Kapitel 8
Unter den Rädern meines Lexus LS 500H knirschte der Kies, als ich in die Einfahrt einbog. Das gesamte Anwesen, das eher einem kleinen Schloss als einer Villa glich, wurde durch zahlreiche Strahler im Boden und andere Lichter rundherum in der Dunkelheit des Abends in Szene gesetzt. Das Grundstück maß sicherlich mehrere Hektar. Ein Butler stand auf dem unteren Absatz der Treppe und wartete, bis ich vor ihm hielt und ausstieg. Auf den ersten Blick sah es fast friedlich hier aus. Der Springbrunnen in der Mitte des Wendehammers plätscherte beruhigend vor sich hin. Außer diesem Geräusch, der zuschlagenden Autotür und meiner Schritte auf dem Kies hörte man nichts. Die Dunkelheit der Nacht schluckte jede Spur, die auf das hindeutete, was dieses Haus wirklich war. Kein Zuhause. Eher ein Ort des Schmerzes. Wir hatten ihn gewählt, um in der Abgeschiedenheit und in aller Ruhe und Sicherheit unsere Geschäftstermine durchführen zu können. Unsere Kunden kannten ihn und wussten, wie sehr er bewacht und geschützt wurde. Weil die Lagerung unserer Waren ein Höchstmaß an Sicherheit bedurfte und wir uns keine Fehler erlauben konnten. An jeder Ecke waren Kameras installiert, die meisten Türen ließen sich nur durch Keycards öffnen, und jeder wusste, was wir mit Eindringlingen machen würden. Kein Grund zur Sorge also. Nicht dass ich mich generell irgendwann einmal sorgte.
»Guten Abend, Mr Craft«, begrüßte mich unser Angestellter und nahm den Autoschlüssel entgegen, den ich ihm hinhielt.
»Guten Abend, William.«
»Mr Payne ist schon da und wartet im großen Salon auf Sie, bis Mr Clarke eintrifft.«
»Danke.« William war der loyalste und älteste unserer Mitarbeiter, außerdem ein langjähriger Freund der Familie. Ich würde ihm nie zurückgeben können, was er vor vielen Jahren für meine Mum und mich tun wollte. Auch wenn es nichts genutzt hatte. Und als ich ihm eine großzügige Abfindung zahlen wollte, sobald ich es konnte, hatte er abgelehnt.
Er wusste um meine Dankbarkeit, doch er wusste auch, dass ich ausschließlich so viele Worte verbrauchte wie unbedingt nötig. Also nickte ich nur, bevor ich an ihm vorbeilief. Er stieg in meinen Wagen, um ihn zu parken, und ich hörte den aufheulenden Motor. Als ich die Treppen nach oben zum Eingang hinaufstieg, warf ich noch einen letzten Blick über die Schulter und checkte die nun leer werdende Auffahrt. Alte Angewohnheit, die ich einfach nicht ablegen konnte. Meine Hand fuhr kurz in meine Hosentasche und tastete nach dem goldenen Ring, den ich dort immer aufbewahrte. Er war noch da. In Sicherheit
.
Danach öffnete ich die Haustür. Meine Schritte hallten auf dem Steinboden des gigantischen Eingangsbereiches, als ich zu dem Salon lief, in dem Ian auf mich wartete. Wir hatten die Villa vor gut drei Jahren gekauft und restaurieren lassen. Dabei hatten wir den Altbauflair durch die stuckverzierten Decken und die zwei Meter fünfzig hohen Türen behalten, aber in manchen Räumen Wände durch raumhohe Fenster ersetzt oder die alten Holzböden gegen schwarzen Stein ausgetauscht.
Ich mochte die Farben Schwarz und Weiß, nicht nur in meinem Appartement. Auch hier. Mir gefiel der kraftvolle Kontrast. Keine anderen Farben der Erde passten besser in meine Welt als diese beiden. Es gab kein Grau. Nur Schwarz. Nur Weiß.
Ich öffnete die Tür zum Salon, und der schwere Duft von alten Büchern und Holzfeuer drang in meine Nase. Es war kalt um diese Jahreszeit, und einer der Angestellten hatte für uns ganz bestimmt wie immer im Winter den Kamin angezündet, der dem Raum durch die lodernden Flammen und das Knacken des Holzes eine heimelige und doch irgendwie unwirkliche Atmosphäre verlieh.
Ian saß auf einem der weißen Ledersofas am anderen Ende, hielt in der einen Hand einen Whiskyschwenker und in der anderen sein Tablet, während der flackernde Lichtschein des Feuers Schatten auf seinem Gesicht zeichnete. Er sah auf, als ich die Tür hinter mir schloss und meinen schwarzen Wintermantel an einen Haken des Kleiderständers an der Wand hängte.
»Hey, da bist du ja. Sonst bist du immer der Erste hier«, sagte er grinsend, und ich lief auf ihn zu.
»Ich bin pünktlich, das reicht«, erwiderte ich und nahm auf dem Sofa ihm gegenüber Platz. Er musste nicht wissen, dass ich nur deshalb zu spät losgekommen war, weil ich bei einer guten Trainingseinheit zuerst Eves Anblick aus meinem Kopf schwitzen musste und die darauffolgende Dusche auch wegen ihr länger als gewöhnlich angedauert hatte.
Ian beugte sich nach links, griff nach einem sauberen Glas und schenkte mir ein.
Ich nahm das Getränk dankend entgegen. Als der Whisky seinen Geschmack nach Honig und Datteln auf meiner Zunge verbreitete, schloss ich die Augen und seufzte kurz auf.
»Gut, oder? Ich habe die Lieferung endlich aus Irland bekommen! Fünf verdammte Monate des Wartens sind vorbei, und wir haben ein Stück meiner Heimat hier.« Seine Stimme klang zufrieden, und ich nickte zustimmend.
»Du meinst die Heimat deines Uropas. Aber ja, der ist tatsächlich ziemlich gut. Der Aufwand hat sich gelohnt.«
»Also, wieso wollte Clarke so unbedingt die Lieferung vorziehen?«
Ian hatte es wie kein anderer drauf, in Sekunden von einem Freund zu einem Geschäftspartner zu wechseln. Ich wusste, er erzählte anderen Menschen, dass er als Anwalt für Verkehrsrecht arbeite, was allerdings eine glatte Lüge war. Seine juristischen Fähigkeiten dienten dem Zweck, uns zu schützen, nachdem wir gemeinsam das Geschäft meines Vaters wiederaufgebaut und deutlich verbessert hatten.
»Das geht uns nichts an«, erwiderte ich und trank noch einen weiteren Schluck.
»Sollte es aber, wenn man Waffen in dieser Größenordnung aus dem Nichts anfordert.«
Ich hob eine Augenbraue. Auch wenn Ian einen genauso wenig ausgeprägten Sinn für die Einhaltung der Gesetze hatte wie ich, war sein Streben nach Gerechtigkeit doppelt so groß wie meines. Vielleicht ergänzten wir uns deshalb so gut. Yin und Yang.
»Frag ihn, wenn er gleich eintrifft. Wir haben immer noch selbst in der Hand, ob wir ihm unsere Ware verkaufen, das weiß er. Wir sind die Einzigen, die sie ihm in solch einer Anzahl und Schnelligkeit liefern können, und ich vertraue deinem Urteil. Wenn du Nein sagst, ziehe ich mit«, erwiderte ich, als würden wir über eine Lieferung von Zuckerwatte sprechen und nicht über hochgefährliche Dinge wie Schusswaffen, die ausreichen würden, um einen verdammten Krieg anzuzetteln.
Aber auch das beinhaltete unser All-inclusive-Service für die dunkle Seite der Stadt.
Drogen. Prostituierte. Waffen. Alkohol.
Genau genommen waren wir Schmuggler im großen Stil. Es gab nichts, was wir nicht beschaffen könnten, und das verhalf uns zu einer Position am Markt der illegalen Geschäfte, die ziemlich einmalig war.
Aber auch wir hatten unsere Prinzipien. Selbst ich. Wobei diese äußerst gering ausfielen.
»Ich hoffe, er hat eine gute Antwort parat, damit wir das Ding schnell durchziehen können. Ich bin später noch mit Matt verabredet, und wir wollten mal wieder die Stadt unsicher machen. Silvester und unsere heiße Nummer mit der scharfen Snow White ist viel zu lange her.« Ian grinste verschlagen.
Ich nippte ein weiteres Mal an meinem Glas und ließ mir nicht anmerken, dass mich der Gedanke daran und an das Treffen mit ihr heute Vormittag kurz unruhig werden ließ.
»Willst du mit? Würde dir guttun, du wirkst heute noch unentspannter als sonst.«
Ich würde ihm nicht von Eve erzählen, denn auch wenn sie meinen Geist immer wieder seit dieser Nacht beherrschte, ich hatte mich an diesem Abend nur ein einziges Mal hinreißen lassen. Ein weiteres Mal würde nicht passieren, dafür waren meine Gedanken gerade viel zu vertieft in unser Geschäft. Wir durften uns trotz unserer Stellung keinen einzigen Fehler erlauben und ich hatte mir nicht dieses Imperium aufgebaut, um es wegen einer Pussy zunichtezumachen, die mich von alldem ablenkte. War sie auch noch so verlockend.
Außerdem war ich kein Typ, der spätabends durch Clubs und Bars zog, um dort zu feiern oder Spaß zu haben. Im Grunde wusste ich nicht mal wirklich, wie ich richtigen Spaß definieren sollte.
Die Tür zum Salon öffnete sich, und William steckte seinen Kopf herein.
»Mr Clarke ist da.«
»Wir sollten gehen«, sagte ich zu Ian, ohne auf seine vorherige Frage zu antworten. Wir standen auf, richteten unsere Anzüge und liefen in Richtung der Eingangshalle. Als wir durch die Tür des Salons traten, sahen wir bereits Clarke mit fünf seiner Männer. Ich wusste, er hatte sie nicht mitgebracht, um sie gegen uns einzusetzen und uns auszurauben. Denn das wäre schlichtweg ein Selbstmordkommando gewesen. Wenn nicht Ian oder ich sie außer Gefecht setzten, würde es einer unserer Wachmänner tun, die jeden unserer Schritte in diesem Haus verfolgten.
Nein. Er fühlte sich unsicher in unserer Nähe und wollte sich einfach nur absichern, dass er lebendig wieder dieses Haus verließ.
»Cole! Ian!«, rief er und breitete die Arme aus. Der untersetzte Mann, der mindestens zwei Köpfe kleiner war als wir, lachte rau. Sein Blick flackerte ständig zu seinen Männern.
Eigentlich war es keine gute Idee, einem unsicheren Typen wie ihm so eine Lieferung zu besorgen. Andererseits war es mir scheißegal, weil er uns so gut bezahlte, dass ich nicht wirklich darüber nachdachte, was er mit den Waffen wollte.
»Clarke«, sagte Ian, und wir blieben vor ihm stehen. Ian beäugte seine Männer, und auch ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Mit so viel Besuch heute hätten wir überhaupt nicht gerechnet.«
»Ihr wisst doch, wie es ist«, erwiderte Clarke und fuhr sich mit der Hand über seine lichte Halbglatze. »Draußen ist es dunkel und gefährlich.«
»Deswegen der Druck hinter deiner Bestellung?«, fragte Ian, während ich versuchte, aus Clarkes unsicherem Blick zu lesen. »Was hast du damit vor?«
»Ihr kommt gleich zum Geschäft, oder?« Wieder lachte er nervös auf, aber beantwortete Ians Frage nicht.
Die Anspannung in unserer Eingangshalle war fast greifbar und fuhr kribbelig durch meinen Körper. Auch wenn ich kein Problem damit hatte, mich körperlich in einem guten Kampf gegen jemand anderen zur Wehr zu setzen, trug ich keine Waffen an meinem Körper. Genauso wenig wie Ian. Wieso auch? Niemand in der gesamten Stadt würde es wagen, sich gegen uns zu richten. Das wusste auch Clarke. Wir hatten zu viele Verbündete und zu viele Dinge gesehen, die wir gegen die ganze dreckige New Yorker Unterwelt einsetzen konnten, sollte es darauf ankommen. Unsere Kontakte und unser Einfluss reichten mittlerweile weit über die Stadtgrenzen hinaus.
Einer von Clarkes Männern ging einen Schritt nach vorne. Ich hatte ihn bisher noch nie gesehen. Vielleicht plante er nicht nur, sein Lager an Waffen aufzustocken, sondern hatte auch neue Männer rekrutiert. Was fürchtete Clarke, der selbst nicht unbedingt ein kleines Licht am schwarzen Himmel war?
»So machen wir keine Geschäfte, das weißt du«, sagte Ian und nickte zu einem seiner Handlanger. »Guten Abend noch.« Er drehte sich um, aber bevor Ian einen Schritt gehen konnte, erhob Clarke das Wort.
»Moment! Bitte! Nicht!« Langsam drehte sich mein Freund wieder um. Er hatte natürlich geblufft. Aber ein Typ wie Clarke, der gerade mal den IQ eines Papptellers hatte, konnte das nicht sehen. Er ließ seufzend die Arme sinken und schnalzte mit der Zunge, sodass sein Mann wieder zurücktrat.
»Ich schulde jemandem was, okay? Einem ehemaligen Mitarbeiter. Er ist auf Rache aus.«
»Und das sollen wir dir abnehmen?«, fragte Ian.
»Ja. Jeder meiner Männer soll ausgestattet werden. Es geht hier nicht nur um mich … Es geht auch um meine Frau und meine Kinder. Also, bitte«, flehte er, und Ian warf mir einen Blick zu. Ich nickte knapp. Nicht weil ich Mitleid hatte, sondern weil mir diese Begründung schlicht ausreichte, um endlich diesen Deal abzuschließen.
»Na gut«, erwiderte Ian. »Komm mit. Aber deine Männer warten hier.«
»Okay!«, sagte Clarke schnell. Wir wandten uns ab und liefen zum Aufzug, der zwischen den Treppen links und rechts, die in den ersten Stock führten, in der Wand kaum zu erkennen war. Ian hielt seine Karte vor den Leser, und wir warteten nur zwei Sekunden, ehe die Türen aufglitten.
Wir stiegen ein und warfen uns einen Blick über Clarks Kopf zu, der zwischen uns stand, während sich der Lift nach unten in Bewegung setzte. Denn das Wertvolle an diesem Grundstück war nicht das Schloss. Es waren die Räume darunter.
Wir kamen an, und als die Türen aufglitten, begrüßte uns einer unserer Wachmänner, der anhand einer Kamera im Aufzug natürlich ganz genau gesehen hatte, dass wir auf dem Weg zu ihm waren. Unsere Schritte hallten zwischen den kahlen Wänden, als wir den mit Neonröhren bestrahlten Flur entlangliefen. Graue Betonwände und Böden säumten unseren Weg. Während die Villa prunkvoll und protzig war, waren die Räume hier unten einfach nur funktionell. Dicke Stahltüren trennten den Flur von den Lagerräumen, bis wir eine weit hinten erreichten. Auch sie öffnete Ian mit seiner Keycard, und wir gingen hinein. Clarke betrat hinter uns den Raum und schnappte nach Luft, als er sah, was vor ihm ausgebreitet auf mehreren Tischen lag.
Seine Lieferung.
»Kommen wir endlich zum Geschäft«, sagte ich zum ersten Mal an diesem Abend etwas zu Clarke und schloss die Stahltür mit einem Knall hinter uns.