inzwischen war ich der Mann hinter der Kamera, nicht mehr davor.

Kleine Ausflüge zurück vor die Kamera machte ich hin und wieder schon, es machte ja auch Spaß. Als ich 2008 bei Das perfekte Promi-Dinner mitmachte, lebten wir noch zusammen in Ibos Wohnung. Plötzlich saßen dann ein paar Promis bei ihm im Esszimmer: die holländische Sängerin und Schauspielerin Ellen ten Damme, der Autor und Aufklärer Oswalt Kolle und Ex-Milli-Vanilli-Sänger Fabrice Morvan plus Filmteam. Ibo fand das sehr amüsant, war aber auch froh, als der Spuk wieder vorbei war …

Er hatte von Anfang an kein Problem damit, dass Stephen noch ein sehr wichtiger Teil meines Lebens war und für immer einen Platz in meinem Herzen haben würde, auch wenn ich ihn nicht mehr sah. Ibo ging damit entspannt um. Wer hat gesagt, dass es nur eine Liebe im Leben gibt? Ich glaube, dass beide, Stephen und Ibo, Lieben meines Lebens sind.

Bald hatte ich das Gefühl, angekommen zu sein. Ibo und ich kosteten das Leben aus, wir hatten beide erfolgreiche Jobs und machten Städtereisen nach New York, Paris oder Berlin, auf denen ich alles an Kultur und Sightseeing nachholen konnte, wozu ich damals mit Caught in the Act aus Zeit- und Erschöpfungsgründen nie gekommen war. Und wir liebten es, Freunde zu uns einzuladen und kleine Partys zu geben. Auch mit Ibo feiere ich das Leben – aber auf eine balanciertere, gesündere Art und Weise.

EIN ANRUF, DER ALLES VERÄNDERTE

Mit Yolanda besuchte ich am 10. Oktober 2009 die Geburtstagsparty von Raymond in Harderwijk – es war ein richtig schöner Abend mit einer ausgelassenen Partynacht. Als ich morgens im Gästezimmer aufwachte, sah ich, dass ich mehrere verpasste Anrufe von Ibo hatte. Schon sein „Hallo“ klang ungut, als ich ihn zurückrief. Mir schossen sofort die schlimmsten Gedanken durch den Kopf. Meine Mutter ist tot!, dachte ich sofort. Er fragte mich: „Sitzt du?“ Der Satz, den er dann sagte, zerfetzte sofort mein Herz. „Stephen ist gestorben.“

Ich checkte zitternd die News im Internet. Es stimmte. Es stimmte wirklich … Mir wurde schwarz vor Augen. Was war denn nur passiert?! Die nächsten Tage lief immer mehr über Stephens Tod in den Nachrichten, auch Bilder und Filmmaterial von mir und unseren gemeinsamen Auftritten wurden eingeblendet. Aber niemand wusste etwas, die wildesten Spekulationen rauschten durch die Nachrichten. Zum zweiten Mal nach unserem Coming-out waren wir jetzt überall in den Medien, beim ersten Mal war es so schön und romantisch gewesen, jetzt war es die schlimmstmögliche Tragödie. Es hagelte Anfragen von TV-Shows und Promimagazinen, die mich interviewen wollten.

Ich war wie betäubt. Der Mensch, den ich so geliebt und mit dem ich so viel geteilt hatte und der noch immer so sehr in meinem Herzen war, sollte tot sein?! Auch wenn ich sagen muss, dass die Tatsache, dass Stephen etwas passiert war, nicht das absurdeste Szenario war. Ich hatte immer Angst gehabt, dass ihm etwas zustoßen könnte. Später erfuhr ich, dass Stephen eine nicht diagnostizierte Herzkrankheit gehabt hatte, an der er plötzlich gestorben war.

„Du musst da hinfliegen“, sagte Ibo, als es um die Beerdigung ging. „Es ist wichtig, dass du da bist.“ Als er mich zum Flughafen fuhr, merkte ich, dass ich meinen Pass nicht dabeihatte, wir kehrten um und fast hätte ich diesen so wichtigen Flug verpasst. Ich war total neben der Spur, rannte dann zum Gate, doch es war gerade geschlossen worden. „Bitte … ich muss zu einer Beerdigung!“, flehte ich die Bodenstewardess an. Sie ließ mich durch und wünschte mir alles Gute.

Die Kirche war in Dublin in der Nachbarschaft, in der Stephen aufgewachsen war. CNN war da, um die Zeremonie zu übertragen. Es war herzerwärmend zu sehen, wie viele Menschen Stephen in seinem kurzen Leben berührt hatte: Tausende Fans waren gekommen, es war fast wie ein Staatsbegräbnis. Ich traf Stephens Familie, alte Freunde und Boyzones Manager Louis Walsh. Ich sah Jason Donovan, David Furnish und Westlife. Es war so bizarr, auch weil unsere Beziehung damals eigentlich so wenig mit dem Showgeschäft zu tun gehabt hatte, unsere Liebe war bis auf einige Auftritte und das öffentlichkeitswirksame Coming-out nur zwischen uns gewesen. Die Jungs von Boyzone trugen den Sarg an mir vorbei – mir fehlen auch heute noch die Worte, meine Gefühle in dem Moment damals zu beschreiben. Die Einäscherung fand im engen Kreis statt, ich ging später zu der Zusammenkunft von Stephens Freunden und Familie.

Als ich Ronan und die anderen traf, umarmten wir uns lange. Auch sie waren alle zutiefst erschüttert. „Er hat mir noch vor ein paar Wochen gesagt, wie viel du ihm bedeutet hast“, sagte Ronan. Und Louis fügte hinzu: „Dein Platz in Stephens Herz war riesig.“ Michelle lud mich ein, bei ihr und ihrer Familie zu übernachten. Ich rief Ibo an, um es ihm zu erzählen. „Mach alles, was dir jetzt guttut“, sagte er. Einmal mehr zeigte er mir, wie sehr er für mich da war und mich unterstützte. Das war unfassbar wichtig für mich.

Nach Stephens Tod war ich ein Jahr lang in tiefer Trauer. Ich las so viele Dinge über ihn oder hörte seine Musik im Radio. Zusätzlich war es eigenartig, als öffentliche Person zu trauern, denn ich wurde so oft damit konfrontiert.

Stephens Mann Andrew Cowles realisierte noch Stephens Herzensprojekt, an dem er bis zu seinem Tod gearbeitet hatte: das Kinderbuch The Tree of Seasons. Das Vorwort hatten Elton John und David Furnish geschrieben, es erschien 2010 und war drei Wochen in den britischen Bestsellerlisten. Ich freute mich und bin dankbar, dass Andrew mich in der Danksagung in Stephens Namen neben anderen wichtigen Menschen erwähnte: „… Er würde euch ein riesengroßes Danke sagen, dafür dass ihr in seinem Leben wart. Gott segne euch.” Wie schwer Stephens Tod für Andrew gewesen sein musste, mochte ich mir gar nicht erst ausmalen.

Irgendwie ging das Trauerjahr vorüber. Und irgendwie ging es mir ganz langsam wieder besser, auch wenn ich wusste, dass kein Tag mehr vergehen würde, an dem ich nicht an Stephen denken würde.