Kapitel 10
Ich ging mit einem Keuchen in die Knie, als ich den Medizinball auffing. Mein Körper badete nach dieser Trainingseinheit in Schweiß, und ich konnte kaum noch etwas sehen. Trotzdem hob ich mich aus meiner Position und warf Ian den Ball zurück. Die Muskeln in meinen Armen zitterten, und meine Beine drohten so langsam nachzugeben.
Ian war der perfekte Trainingspartner, wenn man an seine Grenzen gehen wollte. Keiner von uns gab sich die Blöße und hätte an dieser Stelle aufgegeben.
Das Gym in den Fordham Heights war nicht gerade ein Fitnessstudio der Luxusausführung. Es bestand aus viel Beton, abgewetzten Sportmatten, einem alten Boxring und haufenweise Männern, die sich ihre Aggressionen und den Stress aus dem Leib prügeln wollten.
Also genau das Richtige für uns. Ich brauchte nicht die neuesten Geräte, hübsche Frauen in teuren Sportoutfits oder einen Blick über die Skyline beim Trainieren auf dem Laufband.
Ich brauchte Power. Schweiß. Und musste mich bis an den Rand meiner Kräfte bringen können, um danach noch ein bisschen darüber hinauszugehen.
»Du hast mir gar nicht erzählt, dass du Eve getroffen hast«, sagte Ian, als er den Ball erneut zu mir warf und ich ihn auffing. Kurz hielt ich inne. Woher wusste er davon?
Ich stemmte das Gewicht hoch und atmete geräuschvoll aus, um es in die Luft zu bringen. »Wer behauptet das?«
»Eve«, antwortete Ian, fing den Ball und ließ ihn mit einem schweren Schlag auf dem Boden aufkommen. Er stützte sich kurz auf den Knien ab, bis er sich wieder aufrichtete. Auch mein Atem ging schnell und abgehackt. »Sie war Donnas Scheidungsanwältin?«
»Und?«, fragte ich, zuckte mit den Schultern und ging hinüber zum Wasserspender, um einen Pappbecher damit zu füllen.
Ian tauchte neben mir auf. »Nichts und. Du hast Eve wiedergetroffen und mir nichts erzählt! Matt hat mich gestern in eine mexikanische Bar geschleppt, und rate mal, wer da an der Theke saß? Unser Gespräch war sehr …« Er zögerte. Wieso verdammt noch mal zögerte er? »… aufschlussreich.«
Sein Grinsen machte mich aggressiv. Was wollte er mit seinen Worten bezwecken?
»Raus mit dem, was du sagen willst, oder lass es. Ich hab keine Ahnung, wieso es wichtig war, dir zu erzählen, dass ich sie wiedergetroffen habe. Wir haben uns früher nie danach über die Frauen unterhalten, und auch diesmal bedeutet es nichts.« Ich warf den leeren Pappbecher in den Papierkorb auf dem Boden neben dem Trinkspender.
»Nein?«, fragte Ian und folgte mir in die Ecke mit den Sandsäcken. Ich fischte die fingerlosen Trainingshandschuhe aus meinem Hosenbund und zog sie über, während sich Ian hinter dem Boxsack in Position stellte. »Wieso wirst du dann gerade so pissig? Also warum hast du nichts gesagt?«
Ich nahm meine Stellung ein und kombinierte die ersten Schläge. Meine Arme waren immer noch schlapp von dem Training mit dem Medizinball, aber genau dieses Gefühl, völlige Verausgabung und darauffolgende Ruhe, hieß ich willkommen. Ich erreichte es nur noch bei einer einzigen Tätigkeit und das auch schon länger nicht mehr. Weil mir die passende Partnerin dazu fehlte.
»Es war nicht wichtig.«
Ian stolperte einen Schritt zurück, weil die Wucht, die ich in meine Schläge setzte, ihn und den Sack nach hinten drückte. »Das hast du schon behauptet. Aber ich nehm dir das nicht ab.«
Ich antwortete nicht.
»Sie wird den Fall aus Befangenheit abgeben.«
Kurz hielt ich inne, dann schlug ich wieder auf den Sack vor mir ein.
»Du wirst sie sowieso nicht wiedersehen, also ist doch alles gut.«
Gar nichts war gut.
»Aber vielleicht werde ich sie noch mal treffen. Wir haben gestern Nummern ausgetauscht.«
Mein Herz pumpte heftig gegen meinen Brustkorb und das nicht nur aufgrund der Trainingseinheit. Ein Schlag folgte dem nächsten. Ohne Pause. Ohne Verstand. Was überhaupt nicht gut war, denn ohne meinen Kopf handelte ich impulsiv. War nicht rational. Was ich unbedingt brauchte, um die Kontrolle behalten zu können. Die Kontrolle, die mir mein schwer erkämpftes Leben rettete. Ich stoppte und ließ die Arme sinken.
Ian trat hervor und grinste mich dümmlich an. »Du stehst auf sie.«
»Nein, verdammt. Ich stand drauf, wie sie mir einen geblasen hat, und jetzt hör auf mit dieser Scheiße. Es war eine einmalige Sache, und du solltest es auch dabei belassen.«
»Wieso? Ich kann sie doch einfach mal kennenlernen.«
Ich ballte die Hände immer wieder zu Fäusten. »Sie ist Anwältin. Denkst du nicht, sie könnte uns an den Eiern packen? Wir sollten uns keinen verdammten Wolf ins Haus holen.«
Ian lachte, und auch ich fand den Vergleich lächerlich. »Du meinst, wir sollten kein Schaf zu den Wölfen bringen. Ich bin auch Anwalt und ganz bestimmt nicht für Verkehrsrecht. Ich sicher uns ab, das weißt du, und würde niemals irgendetwas gefährden. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass sie harmlos ist.«
Sie war alles andere als harmlos. Denn sonst würde sie meine Gedanken nicht so beherrschen und mich auf diese Art durcheinanderbringen, dass es mir schwerfiel zu atmen. Doch das war etwas, das ich Ian unter gar keinen Umständen unter die Nase reiben konnte.
»Hast du gestern Abend also noch mal deinen Spaß mit ihr gehabt?«, schlussfolgerte ich, aber Ian schüttelte grinsend den Kopf.
»Nein.«
»Wieso nicht?« Meine Frage hörte sich fast wie ein Knurren an.
»Weil sie die gesamte Zeit über dich reden wollte.«
Ich schluckte hart. Das war genau die Antwort, die ich mir gleichzeitig überhaupt nicht und unbedingt erhofft hatte.
»Stell dich hin, ich bin noch nicht fertig«, sagte ich und deutete auf den Boxsack. Ians Grinsen würde ich ihm heute noch aus dem Gesicht prügeln. Das war wenigstens eines, das sicher war.